Gericht | VG Potsdam 7. Kammer | Entscheidungsdatum | 22.05.2018 | |
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Aktenzeichen | VG 7 K 3449/16.A | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2018:0522.7K3449.16.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 3 AsylVfG 1992, § 4 AsylVfG 1992 |
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde am in K... geboren. Er reiste seinen Angaben zufolge am 1. Juli 2015 nach Deutschland ein. Am 4. August 2015 stellte er einen Asylantrag und gab bei seiner Anhörung am 4. August 2016 an, er gehöre den Hazara/Sayet an und habe sich bis zu seiner Ausreise zuletzt in Kabul aufgehalten. Er sei von Afghanistan im Januar/Februar 2015 losgefahren und über Pakistan, Iran, Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.
Er habe zwei Gründe, warum er hier in Deutschland sei: Sein Leben sei in Gefahr gewesen und er sei zum Christentum hier in Deutschland konvertiert.
Sein Onkel habe ihn nach dem Tod seiner Eltern mehrmals zusammengeschlagen und ihn gezwungen, arbeiten zu gehen. Für den Onkel hätten nur finanzielle Dinge Bedeutung gehabt. Eines Tages sei der Kläger nach Hause gekommen und seine jüngere Schwester habe ihm erzählt, dass sein Onkel ihn verkaufen wolle. Sein Onkel habe ihm gesagt, dass er nicht mehr in der Lage sei, sein Vormund zu sein. Der Kläger solle nunmehr für sich selbst sorgen. Am nächsten Tag sei eine Person gekommen, die behauptet habe, dass er ab jetzt für sie arbeiten und bei ihm leben solle. Er sei mit der Person mitgegangen. Dieser Mann habe zu ihm gemeint, dass er ihn ganz toll finde. Er habe ihn dann mit Gewalt auf den Mund geküsst. Er könne bei ihm leben, ohne Autos mehr waschen zu müssen. Der Kläger habe Angst bekommen und sei in das Haus seines Onkels zurückgekehrt. Er habe dem Onkel davon nichts erzählt, weil er Angst gehabt habe, von ihm verprügelt zu werden. Er habe dem Nachbarn die Geschichte erzählt und jener habe gemeint, dass er sich nicht darauf einlassen solle, da er, der Kläger, noch jung sei und sein Leben ruinieren könne. Der Nachbar habe ihn und seine Schwester noch am selben Abend zu einem Verwandten mitgenommen. Dort seien sie eine Woche geblieben. Der Nachbar sei dann gekommen und habe ihnen gesagt, dass sie eine Ausreise planten und ob sie mit wollten. Der Kläger habe ihm gesagt, dass sei finanziell nichts hätten. Der Nachbar habe entgegnet, dass sein Vater ihm zu Lebzeiten auch geholfen habe und er daher in seiner Schuld stünde. Daher nehme er alles auf seine Kappe. Sie hätten dann Afghanistan verlassen. An der Grenze zwischen Pakistan und dem Iran habe er seine Schwester verloren, als auf sie geschossen worden sei.
Ein Freund habe ihn vom christlichen Glauben begeistert. Er beschäftige sich bereits seit vier Monaten mit dem Christentum und habe bereits den Taufunterricht abgeschlossen. Im Unterricht werde aus der Bibel zitiert und es sei darüber gesprochen worden, wie gut und toll Jesus gewesen sei. Sie hätten im Taufunterricht auch gebetet. In Afghanistan sei er gläubiger Muslim gewesen. Er habe an religiösen Zeremonien teilnehmen müssen und sonntags gehe er in die Kirche. Er lebe mit zwölf Afghanen in einer Wohngemeinschaft zusammen. Seitdem sie erfahren hätten, dass er seinen Glauben gewechselt habe, äßen sie nicht mehr mit ihm zusammen.
