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Familienleistungsausgleich Juli 2015 bis Dezember 2015 für die Kinder Wojciech, Katarzyna und Zuzanna


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 7. Senat Entscheidungsdatum 04.03.2020
Aktenzeichen 7 K 7168/18 ECLI ECLI:DE:FGBEBB:2020:0304.7K7168.18.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob dem Kläger Kindergeld für den Streitzeitraum zusteht.

Der Kläger ist Vater des am 26.11.1998 geborenen B…, der am 05.11.1999 geborenen C… und der am 11.05.2013 geborenen D… (Bl. 8 bis 9 Kindergeldakte –KGA–).

Am 24.01.2008 meldete der Kläger einen Betrieb Trockenbau sowie Bodenleger, Holz- und Bautenschutz, Fliesenleger, Einbau von genormten Fertigteilen gewerberechtlich an (Bl. 12 KGA). Einen Wohnsitz in Deutschland meldete er am 22.01.2008 unter der Anschrift E…-straße in F… an. Der Kläger legte die letzte Seite eines Untermietvertrages mit seinem Schwiegervater Herrn G…, der in diesem Vertrag als Hauptmieter bezeichnet wird, vor (Bl. 11 KGA). Des Weiteren legte er eine Erklärung des Herrn G… vom 10.01.2018 vor, dass sein Schwiegersohn sein Mitbewohner sei und regelmäßig seinen Mietanteil in Höhe von 200,00 € an ihn entrichte. Aus der Vermieterbescheinigung, in der Herr G… als Vermieter genannt ist, ergibt sich, dass die Wohnung 57 m² groß ist und ausschließlich zu Wohnzwecken vermietet wird (Bl. 307 KGA).

Am 10.09.2013 beantragte der Kläger erstmals Kindergeld, wobei er angab, verheiratet (und nicht dauernd getrennt lebend) zu sein und dass seine Ehefrau mit den Kindern in Polen lebt. Die Ehefrau war im Streitzeitraum selbst erwerbstätig (Bl. 3, 127 KGA). Die Ehefrau stimmte der Gewährung des Kindergelds an den Kläger zu. Der Kläger legte einen Bescheid einer polnischen Behörde (Gemeindeverwaltung) vom 13.08.2013 vor, wonach kein Antrag auf Kindergeld in Polen gestellt wurde (Bl. 22 KGA). Mit Bescheiden jeweils vom 24.06.2015 gewährte die Familienkasse H… dem Kläger Kindergeld für die Kinder B… und C… für das Jahr 2009 und ab Januar 2010 bis einschließlich April 2013 (Bl. 92-93 KGA) und für alle drei Kinder ab Mai 2013 bis November 2016 (Bl. 95 bis 97 KGA).

Mit Schreiben vom 16.10.2017 (Bl. 188 KGA), 23.10.2017 (Bl. 239 KGA), 22.12.2017 (Bl. 276 KGA) und 13.04.2018 (Bl. 339 KGA) forderte die Beklagte den Kläger auf, Kopien der Rechnungen (inkl. Leistungszeitraum und Leistungsort) für den Zeitraum Juli 2015 bis Dezember 2015 und Kontoauszüge über den Erhalt der Rechnungsbeträge einzureichen. Der Kläger reichte die Rechnungen 03/2015 (Bl. 394 KGA) vom 01.07.2015 (Leistungszeitraum 13.05.2015 bis 30.06.2015), 05/2015 (Bl. 395 KGA) vom 03.11.2015 (Leistungszeitraum 01.10.2015 bis 27.10.2015) und 06/2015 (Bl. 396 KGA) vom 19.12.2015 (Leistungszeitraum 05.11.2015 bis 18.12.2015) ein, auf welchen Arbeiten auf einer Baustelle in Belgien abgerechnet wurden. Adressat der Rechnungen war in allen Fällen die I… sprl (J…-straße, K…).

Aus den Erläuterungen in dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2015 ergibt sich, dass die Veranlagung nach § 1 Abs. 3 Einkommensteuergesetz –EStG– erfolgte (Bl. 232 f. KGA).

