Gericht | OLG Brandenburg 1. Strafsenat | Entscheidungsdatum | 20.10.2010 | |
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Aktenzeichen | 1 Ws 154/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Wenn das Berufungsgericht die Ladungsfrist des § 217 Abs. 1 StPO, die auch für das Berufungsverfahren gilt, verletzt, hindert dies weder die Verwerfung der Berufung (vgl. BGHSt 24, 143; BayObLG JR 1967, 190; OLG Düsseldorf StV 1982, 216, 217; OLG Hamm, NStZ-RR 2008, 380; OLG Hamm, NStZ-RR 2009, 314) noch begründet dies für sich genommen die Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung, wenn der Ladungsmangel weder kausal für das Nichterscheinen war noch der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf Mängel in der Ladung gestützt wird.
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 23. April 2008 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens trägt der Angeklagte.
I.
Das Amtsgericht Nauen hat den Angeklagten und Beschwerdeführer mit Urteil vom 22. Juli 2008 (28 Cs 59/07) wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 20,00 € verurteilt. Gegen das in Anwesenheit des Angeklagten und seines damaligen Verteidigers ergangene Urteil hat dieser mit dem beim Amtsgericht Nauen am 23. Juli 2008 eingegangenen Anwaltschriftsatz Berufung eingelegt und mit weiterem Anwaltschriftsatz vom 13. Oktober 2008 begründet. Mit Beschluss vom 28. April 2009 hat das Landgericht Potsdam das Verfahren gem. § 153a Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt und dem Angeklagten aufgegeben, 80 Stunden gemeinnützige Arbeit binnen 3 Monaten nach Absprache mit den Sozialen Diensten der Justiz zu leisten.
Nachdem der Angeklagte der Auflage nicht nachgekommen war, hat die Vorsitzende Richterin der 6. kleinen Strafkammer des Landgerichts Potsdam mit Verfügung vom 11. August 2009 die Fortsetzung des Verfahrens angeordnet und Termin zur Hauptverhandlung zunächst auf den 10. September 2009 anberaumt. Nach Krankheit des Angeklagten hat die Vorsitzende mit Verfügung vom 23. Oktober 2009 erneut Termin für den 29. April 2010 bestimmt und die förmliche Ladung des Angeklagten angeordnet. Die Verfügung ist ausweislich des Vermerks der Geschäftsstelle erst am 22. April 2010 ausgeführt worden. Ausweislich der Zustellungsurkunde ist die Ladung dem Angeklagten am 24. April 2010 zugegangen. Am 26. April 2010 rief der Angeklagte auf der Strafrechtsgeschäftsstelle an und fragte nach, um welche Sache es sich handele zu der er geladen worden war. Nach entsprechender Auskunft seitens der Geschäftsstelle erwiderte der Angeklagte, dass ihm die Sache bekannt sei. Dem Hinweis auf die Anwesenheitspflicht entgegnete der Angeklagte mit den Worten: „Ja ich komme, wenn nichts dazwischen kommt wie Krankenschein.“ (vgl. Vermerk, Bd. 2, Bl. 259 R GA).
Zur Berufungshauptverhandlung am 29. April 2010 erschien der Angeklagte nicht, weshalb die 6. kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam die Berufung des Angeklagten gem. § 329 Abs. 1 StPO verwarf.
Ein in der Akte befindliches Attest, das die Arbeitsunfähigkeit des Angeklagten vom 27. April bis zum 30. April 2010 bescheinigt und erst am 29. April 2009 bei Gericht eingegangen ist, hat ausweislich des Vermerks der Geschäftsstellenbeamtin erst um 15:30 Uhr vorgelegen, mithin nach der Hauptverhandlung. Einem weiteren Vermerk der Vorsitzenden Richterin der 6. kleinen Strafkammer vom 3. Mai 2010 ist zu entnehmen, dass der behandelnde Arzt auf telefonische Nachfrage angegeben hatte, bei dem Angeklagten sei Alkoholabusus festgestellt worden, er habe über Kopfschmerzen linksseitig geklagt und ihm sei als Schmerzmittel „Paracetamol“ mitgegeben worden. Eine Verhandlungsunfähigkeit habe nicht bestanden.
Eine Ausfertigung des Verwerfungsurteils ist dem Angeklagten am 26. Mai 2010 (Mittwoch) förmlich zugestellt worden. Mit Schreiben vom 3. Juni 2010 (Donnerstag) hat der Angeklagte „Widerspruch“ gegen die Entscheidung eingelegt und darauf hingewiesen, dass er zurzeit der Hauptverhandlung krank gewesen war.