In Afghanistan habe er kein Leben gehabt, weil er alles, was er verdient habe, seinem Onkel habe abgeben müssen. Bei einer Rückkehr könne er nicht überleben. Er habe keine Probleme mit den Behörden oder der Polizei gehabt. Auch habe er nicht in seiner Heimat vor Gericht gestanden und gegen ihn sei auch keine Strafe verhängt worden.
Mit Bescheid vom 17. August 2016 stellte das Bundesamt fest, dass die Flüchtlings-eigenschaft nicht zuerkannt werde, lehnte den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt werde. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes lägen nicht vor. Zugleich drohte es die Abschiebung nach Afghanistan an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
Zur Begründung seiner Entscheidung führte es aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger politischer Verfolgung in seiner Heimat ausgesetzt gewesen sei. Staatliche Verfolgung habe der Kläger nicht vorgetragen und sei auch nicht ersichtlich. Ferner habe er nicht glaubhaft machen können, zum Christentum übergetreten zu sein, da er hierfür keine Nachweise habe vorlegen können. Seine Angaben zum Glaubenswechsel seien nicht stichhaltig gewesen. Im Übrigen habe er nach Herat und Mazar-E Sharif ausweichen können, denn er sei in einem arbeitsfähigen Alter und gesund. Aus den gleichen Gründen könne auch nicht seine Anerkennung als Asylberechtigter erfolgen.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG lägen ebenfalls nicht vor. Der Kläger müsse keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder ihrer Unversehrtheit befürchten. Es ließen sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür finden, dass der Kläger wegen eines Glaubenswechsels Gefahr laufe, von Dritten unmenschlich oder erniedrigend behandelt zu werden. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Weder drohe den Klägern eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung, noch seien konkrete Gefahren für Leib und Leben der Kläger erkennbar.
Der Bescheid wurde am 26. August 2016 zur Post gegeben.
Der Kläger hat am 6. September 2016 Klage erhoben.
Er verweist zur Begründung auf seinen Vortrag in der Anhörung und legt ergänzend eine Taufurkunde vom 13. August 2016 vor.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 17. August 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten,
ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise,
ihm subsidiären Schutz zu gewähren,
hilfsweise,
in seiner Person Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen festzustellen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid.
Gegenstand der mündlichen Verhandlung sind die Erkenntnisse gewesen, wie sie als Anlage zur Ladung aufgeführt worden sind sowie weitere, unten gesondert benannte Quellen zur Gefährdungslage sowie zur Konversion zum Christentum in Afghanistan.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes Bezug genommen.
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, nachdem in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
Die Klage ist unbegründet. Nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz des Asylgesetzes - AsylG -) hat die Kläger weder einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (1.), noch den hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Feststellung eines subsidiären Schutzstatus (2.), noch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots (3.). Der Bescheid des Bundesamtes vom 15. Juni 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
a) Gemäß § 3 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Die Furcht vor Verfolgung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) ist begründet, wenn dem Ausländer die oben genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen. Der in dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. d Richtlinie 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG übernommen worden ist, orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab (EGMR, Große Kammer, U. v. 28. Februar 2008 — Nr. 37201/06, Saadi — HUDOC, Rz. 129); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U. v. 18. April 1996 — 9 C 77.95 - juris, Rz. 6; Vorlageb. v. 7. Februar 2008 — 10 C 33.07 - juris, Rn. 37; U. v. 27. April 2010 - 10 C 5.09 - juris, Rn. 29).
Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 — 10 C 23.12 — juris, Rn. 32).
Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss, ist nicht ausreichend. Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U. v. 16. April 1985 - 9 C 109/84 - juris, Rn. 16).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Qualifikationsrichtlinie - QRL) ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einer solchen Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen engen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus. Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es — unter Angabe genauer Einzelheiten — einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH Mannheim, U. v. 27. August 2013 - A 12 S 2023/11 - juris, Rn. 35; VGH Kassel, U. v. 4. September 2014 - 8 A 2434/11.A - juris, Rn. 15).
