Gericht | OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 15.12.2020 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 13 UF 180/19 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2020:1215.13UF180.19.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Unter Zurückweisung der Beschwerde des Antragstellers im Übrigen wird der am 03.09.2019 verkündete Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin - 52 F 17/16 - wie folgt abgeändert:
Unter Abweisung des Antrags im Übrigen wird der Antragsteller verpflichtet, an die Antragsgegnerin nachfolgend genannten Ehegattenunterhalt jeweils zum Ersten des Monats im Voraus zu zahlen:
Vom 01.01.2020 bis zum 31.12.2020 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 531,- €,
vom 01.01.2021 bis zum 30.06.2021 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 200,- €.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens haben der Antragsteller 67 % und die Antragsgegnerin 33 % zu tragen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 9.456,- € festgesetzt.
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Verpflichtung zur Zahlung von Ehegattenunterhalt nach der Scheidung.
Die Antragsbeteiligten heirateten im April 1988 und trennten sich im Januar 2015. Sie sind Eltern eines 1991 geborenen Sohns. Das Scheidungsverbundverfahren ist seit 04.10.2016 rechtshängig (Bl. 9). Die Ehe wurde unter Durchführung des Versorgungsausgleichs mit dem ausweislich des Verkündungsprotokolls vom 03.09.2019 (Bl. 68) am 03.09.2019 verkündeten Beschluss, dessen Erlassvermerk der Urkundsbeamtin - irrtümlich - den 03.09.2018 ausweist (Bl. 76) und den Antragsbeteiligten jeweils am 05.09.2019 zugestellt wurde (Bl. 91, 92), geschieden. Die Beschwerde richtet sich nur gegen die Folgesache nachehelicher Unterhalt.
Aufgrund außergerichtlicher Vereinbarung zahlte der Antragsteller von Oktober 2016 bis Oktober 2017 monatlich einen Betrag von 1314,- € und nach seinem von der Antragsgegnerin unbestrittenen Vorbringen in der Beschwerdebegründung von November 2017 bis Dezember 2019 monatlich einen Betrag von 1.050,- € Trennungsunterhalt an die Antragsgegnerin (Bl. 126).
Der Antragsteller verdiente im Jahr 2017/2018 monatlich durchschnittlich 2.678,42 € (Bl. 111 ff. SH UE) nach Abzug von Steuern, Sozialversicherung und Solidaritätszuschlag für seine vollschichtige Tätigkeit in dem Unternehmen, in dem er auch gegenwärtig beschäftigt ist. Wie bereits vor der Trennung in ähnlicher Höhe, zahlt er aufgrund eines im April 2018 abgeschlossenen Kaufvertrags über einen PKW seit Mai 2018 monatliche Raten in Höhe von 202,05 € bis zum 01.04.2022 (Bl. 128 SH UE). Der Antragsteller fährt wochentäglich mit dem kreditfinanzierten PKW zu der 15 km von seinem Wohnort entfernten Arbeitsstätte (Bl. 112).
Die Antragsgegnerin hat im Jahr 1983 den Schulabschluss der 8. Klasse erworben, danach eine Ausbildung zur Helferin in der Papierverarbeitung absolviert und diese von September 1989 bis Januar 1990 berufsbegleitend zum Abschluss der Ausbildung zur Facharbeiterin für buchbinderische Verarbeitung, Spezialisierung Einzelbogenbearbeitung, erweitert. Sie arbeitete in ihrem Ausbildungsbetrieb von 1985 bis zu dessen wendebedingter Schließung im Mai 1991. Im Anschluss daran war sie bis Mai 2000 im Einvernehmen mit dem Antragsteller nicht erwerbstätig, sondern versorgte den ehelichen Haushalt und das gemeinsame Kind. Seit Mai 2000 ist sie teilzeitbeschäftigt als Hausmeisterin, was ihr seit dem Jahr 2016 monatlich rund 200,- € einbringt (Bl. 16ff. SH UE). Im Jahr 2016 hat sie sich erfolglos um eine Beschäftigung als Busfahrerin bemüht (Bl. 159).
