Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 17.10.2014 | |
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Aktenzeichen | OVG 2 B 1.13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 43 Abs 2 VwGO, § 31 Abs 2 BauGB |
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass es für die Errichtung einer Werbeanlage auf öffentlichem Straßenland keiner Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von der bauplanungsrechtlichen Festsetzung einer öffentlichen Straßenverkehrsfläche bedarf.
Sie beantragte am 6. September 2010 beim Bau- und Wohnungsaufsichtsamt des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf die Erteilung einer Befreiung für die Errichtung einer doppelseitigen Mega-Light-Werbeanlage auf dem Mittelstreifen des Kaiserdamms in Höhe der Meerscheidtstraße. Das Bezirksamt wies den Antrag mit Bescheid vom 21. Oktober 2010 und Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2011 zurück.
Die hiergegen erhobene Verpflichtungsklage stellte die Klägerin im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht anfänglich geäußerte Einschätzung, es bedürfe keiner Befreiung, auf eine Feststellungsklage um. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit der Klägerin am 20. Oktober 2012 und dem Beklagten am 19. Oktober 2012 zugestelltem Urteil ab und führte zur Begründung aus, eine Befreiung sei nicht entbehrlich. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Werbeanlage sei nach übergeleitetem Recht zu beurteilen. Danach liege das Vorhaben auf einer Straßenverkehrsfläche. Die Anlage bedürfe einer Befreiung, da sie als eigenständige gewerbliche Anlage nicht dem Straßenverkehr diene. Dass sie bauordnungsrechtlich durch § 62 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. c BauO Bln verfahrensfrei gestellt sei, ändere daran nichts. Die Befreiung stelle einen der Bauaufsichtsbehörde vorbehaltenen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt dar. Zwar habe die Straßenbaubehörde bei der Entscheidung über die erforderliche straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis auch Belange des Städtebaus und insoweit das Bauplanungsrecht eigenständig zu prüfen. Dies beziehe sich jedoch nur auf bestehende bauplanungsrechtliche Vorschriften.
Zur Begründung ihrer vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung weist die Klägerin auf die Gesetzesbegründung zu § 62 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. c BauO Bln hin, aus der sich folgerichtig ergebe, dass über die Zulässigkeit von Werbeanlagen auf öffentlichem Straßenland abschließend im Rahmen des Sondernutzungserlaubnisverfahrens zu entscheiden sei.
Die Klägerin beantragt,
das ihr am 20. Oktober 2012 und dem Beklagten am 19. Oktober 2012 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin zu ändern und festzustellen, dass die streitgegenständliche Werbeanlage für ihren Standort auf öffentlichem Straßenland einer isolierten Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von der planungsrechtlichen Festsetzung „Straßenverkehrsfläche“ nicht bedarf.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakten und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen.
Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter anstelle des Senats, nachdem sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 87 a Abs. 2 und 3, § 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Feststellungsklage zu Recht abgewiesen.
1. Die Feststellungsklage (§ 43 VwGO) ist zulässig. Sie bezieht sich nicht auf eine abstrakte Rechtsfrage, sondern auf ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis, denn sie zielt darauf, ob die Klägerin eine bestimmte Werbeanlage an einem bestimmten Standort ohne Befreiung von der bauplanungsrechtlichen Festsetzung einer Straßenverkehrsfläche errichten darf. Dass die Erteilung einer Befreiung Gegenstand einer Verpflichtungsklage sein kann, steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht etwa im Hinblick auf deren Subsidiarität (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) entgegen. Da nämlich die Klägerin auf dem Standpunkt steht, es bedürfe für die Errichtung der Werbeanlage keiner Befreiung, kann sie ihr Rechtsschutzziel nicht mit einer Verpflichtungsklage erreichen (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. September 2012 – 8 C 26.11 –, juris Rn. 19, und vom 17. Januar 1972 – I C 33.68 –, juris Rn. 7, sowie Beschluss vom 26. März 2014 – 4 B 55.13 –, juris Rn. 4; Sodan in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 43 Rn. 131).
2. Die Feststellungsklage ist aus den vom Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführten Gründen jedoch unbegründet.
a) Der vorgesehene Standort der Werbeanlage ist Teil einer durch förmlich festgestellte Straßen- und Baufluchtlinien, die als übergeleiteter Bebauungsplan fortgelten, festgesetzten öffentlichen Straßenverkehrsfläche.
