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Fremdgeschäftsführer - Weisungsgebundenheit - abhängige Beschäftigung - Sozialversicherungspflicht - Rentenversicherungspflicht


Metadaten

Gericht SG Cottbus 5. Kammer Entscheidungsdatum 11.07.2011
Aktenzeichen S 5 R 396/10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 28p SGB 4, § 28e SGB 4, § 28a SGB 4, § 7 SGB 4

Tenor

1. Der Bescheid vom 30. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2010 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin sowie die Gerichtskosten.

3. Der Gegenstandswert wird auf 12.243,51 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht des Beigeladenen in der gesetzlichen Rentenversicherung, der nach Auffassung der Beklagten als Beschäftigter für die Klägerin in der Zeit vom 17. November 2008 bis zum 30. Oktober 2009 tätig gewesen sein soll, verbunden mit der Beitragsforderung von 12.243,51 Euro.

Die Klägerin ist eine juristische Person (GmbH), deren alleiniger Gesellschafter der Förderverein B F 60 e.V. ist. Der Beigeladene ist der alleinige Geschäftsführer der GmbH. Der Verein wird aktuell vertreten durch Herrn D G und Herrn A D als 1. und 2. Vereinsvorsitzende.

Der Beigeladene war in der streitgegenständlichen Zeit bei der Klägerin als sog. „alleiniger Fremdgeschäftsführer“ tätig. Der Beigeladene war zunächst durch die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung und weiter durch die Reglungen des GmbHG in seinen Entscheidungsmöglichkeiten limitiert. Weiter steht nicht im Streit, dass der Beigeladene als selbständiger Makler aktiv war und ist.

Eine von der Beklagten bei der Klägerin für den Zeitraum 2004 bis 2007 durchgeführte Betriebsprüfung, für die streitgegenständliche Zeit, ergab, dass nach den Feststellungen der Beklagten der Beigeladene als Beschäftigter der Klägerin zu werten und damit in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert sei. Sozialversicherungsbeiträge wurden für den Beigeladenen nicht entrichtet und werden nun mit Beschied vom 30. Oktober 2009 nachgefordert.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2010 zurück.

Mit ihrer am 12. Juli 2010 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Auffassung, der Beigeladene sei nicht in ihren Organisationsablauf eingebunden und auch nicht weisungsgebunden.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt sinngemäß:

Der Bescheid vom 30. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2010 wird aufgehoben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf die angefochtenen Bescheide.

Der Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag.

Die Beteiligten erklärten ihr ausdrückliches Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 4. Juli 2011. Im Termin wurde eine Erklärung der Vereinsvorsitzenden vom 2. Juli 2011 vorgelegt, aus der sich ergibt, dass der Beigeladene „seine Geschäftsführertätigkeit ohne Weisungen und ohne Einmischung des Gesellschafters im laufenden Geschäftsjahr“ ausübt.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die bei der Entscheidungsfindung Berücksichtigung gefunden haben.

Entscheidungsgründe

I.

Die Kammer kann gemäß § 124 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben. Der nachträglich Beigeladene war im Termin zur Erörterung des Sachverhalts persönlich anwesend und hat sein Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung als Vertreter der Klägerin erteilt. Es ist nicht davon auszugehen, dass dieser sein Einverständnis nicht erteilt hätte, nur weil er als natürliche Person (noch) beizuladen war.

II.

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 30. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Die Beklagte wird aufgrund der §§ 28p. Absatz 1, 107 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) als Beitragsüberwacher im Rahmen so genannter Betriebsprüfungen tätig. Nach § 28e Absatz 1 SGB IV trifft den Arbeitgeber die Verpflichtung zur Beitragsentrichtung für den Personenkreis der versicherungs- bzw. beitragspflichtigen Arbeitnehmer. Der Begriff des Arbeitgebers ergibt sich dabei aus § 28a SGB IV. Für die Beurteilung des Arbeitgeber-Arbeitnehmerverhältnisses kommt es nicht auf arbeitsrechtliche Begriffsbestimmungen an, sondern auf die Vorgaben des § 7 SGB IV, des sog. Beschäftigungsverhältnisses.

Nach der Legaldefinition des § 7 Absatz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Für das Merkmal der nichtselbstständigen Arbeit ist kennzeichnend, dass fremdbestimmte Arbeit von einem Arbeitnehmer geleistet wird. Zur Abgrenzung der Arbeitnehmer von den Selbstständigen ist daher davon auszugehen, dass Arbeitnehmer nur der sein kann, der von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Persönliche Abhängigkeit erfordert dabei die Eingliederung in den Betrieb in Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführungen (siehe beispielsweise BSGE 16, 389 ff.). Ist ein Weisungsrecht hingegen nicht vorhanden, kann der Betreffende also seine Tätigkeit im Wesentlichen frei gestalten und fügt sich nicht völlig die dem (anderen) Betrieb gegebene Ordnung ein, liegt eine selbstständige Tätigkeit vor. Weist eine Tätigkeit Merkmale auf, die sowohl für Abhängigkeit als auch für Unabhängigkeit sprechen, ist entscheidend welche Merkmale das Übergewicht haben, dies richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (BSG vom 8. Dezember 1987, Az.: B 7 RAr 14/86).