Die Antragsgegnerin unterzog sich im Februar 2017 einer Hämorrhoiden-Operation. Seitdem leidet sie unter Durchfall, Stuhlinkontinenz und Schmerzen bei der Defäkation. Mehrfache Arztbesuche im Jahr 2017 (Bl. 66 – 69) und invasive Untersuchungen im Jahr 2018 (Bl. 104 ff.) erbrachten im Oktober 2018 die Feststellung entzündlicher Veränderungen in Speiseröhre und Magen. Am 13.02.2019 wurde aufgrund einer Computertomographie die Verdachtsdiagnose einer entzündlichen Darmerkrankung des Dickdarms gestellt (ärztl. Bescheinigung vom 13.02.2019, Anlage im GA-SH). Seit Mai 2017 unterzieht sich die Antragsgegnerin einer Langzeit-Psychotherapie (Bl. 156).
Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, sie sei wegen ihrer andauernden Erkrankung, ihrer langjährigen Hausfrauentätigkeit und ihres Alters nur zur Erzielung eines Monatseinkommens in Höhe von 500,- € nach Abzügen in der Lage.
Die Antragsgegnerin hat beantragt (Bl. 9 SH UE),
den Antragsteller zu verpflichten, zu Händen der Antragsgegnerin mit Rechtskraft der Ehescheidung einen nachehelichen Ehegattenunterhalt in Höhe von 1.136,- € zu zahlen, zahlbar jeweils bis zum ersten des laufenden Monats.
Der Antragsteller hat beantragt (Bl. 29 SH UE),
den Antrag abzuweisen,
hilfsweise, den Ehegattenunterhalt zeitlich zu begrenzen und auf den angemessenen Bedarf herabzusetzen.
Er hat das Vorliegen ehebedingter Nachteile und einer Erwerbsunfähigkeit der Antragsgegnerin bestritten.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 06.11.2018 (Bl. 48) Beweis erhoben über die krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit der Antragsgegnerin durch Einholung eines arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige L… hat das schriftliche Gutachten vom 12.03.2019 vorgelegt (GA-SH), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird. Der Sachverständige hat den Verdacht einer entzündlichen Darmerkrankung für nicht ausgeschlossen erachtet und eine Besserung nach sechs Monaten bei Fortsetzung der am 25.02.2019 eingeleiteten probatorischen Behandlung von entzündlichen Veränderungen des Dickdarms durch den Hausarzt mit Medikamenten prognostiziert (Bl. 17). Weiter hat er aufgrund des von der Antragsgegnerin vorgelegten psychiatrischen Attests der Dipl.-Med. W… vom 07.02.2019, das eine seelisch belastende Situation aufgrund der somatischen Beschwerden bescheinigt (Bl. 5 GA, Bl. 156), eine aus den körperlichen Beschwerden resultierende Anpassungsstörung diagnostiziert (Bl. 18 GA), zu deren Besserung er die Fortsetzung der Psychotherapie mit dem Ziel der Erlernung von Strategien zum Umgang mit den körperlichen Beschwerden empfohlen hat (Bl 18 GA). Für den Zeitraum bis zur erwarteten Besserung hat der Sachverständige eine halbschichtige Erwerbsfähigkeit der Antragsgegnerin im Rahmen einer körperlich leichten bis mittelschweren Tätigkeit in der Nähe einer Toilette festgestellt (Bl. 19 GA).
Mit dem angefochtenen Beschluss (Bl. 69), auf dessen Inhalt der Senat verweist, ist der Antragsteller zur Zahlung nachehelichen Unterhalts in Höhe von 788,- € verpflichtet worden. Zur Begründung hat das Amtsgericht auf die sachverständig festgestellte halbschichtige Erwerbsfähigkeit der Antragsgegnerin und ein daraus für sie abzuleitendes fiktives Erwerbseinkommen in Höhe von 636,- € nach Abzug von Steuern und Sozialbeiträgen verwiesen. Von einer Befristung hat es unter Hinweis auf die Ehedauer abgesehen.
Mit seiner Beschwerde (Bl. 93, 123) wendet sich der Antragsteller gegen die Verpflichtung zur Zahlung nachehelichen Unterhalts. Er hält die Antragsgegnerin für vollschichtig erwerbsfähig aufgrund Fehlens geeigneter Genesungsbemühungen seit Ausbruch der Krankheit.
Der Antragsteller beantragt (Bl. 117),
den Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 03.09.2018, Az. 52 F 17/16, dahingehend abzuändern, dass der Anspruch der Antragsgegnerin auf nachehelichen Unterhalt abgewiesen wird,
hilfsweise für eine Übergangszeit der Höhe nach beschränkt und danach befristet wird, wobei die Länge der Übergangszeit und der Zeitpunkt der Befristung in das Ermessen des Gerichtes gestellt werden.