Mit Bescheid vom 18.06.2018 hob die Beklagte die bisherige Kindergeldfestsetzung für die Monate Juli 2015 bis Dezember 2015 auf und forderte das bereits ausgezahlte Kindergeld in Höhe von 3.420,00 € zurück (Bl. 353 ff. KGA).

Hiergegen legte der Kläger am 13.07.2018 Einspruch (Bl. 401 f. KGA) ein, reichte die angeforderten Kontoauszüge aber weiterhin nicht ein.

Mit Einspruchsentscheidung vom 20.08.2018 wies die Beklagte den Einspruch zurück (Bl. 427 ff. KGA).

Daraufhin hat der Kläger am 24.09.2018 Klage erhoben (Bl. 1 ff. Gerichtsakte –GA–).

Der Kläger macht geltend, ihm stehe das streitgegenständliche Kindergeld zu. Er habe im Streitzeitraum seinen Wohnsitz in Deutschland gehabt, wo er zudem erwerbstätig gewesen sei. Zudem sei er gemäß § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig veranlagt worden. In Polen hätten weder er noch seine Ehefrau, wegen Überschreitens der Einkommensgrenze, Kindergeld beanspruchen können. Ferner sei nach der Verordnung (EG) Nummer 883/2004 –VO Nr. 883/2004– der Mitgliedstaat für die Gewährung des Kindergelds zuständig, in dem ein Elternteil einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit nachgehe.

Die vorgelegten Rechnungen seien ausreichend, um nachzuweisen, dass der Kläger im Inland Leistungen erbracht und abgerechnet habe. Der Kläger verweist auf das Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 14.03.2018 (III R 5/17, Bundessteuerblatt –BStBl.– II 2018, 482) und behauptet, dass es bei der Frage, ob inländische Einkünfte vorliegen, nicht auf den Zeitpunkt des Zuflusses, sondern auf den Leistungszeitraum ankomme. Die Beklagte versuche insofern, die Beweiskraft der Rechnungen zu marginalisierten, um den Nachweis des Zuflusses zu verlangen. Dies sei schon deshalb nicht erforderlich, da der Rechnung nach § 416 Zivilprozessordnung –ZPO– auch unter Berücksichtigung des § 82 Finanzgerichtsordnung –FGO– der dort geregelte Beweiswert zukomme. Zudem seien die Rechnungen formell nicht zu beanstanden.

Des Weiteren sei gemäß dem Urteil des BFH vom 24.05.2012 (III R 14/10, BStBl. II 2012, 897) bei einer Veranlagung nach § 1 Abs. 3 EStG – anders als bei der Prüfung des Wohnsitzes – die Feststellung des Finanzamts für die Familienkasse bindend. Wegen der erzielten Einkünfte und der zugrundeliegenden Rechnung bzw. Aufträge komme die diesbezügliche Prüfungskompetenz ausschließlich dem Finanzamt zu. Es sei zudem darauf hinzuweisen, dass die Quittierung im Rahmen der Rechnung keine „Floskel“ darstelle, sondern eine rechtsverbindliche Erklärung.

Überdies sei eine auf § 37 Abs. 2 AO gestützte Rückforderung vorliegend rechtswidrig, da keine Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Klägers seit der ursprünglichen Festsetzung eingetreten seien. Nach der Rechtsprechung des hiesigen Gerichts (Finanzgericht –FG– Brandenburg, Urteil vom 05.12.2001 – 6 K 289/98, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 2002, 479) habe die Beklagte nachzuweisen, dass und zu welchem Zeitpunkt in den rechtserheblichen Verhältnissen Änderungen eingetreten sind. Da die Kindergeldfestsetzung zu einer Begünstigung und damit zu einer schutzwürdigen Rechtsposition des Kindergeldberechtigten führe, sei es gerechtfertigt, den Nachteil der Ungewissheit für den Regelfall der Behörde aufzuerlegen.

