Gericht | FG Berlin-Brandenburg 7. Senat | Entscheidungsdatum | 02.12.2015 | |
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Aktenzeichen | 7 K 8038/15 | ECLI | ||
Dokumententyp | Gerichtsbescheid | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 64 EStG, Art 60 EGV 987/2009 |
Wohnt ein Elternteil in in Deutschland und arbeitet hier oder bezieht hier Sozialleistungen, und wohnt der von ihm getrennt lebende andere Elternteil mit dem Kind in Polen, besteht ein Anspruch auf deutsches Kindergeld, welcher dem in Polen lebenden Elternteil zusteht.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Der Kläger macht einen Anspruch auf Kindergeld für seinen am 17.04.1999 geborenen Sohn B… ab Mai 2012 bis Januar 2015 geltend.
Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er ging in Deutschland seit dem 01.05.2012 zeitweise einer sozialversicherungspflichtigen nichtselbständigen Tätigkeit nach, zeitweise bezog er Arbeitslosengeld II. B… lebt in Polen im Haushalt seiner Mutter, die mit dem Kläger nicht verheiratet ist. Der Kläger und die Kindesmutter sind gemeinsam sorgeberechtigt.
Am 21.02.2013 beantragte der Kläger bei der Familienkasse C… Kindergeld für B… (Bl. 1 der Kindergeldakte – KG -).
Mit Bescheid vom 09.05.2014 (Bl. 50 KG) lehnte die Familienkasse C… den Antrag auf Bewilligung von Kindergeld für B… ab Mai 2012 ab. Der Bewilligung des Kindergeldes stünden die §§ 64 Abs. 2 Satz 1, 63 Abs. 1 Satz 4 Einkommensteuergesetz – EStG – i. V. m. § 2 Abs. 4 Satz 2 Bundeskindergeldgesetz – BKGG – entgegen, weil B… bei der Kindesmutter lebe. Die Kindesmutter könne Kindergeld nach dem EStG beantragen.
Am 06.06.2014 legte der Kläger Einspruch ein (Bl. 51 KG). Er sei der unterhaltspflichtige Vater B…, die Kindesmutter arbeite nicht und beziehe keine vergleichbaren Leistungen in Polen.
Am 16.12.2014 zog die Beklagte, welche die Kindergeldangelegenheit des Klägers zwischenzeitlich übernommen hatte, die Kindesmutter zum Verfahren hinzu (Bl. 63 KG).
Mit Einspruchsentscheidung vom 16.01.2015 (Bl. 65 GA) wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Nach § 64 Abs. 1 EStG werde nur einem Berechtigten Kindergeld gewährt. Das Kindergeld sei nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG an den Berechtigten auszuzahlen, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen habe. Dies sei hier die Kindesmutter, welche daher vorrangig anspruchsberechtigt sei und den Kläger ausschließe (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 EStG i. V. m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.09.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit - VO 987/2009 -).
Am 12.02.2015 (Bl. 1 der Akte 7 K 7032/15) hat der Kläger persönlich Klage erhoben.
Mit Schriftsatz vom 09.02.2015, eingegangen am 19.02.2015 (Bl. 1 der hiesigen Gerichtsakte 7 K 8038/15 – GA -) hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers für diesen ebenfalls Klage erhoben und die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter ihrer Beiordnung beantragt.
Mit Beschluss vom 23.03.2015 (Bl. 14 GA) hat der Senat die beiden Klagen verbunden.
Der Kläger führt zur Begründung der Klage aus, er habe seinen Wohnsitz in Deutschland. Die Kindesmutter beziehe in Polen kein Kindergeld oder vergleichbare Leistungen für B… und habe auch keine solchen beantragt. Hierzu hat der Kläger zwei polnischsprachige Bescheinigungen vom 13.02.2015 (Bl. 36f. GA) und beglaubigte Übersetzungen für diese (Bl. 123f. GA) vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 09.05.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.01.2015 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm für seinen Sohn B…, geb. 17.04.1999 ab dem Monat Mai 2012 monatlich Kindergeld i. H. v. 184,00 € zu bewilligen und den ausstehenden Betrag an den Kläger auszubezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte führt aus, der Kläger habe nur für den Streitzeitraum bis Februar 2014 nachgewiesen, dass er einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland i. S. d. § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG in Deutschland gehabt habe, nicht aber für die Zeit ab März 2014. Es sei für die Zeit ab März 2014 auch nicht nachgewiesen, dass der Kläger nach §§ 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b), 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werde; dies sei durch einen Bescheid des Finanzamts nachzuweisen.