Die Antragsgegnerin beantragt (Bl. 134),
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie sei nach wie vor krank und nur im gegenwärtig praktizierten Umfang zu einer Erwerbstätigkeit in der Lage.
Hinsichtlich des weiteren Beschwerdevorbringens wird auf die im zweiten Rechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen. Der Senat entscheidet, wie angekündigt (Bl. 160 R), gemäß §§ 117 Abs. 3, 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG ohne Durchführung einer erneuten mündlichen Verhandlung, von der angesichts des umfangreichen erst- und zweitinstanzlichen Schriftwechsels kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten ist.
II.
1. a) Die gemäß §§ 58 ff., 117 FamFG statthafte und in zulässiger Weise erhobene Beschwerde ist im Umfang des Ausspruchs begründet. Die Antragsgegnerin hat Gründe für einen Anspruch auf unbefristeten nachehelichen Unterhalt seit Rechtskraft der Scheidung – mit Ablauf der Beschwerdefrist am 07.10. 2019 – nicht hinreichend vorgetragen.
Unterhalt wegen Krankheit, § 1572 Nr. 1 BGB, kann die Antragsgegnerin mangels hinreichender Darlegung der ihr seit Fertigstellung des Sachverständigengutachtens vom 12.03.2019 obliegenden, den überzeugenden Empfehlungen des Sachverständigen nachkommenden Behandlungs- und Genesungsbemühungen, deren Erfolgseintritt der Sachverständige mit gut nachvollziehbarer Begründung nach einem Zeitablauf von 6 Monaten, also ab dem 12.09.2019, erwartet hat, nur für eine aus Billigkeitsgründen anzuerkennende Übergangszeit nach Ablauf der Sechsmonatsfrist, nämlich bis zum 31.12.2019 beanspruchen.
In Ansehung des der Antragsgegnerin erstinstanzlich zugesprochenen Anspruchs auf Unterhalt ab Rechtskraft der Scheidung bis zum 31.12.2019 in Höhe von monatlich 788,- € ist aufgrund der unstreitigen monatlichen Unterhaltszahlungen des Antragstellers in Höhe von 1.050,- € von Oktober 2019 bis einschließlich Dezember 2019 Erfüllung eingetreten, so dass die Beschwerde insoweit begründet ist.
b) Für den Zeitraum ab 01.01.2020 kann sich die Antragsgegnerin auf Unterhalt wegen Krankheit, § 1572 Nr. 1 BGB, nicht erfolgreich berufen. Zwar kann sie ihren Unterhaltsbedarf mit ihrem derzeit erzielten Einkommen von rund 200,- € nach Abzug von Steuern und Sozialbeiträgen nicht decken. Da sie ihre Leistungsunfähigkeit aber auf das Vorliegen einer Krankheit stützt, ohne hinreichende Genesungsbemühungen darzulegen, muss sie sich unterhaltsrechtlich so behandeln lassen, als hätten die Genesungsbemühungen zum Erfolg geführt.
Beruft sich der Unterhaltsberechtigte gegenüber seiner Erwerbsobliegenheit auf eine krankheitsbedingte Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit, muss er Art und Umfang der behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigung angeben und zusätzlich darlegen, inwieweit sich die gesundheitliche Beeinträchtigung auf die Erwerbsfähigkeit auswirkt (BGH, FamRZ 2013, 1558 Rn. 13; Dose in Wendl/Dose, Unterhaltsrecht, 10. Aufl. 2019, § 1 Rn. 787). Konkrete Erwerbsbeeinträchtigungen sind im Einzelnen darzulegen und gegebenenfalls anhand von Arztberichten oder Privatgutachten zu erläutern (Senat, BeckRS 2019, 34698; FamRZ 2020, 753; Dose a. a. O. § 1 Rn. 789). Den Unterhaltsberechtigten trifft weiter die Obliegenheit, alles zur Wiederherstellung seiner Arbeitskraft Erforderliche zu tun, um seine Unterhaltsbedürftigkeit zu mindern. Wer leichtfertig oder fahrlässig die Möglichkeit einer ärztlichen Behandlung zur Behebung der einer Aufnahme der Erwerbstätigkeit entgegenstehenden Umstände nicht nutzt, muss sich unterhaltsrechtlich so behandeln lassen, als hätte die Behandlung Erfolg gehabt (Senat, a. a. O. ; Dose, a. a. O.).