Der Klägervertreter hat in der mündlichen Verhandlung ein Schreiben an die Beklagte vom 03.03.2019 überreicht. Als Anlagen waren die Rechnung 05/2015, 06/2015 und die bisher nicht vorgelegte Rechnung 04/2015 (Rechnungsdatum: 25.09.2015, Leistungsdatum: 13.06.2015 bis 14.09.2015, Leistungsort: Belgien, Adressat: I… sprl, Betrag: 4.050,00 €) beigefügt. Zudem waren beigefügt: ein Kontoauszug der I… sprl, auf dem eine Zahlung (Buchungstag 19.09.2015) in Höhe von 4.050,00 € an den Kläger mit dem Verwendungszweck Rechnung ersichtlich ist, und ein Kontoauszug des Klägers, auf dem eine Zahlung in Höhe von 3.225,00 € (Buchungstag 09.11.2015) für die Rechnung 05/2015 von der I… sprl und eine Zahlung in Höhe von 5.490,00 € (Buchungstag 22.12.2015) mit dem Verwendungszeck: „rechnung“ ersichtlich ist.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Kindergeldbescheid vom 18.06.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.08.2018 aufzuheben.

die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die Klage für unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Kindergeld gemäß § 62 Abs. 1 EStG, da er weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe. Mit der „Vermieterbescheinigung“ vom 15.01.2018 habe der Schwiegervater des Klägers lediglich bestätigt, dass der Kläger als sein Mitbewohner die anteilige Miete entrichtet habe. Es sei nicht nachgewiesen, dass es sich bei dem Schwiegervater des Klägers um den Eigentümer der Wohnung handelt. Daher sei das Bestehen eines Wohnsitzes nicht nachgewiesen. Auch ein gewöhnlicher Aufenthalt könne nicht angenommen werden, da die eingereichten Rechnungen des Klägers auswiesen, dass die dort genannte Tätigkeit in Belgien ausgeführt worden sei und eben gerade nicht in Deutschland.

Vorsorglich weist die Beklagte darauf hin, dass auch dann, wenn ein inländischer Wohnsitz nachgewiesen worden wäre, Polen vorrangig für die Gewährung der Familienleistung zuständig wäre. Die Gewährung eines Unterschiedsbetrages sei nach Artikel 68 Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 nicht vorgesehen, wenn der Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird, also in Deutschland keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen wird. Diese Rechtsauffassung sei durch den Bundesfinanzhof bestätigt (BFH, Urteil vom 22.02.2018 – III R 10/17, BStBl. II 2018, 717).

Auch ein Anspruch aufgrund einer unbeschränkten Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 3 EStG bestehe nicht. Der Kläger sei zwar nachweislich des Einkommensteuerbescheides als unbeschränkt steuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 3 EStG behandelt worden. Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2b) i. V. m. § 1 Abs. 3 EStG liege jedoch nur in den Monaten der nachgewiesenen Erwerbstätigkeit im Inland vor. In den streitigen Monaten habe der Kläger aber nur in Belgien gearbeitet.

Zu einer Aufhebung des ursprünglichen Bescheides und einer Rückforderung sei die Beklagte berechtigt, da der Kläger die Änderungen in seinen Verhältnissen nicht mitgeteilt haben. Es sei bereits fraglich, ob der Kläger über einen inländischen Wohnsitz verfüge. Des Weiteren seien die Tatsache, dass der Kläger in den streitigen Monaten einer Erwerbstätigkeit nicht in Deutschland, sondern im Ausland nachgegangen sei, der Familienkasse gegenüber nicht angezeigt worden.

Dem Gericht hat ein Band Kindergeldakten (Ausdruck der elektronisch geführten Akte), die die Beklagte zur KG-Nr. 001FK042723 führt, vorgelegen.

Entscheidungsgründe

A. Die Klage ist unbegründet.

Der Kläger wird durch den angefochtenen Bescheid i. S. d. § 100 Abs. 1 und 2 Finanzgerichtsordnung –FGO– nicht in seinen Rechten verletzt. Für die Monate Juli 2015 bis Dezember 2015 bestand kein Anspruch auf Kindergeld.

