Gericht | OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 11.02.2011 | |
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Aktenzeichen | 13 UF 7/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Bereits nach altem Recht musste das Familiengericht den Inhalt der nach § 50 b Abs. 1 FGG gebotenen Anhörung der Kinder in der Sitzungsniederschrift, einem Aktenvermerk oder in dem angefochtenen Beschluss selbst und zwar vollständig, im Zusammenhang und frei von Wertungen des Gerichts wiedergeben (BGH, FamRZ 2001, 907; Saarländisches Oberlandes-gericht, Beschluss vom 23. Mai 2002 - 9 UF 59/02 -; OLG Köln, FamRZ 2002, 337; OLG Karlsruhe, FamRZ 1997, 1295). In Anwendung des FamFG gilt nichts anderes. Ein dagegen verstoßender Beschluss konnte keinen Bestand haben (OLGR Saarbrücken 2006, 398).
2. Wird das Absehen von der Bestellung eines Verfahrensbeistandes entgegen § 158 Abs. 3 S 3 FamFG nicht oder nur unzureichend begründet, liegt darin ebenso wie in dem Unterbleiben der Beistandsbestellung selbst ein wesentlicher Verfahrensverstoß, der im Beschwerdeverfahren zur Aufhebung der Hauptsacheentscheidung führen kann (Zorn in: Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, Kommentar, § 158 FamFG, Rn. 16 mwN).
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Nauen vom 09.12.2010 - 20 F 193/10 - aufgehoben und zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht - Familiengericht - Nauen zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Im Übrigen obliegt dem Familiengericht die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
I.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht dem Beschwerdeführer auf Antrag des Jugendamtes im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht, Hilfen zur Erziehung zu beantragen, betreffend die oben genannten Kinder, entzogen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das körperliche und seelische Wohl der Kinder sei nach Maßgabe der §§ 1666, 1666 a BGB gefährdet, weil der Beschwerdeführer die Kinder im Alter von den elf und sieben Jahren am Nachmittag des 16.11.2010 nicht versorgt, sondern jede Hinwendung und Fürsorge völlig habe vermissen lassen und die Kinder sodann nach 23:00 Uhr alleingelassen habe. Diese Vernachlässigung entspräche früheren Verhalten des Beschwerdeführers, denn das Jugendamt habe Anfang Juli 2010 Hinweise über ein mögliches Fehlverhalten des Kindesvaters erhalten, der nach einem unangekündigten Hausbesuch vom 21.07.2010 Beratungstermine vom 24.8. und 15.10.2010 ohne Angabe von Gründen nicht wahrgenommen habe.
II.
Die nach § 57 S. 2 Nr. 1 FamFG statthafte und auch im übrigen zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das Recht, Hilfen zur Erziehung zu beantragen und gemäß § 69 Abs. 1 S. 2 und S. 3 FamFG zur Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht.
1. Schwerwiegende Verfahrensfehler
a) Auch das Verfahren der einstweiligen Anordnung richtet sich grundsätzlich nach dem der Hauptsache, § 59 Abs. 2 S. 2 FamFG, hier also nach den §§ 151 ff. FamFG. Damit sind nach § 159 Abs. 2 FamFG beide Kinder zu hören, weil deren Neigung, Bindung oder Willen auch innerhalb der §§ 1666, 1666 a BGB von Bedeutung sind.
Das Amtsgericht hat zwar die Kinder gehört, hat es indessen entgegen § 28 Abs. 4 FamFG unterlassen, über die Anhörung einen verwertbaren Aktenvermerk zu fertigen oder das Ergebnis der Anhörung anderweitig - etwa im Beschluss - nachvollziehbar zu dokumentieren. Das Ergebnis der Anhörung lässt sich weder dem Protokoll vom 07.12.2010 (92) entnehmen, noch dem angefochtenen Beschluss vom 09.12.2010 (135). Beide Dokumente schweigen über die Äußerungen der Kinder in der gerichtlichen Anhörung. Bereits nach altem Recht musste das Familiengericht den Inhalt der nach § 50 b Abs. 1 FGG gebotenen Anhörung der Kinder in der Sitzungsniederschrift, einem Aktenvermerk oder in dem angefochtenen Beschluss selbst und zwar vollständig, im Zusammenhang und frei von Wertungen des Gerichts wiedergeben (BGH, FamRZ 2001, 907; Saarländisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23. Mai 2002 - 9 UF 59/02 -; OLG Köln, FamRZ 2002, 337; OLG Karlsruhe, FamRZ 1997, 1295).