Die Antragsgegnerin hat zwar das Andauern ihrer sachverständig festgestellten körperlichen und psychischen Beschwerden über den Zeitpunkt des vom erstinstanzlichen Sachverständigen prognostizierten Eintritts eines Behandlungserfolgs hinaus dargelegt, indessen – auch nach ausdrücklicher Aufforderung durch den Senat (Bl. 142) - nichts zu ihren diesbezüglichen Heilungsbemühungen sowie den Gründen für das Scheitern des erwarteten Heilungserfolgs vorgetragen und belegt.
Die eingereichten Atteste und Befundberichte ihres behandelnden Internisten vom 08.01.2020 (Bl. 137-139, 157) geben zwar den – andauernden – hohen Grad der körperlichen Beschwerden der Antragsgegnerin wieder, so dass davon auszugehen ist, dass sich entgegen der Prognose des Sachverständigen das Beschwerdebild der Antragsgegnerin nicht verbessert hat. Das vorgelegte Befundschreiben der radiologischen Praxis Dr. P… vom 18.06.2020 (Bl. 158) belegt die Behauptung der Antragsgegnerin, nach wie vor unter denselben körperlichen Beschwerden zu leiden wie zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung. Zu einer Diagnose der die Beschwerden auslösenden Krankheit und zu daraufhin eingeleiteten Behandlungsbemühungen trägt die Antragsgegnerin indessen nichts vor. Da angesichts der sachverständig prognostizierten Besserung des Gesundheitszustands nicht davon auszugehen ist, dass die Antragsgegnerin unter Beschwerden leidet, die nach dem gegenwärtigen Stand der ärztlichen Heilkunst weder diagnostizierbar noch behandelbar sind, zwingt das Nichtvorliegen einer Diagnose zur Annahme mangelnder Heilungsbemühungen. Der Antragsgegnerin obliegt es angesichts dessen, Gründe darzulegen, deretwegen nach wie vor eine Diagnose und eine sich daran anschließende Therapie ausstehen.
Auch teilt die Antragsgegnerin nicht mit, ob sie die sachverständig als erfolgversprechend prognostizierten Heilungsbemühungen, insbesondere die am 25.02.2019 aufgenommene Behandlung der entzündlichen Veränderungen des Dickdarms durch den Hausarzt, fortgesetzt hat und ob und gegebenenfalls welche Veränderungen ihres Gesundheitszustands hierdurch erzielt werden konnten. Der bloße Vortrag, sie habe sich im Juni 2020 auf eine Laktose- und Fruktoseintoleranz testen lassen, genügt hierfür nicht. Die Vorlage des von ihrem behandelnden Internisten erstellten Medikationsplans vom 08.01.2020 (Bl. 140) lässt, wie auch die Mitteilung der Einnahme von Posterin-Tabletten, - Salbe und - Zäpfchen (Bl. 153), nur eine Behandlung starker Schmerzen, sowie einer Gastritis, Sodbrennen (Refluxösophagit), Blutdruck und Herzdurchblutung erkennen, nicht hingegen eine gezielte Heilbehandlung der die Erwerbseinschränkung auslösenden Darmerkrankung.
Weiter legt die Antragsgegnerin nicht dar, inwiefern sie sich bestmöglich um Heilung ihrer psychischen Beschwerden bemüht hat. Ausweislich des vorgelegten Attests vom 08.01.2020 (Bl. 157) nimmt die Antragsgegnerin an zwei gruppentherapeutischen und zwei einzeltherapeutischen Sitzungen pro Monat bei der sie bereits zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung behandelnden Psychiaterin teil. Zu weiteren Heilungsbemühungen, insbesondere zu den vom Sachverständigen empfohlenen psychotherapeutischen Maßnahmen mit dem Ziel der Erlernung von Strategien zum Umgang mit den körperlichen Beschwerden, erklärt die Antragsgegnerin nichts.
Sowohl hinsichtlich ihrer körperlichen als auch ihrer psychischen Beschwerden muss sich die Antragsgegnerin deshalb so behandeln lassen, als wenn die sachverständig prognostizierte Besserung sämtlicher Beschwerden tatsächlich eingetreten wäre mit der Folge, dass sie sich unterhaltsrechtlich so behandeln lassen muss, als wenn sie sich in gehöriger Weise erfolgreich um eine Heilung bemüht hätte, so dass sie ab dem 01.01.2020 fiktiv als gesundheitlich uneingeschränkt erwerbsfähig anzusehen ist.