b) Soweit es um den Asylgrund einer Konversion geht, sind folgende Grundsätze beachtlich:
Nach § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Dabei sind unter religiösen Riten die in einer Religionsgemeinschaft üblichen oder geregelten Praktiken oder Rituale zu verstehen, die der religiösen Lebensführung dienen, insbesondere Gottesdienste, kulturelle Handlungen und religiöse Feste (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 20. November 2007 - 10 A S 70/06, InfAuslR 2008, 97; OVG Saarbrücken, Urteil vom 26. Juni 2007 - 1 A 222/07 -, InfAuslR 2008, 183; OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 5 A 1999/07.A -, juris, und - 5 A 982/07.A -, EzAR-NF 62 Nr. 19).
Da derartige Betätigungen in der Kirchengemeinde nach dem Selbstverständnis christlicher Religionsgemeinschaften zu den unverzichtbaren Bestandteilen des religiösen Lebens gehören, erweist sich die Verhinderung einer derartigen Ausübung des Glaubens durch den Staat bzw. deren Sanktionierung durch gegen die persönliche Freiheit gerichtete staatliche Zwangsmaßnahmen als schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit, die dieses Recht in seinem Kernbereich berührt (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. März 2009 - 10 C 51.07 -, zit. nach juris, Rz. 14). Diese Garantien gelten für Konvertiten, die ihren Glauben aus religiöser Überzeugung gewechselt haben, in gleichem Umfang wie für Gläubige, die ihre durch Geburt erworbene Religion beibehalten. Aufgrund des weitgehenden Schutzbereichs ist es den Mitgliedern der jeweiligen Religionsgemeinschaft nicht zumutbar, von ihren religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, Urteil vom 5. September 2012, - C-71/11 und C-99/11 -; VG Würzburg, Urteil vom 21. November 2012 - W 6 K 12.30117 - beides zit. nach juris).
Aus der Notwendigkeit der gerichtlichen Überzeugungsbildung über eine geltend gemachte religiöse Verfolgungsgefährdung ist allerdings insbesondere im Falle einer Konversion eine Prüfung der inneren, religiös-persönlichkeitsprägenden Beweggründe für einen vorgenommenen Glaubenswechsel erforderlich. Nur wenn verlässlich festgestellt werden kann, dass die Konversion auf einer glaubhaften Zuwendung zum christlichen Glauben im Sinne einer ernsthaften Gewissensentscheidung, auf einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung und nicht lediglich auf bloßen Opportunitätsgründen beruht, kann davon ausgegangen werden, dass ein Verschweigen, Verleugnen oder die Aufgabe der neuen Glaubenszugehörigkeit zur Vermeidung staatlicher oder nichtstaatlicher Repressionen im Heimatland den Betroffenen grundsätzlich und in aller Regel unter Verletzung seiner Menschenwürde existentiell und in seiner sittlichen Person treffen würde und ihm deshalb eine Rückkehr nicht zugemutet werden kann. Nur bei einem in diesem Sinne ernsthaften Glaubenswechsel kann das Gericht zu der Überzeugung gelangen, dass der schutzsuchende Ausländer bei einer Rückkehr in sein islamisches Heimatland von seiner neuen Glaubensüberzeugung nicht ablassen könnte.
c) Davon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass der Kläger unverfolgt aus seiner Heimat ausgereist, denn ihm drohte seitens seines Onkels und eines nicht weiter bekannten Mannes, der ihn „kaufen“ wollte, lediglich private Gewalt, die dem Staat und seinen Institutionen nicht zugerechnet werden kann, da nicht schlechthin jegliche Schutzgewährung verweigert würde, § 3c Nr. 3 AsylG (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Afghanistan vom 19. Oktober 2016).