Wie aus den in dem beigezogenen Verwaltungsvorgang enthaltenen Plänen ersichtlich ist, bestehen entlang des Kaiserdamms und der Meerscheidtstraße förmlich festgestellte („f. f.“) Straßen- und Baufluchtlinien nach dem preußischen Fluchtliniengesetz. Die Festsetzungen der auf der Grundlage dieses Gesetzes erlassenen Fluchtlinienpläne galten bereits nach dem Berliner Planungsgesetz von 1949 bzw. 1956 als Bebauungsplan fort, soweit sie dem danach möglichen Inhalt eines Bebauungsplans entsprachen (vgl. m.w.N. v. Feldmann/Knuth, Berliner Planungsrecht, 3. Aufl. 1998, Rn. 39; Korbmacher in: Dürr/Korbmacher, Baurecht für Berlin, 2. Aufl. 2001, Rn. 187, 190 f.; Dageförde in: Wilke/Dageförde/Knuth/Meyer/Broy-Bülow, BauO Bln, 6. Aufl. 2008, Anhang Rn. 7). Dies gilt sowohl für die förmlich festgestellten Straßenfluchtlinien, mit denen öffentliche Verkehrsflächen (vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 6 Planungsgesetz bzw. nunmehr § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB) festgesetzt wurden (vgl. OVG Berlin, Urteile vom 1. Oktober 1976 – OVG II B 106.75 –, OVGE 14, S. 24, und vom 31. März 1992 – OVG 2 A 9.88 –, OVGE 20, S. 27, juris Rn. 33), als auch für die mit den Straßenfluchtlinien im Regelfall (vgl. § 1 Abs. 4 des preußischen Fluchtliniengesetzes) übereinstimmenden Baufluchtlinien, die eine Festsetzung über das Bauland bzw. die auf ihm überbaubaren Flächen enthalten (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 Planungsgesetz, dazu OVG Berlin, Urteil vom 31. März 1992, a.a.O., juris Rn. 33). Mit dieser Rechtsqualität sind die durch die förmlich festgestellten Straßen- und Blaufluchtlinien getroffenen Festsetzungen nach den Überleitungsvorschriften des Bundesbaugesetzes und des Baugesetzbuchs (§ 173 Abs. 3 BauGB 1960, § 233 Abs. 3 BauGB) weiterhin verbindlich. Die förmlich festgestellten Baufluchtlinien gelten inzwischen im Geltungsbereich der sog. A-Bebauungspläne vom 9. Juli 1971 (GVBl. S. 1230 ff.; dazu OVG Berlin, Urteil vom 30. Oktober 1987 – OVG 2 B 5.86 –, OVGE 18, 68) als Baugrenzen im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 1 und 2 BauNVO 1968 fort.
b) Die Errichtung einer Mega-Light-Werbeanlage auf dem Mittelstreifen des Kaiserdamms widerspricht diesen Festsetzungen und bedarf deshalb – neben der nach § 11 BerlStrG erforderlichen straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis – einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB.
Auf bauplanungsrechtlich festgesetzten öffentlichen Verkehrsflächen sind grundsätzlich nur diejenigen baulichen Anlagen zulässig, die der zweckentsprechenden Herrichtung der Verkehrsfläche dienen oder mit dieser Festsetzungsart aufgrund ihrer Zweckbestimmung vereinbar sind, wie etwa Busbahnhöfe, Wartehallen öffentlicher Verkehrsmittel, Telefonzellen, Anschlagsäulen und ähnliche Anlagen (vgl. zu einer öffentlichen Bedürfnisanstalt OVG Berlin, Urteil vom 18. September 1992 – 2 B 16.89 –, LKV 1993, S. 203; zu einer „klassischen“ Litfaßsäule für Informationen, Veranstaltungshinweise, Ankündigungen und Aufrufe Hamb. OVG, Urteil vom 20. Februar 1997 – Bf II 13/96 –, juris Rn. 37; vgl. ferner Gierke in: Brügelmann, BauGB, Stand: Februar 2014, § 9 Rn. 217). Bei der hier geplanten Werbeanlage handelt es sich jedoch weder um eine dem Verkehrszweck dienende noch um eine mit der Funktion als Straßenverkehrsfläche in engem Zusammenhang stehende, mit den genannten typischen Wegenutzungen vergleichbare Anlage (vgl. ebenso zu einem Verkaufswagen und einem Imbissstand Urteile des OVG Berlin vom 1. Oktober 1976, a.a.O., sowie vom 18. Januar 1985 – 2 B 153.83 –, BRS 44, S. 250).