2. a) Die Antragsgegnerin hat einen Anspruch auf nachehelichen Aufstockungsunterhalt aus §§ 1569, 1573 Abs. 2 BGB. Danach kann ein geschiedener Ehegatte vom anderen den Unterschiedsbetrag zwischen seinen – gegebenenfalls fiktiven – Einkünften aus einer ihm möglichen angemessen Erwerbstätigkeit und dem vollen Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen verlangen, soweit die – gegebenenfalls fiktiven – Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätigkeit seinen vollen Bedarf nicht decken können. Diesen Unterhalt kann die Antragsgegnerin im Wege des Anschlussunterhalts gemäß § 1573 Abs. 3 BGB (vgl. Hamberger in BeckOGK, BGB, Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, Stand 01.11.2020 § 1573 Rn. 113) nach Wegfall der Voraussetzungen des Krankheitsunterhalts zum Einsatzzeitpunkt, hier ab dem 01.01.2020, beanspruchen.
b) aa) Das Maß des Unterhalts bestimmt sich nach § 1578 Abs.1 Satz 1 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Der Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestimmt sich im Grundsatz nach den bis zur Rechtskraft der Ehescheidung eingetretenen Umständen (Stichtagsprinzip), wobei auch nacheheliche Entwicklungen einzubeziehen sind, sofern sie einen Bezug zur Ehe haben (vgl. Senat, FamRZ 2020, 1575; OLG Hamm, FamRZ 2015, 1397).
Auf Seiten der Antragsgegnerin ist ein nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben mit 1.194,- € zu bemessendes fiktives Einkommen, abzüglich pauschaler berufsbedingter Aufwendungen von 59,70 € (5 % gemäß Nr. 10.2.1 der Leitlinien des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, nachfolgend Brb. UL), mithin ein bereinigtes fiktives Einkommen von 1.134,- € aus einer vollschichtigen ungelernten Tätigkeit im Mindestlohnsektor einzusetzen.
Der Antragsgegnerin obliegt es, eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben, §§ 1569, 1574 Abs. 1 und 2 BGB, um ihren Bedarf mit eigenen Arbeitseinkünften selbst zu decken. Nach diesen Vorschriften ist dem geschiedenen Ehegatten zuvörderst die Wiederaufnahme einer früher, insbesondere vor der Ehe, ausgeübten Tätigkeit anzusinnen. Der Unterhaltsberechtigte entspricht seinen Obliegenheiten nicht, wenn er keiner oder nur einer Teilzeittätigkeit nachgeht oder eine unzureichend dotierte Arbeitsstelle annimmt, obwohl er vollschichtig erwerbstätig sein und eine andere oder besser dotierte Arbeitsstelle bekommen könnte. Inhaltlich angemessen ist eine Tätigkeit, die der Ausbildung und den Fähigkeiten des Berechtigten entspricht, wobei dieser die Darlegungs- und Beweislast dafür trifft, eine dergestalt angemessene Tätigkeit nicht ausüben zu können (Senat, FamRZ 2020, 1575). Entsprechendes hat die Antragsgegnerin indes nicht dargelegt. Wegen der rund 30 Jahre zurückliegenden und nur wenige Monate lang andauernden Beschäftigung nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung als Buchbinderin ist der Antragsgegnerin allerdings nur eine ungelernte Tätigkeit im Mindestlohnsektor zuzumuten, für die aber – wie allgemein bekannt – auf dem gegenwärtigen Arbeitsmarkt im gesamten Bundesgebiet, insbesondere auch im Land Brandenburg, derzeit genügend Anstellungsmöglichkeiten bestehen. Die Antragsgegnerin hat auch nicht in Frage gestellt, dass reale Beschäftigungschancen bestehen.
Bei einem gesetzlichen Mindestlohn gemäß § 1 MindestlohnG von 9,35 € seit Januar 2020 (Wirtschafts- und sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung, www.wsi.de) ist der Antragsgegnerin bei vollschichtiger Tätigkeit ein Bruttoerwerbseinkommen von 1.620,- € monatlich im Jahr 2020 (40 Stunden x 52 Wochen/12 Monate) zuzurechnen. Nach Abzug von Steuern und Sozialbeiträgen verbleibt in der Steuerklasse 1 (www.brutto-netto-rechner.info) ein Verdienst von monatlich 1.194,- €.