Ihm droht auch keine politische Verfolgung wegen seiner Hinwendung zum christlichen Glauben.
aa) Zwar ist grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Übertritt vom Islam zum Christentum als Abfall vom Glauben nach gängiger Interpretation der Scharia eine Todsünde darstellt, die grundsätzlich mit dem Tod zu bestrafen ist (UNHCR, Afghanistan, Richtlinien vom 19. April 2016, S. 53, 61). Als eine der in Afghanistan drei geltenden Rechtsquellen ist die Scharia auch bei der Anwendung anderer Gesetze zu beachten (sog. Scharia-Vorbehalt), so dass in der Praxis die in der afghanischen Verfassung enthaltene Religionsfreiheit für Muslime nicht gilt (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 19. Oktober 2016, S. 10). Nach Thomas Ruttig (Auskunft vom 12. Juni 2017) ist es kaum vorstellbar, dass jemand in Afghanistan seine christliche Religionszugehörigkeit in der Öffentlichkeit präsentiert. Dies bestätigt die Dokumentation von ACCORD vom 9. November 2017 zur Lage von Konvertiten in Afghanistan: Danach sind die meisten christlichen Konvertiten gezwungen, ihre religiöse Neuorientierung selbst vor den nächsten Verwandten zu verbergen (unter Bezugnahme auf Landinfo vom 4. September 2013; ebenso Auswärtiges Amt, a. a. O. S. 11). Nach der Schweizerischen Flüchtlingshilfe müssen religiöse Minderheiten wie auch Christen mit sozialer Diskriminierung, Übergriffen und Einschüchterungen rechnen (Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage vom 14. September 2017, S. 26).
Im Ergebnis gibt es zur Überzeugung des Gerichts für christliche Afghanen keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen mehr gibt (Auswärtiges Amt, a. a. O.).
bb) Der Kläger ist aber nicht in einer seine Identität prägende Weise zum Christentum konvertiert, so dass ihm eine Rückkehr nach Afghanistan ohne die Möglichkeit einer Ausübung der seinen religiösen Überzeugungen entsprechenden Riten in Gemeinschaft zumutbar ist.
Der Kläger hat nach Auskunft des Pfarrers Dr. M... vom 21. Mai 2018 relativ rasch nach seiner Ankunft in Deutschland Ende 2015 Kontakt zur E...-L...-G...-S... gesucht. Nach seiner Angabe hatte ihm ein Freund von dem christlichen Glauben erzählt. Er habe daran Interesse gefunden und einen Religionsunterricht dort von drei Monaten absolviert. Wegen der weiteren Einzelheiten seines Glaubenserwerbs wird auf die o.g. Bescheinigung des Pfarrers verwiesen, die keinen Zweifeln begegnet.
Auch konnte sich das Gericht aus eigener Anschauung ein Bild von den Kenntnissen des Klägers über den christlichen Glauben machen, da er in der mündlichen Verhandlung in der Lage war, nicht nur das Vaterunser, sondern auch das Pfingstfest und Osterfest wie auch die Bedeutung des Begriffs der Vergebung zutreffend wiederzugeben und zu illustrieren. Auch sprach zu seinen Gunsten, dass er den langen Weg von seinem Wohnort zu einem Gottesdienst in der Kirchengemeinde B...-Z... zwei bis drei Mal pro Monat auf sich nimmt. Insofern hat das Gericht keine Zweifel, dass der Kläger sich dem christlichen Glauben zugewandt hat.