I. Dem Kläger steht nach den geltenden Antikumulierungsregelungen der VO Nr. 883/2004 kein Anspruch auf Kindergeld zu. Diese Regelungen sind unmittelbar gegenüber den Unionsbürgern geltendes Recht, das Vorrang vor den nationalen Regelungen des EStG hat (Hessisches FG, Urteil vom 01.03.2018 – 3 K 1574/14, juris, Rn. 53, Revision anhängig unter dem Az. III R 71/18; vgl. BFH, Urteil vom 26.07.2017 – III R 18/16, BStBl. II 2017, 1237). Da die Ehefrau des Klägers mit den Kindern in Polen lebt, handelt es sich um einen grenzüberschreitenden Fall innerhalb der Europäischen Union, auf den die Antikumulierungsregelungen Anwendung finden.

1. Nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. a) VO Nr. 883/2004 unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats.

Für die Bestimmung des anwendbaren Rechts gemäß Art. 11 Abs. 3 Buchst. a) VO 883/2004 kommt es nach Auffassung des hiesigen Senats darauf an, ob der Kläger seine Erwerbstätigkeit im Inland ausgeübt hat. Es kommt hingegen nicht darauf an, welcher Mitgliedstaat gemäß dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Belgien, Deutschland und Polen bzw. Polen und Belgien gegebenenfalls das Besteuerungsrecht hätte. Der Wortlaut des Art. 11 Abs. 3 Buchst. a) VO 883/2004 geht gerade nicht davon aus, wo die entsprechenden Einkünfte ggf. zu besteuern wären, sondern davon, ob die Person in dem jeweiligen Mitgliedstaat eine selbständige Erwerbstätigkeit tatsächlich ausgeübt hat. Diese Frage ist höchstrichterlich bisher nicht abschließend geklärt.

Aus den vorgelegten Rechnungen mit den Rechnungsnummern 03/2015, 04/2015, 05/2015 und 06/2015 ergibt sich, dass der Kläger in dem Streitzeitraum ausschließlich in Belgien für die I… sprl tätig geworden ist, das ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Er hat demnach gerade keine Erwerbstätigkeit im Inland ausgeübt und unterliegt somit nicht den innerstaatlichen Rechtsvorschriften für den Anspruch auf Kindergeld.

3. a) Auch bei Anwendung des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG liegt eine Behandlung "nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig" nur für die Kalendermonate vor, in denen der Kindergeldberechtigte Einkünfte i.S. des § 49 EStG erzielt, die nach § 1 Abs. 3 EStG der Einkommensteuer unterliegen (BFH, Urteil vom 14.03.2018 – III R 5/17, BStBl. II 2018, 482, m. w. N.; BFH, Urteil vom 16.05.2013 – III R 8/11, BStBl. II 2013, 1040; BFH, Urteil vom 24.10.2012 – V R 43/11, BStBl. II 2013, 491). Eine Veranlagung nach § 1 Abs. 3 EStG kann nur dann erfolgen, wenn der Steuerpflichtige weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 8, 9 Abgabenordnung -AO- hat und damit nicht der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt. Darüber hinaus muss ein entsprechender Antrag des Steuerpflichtigen vorliegen. Ausweislich des Steuerbescheides für das Jahr 2015 wurde der Kläger auf seinen Antrag hin als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagt. Eine Bindung in Bezug auf die Veranlagung des Finanzamtes als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 3 EStG besteht nur insofern, als dass kindergeldrechtlich nur derjenige als i.S. des § 1 Abs. 3 EStG fiktiv unbeschränkt steuerpflichtig anzusehen ist, der auch durch das zuständige Finanzamt so behandelt wird (BFH, Urteil vom 24.05.2012 – III R 14/10, BStBl. II 2012, 897). Das heißt im Ergebnis lediglich, dass die Familienkasse eine unbeschränkte Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 3 EStG nicht annehmen kann, wenn keine entsprechende Bescheinigung des Finanzamts vorliegt oder keine Veranlagung in diesem Sinne vorgenommen wurde. Sinn und Zweck der beschränkten Prüfungskompetenz ist, dass der Steuerpflichtige für Zwecke der Kindergeldgewährung insbesondere in zeitlicher Hinsicht nicht anders behandelt werden soll als für Zwecke der Einkommensteuerfestsetzung. Insofern folgt daraus, dass die Behandlung des Antragstellers durch die Familienkasse durch die Grenzen der Festsetzungsverjährung beschränkt ist. Zudem sollten die Familienkassen von der Prüfung der zum Teil schwierigen Sach- und Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Anwendung des § 1 Abs. 3 EStG entlastet werden (BFH, Urteil vom 24.05.2012 – III R 14/10, BStBl. II 2012, 897, Rn. 17). Die Prüfung ob inländische Einkünfte i. S. d. § 49 EStG in den entsprechenden Monaten des Streitzeitraums erzielt worden sind, obliegt aber weiterhin der Familienkasse bzw. dem Finanzgericht.