Die 6. kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam hat das Schreiben des Angeklagten vom 3. Juni 2010 als Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung ausgelegt und diesen Antrag mit Beschluss vom 23. Juni 2010 als unbegründet verworfen. Gegen diese, dem Angeklagten am 6. Juli 2010 nebst Rechtsmittelbelehrung zugestellte Entscheidung hat dieser mit weiterem Schreiben vom selben Tag ebenfalls „Widerspruch“ eingelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat mit ihrer Stellungnahme vom 3. September 2010 beantragt, auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 23. Juni 2010 aufzuheben und dem Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung zu gewähren.
II.
1. Das Schreiben des Beschwerdeführers und Angeklagten vom 6. Juli 2010 kann als sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 23. Juni 2010 ausgelegt werden, da er sich darin generell gegen seine Verurteilung richtet. Die Wochenfrist des § 46 Abs. 3 iVm. § 311 Abs. 2 StPO ist beachtet, auch erweist sich die eingelegte sofortige Beschwerde im Übrigen als formgerecht eingelegt.
2. Das Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
a) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung gem. § 329 Abs. 3 iVm. § 44 ff. StPO erweist sich zwar als unzulässig. Denn des Verwerfungsurteil ist dem Beschwerdeführer am 26. Mai 2010 (Mittwoch) förmlich zugestellt worden, so dass die einwöchige Antragfrist (§ 45 Abs. 1 StPO) mit Ablauf des 2. Juni 2010 (Mittwoch) endete, mithin der mit Schreiben vom 3. Juni 2010 (Donnerstag) gestellte Antrag verfristet war. Jedoch ist die durch die 6. kleine Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 23. Juni 2010 ergangene Sachentscheidung dahin gehend auszulegen, dass dem Angeklagten und Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in die Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung gewährt worden ist.
b) Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.
Zwar hat das Berufungsgericht die Ladungsfrist des § 217 Abs. 1 StPO, die auch für das Berufungsverfahren gilt (§ 323 Abs. 1 StPO; vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. 2010), verletzt, jedoch hindert dies weder die Verwerfung der Berufung (vgl. BGHSt 24, 143; BayObLG JR 1967, 190; OLG Düsseldorf StV 1982, 216, 217; OLG Hamm, NStZ-RR 2008, 380; OLG Hamm, NStZ-RR 2009, 314) noch begründet dies für sich genommen die Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung. Es ist in der Rechtsprechung weitgehend anerkannt, dass eine Wiedereinsetzung entsprechend §§ 329 Abs. 3, 44, 45 StPO in Betracht kommt, wenn der Angeklagte nicht ordnungsgemäß geladen war und damit eine Säumnis nicht vorlag. Voraussetzung dafür ist aber neben der fehlenden ordnungsgemäßen Ladung, dass (1.) der Ladungsmangel kausal für das Nichterscheinen war und (2.) ein fristgerecht eingegangener Wiedereinsetzungsantrag mit den nach §§ 44, 45 Abs. 2 StPO erforderlichen Tatsachenangaben vorliegt (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2008, 380; OLG Hamm NStZ 1982, 521; OLG Köln NStZ-RR 2002, 142 jeweils m.w.N.).
Hier fehlt es an beidem. (1.) Ausweislich des Vermerks der Geschäftsstellenbeamtin vom 26. April 2010 hatte der Angeklagte und Beschwerdeführer die Ladung erhalten, zudem war er auf seine Anwesenheitspflicht nochmals hingewiesen worden, so dass der Mangel in der Ladung nicht kausal für das Fristsäumnis war. (2.) Auch stützt der Antragsteller seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gerade nicht auf Mängel in der Ladung.
Überdies kommt der Wille des Beschwerdeführers zur Fortsetzung des Verfahrens in dessen Schreiben vom 6. Juli 2010 und vom 3. August 2010 gerade nicht zum Ausdruck (vgl. dazu OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Hamburg a.a.O.; SK-Frisch, StPO, Loseblatt, Oktober 2001, § 329 Rdnr. 58; KK-Maul, StPO, 6. Aufl., § 46 Rdnr. 17). In diesen Schreiben weist der Beschwerdeführer ausschließlich auf die fehlende finanzielle Mittel zur Zahlung der Geldstrafe hin, was sogar gegen einen Willen zur Fortsetzung des Verfahrens spricht.
Der Senat weist ergänzend daraufhin, dass der Beschwerdeführer gem. § 459a StPO hinsichtlich der erkannten Geldstrafe Zahlungserleichterungen bei der Staatsanwaltschaft als zuständige Vollstreckungsbehörde beantragen kann.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1, 7 StPO.