Das Vorhaben bedarf deshalb einer Befreiung von der durch die förmlich festgestellten Straßenfluchtlinien festgesetzten öffentlichen Straßenverkehrsfläche und den mit den Straßenfluchtlinien übereinstimmenden, wie dargelegt als vordere Baugrenzen (§ 23 Abs. 3 Satz 1 und 2 BauNVO 1968) fortgeltenden förmlich festgestellten Baufluchtlinien (zur Geltung derartiger Baugrenzen für Werbeanlagen, sofern es sich – wie hier – nicht um Nebenanlagen handelt, vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juni 2011 – 4 C 1.01 –, juris).
c) Die in § 62 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. c BauO Bln angeordnete Verfahrensfreiheit von Werbeanlagen auf öffentlichem Straßenland bedeutet weder, dass es für derartige Anlagen keiner Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB bedarf, noch ergibt sich daraus, dass die Zuständigkeit für die Erteilung einer Befreiung in diesen Fällen auf die nach § 26 Abs. 1 BerlStrG für die Entscheidung über eine straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis (§ 11 BerlStrG) zuständige Straßenbaubehörde übergeht.
Die Verfahrensfreiheit nach § 62 Abs. 1 BauO Bln bezieht sich allein auf die Baugenehmigungspflicht (§ 60 Abs. 1 BauO Bln) und stellt die betroffenen Vorhaben somit nur von dem Baugenehmigungsverfahren (§ 65 BauO Bln) oder den stattdessen vorgeschriebenen vereinfachten Genehmigungs- oder Freistellungsverfahren (vgl. §§ 63, 64, 64a BauO Bln) frei. Auf anderen Rechtsgebieten geregelte Anforderungen wie namentlich das bundesrechtliche Erfordernis einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB bleiben hiervon unberührt (vgl. Knuth, a.a.O., § 62 Rn. 1). Dies wird durch § 60 Abs. 2 BauO Bln klargestellt. Ebenso setzt die Regelung des § 68 Abs. 2 Satz 2 BauO Bln, nach der die formellen Anforderungen des Satzes 1 (gesonderter schriftlicher Antrag, der zu begründen ist) entsprechend für Anlagen gelten, die keiner Baugenehmigung bedürfen, voraus, dass bei verfahrensfreien Vorhaben ggf. ein isolierter Befreiungsantrag nach § 31 Abs. 2 BauGB erforderlich ist.
Über Ausnahmen und Befreiungen nach § 31 BauGB haben in Berlin die Bauaufsichtsbehörden zu entscheiden. Dies folgt bereits aus der Aufgaben- und Befugnisnorm des § 58 Abs. 1 BauO Bln. Eine abweichende Zuständigkeitsregelung für Werbeanlagen auf öffentlichem Straßenland ist nicht ersichtlich. Zwar sollten diese Anlagen ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 62 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. c BauO Bln (AbgH-Drs. 15/3926, S. 111) im Interesse der Verwaltungsvereinfachung verfahrensfrei gestellt werden, weil der Träger der Straßenbaulast ohnehin ausreichende Einflussmöglichkeiten besitze, Störungen zu verhindern; eine bauaufsichtliche Prüfung sei somit entbehrlich. Dies ändert indes nichts daran, dass die Vorschrift, wie ausgeführt, allein den Wegfall des bauordnungsrechtlichen Genehmigungserfordernisses (§ 60 Abs. 1 BauO Bln) regelt. Eine Zuständigkeitsverlagerung auf die Straßenbaubehörde im Sinne einer auch die Befugnis zur Erteilung von Befreiungen umfassenden Zuständigkeits- oder Verfahrenskonzentration lässt sich der Bestimmung dagegen nicht entnehmen. Hierzu hätte es einer ausdrücklichen, eindeutig auch auf die Entscheidung über Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB bezogenen gesetzlichen Regelung bedurft. Im Bereich des Straßenrechts ist eine derartige Regelung ebenfalls nicht ersichtlich. Soweit die Straßenbaubehörde bei der Entscheidung über die erforderliche Sondernutzungserlaubnis als nach § 11 Abs. 2 BerlStrG zu berücksichtigende öffentliche Interessen ggf. auch entgegenstehende bauplanungsrechtliche Belange zu prüfen hat, bedeutet dies nicht, dass sie damit über die Befugnis zur eigenständigen Berücksichtigung des bestehenden Bauplanungsrechts hinausgehend auch zur Erteilung einer Befreiung, mit der das geltende Planungsrecht rechtsgestaltend modifiziert und konstitutiv die materielle Legalität einer Anlage herbeigeführt wird (vgl. Knuth, a.a.O., § 68 Rn. 3), ermächtigt werden sollte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für die zweite Rechtsstufe auf 15.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. §§ 47, 52 Abs. 2 GKG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 GKG).