Wenn die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 EStG nachgewiesen würden, müsse weiter geprüft werden, ob volles Kindergeld oder nur Differenzkindergeld gezahlt werden könne. Hierzu fehle zum Nachweis ein polnischer Ablehnungsbescheid zu einem Antrag auf polnische Familienleistungen. Es lägen auch keine Unterlagen über das nach polnischem Recht maßgebliche Familieneinkommen vor. Falls nur Differenzkindergeld zu zahlen sei, belaufe sich dieses auf monatlich 161,98 € für den Streitzeitraum bis Oktober 2012 und monatlich 158,36 € ab November 2012.
(Nur) wenn diese Voraussetzungen durch Vorlage der genannten Unterlagen nachgewiesen würden, komme es darauf an, ob auf Grundlage von Art. 1 Buchst. i) Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit - VO 883/2004 -, Art. 60 VO 987/2009, §§ 32 Abs. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 EStG auch einem im Ausland lebenden Elternteil deutsches Kindergeld zustehen könne. Hierzu seien beim Bundesfinanzhof – BFH - mehrere Verfahren (u. a. III R 27/13, VI R 12/13, III R 14/13, V R 11/13) und beim Gerichtshof der Europäischen Union – EuGH - ein Vorlageersuchen des BFH (C-378/14 – Trapkowski) anhängig.
Mit Urteil vom 22.10.2015 hat der EuGH in der Rechtssache Trapkowski entschieden (BeckRS 2015, 81463).
Mit Beschluss vom 02.11.2015 hat der Senat den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers zurückgewiesen.
Dem Gericht hat die Kindergeldakte zur KG-Nr. 955 FK 795…, welche die Beklagte für den Kläger führt, vorgelegen.
I. Der Finanzrechtsstreit war gemäß den §§ 79a Abs. 2 S. 1, 4, 90a Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO - durch den Berichterstatter im Wege des Gerichtsbescheids zu entscheiden, da das Verfahren keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt erscheint. Nach der Zurückweisung des Prozesskostenhilfeantrags haben die Beteiligten keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen.
II. Die Klage ist unbegründet. Die Ablehnung der beantragten Kindergeldfestsetzung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 101 Satz 1 FGO.
Denn auch für diejenigen Zeiträume, in denen der Kläger einen inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat und damit ein Anspruch auf deutsches Kindergeld überhaupt in Betracht kommt, ist ein solcher Anspruch des Klägers nach § 64 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 EStG durch einen vorrangigen Anspruch der Kindesmutter auf deutsches Kindergeld gesperrt. Denn wie sich aus dem mittlerweile am 22.10.2015 ergangenen Urteil des EuGH in der Sache Trapkowski (Az. C-378/14, BeckRS 2015, 81463, 1. Leitsatz) ergibt, steht der in Polen lebenden Kindesmutter nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO 987/2009 der Anspruch auf deutsches Kindergeld zu, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind, was von den nationalen Gerichten zu prüfen ist. Weiter ergibt sich aus dem Urteil des EuGH (2. Leitsatz), dass dem in Deutschland lebenden Kläger deutsches Kindergeld nicht deshalb zuerkannt werden muss, weil die Kindesmutter, die in Polen wohnt, keinen Antrag auf Familienleistungen gestellt hat.
Die Kindesmutter erfüllt alle übrigen durch das deutsche Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für den Bezug von deutschem Kindergeld. Denn neben den durch die Fiktion des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO 987/2009 (für die Zeiträume, in denen der Kläger nachweislich einen inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte) auch in der Person der Kindesmutter erfüllten Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG verlangt das deutsche Recht für einen Anspruch der Kindesmutter auf Kindergeld für den minderjährigen B… dem Grunde nach nur, dass es sich um ein Kind der Kindesmutter i. S. d. § 32 Abs. 1 EStG handeln muss (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG), was unstreitig der Fall ist. Und der Vorrang der Kindesmutter ergibt sich gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 EStG daraus, dass B… unstreitig in den Haushalt der Kindesmutter und nicht in den Haushalt des Klägers aufgenommen ist.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.