b) Folglich muss der Steuerpflichtige inländische Einkünfte i. S. des § 49 EStG haben, die im Verhältnis zum Welteinkommen zu 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegen (§ 1 Abs. 3 Sätze 1 und 2 EStG). Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG liegen inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) vor, soweit im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird oder ein ständiger Vertreter bestellt ist.

Damit normiert § 49 EStG für diese Einkunftsart weitere tatbestandliche Voraussetzungen, die einen Inlandsbezug herstellen und die jeweiligen Einkünfte damit überhaupt erst zu „inländischen” i. S. d. § 49 EStG machen. Bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb knüpft der Gesetzgeber an die im Inland entfaltete wirtschaftliche Tätigkeit an (sog. Quellenprinzip, vgl. BFH, Urteil vom 10.04.2013 – I R 22/12, BStBl. II 2013, 728).

Der Kläger unterhält im Inland tatsächlich keine Betriebsstätte. Gemäß § 12 AO ist eine Betriebsstätte jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient. Geschäftseinrichtung ist jeder körperliche Gegenstand bzw. jede Zusammenfassung körperlicher Gegenstände mit der Eignung, Grundlage für die Tätigkeit eines Unternehmens zu sein (Klein/Gersch, AO, 14. Aufl. 2018, § 12 Rn. 2). Der Kläger hat nichts dazu vorgetragen, ob er in der Wohnung seines Schwiegervaters eine Betriebsstätte unterhält. Laut der Vermieterbescheinigung wird die Wohnung nur zu Wohnzwecken überlassen und nicht für die gewerbliche Tätigkeit des Klägers. Das spricht gegen die Annahme einer Betriebsstätte.

Selbst wenn man von der Existenz einer inländischen Betriebsstätte ausgehen würde, so ergibt sich aus den vorgelegten Rechnungen, dass der Kläger im Streitzeitraum ausschließlich in Belgien und gerade nicht im Inland und damit an seiner inländischen Betriebsstätte tätig gewesen ist. Da keine Einkünfte gemäß § 49 EStG erzielt wurden, besteht auch kein Anspruch auf Kindergeld gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG. Jedenfalls ist kein Zusammenhang der belgischen Einkünfte mit einer eventuellen Betriebsstätte in Deutschland erkennbar.

c) Der hiesige Senat geht davon aus, dass die Rechtsprechung des BFH (u. a. BFH, Urteil vom 14.03.2018 – III R 5/17, BStBl. II 2018, 482, m. w. N.; BFH, Urteil vom 16.05.2013 – III R 8/11, BStBl. II 2013, 1040; BFH, Urteil vom 24.10.2012 – V R 43/11, BStBl. II 2013, 491) so zu verstehen ist, dass der Kindergeldkasse die Prüfungskompetenz obliegt, ob die Einnahmen, die der Kläger in den streitigen Monaten erzielte, tatsächlich Einkünfte im Sinne des § 49 EStG sind, und diese rechtliche Bewertung unabhängig von der Bewertung des Finanzamts treffen kann. Es war daher unerheblich, ob die Einnahmen aus den Rechnungen 03/2015 bis 06/2015 durch das Finanzamt im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung als steuerpflichtige Einnahmen gemäß § 49 EStG der deutschen Einkommensteuer unterworfen wurden.