Andererseits wurde nicht so recht deutlich, warum er sich aus freien Stücken vom Islam abgewendet hat. Seine hierfür gegebene Begründung erscheint blass und entlehnt. In der Anhörung heißt es im Protokoll hierzu:
„Sie wissen ja, dass Afghanistan ein islamischer Staat ist, wo sehr viel über Islam erzählt und gelehrt wird. Ich hatte innerlich Angst vor Gott und habe den Koran gelesen und viel gebetet, um Gott nahe zu kommen. Ich wollte so den Weg zum Paradies finden. Wir waren damit alle sehr beschäftigt aber wir verstanden nicht, was wir da lasen und um was es da ging. Durch die Ausreise lernte ich einen Freund kennen, der mich mit dem Christentum bekannt gemacht hat. Ich habe mich mit dem Christentum beschäftigen können. Das war in Afghanistan nicht möglich, denn es ist dort verboten. Dadurch wurde mein Interesse geweckt.“
Dass man sich von einem im Kindesalter erworbenen muslimischen Glauben abwendet, weil man nicht verstanden hätte, was man im Koran gelesen hätte und um was es gegangen, erscheint angesichts der damit einhergehenden sozialen Ausschließung schwach motiviert, vage und unglaubwürdig. Gerade weil der Kläger fest im islamischen Glauben stand und er auch wissen musste, was Apostaten droht, wäre eine intensive Auseinandersetzung über die Inhalte zu erwarten, bevor ein endgültiger Bruch droht. Näherliegend ist, dass die Hinwendung zum christlichen Glauben aus anderen Motiven wie der Suche nach Gemeinschaft oder auch asyltaktischen Gründen erfolgt ist. Auch das Ausmaß seiner Aktivitäten in der Kirchengemeinde erreicht nicht solche Dimensionen, von einer widerständigen Überzeugtheit im identitätsprägenden Sinn auszugehen. Er besucht seinen Angaben zufolge monatlich 2 bis 3 Mal den Gottesdienst in Berlin. Anderweitige Aktivitäten sind nicht erkennbar. Auch sind seine Kontakte zu gläubigen Muslimen nicht ganz und gar verloren gegangen, sondern bestehen in gewissem Umfang nach wie vor. Infolgedessen hinterließ der Kläger den Eindruck, sich schon, aber lediglich affirmativ dem christlichen Glauben zugewandt zu haben.
Wenn aber die Hinwendung eher affirmativer Natur gewesen ist, schließt das eine Rückkehr nach Afghanistan nicht aus, denn der Kläger vermag sich ebenso affirmativ wieder seinem ursprünglichen Glauben anzuschließen oder auch ohne innere religiöse Überzeugung dort weiterzuleben. Eine innere Überzeugung, die dem entgegenstünde und eine Rückkehr ohne christlichen Ritus als unzumutbar erscheinen lassen würde, ist in der Person des Klägers nicht erkennbar gewesen.
2.
Der Kläger kann auch nicht den subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG beanspruchen.
a) Dem Kläger droht nach Überzeugung des Gerichts weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG noch droht ihm ein ernsthafter Schaden durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Es fehlt zum einen insoweit bereits an einem individuell glaubhaften Vortrag, denn der Kläger ist nunmehr volljährig und kann sich gegen seinen „Verkauf“ durch den Onkel ohne weiteres zur Wehr setzen. Da der Kläger den christlichen Glauben zur Überzeugung des Gerichts eher affirmativ angenommen hat, ist nicht von einer wegen Apostasie drohenden Todesstrafe auszugehen. Der Kläger wird sich voraussichtlich nicht in Afghanistan zu seinem neu erworbenen Glauben bekennen.
Aber auch die allgemeine Versorgungs- und Sicherheitslage der Zivilbevölkerung in Afghanistan kann im Rahmen der Prüfung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG nicht berücksichtigt werden. Unmenschliche oder erniedrigende Behandlung als in Betracht kommende tatbestandliche Variante setzt im Normbereich des subsidiären Schutzes voraus, dass diese Behandlung von einem der in § 3c AsylG genannten Akteuren ausgeht. Mithin muss sie vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten, ausgehen. Nicht umfasst sind anderweitige Ursachen, die zwar zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen, aber keinem der genannten Akteure zugerechnet werden können. Dies ergibt sich aus der Systematik des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG, der nach seinem Absatz 3 die Geltung der Regelungen zur Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach §§ 3c bis 3e AsylG für den subsidiären Schutz anordnet. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 15b RL 2011/95/EU, dessen Umsetzung die Vorschrift des § 4 AsylG dient. So wird ein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15b RL 2011/95/EU nicht schon dadurch verwirklicht, dass eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf fehlende Behandlungsmöglichkeiten einer Krankheit im Herkunftsstaat zurückzuführen ist, solange die notwendige Versorgung nicht absichtlich verweigert wird. Dies ergibt sich dem Gerichtshof zufolge unter anderem daraus, dass Art. 6 RL 2011/95/EU eine Liste der Akteure enthält, von denen ein ernsthafter Schaden ausgehen kann. Schäden im Sinne des Art. 15 RL 2011/95/EU müssen daher von bestimmten Dritten verursacht werden (EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2014 - C-542/13 -, NVwZ-RR 2015, 158, Rn. 35 und 41; VGH Mannheim, Urteil vom 3. November 2017 - A 11 S 1704/17 - Rn. 73; VG Berlin, Urt. vom 10. Juli 2017 - VG 34 K 197.16 A -, juris Rn. 54; VG Lüneburg, Urteil vom 15. Mai 2017 - 3 A 156/16 -, juris Rn. 51 f.; kritisch Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 4 Rn. 32 mit Hinweis auf die Rsprg. des EGMR).