Sofern die Antragsgegnerin geltend macht, sich im Jahr 2016 um eine Anstellung als Busfahrerin bemüht zu haben, was jedoch an ihrem unterdurchschnittlichen logischen und räumlichen Denken, das dem Erwerb der erforderlichen Fahrerlaubnis entgegen gestanden habe, gescheitert sei (Bl. 154), vermag dies an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Denn es ist nicht ersichtlich – und von der Antragsgegnerin auch nicht vorgetragen worden -, dass sie unter mentalen Einschränkungen leidet, die sie an einer anderen ungelernten vollschichtigen Tätigkeit, für die keine Fahrerlaubnis erforderlich ist, hindern.
bb) Auf Seiten des Antragstellers ist dessen zugestandenes und fortzuschreibendes Erwerbseinkommen in Höhe von 2.678,- € nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben (Bl. 111 ff. SH UE) und 5 % pauschaler berufsbedingter Aufwendungen in Höhe von 134,- €, mithin 2.544,- € einzusetzen.
Vom bedarfsbestimmenden Einkommen sind Fahrtkosten von und zur Arbeitsstelle mit einer Kilometerpauschale von 0,30 € (Witt in BeckOGK a. a. O. Stand 01.11.2020 § 1578 Rn. 239) in Höhe von 171,- € (15 km x 2 x 19 Arbeitstage x 0,30 €) abzusetzen, nicht hingegen die nach der Ehezeit eingegangene Kreditverbindlichkeit in Höhe von 202,50 € für den Erwerb des PKW. Da diese Verbindlichkeit nicht einen während der Ehezeit bestehenden Kredit abgelöst oder im Wege der Umschuldung ersetzt hat, sondern nur einem während der Ehezeit bestehenden Kredit ähnlich ist, fehlt es am erforderlichen Bezug der aufgenommenen Verbindlichkeit zu den ehelichen Lebensverhältnissen (vgl. Witt a. a. O. § 1578 Rn 264, 268). Unterhaltsrechtlich relevant ist daher ein Erwerbseinkommen des Antragstellers in Höhe von 2.373,- €.
c) Daraus ergibt sich folgende Unterhaltsberechnung:
6/7 Erwerbseinkommen des Antragstellers: | 2.034,- € |
6/7 Erwerbseinkommen der Antragsgegnerin: | 972,- € |
Gesamtbedarf: | 3.006,- € |
Hälfte: | 1.503,- € |
gedeckt: | 972,- € |
Bedarf: | 531,- € |
d) Der Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin ist bis zum 30.06.2021 zeitlich zu begrenzen und ab dem 01.01.2021 auf 200,- € herabzusetzen. Nach § 1578 b Abs. 1 und 2 BGB ist der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen und/oder zu befristen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Die Kriterien für die in diesem Zusammenhang erforderliche Billigkeitsabwägung sind § 1578 b Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB zu entnehmen. Den Prüfungsmaßstab bilden dabei sowohl für eine Befristung als auch für eine Herabsetzung einerseits die ehebedingten Nachteile, andererseits die nacheheliche Solidarität (Senat, FamRZ 2020, 1575; Wönne in Wendl/Dose, a. a. O. § 4 Rn. 1002). Eine umfassende Würdigung der Einzelfallumstände kann dazu führen, dass der geschiedene Ehegatte unter Umständen sofort nach der Scheidung einen geminderten Lebensstandard ohne Aufstockungsanspruch hinnehmen muss (Bömelburg in Wendl/Dose a. a. O. § 4 Rn. 309).
Vorliegend beruht der nacheheliche Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin nicht auf einem Ausgleich ehebedingter Nachteile, sondern allein auf der nachehelichen Solidarität. Durch die Ehe eingetretene Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit, für den eigenen Unterhalt zu sorgen, hat die Antragsgegnerin mit ihrem Hinweis auf den Abbruch der Tätigkeit in ihrem erlernten Beruf wegen der Betreuung des gemeinsamen Sohns von 1991 bis Ende 2001 nicht hinreichend dargelegt. Angesichts ihrer Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit im Jahr 2002 als Hausmeisterin in Teilzeit hätte sie Umstände vortragen müssen, deretwegen sie damals nicht in ihren erlernten Beruf und nicht wieder vollschichtig tätig geworden ist, sondern bereits Jahre vor Ausbruch der gegenwärtigen Krankheit nur unterhalbschichtig als Hausmeisterin arbeitete.
