Gericht | VG Frankfurt (Oder) 5. Kammer | Entscheidungsdatum | 09.05.2012 | |
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Aktenzeichen | 5 L 380/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 18. November 2011 (Az.: VG 5 K .../11) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. November 2011 wird angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 4.951,36 Euro festgesetzt.
Der Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 18. November 2011 (Az.: VG 5 K .../11) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. November 2011 anzuordnen,
hat Erfolg.
Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat der Antragsgegner den im Widerspruchsschreiben vom 13. September 2011 gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung – wie nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO erforderlich – in der Sache konkludent abgelehnt bzw. gemäß § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 VwGO nicht innerhalb einer angemessenen Frist sachlich beschieden. Denn der Antragsgegner hat dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung in der Verfügung vom 28. September 2011 lediglich insoweit stattgegeben, als er die Vollziehung des Bescheides bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens ausgesetzt hat. Der mit Schreiben vom 13. September 2011 gestellte Antrag war jedoch nicht inhaltlich oder zeitlich beschränkt und ersichtlich darauf gerichtet, die Aussetzung der Vollziehung ggf. bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu erlangen. Da der Antragsgegner dem nur teilweise entsprochen hat, hat er den Antrag im Übrigen konkludent abgelehnt.
Entgegen der Annahme des Antragsgegners würde zudem die Ausnahmevorschrift des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 VwGO greifen. Hiernach ist der gerichtliche Eilantrag statthaft, wenn die Behörde über den Aussetzungsantrag vor Eilantragstellung ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat. Als angemessen gilt in diesem Zusammenhang in der Regel eine Frist von einem Monat nach Antragstellung (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 17. Auflage, § 80, Rn. 186; VG Gießen, Beschluss vom 8. Oktober 2007, - 3 G 2143/07 -, juris). Hier hat der Antragsgegner über den mit Schreiben vom 13. September 2011 gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung innerhalb der anzulegenden Monatsfrist nicht vollständig entschieden. Der Antragsteller hat mithin nach Ablauf der angemessenen Frist i. S. d. § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 VwGO, nämlich am 18. November 2011 einstweiligen Rechtsschutz beantragt.
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners bedurfte es nach der lediglich teilweise gewährten Aussetzung der Vollziehung keines erneuten Aussetzungsantrags. Soweit der Antragsgegner Bezug auf die Rechtsprechung der Kammer (Beschluss der Kammer vom 01. Februar 2006, - 5 L .../05 -; nachgehend: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02. Mai 2006, - OVG 9 S 5.06 -) nimmt, lag dem damaligen Eilverfahren ein anderer Sachverhalt zu Grunde. Der Antragsteller hatte dort (vgl. Beschluss der Kammer vom 01. Februar 2006, - 5 L .../05 -) seinen Aussetzungsantrag ausdrücklich auf den Zeitraum bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens beschränkt. Im vorliegenden Verfahren ist hingegen ein zeitlich unbefristeter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt worden.
Der nach alledem zulässige Antrag ist auch begründet.
Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i. V. m. Abs. 4 S. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen Verwaltungsakt dann anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen, oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Das Gericht hat die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Abgabenbescheide, die gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbar sind, nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO in Verbindung mit § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO anzuordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen, oder wenn die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO sind nur dann zu bejahen, wenn ein Erfolg im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Insoweit findet allerdings nur eine überschlägige Prüfung statt. Schwierige Tatsachen- und Rechtsfragen bleiben dem Hauptsacheverfahren vorbehalten, mit der Folge, dass ihr Vorliegen nicht zur Bejahung ernstlicher Zweifel ausreicht (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05. Oktober 2010 - 9 S 33.10, S. 3 des EA. und Beschluss vom 14. März 2003 – 9 S 95.10, juris Rdnr. 6).
Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabes ist hier vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren, weil nach dem derzeitigen Erkenntnisstand auf der Grundlage der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und des Vortrags des Antragstellers der Bescheid vom 18. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. November 2011 offensichtlich rechtswidrig ist.
Der Beitragsbescheid findet zwar seine Grundlage in der Schmutzwasserbeitragssatzung des Wasserverbandes Strausberg-Erkner vom 02. Dezember 2009 (SB 2009), die sich Rückwirkung bis zum 01. Januar 2006 beimisst. Gemäß den Bestimmungen dieser Satzung erhebt der Wasserverband Strausberg-Erkner Beiträge zur Deckung seines Aufwandes für die zentrale öffentliche Schmutzwasserbeseitigungseinrichtung.