Daran fehlt es hier, da die humanitäre Notlage in Afghanistan keinem bestimmten Akteur zugerechnet werden kann, sondern neben den jahrzehntelangen Kriegswirren und der daraus resultierenden schlechten Sicherheitslage maßgeblich von der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung Afghanistans sowie den harten klimatischen Bedingungen abhängig ist. Insofern ist nicht festzustellen, dass einem der in Betracht kommenden Akteure ein wesentlicher Beitrag direkt oder indirekt anzulasten wäre und eine Verhaltensänderung zu einer unmittelbaren Verbesserung der Lage führen könnte. Insbesondere wird weder die notwendige medizinische oder humanitäre Ver-sorgung gezielt vorenthalten noch werden all diese Umstände gezielt herbeigeführt.
Daher scheidet die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG in Ermangelung eines tauglichen Akteurs aus.
b) Dem Kläger droht bei Rückkehr nach Afghanistan auch keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in seiner Herkunftsregion, der Provinz Kabul.
Für eine ernsthafte und individuelle Bedrohung ist es nicht ausreichend, dass ein eventueller Konflikt zu einer permanenten Gefährdung der Bevölkerung führt (BVerwG, Urt. vom 13. Februar 2014 - 10 C 6.13 - juris, Rn. 24), sondern es bedarf der Feststellung, dass die Gefahr individuell bezogen auf den Schutzsuchenden besteht. Hierzu bedarf es einer Feststellung zur Gefahrendichte, die jedenfalls auch eine annäherungsweise quantitative Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos umfasst. Dafür ist eine wertende Gegenüberstellung der Einwohnerzahlen des betreffenden Gebietes mit der Anzahl der sicherheitsrelevanten Ereignisse und der Anzahl der Opfer in diesem Gebiet notwendig (BVerwG, Urt. vom 13. Februar 2014, a. a. O.). Dabei sind nicht nur solche Gewaltakte der Konfliktpartei zu berücksichtigen, die gegen humanitäres Völkerrecht verstoßen, sondern alle, durch die Leib und Leben von Zivilpersonen wahllos und ungeachtet ihrer persönlichen Situation verletzt werden (BVerwG, Urt. vom 27. April 2010 - 10 C 409 - juris, Rn. 23 zu der inhaltlich übereinstimmenden Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F.). Hierbei ist in der Regel auf die Herkunftsregion des Ausländers abzustellen, soweit sich dieser nicht bereits vor seiner Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst hat und sich in einem anderen Landesteil auf unabsehbare Zeit niedergelassen hatte (BVerwG, Urt. vom 31. Januar 2013 - 10 C 15/12 - juris, Rn. 13). Die fehlende Wertung der statistischen Betrachtung führt jedenfalls dann nicht zu einem Fehler der Beurteilung, wenn die statistischen Zahlen weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt sind (BVerwG, Urt. vom 17. November 2011 - 10 C 13/10 - juris, Rn. 23). Dabei ist jedenfalls bei einem Opferrisiko von 1 : 800 ( = 0,125 %) noch nicht von einem Überschreiten der relevanten Risikoschwelle und auch noch nicht von einer relevanten Annährung an dieselbe auszugehen (BVerwG, Urt. vom 17. November 2011, a. a. O.; a. A. Stahlmann, Gutachten an das VG Wiesbaden vom 28. März 2018, S. 9 unter Zugrundelegung anderer Parameter). Davon ausgehend, gibt schon die aktuelle statistisch erkennbare Gefahrendichte keinen Anlass zur Annahme, dass der Kläger einer individuellen Gefährdung infolge des bewaffneten Konflikts in seiner Heimat ausgesetzt wäre.