Das Bundessozialgerichts geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass grundsätzlich ein Fremdgeschäftsführer einer GmbH ein Beschäftigter ist (vgl. Grintsch in Kreikebohm SGB VI, 3. Aufl. § 1 Rn 19 S. 30 mittig), soweit er dem bestimmenden Einfluss der Gesellschafterversammlung unterliegt und in den Betrieb eingegliedert ist (vgl. Lüdtke in Winkler LPK SGB IV § 7 Rn 15 m.w.N.). Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist dies in der Regel dann zu verneinen und folglich eine abhängige Beschäftigung nicht gegeben, wenn der Geschäftsführer im Rahmen einer sog. Familien-GmbH tätig wird, oder in Gesellschaften in denen familienhafte Bindungen zu Mehrheitsgesellschaftern bestehen (vgl. Lüdtke und Grintsch jew. aaO). Das Bundessozialgericht hat diese Konstellationen allerdings selbst schon als „insbesondere“ bezeichnet (vgl. BSG 11 RAr 47/88 dort Rn 21 zit. nach Juris). Die Sonderkonstellation der Familien-GmbH beruht auf der grundlegenden Erwägung des BSG, dass in diesen Fällen der Geschäftsführer „faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führen konnte und geführt hat, ohne dass ihn der oder die Gesellschafter daran hinderten“ (BSG 7 RAr 25/86 - BB 1989, 72). Es bedarf daher für die Beurteilung der Sozialversicherungspflicht der eingehenden Prüfung des Einzelfalls.

Das Bundessozialgericht führt in der zitierten Entscheidung weiter aus:

Eine Tätigkeit für ein Unternehmen kann nämlich nicht nur im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses oder als Unternehmer, sondern auch aufgrund eines selbständigen Dienstverhältnisses erfolgen. Deshalb wird zur Frage einer versicherungspflichtigen Beschäftigung des Gesellschaftergeschäftsführers in erster Linie auf die Selbständigkeit abgestellt und nicht darauf, ob der Betreffende als Arbeitgeber anzusehen ist (BSG SozR 2100 § 7 Nr 7…)…

Da § 28e und § 28a SGB IV als Voraussetzung für das bestehen einer Beitragspflicht auf das Beschäftigungsverhältnis des § 7 SGB IV abstellen ist daher eine scharfe Abgrenzung und Zuordnung einer Person entweder zum Kreis der Arbeitnehmer, oder zum Kreis der Selbständigen weder erforderlich, noch hilfreich. Für die Feststellung der Beitragspflicht ist es viel mehr erforderlich festzustellen, ob das in § 7 Absatz 1 SGB IV umschriebene Beschäftigungsverhältnis vorliegt oder nicht. Wenn dieses nicht vorliegt ist die positive Feststellung, dass der Betroffene der „Gruppe der Selbständigen“ zuzuordnen wäre, nicht erforderlich. Die Beitragspflicht kann dann mangels Beschäftigungsverhältnisses nicht entstehen, unabhängig davon in welche „Graustufe“ der Betroffene fallen mag. Andererseits würde hiervon auch die jahrelang diskutierte Problematik der Scheinselbständigkeit erfasst, denn der betroffene „Scheinselbständige“ könnte ohne weiteres dem Beschäftigungsbegriff des § 7 Absatz 1 SGB IV zugeordnet werden (so dürfte letztlich auch die Intention des Gesetzgebers bei der letzten Neufassung des § 7 SGB IV zu verstehen sein).

Es kommt daher für die Beurteilung der Sozialversicherungspflicht des Beigeladenen maßgeblich darauf an, inwiefern dieser weisungsgebunden gehandelt hat und in die Betriebsstruktur der Klägerin integriert war.