Ein dagegen verstoßender Beschluss konnte keinen Bestand haben (OLGR Saarbrücken 2006, 398). In Anwendung des FamFG gilt hier nichts anderes.
b) Außerdem ist die Bestellung eines Verfahrensbeistandes für jedes Kind nach § 158 FamFG geboten, da bei jedem Kind der Regelfall des Abs. 2 Nr. 2 dieser Bestimmung vorliegt.
Auch insoweit hat es das Amtsgericht entgegen § 158 Abs. 3 S. 3 FamFG unterlassen, die fehlende Bestellung eines Verfahrensbeistands zu begründen. Wird von der Bestellung eines Verfahrensbeistands in den in Abs. 2 aufgeführten Regelfällen abgesehen, ist dies nach § 158 Abs. 3 S. 3 FamFG in der Endentscheidung nachprüfbar zu begründen. Wird das Absehen von der Bestellung nicht oder nur unzureichend begründet, liegt darin ebenso wie in dem Unterbleiben der Beistandsbestellung selbst ein wesentlicher Verfahrensverstoß, der im Beschwerdeverfahren zur Aufhebung der Hauptsacheentscheidung führen kann (Zorn in: Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, Kommentar, § 158 FamFG, Rn. 16 mwN).
2. In der Sache lassen sich derzeit die Voraussetzungen für die gerichtliche Maßnahmen nach § 1666 BGB wegen Kindeswohlgefährdung so nicht feststellen. Es muss sich um eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr handeln, dass sich voraussagen lässt, dass bei unveränderter Weiterentwicklung der Verhältnisse bei den Kindern mit ziemlicher Sicherheit eine erhebliche Schädigung eintritt (vergleiche Palandt/Diederichsen, BGB, 70. Auflage, § 1666, Rn. 10 m.w.N.).
Gemessen hieran stellt sich das Verhalten des Kindesvaters am 16./17.11.2010 nach bisheriger Aktenlage allenfalls als ein Einzelfallversagen dar, das die Annahme einer Gefährdung des Kindeswohls nicht zu tragen vermag.
Die nach derzeitiger Aktenlage möglicherweise in Betracht kommenden, dem Beschwerdeführer jedenfalls vorgeworfenen Erziehungsdefizite:
- Alkoholismus
- Suizidalität
- Verwahrlosen-lassen der Kinder durch fehlende Selbstdisziplin oder Unfähigkeit zur Strukturierung ihres Alltags
- Vernachlässigung bezüglich der Wohnverhältnisse oder der Ernährung
sind bisher nicht einmal in Ansätzen glaubhaft gemacht (§ 51 Abs. 1 S. 2 FamFG). Die Angaben des Jugendamtes beruhen auf anonymen Anrufen. Dass der unangekündigte Hausbesuch von 21.07.2010 insoweit greifbare Anhaltspunkte ergeben hätte, lässt sich der Akte nicht entnehmen. Nach dem polizeilichen Einsatzbericht von 03.12.2010 waren hygienische Mängel in den Räumlichkeiten augenscheinlich nicht feststellbar und die Kinder schienen weder körperlich noch geistig geschwächt zu sein (vgl. 79 GA). Die Angaben der betroffenen Kinder gegenüber dem Familiengericht sind - wie bereits erörtert - nicht verwertbar dokumentiert. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass oder inwieweit sie sich mit den umfangreichen protokollierten Gesprächsschilderungen Dritter decken.
3. Eine Zurückverweisung wegen oben genannter Verfahrensfehler zur Nachholung der gebotenen, voraussichtlich umfangreichen und aufwändigen Sachverhaltsermittlung mit zahlreichen Zeugen und unter Einbeziehung eines Verfahrensbeistand, dessen Bestellung im Übrigen auch das Jugendamt aus sozialpädagogischer Sicht befürwortet, ist gemäß § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG angebracht, nachdem der Beschwerdeführer inzwischen einen entsprechenden Antrag auf Zurückverweisung gestellt hat.
Die Entscheidung über die Gerichtskosten beruht auf § 20 FamGKG.
Beschwerdewert: 1.500 € (§§ 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; 41 FamGKG).