Der Antragsgegner war jedoch nicht berechtigt, den Antragsteller, der Miteigentümer des veranlagten Grundstücks ist, als Beitragspflichtigen heranzuziehen. Die Beitragspflicht des Antragstellers ist gemäß § 8 Abs. 2 Satz 4 bis 6 Kommunalabgabengesetz für das Land Brandenburg (KAG) i. V. m. § 6 Abs. 1 SB 2009 ausgeschlossen, weil vorliegend der Nutzer des Grundstücks – an Stelle des Eigentümers - vorrangig heranzuziehen war. Die den Eigentümer verdrängende Beitragspflicht des Nutzers eines Grundstücks i. S. d. § 9 Sachenrechtsbereinigungsgesetzes (SachenRBerG) entsteht gemäß § 8 Abs. 2 Satz 4 bis 6 KAG i. V. m. § 6 Abs. 1 SB 2009 dann, wenn zum Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides das Wahlrecht über die Bestellung eines Erbbaurechtes oder den Ankauf des Grundstücks gemäß §§ 15, 16 SachenRBerG ausgeübt und gegen den Anspruch des Nutzers keine nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz statthaften Einreden und Einwendungen geltend gemacht worden sind. Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 6 2. Halbsatz KAG i. V. m. § 6 Abs. 1 Satz 4 BS 2009 bleibt anderenfalls die Beitragspflicht des Grundstückseigentümers unberührt. Maßgeblicher Zeitpunkt ist gemäß dem Gesetzeswortlaut der Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides. Vorliegend ergibt sich schon bei summarischer Prüfung unter Berücksichtigung der vorgelegten Unterlagen, dass zu Gunsten der Wohnungsbaugenossenschaft ... e. G. ein Nutzungsrecht i. S. d. § 9 SachenRBerG besteht. Die ehemalige Arbeiter-Wohnungsbau-Genossenschaft „Karl Marx“, deren Rechtsnachfolger die Wohnungsbaugenossenschaft ... e. G. ist, war Eigentümerin der auf dem veranlagten Grundstück errichteten Wohngebäude. Durch den damaligen Rat der Gemeinde ... wurde der Arbeiter-Wohnungsbau-Genossenschaft „Karl Marx“ mit Schreiben vom 24. Mai 1960 ein Nutzungsrecht an den Flurstücken verliehen. Weiterhin erfolgte die Errichtung der Wohnblöcke durch die Arbeiter-Wohnungsbau-Genossenschaft „Karl Marx“ mit staatlicher Genehmigung. Der Antragsteller hat im Hauptsacheverfahren eine das Nutzungsrecht bestätigende Erklärung der mit der Vorbereitung des Bodenordnungsverfahrens betrauten Vermessungsingenieurin vorgelegt. Weiterhin ist im Grundbuch ein Besitzrecht der Wohnungsbaugenossenschaft ... e. G. eingetragen. Damit sind die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 SachenRBerG erfüllt. Die Wohnungsbaugenossenschaft ... e. G. ist gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 2 SachenRBerG Rechtsnachfolger der Arbeiter-Wohnungsbau-Genossenschaft „Karl Marx“.
Das Wahlrecht (Bestellung eines Erbbaurechts oder Ankauf) wurde ausgeübt, § 8 Abs. 2 Satz 6 1. Halbsatz KAG i. V. m. § 15 Abs. 1 SachenRBerG, § 16 Abs. 1 Satz 1 SachenRBerG. Die Wohnungsbaugenossenschaft ... e. G. hat gegenüber den im Grundbuch eingetragenen Eigentümern mit Schreiben vom 25. September 1995 unter Bezugnahme auf das SachenRBerG ausdrücklich erklärt, dass sie das Grundstück ankaufen will.
Statthafte Einwendungen, die von Amts wegen zu berücksichtigen sind, oder Einreden i. S. d. SachenRBerG bestanden zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht. Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 6 1. Halbsatz KAG ist auf den Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides abzustellen, mithin auf den 18. August 2011. Die am 10. November 2011 erfolgte Anordnung eines Bodenordnungsverfahrens gemäß § 28 Nr. 2 SachenRBerG stellt zwar grundsätzlich eine von Amts wegen zu beachtende Einwendung dar (Vossius, Kommentar zum SachenRBerG, 2. Auflage, § 28 Rn. 1). Die Anordnung des Bodenordnungsverfahrens ist jedoch erst nach dem 18. August 2011 erfolgt. Mithin bestanden zum relevanten Zeitpunkt, d. h. dem Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides, keine Anordnungen i. S. des § 28 Nr. 2 SachenRBerG und demzufolge keine die Beitragspflicht des Nutzers ausschließenden Einwendungen i. S. d. SachenRBerG.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Antragsgegner die beitragspflichtige Wohnungsbaugenossenschaft ... bereits mit Bescheid vom 16. Dezember 2011 veranlagt hat. Die Beitragsforderung ist durch die Wohnungsbaugenossenschaft ... – unter Vorbehalt – bezahlt worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes vom 05. Mai 2004 (BGBl. I S. 718), wobei die Kammer in ständiger Spruchpraxis bei Anträgen auf Regelung der Vollziehung von Abgabenbescheiden ¼ der streitigen Geldleistung zugrunde legt (vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Fassung 2004, NVwZ 2004, 1327, Ziff. 1.5).