Auch wenn keine ehebedingten Nachteile feststellbar sind, ist eine Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts nur bei Unbilligkeit eines fortdauernden Unterhaltsanspruchs nach den ehelichen Lebensverhältnissen vorzunehmen. Bei der insoweit gebotenen umfassenden Billigkeitsabwägung ist das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen. Wesentliche Aspekte hierbei sind neben der Dauer der Ehe insbesondere die in der Ehe gelebte Rollenverteilung wie auch die vom Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung. Bei der Beurteilung der Unbilligkeit einer fortwährenden Unterhaltszahlung sind ferner die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten von Bedeutung, so dass in die Abwägung auch einzubeziehen ist, wie dringend der Unterhaltsberechtigte neben seinen eigenen Einkünften auf den Unterhalt angewiesen ist und in welchem Maße der Unterhaltsverpflichtete - unter Berücksichtigung weiterer Unterhaltspflichten - durch diese Unterhaltszahlungen belastet wird. In diesem Zusammenhang kann auch eine lange Dauer von Trennungsunterhaltszahlungen bedeutsam sein (BGH FamRZ 2020, 97; 2018, 1506; Senat, FamRZ 2020, 1575).
Nach diesen Kriterien ist der Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin bis zum 30.06.2021 zu befristen und ab 01.01.2021 auf 200,- € herabzusetzen. Die Gewährung dieser, nach Ablauf des Zeitraums, für den sie Unterhalts wegen Krankheit beanspruchen konnte, neuerlichen Übergangsfrist mag es der Antragsgegnerin erleichtern, sich auf ihre wirtschaftliche Selbständigkeit einzustellen. Die Ehegatten leben seit Januar 2015 voneinander getrennt, und im Oktober 2016 hat der Antragsteller den Scheidungsantrag rechtshängig gemacht. Bereits seit diesem Zeitpunkt konnte sich die Antragsgegnerin auf das Erfordernis einer wirtschaftlichen Verselbstständigung zur Erwirtschaftung ihres Lebensunterhalts aus eigener Kraft vorbereiten. Von Oktober 2016 bis zur Rechtskraft der Scheidung, also vier Jahre lang, hat sie Trennungsunterhalt in einem den ehelichen Lebensverhältnissen angelehnten Umfang erhalten, so dass eine über den 30.06.2021 hinaus gehende Verpflichtung des Antragstellers zur Unterhaltsleistung aufgrund der hier allein maßgeblichen nachehelichen Solidarität nicht zu rechtfertigen ist.
Für den Zeitraum von 01.01.2020 bis zum 30.06.2021 ist dem Antragsteller die Zahlung von Aufstockungsunterhalt allerdings zuzumuten. Angesichts der Höhe der vom Antragsteller erzielten Einkünfte, die auch nach Abzug des Ehegattenunterhalts deutlich über dem eheangemessenen Selbstbehalt von derzeit 1.280,- € (Nr. 21.4 UL 2020) liegen, während die Antragsgegnerin aus der ihr zuzurechnenden fiktiven Vollerwerbstätigkeit lediglich einen Betrag erwirtschaften kann, der den eheangemessenen Selbstbehalt unterschreitet, belasten den Antragsteller, der im Übrigen nur mit einer Unterhaltspflicht belastet ist, die Unterhaltszahlungen zugunsten der Antragsgegnerin nicht in unverhältnismäßigem Ausmaß. Unter Berücksichtigung der Ehedauer von 28,5 Jahren und der von der Antragsgegnerin während der Ehe übernommenen Verpflichtung, den gemeinsamen Sohn zu betreuen, gebietet der Grundsatz der nachehelichen Solidarität eine Fortsetzung der finanziellen Unterstützung im ausgesprochenen Umfang, um der Antragsgegnerin den Übergang in die ihr mögliche wirtschaftliche Selbständigkeit zu erleichtern.
III.
Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens beruht auf § 150 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 FamFG unter Berücksichtigung des jeweils hälftigen Unterliegens der Antragsbeteiligten in der Folgesache nachehelicher Unterhalt.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 FamFG und entspricht dem Maß des Unterliegens der Antragsbeteiligten in diesem Rechtszug.
Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 55 Abs. 2, 51 Abs. 1 FamGKG.
Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht, § 70 Abs. 2 FamFG.