Dass der Beigeladene den Vorgaben des GmbHG unterlag begründet unter keinen Umständen ein tragbares Kriterium für ein Beschäftigungsverhältnis. Sowohl Selbständige, als auch Arbeitnehmer unterliegen rechtlichen, insbesondere gesetzlichen Zwängen. Sofern kein Gesetz vorschreibt, dass eine bestimmte Tätigkeit generell nur als Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 SGB IV ausgeübt werden kann und darf (wobei der Kammer keine entsprechende Norm bekannt wäre), kann aus gesetzlichen Zwängen auch kein Beurteilungskriterium für die Kriterien des § 7 SGB IV erwachsen. Viel mehr erwächst eine Weisungsgebundenheit aus dem Zusammenspiel der Vorgaben des GmbHG (hier wegen § 37 GmbHG), der Gesellschafterbeschlüsse (ggf. auch des Gesellschaftervertrages) und dem Vertrag mit dem Geschäftsführer. Ein Geschäftsführer, der nach dem mit ihm geschlossenen Vertrag für seine Handlungen die Zustimmung eines Gesellschafters benötigt (zulässig nach § 37 Absatz 2 S. 2 GmbHG) wäre jedenfalls als so unfrei zu werten, dass er wohl vollständig dem Diktionsrecht des Gesellschafters unterfallen und damit abhängig beschäftigt wäre. Andererseits müsste bei einem Geschäftsführer, dem von den Gesellschaftern völlige Handlungsfreiheit überlassen wird, diese Weisungsgebundenheit konsequent verneint werden. So verhält es sich auch hier. Der Beigeladene ist nach der schriftlichen Stellungnahme des Gesellschafters in seiner Handlungsfreiheit völlig unbeschränkt. Er kann „schalten und walten“ wie es ihm beliebt. Die damit ggf. verbundene wirtschaftliche Unvernunft des Gesellschafters hat bei der Prüfung des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses außer Betracht zu bleiben. Weder § 7 SGB IV, noch andere Vorschriften des Sozialversicherungsrechts dienen dem Schutz von privatrechtliche agierenden Personen vor (unvernünftigen) Risiken, oder Unüberlegtheiten. Wie diese ihre Vertragsverhältnisse gestalten bleibt ihnen überlassen. Das Sozialversicherungsrecht hat diese Entscheidungen zu akzeptieren und zu beurteilen, denn andererseits wird der sozialrechtliche Beschäftigungsbegriff ja auch gerade nicht von der Wirksamkeit bestimmter Vereinbarungen abhängig gemacht. Folgt man der Zielsetzung einer von den privatrechtlichen Vereinbarungen unabhängigen Ausgestaltung des sozialrechtliche Beschäftigungsbegriffes aber konsequent, so muss auch tatsächlich der sozialrechtliche Begriff in jeder Hinsicht unabhängig von den privatrechtlichen Ausgestaltungen verfolgt werden. Anders kann es sich nur verhalten, wenn (mehr oder minder) offensichtlich versucht wird durch privatrechtliche Vereinbarungen die Reglungen des Sozialversicherungsrechts zu umgehen, denn hierdurch werden die schutzwürdigen Interessen der Versicherten- und Solidargemeinschaft gefährdet. Hierfür müssen aber weitere Anhaltspunkte hinzukommen. Eine bloße wirtschaftliche Unvernunft wird in aller Regel hierfür nicht ausreichen. Im vorliegenden Fall ist darüber hinaus zu beachten, dass der Beigeladene auch im Jahre 2011 noch die Geschäfte der Klägerin führt, ohne dass diese Grund zur Beanstandung hatte. Es ist daher nicht erkennbar, dass die Handlungs- und Weisungsfreiheit des Beigeladenen nur zur Umgehung von sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften vereinbart, oder gar inszeniert wurde. Anhaltspunkte, die für eine Umgehung von sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben sprechen würden sind nicht ersichtlich. Die Kammer kann mithin eine Weisungsgebundenheit des Beigeladenen, oder eine Umgehung einer solchen, hier nicht feststellen. Dies wird weiter dadurch bestärkt, dass der Beigeladene über seine Arbeitszeit und seinen Arbeitseinsatz frei verfügen kann. Ganz wesentlich kann er auch seine Tätigkeit als Makler ausüben und damit den Großteil seines Lebensunterhalts verdienen. Eine persönliche Abhängigkeit von der Klägerin ist damit nicht erkennbar.

Des Weiteren ist der Beigeladene auch nicht dergestalt in die Arbeitsorganisation des „Weisungsgebers“ (deutlicher wäre hier der Begriff der Betriebstruktur, dann andernfalls würde die kummulative Voraussetzung der Eingliederung von dem Begriff der Weisungsgebundenheit abhängen [vgl. Lüdtke aaO Rn 8], was nicht der Zwecksetzung des § 7 Absatz 1 SGB IV entspräche) eingebunden, dass sich hieraus ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 SGB IV ergäbe. Auch hier ist der Beigeladene nur im Rahmen des GmbHG in die Betriebsstruktur eingebunden. Er entscheidet im Übrigen selber über die Ausstattung mit Sachmitteln und gestaltet die Betriebstruktur selber, so dass nicht er sich einordnet, sondern im Gegenteil die Betriebstruktur in weiten Teilen von ihm selber gestaltet wird (was wiederum auch von den Vereinsvorsitzenden bestätigt wird).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.

IV.

Der Gegenstandswert war mit dem wirtschaftlichen Interesse der Beteiligten festzusetzen. Hier also mit der Höhe der geforderten Beiträge.