4. Ob der Kläger einen Wohnsitz nach § 8 AO im Inland innehatte, kann dahinstehen. Aus Art. 11 Abs. 3 Buchst. e) VO 883/2004 ergibt sich zwar, dass jede Person, die nicht unter die Buchst. a) bis d) fällt, den Vorschriften des Wohnmitgliedsstaats unterliegt. Aus Art. 68 Abs. 1 Buchst. a) VO Nr. 883/2004 folgt aber, dass die Familienbeihilfen nach polnischem Recht vorrangig sind. Nach dieser Vorschrift ist dann, wenn Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren sind, folgende Rangfolge maßgeblich: An erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche. Die Ehefrau des Klägers war laut Angaben des Klägers erwerbstätig, so dass die durch Art. 11 Abs. 3 Buchst. a) VO Nr. 883/2004 (also durch die Erwerbstätigkeit) begründeten Ansprüche der Ehefrau in Polen vorrangig sind (vgl. BFH, Urteil vom 28.04.2016 – III R 68/13, BStBl. II 2016, 776 zu einem im Ausland erwerbstätigen Elternteil).

Insofern unterscheidet sich der hiesige Sachverhalt von dem Sachverhalt, der dem Urteil 7 K 3133/17 des erkennenden Senats vom 10.10.2019 (Neue Justiz -NJ- 2020, 42-44) zugrunde liegt. In diesem Fall war der Kläger zum Teil im Inland erwerbstätig und die Ehefrau ging in Polen keiner Erwerbstätigkeit nach. Daraus ergab sich, dass der Anspruch des Klägers vorrangig war.

Ein Anspruch auf Differenzkindergeld besteht nicht, da dieser gemäß Art. 68 Abs. 1 Buchst. b) Ziff. i) VO Nr. 883/2004 nur gegeben wäre, wenn der Kläger selbst im Inland erwerbstätig gewesen wäre. Dies konnte der Kläger aber gerade nicht glaubhaft darlegen.

Zugunsten des Klägers ergibt sich für den Streitzeitraum auch nichts daraus, dass weder ihm noch seiner Ehefrau ein Anspruch auf polnische Familienleistungen zustand (BFH, Urteile vom 10.03.2016 – III R 62/12, BStBl. II 2016, 616, Rn. 21; BFH-Urteil vom 13.07.2016 – XI R 7/15, BFH/NV 2016, 1722).

5. Selbst wenn die Ehefrau des Klägers in Polen keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen wäre, so ergibt sich aus Art. 68 Abs. 1 Buchst. b) Ziff. iii) VO Nr. 883/2004, dass sich der Anspruch auf Kindergeld nach dem Wohnsitz der Kinder – in diesem Fall Polen – richtet, wenn der Anspruch durch den Wohnsitz ausgelöst wird. Ein Anspruch auf Differenzkindergeld besteht auch in diesem Fall nicht.

6. Auch die Frage, ob der Kläger einen gewöhnlichen Aufenthalt gemäß § 9 AO im Inland hatte, kann dahinstehen. Da der Kläger keine Erwerbstätigkeit im Inland ausübte, sind auch in diesem Fall die Ansprüche der Ehefrau in Polen gemäß Art. 11 Abs. 3 Buchst. a) VO Nr. 883/2004 vorrangig.

II. Da die Kindergeldfestsetzung für die streitbefangenen Monate gemäß § 70 Abs. 2 EStG aufgehoben wurde, hat der Kläger das Kindergeld ohne rechtlichen Grund erhalten und deshalb gemäß § 37 Abs. 2 AO zu erstatten. Die Tatsache, dass der Kläger im Streitzeitraum keinen Wohnsitz innehatte bzw. keine inländischen Einkünfte erzielt hat, stellt eine Änderung der Verhältnisse dar, aufgrund derer die Beklagte berechtigt war, die Festsetzung des Kindergeldes aufzuheben. Es kommt insofern nicht darauf an, ob der Kläger die Änderungen in den Verhältnissen mitgeteilt hat.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

C. Das Gericht hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil das Urteil auf nicht (oder jedenfalls nicht umfassend) höchstrichterlich geklärten Rechtsfragen beruht.