aa) Unter Zugrundelegung der Einwohnerzahlen Afghanistans (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendoku-mentation vom 2. März 2017, in der Fassung der letzten Einfügung vom 25. September 2017, Nrn. 3.1 ff., S. 29 ff) von insgesamt 27.656.245 Personen und einer Gesamtanzahl ziviler Opfer in Afghanistan von 10.453 für das Jahr 2017 laut UNAMA (Afghanistan. Protection of Civilians in Armed Conflict. Annual Report 2017, Februar 2018, S. 1) lässt sich eine landesweite Gesamtwahrscheinlichkeit von 0,037796 Prozent pro Jahr feststellen, dass ein Mensch ein ziviles Opfer willkürlicher Gewalt in Afghanistan wird. Das entspricht einem Verhältnis von 1 : 2645 und liegt damit weit unter dem Schwellenwert von 1 : 800. Im Verhältnis zu den Zahlen aus den vergangenen Jahren lässt sich zwar feststellen, dass die Sicherheitslage in absoluten Zahlen nach wie vor angespannt ist, sich aber im Jahresvergleich leicht verbessert hat. Im Referenzzeitraum 2016 waren von der UNAMA landesweit noch 11.434 und 2015 11.034 Fälle ziviler Opfer gezählt worden.
bb) Auch bezogen auf die Provinz Kabul, aus der der Kläger stammt, lässt sich keine Gefahrenlage feststellen, die eine ernsthafte und individuelle Bedrohung des Klägers nach sich zöge.
Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2. März 2017, in der Fassung der letzten Einfügung vom 25. September 2017, S. 43).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren. Aufständische Gruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren. Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Januar 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen. Am 31. Mai 2017 explodierte eine Autobombe im Kabuler Stadtzentrum, tötete 92 Menschen und verletzte 491 Menschen. Die Taliban bekannten sich zu diesen Vorfällen und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen. In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt. Taliban-Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet. Zusammenstöße zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden regelmäßig statt.
Die Anzahl der Opfer in der Provinz Kabul im Jahr 2017 wird auf 1831 Tote beziffert. Im Verhältnis zur o.g. Provinzbevölkerung beträgt das Verhältnis 1 : 2470 oder 0,0404 Prozent pro Jahr.
Individuell gefahrerhöhende Umstände, Opfer willkürlicher Gewalt in Kabul zu werden, sind in der Person der Kläger darüber hinaus nicht erkennbar, da er ein gesunder junger Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen ist.
3.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
a) Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht, da dem Kläger keine existentielle Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG droht. Auch in diesem Zusammenhang wird auf die obigen Ausführungen zu § 4 AsylG verwiesen, soweit es die Sicherheitslage in Afghanistan betrifft. Die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan stellt ebenfalls keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche und arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (BVerwG, U. v. 31. Januar 2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167; BayVGH, U. v. 12. Februar 2015 – 13a B 14.30309 – juris). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht (U. v. 31. Januar 2013, a.a.O.) die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernsthaft einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen werden kann, weist dies ebenfalls auf die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin (vgl. BayVGH, U. v. 21. November 2014 – 13a B 14.30285 – juris). Eine solche ist bei dem Kläger vorliegend nicht gegeben; besondere Umstände, die vorliegend eine andere Beurteilung gebieten würden, sind nicht ersichtlich.
b) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen an-deren Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölke-rungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine Abschiebestopp-Anordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Dem Kläger droht weder aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in Af-ghanistan noch infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage die erhebliche konkrete Gefahr, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne der verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungswegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den betroffenen Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer einer extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Das Erfordernis des unmittelbaren – zeitlichen – Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung setzt zudem für die Annahme einer extremen Gefahrensituation wegen der allgemeinen Versorgungslage voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann (BayVGH, U. v. 12. Februar 2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 16; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. A. 2016, § 60 AufenthG Rn. 54). Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssten. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U. v. 29. Juni 2010 – 10 C 10.09 – BVerwGE 137, 226).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie weiterer Oberverwaltungsgerichte, zuletzt VGH Mannheim, Urteil vom 11. April 2018 - A 11 S 924/17 - juris, Rn. 336) der sich das erkennende Gericht anschließt, ergibt sich aus den Erkenntnismitteln zu Afghanistan derzeit nicht, dass ein arbeitsfähiger männlicher Rückkehrer zwischen 18 und 40 ohne Unterhaltsverpflichtungen mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach einer Rückkehr in eine derartige extreme Gefahrenlage geraten würde, die eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich als unzumutbar erscheinen ließe. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan schlecht, jedoch ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau nicht anzunehmen, dass bei einer Rückführung nach Afghanistan alsbald der sichere Tod drohen würde oder alsbald schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Der Kläger ist selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen und sich damit zumindest ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren (st. Rspr. vgl. VG Würzburg, U. v. 11. August 2017 unter Verweis auf:, z.B. BayVGH, B. v. 19. Juni 2017 - 13a ZB 17.30400 –, 6. April 2017 – 13a ZB 17.30254 –, 23. Januar 2017 – 13a ZB 17.30044 –, 27. Juli 2016 – 13a ZB 16.30051 –, 15. Juni 2016 – 13a ZB 16.30083 – alle in juris; U. v. 12. Februar 2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 17 m.w.N..; OVG NW, U. v. 3. März 2016 – 13 A 1828/09.A – juris Rn. 73 m.w.N.; SächsOVG, B. v. 21. Oktober 2015 – 1 A 144/15.A – juris; NdsOVG, U. v. 20. Juli 2015 – 9 LB 320/14 – juris; VGH Mannheim, Urteil vom 11. April 2018, a. a. O. Rn. 352). Gerade Rückkehrer aus dem Westen sind dabei in einer vergleichsweisen guten Position. Allein schon durch die erworbenen Sprachkenntnisse sind ihre Chancen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, gegenüber den Flüchtlingen, die in die Nachbarländer Afghanistans geflüchtet sind, wesentlich höher (so auch VG Cottbus, U. v. 22. August 2017 - VG 5 K 2328/16.A, juris Rn. 22 unter Verweis auf: BayVGH, U. v. 12. Februar 2015 a. a. O. Rn. 21).
Auch aus den aktuellsten Erkenntnismitteln ergibt sich nichts anderes. Zwar ist F. Stahlmann in ihrem Gutachten vom 28. März 2018 an das VG Wiesbaden der Ansicht, dass ohne soziales Netzwerk ein Überleben nicht gesichert sei, da die Rückkehrbedingungen prekär seien (Stahlmann, a. a. O. S. 202). Indessen sind den Erkenntnismitteln keine Informationen zu entnehmen, dass allein der Umstand einer Rückkehr aus dem westlichen Ausland einer Existenzsicherung in Kabul entgegenstünde. Zwar lassen sich Einzelfälle nachweisen, wonach junge männliche Rückkehrer ohne Netzwerk von Obdachlosigkeit, Hunger und Krankheit besonders betroffen ist, indessen geben diese Quellen (z. B. UNHCR Richtlinie zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs vom 19. April 2016, S. 10, 99) keinen Anhalt für eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für ein solches gesundheitliches Risiko.
Schließlich bestehen gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
Die Nebenentscheidungen folgen aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG, §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.