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Prozesskostenhilfe - hinreichende Aussicht auf Erfolg - ordnungsgemäße Anhörung - Heilung - Aussetzung des Verfahrens


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 25. Senat Entscheidungsdatum 26.04.2012
Aktenzeichen L 25 AS 1559/11 B PKH ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 24 Abs 1 SGB 10, § 41 Abs 1 Nr 3 SGB 10, § 41 Abs 2 SGB 10, § 73a Abs 1 S 1 SGG, § 114 Abs 2 S 2 SGG, § 114 S 1 ZPO

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 1. August 2011 geändert.

Dem Kläger wird für das Klageverfahren ab dem 7. März 2012 Prozesskostenhilfe ohne Festsetzung von Monatsraten und aus dem Vermögen zu zahlenden Beträgen unter Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten bewilligt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin, in dem sich der Kläger gegen den Bescheid vom 23. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2008 wendet, mit dem der Beklagte seinen Bescheid vom 24. April 2007 über die Bewilligung von Einstiegsgeld für den Zeitraum vom 31. Mai 2007 bis 30. November 2007 zurücknahm und von dem Kläger für die Zeit vom 31. Mai 2007 bis 31. Juli 2007 die Erstattung eines Betrages in Höhe von 621,00 € forderte, ist zulässig (zur Statthaftigkeit bei Unzulässigkeit der Berufung in der Hauptsache vgl. u. a. Beschlüsse des Senats vom 25. Februar 2010 – L 25 B 1474/08 AS PKH – und vom 29. Oktober 2010 – L 25 B 2246/08 AS PKH – jeweils juris) und in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang begründet.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Prozessbeteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht und nicht mutwillig erscheint. Bei der Abwägung, ob einer Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg zukommt, gebietet Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i. V. m. dem in Artikel 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegten Rechtsstaatsgrundsatz und der in Artikel 19 Abs. 4 GG verankerten Rechtsschutzgarantie gegen Akte der öffentlichen Gewalt eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. In der Folge dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überzogen werden, weil das Prozesskostenhilfeverfahren den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bietet, sondern ihn erst zugänglich macht (ständige Rechtsprechung, vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6. Mai 2009 – 1 BvR 439/08 – zitiert nach juris -; vom 14. März 2003 – 1 BvR 1998/02 – in NJW 2003, 2976; vom 7. April 2000 – 1 BvR 81/00 – in NJW 2000, 1936). Damit muss der Erfolg des Rechtsschutzbegehrens nicht gewiss sein; hinreichende Aussicht auf Erfolg ist nur dann zu verneinen, wenn diese nur entfernt oder schlechthin ausgeschlossen ist. Die hinreichende Erfolgsaussicht ist daher gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Ist eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist, muss ebenfalls Prozesskostenhilfe bewilligt werden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, 2012, § 73a, Rn. 7a, b, m. w. N.).

Hiervon ausgehend verspricht die von dem Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg. Denn es spricht viel dafür, dass der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 23. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2008 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Denn der Beklagte dürfte den Kläger vor Erlass des Bescheides nicht nach § 24 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch (SGB X) ordnungsgemäß angehört haben; dieser Mangel dürfte bisher auch nicht nach § 41 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt sein.

Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Die Voraussetzungen für eine Anhörungspflicht dürften vorliegend erfüllt sein, weil der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten in Rechte des Klägers eingreifen und ein Ausnahmetatbestand nach § 24 Abs. 2 SGB X nicht gegeben sein dürfte. Die gebotene Anhörung des Klägers dürfte jedoch (bisher) nicht erfolgt sein. Hierzu dürfte es notwendig sein, dass der Verwaltungsträger dem Betroffenen die entscheidungserheblichen Tatsachen in einer Weise unterbreitet, dass er sie als solche erkennen und sich zu ihnen sachgerecht äußern kann. Dabei dürften als entscheidungserheblich alle Tatsachen anzusehen sein, die zum Ergebnis der Verwaltungsentscheidung beigetragen haben, auf die sich die Verwaltung also zumindest auch gestützt hat (vgl. u. a. Bundessozialgericht – BSG –, Urteil vom 15. August 2002 – B 7 AL 38/01 R –, Urteil vom 9. November 2010 – B 4 AS 37/09 –, Urteil vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 144/10 R –, jeweils juris).

Hiervon ausgehend dürfte eine Anhörung des Klägers vor Erlass des Bescheides vom 23. August 2007 nicht erfolgt sein, wie auch das Sozialgericht ausgeführt hat. Das am 21. August 2007 mit dem Kläger anlässlich eines Vorsprachetermins durchgeführte Beratungsgespräch dürfte den vorstehend dargelegten Anforderungen an eine Anhörung nicht genügen. Nach dem in den Verwaltungsakten befindlichen Beratungsvermerk vom selben Tag spricht zwar einiges dafür, dass der Beklagte dem Kläger am Ende des Beratungsgesprächs auch seine Absicht mitgeteilt hat, das mit dem Bescheid vom 24. April 2007bewilligte Einstiegsgeld „einzustellen“ und „zurückzufordern“, weil der Kläger zuvor erklärt hatte, die selbständige Tätigkeit als Masseur, für die das Einstiegsgeld bestimmt war, nicht aufgenommen zu haben, nachdem der Vermieter der für die Massagepraxis bestimmten Räumlichkeiten bereits am 22. März 2007 den Mietvertrag gekündigt und am 3. April 2007 die Ehefrau des Klägers in den Praxisräumlichkeiten tätlich angegriffen hatte. Keinesfalls lässt sich dem Vermerk jedoch entnehmen, dass der Beklagte dem Kläger die entscheidungserheblichen Tatsachen in einer Weise unterbreitet hätte, dass er sie als solche erkennen und sich zu ihnen sachgerecht hätte äußern können; eine Stellungnahme des Klägers hierzu ist nicht vermerkt. Insoweit dürfte zumindest auch vorauszusetzen sein, dass dem Betroffenen bis zum Erlass des Bescheides eine angemessene Frist gesetzt wird, um sich sachkundig äußern zu können (vgl. BSG, Urteil vom 31. März 1982 – 4 RJ 21/81 –, Urteil vom 26. September 1986 – 2 RU 39/85 –, jeweils juris). Daran dürfte es vorliegend fehlen, zumal der vorliegend streitgegenständliche Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23. August 2007 bereits zwei Tage nach dem Beratungsgespräch vom 21. August 2007 abgefasst worden ist.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts dürfte die fehlende Anhörung auch nicht nach § 41 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 3 SGB X nachgeholt worden sein. Eine entsprechende Heilung dürfte zunächst nicht durch das Widerspruchsverfahren eingetreten sein. Insoweit kann offen bleiben, ob der angegriffene Bescheid vom 23. August 2007 alle entscheidungserheblichen Tatsachen benennt und dem Kläger dadurch Gelegenheit gegeben worden ist, dazu im Widerspruchsverfahren umfassend Stellung zu nehmen. Denn eine nochmalige Anhörung im Widerspruchsverfahren dürfte auch dann geboten sein, wenn die Widerspruchsbehörde ihrer Entscheidung einen anderen Sachverhalt zu Grunde gelegt hat als die Ausgangsbehörde (vgl. BSG, Urteil vom 15. August 2002 - B 7 AL 38/01 R -, juris). So liegt der Fall hier. Denn der Beklagte hat die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 24. April 2007 in seinem Ausgangsbescheid vom 23. August 2007 gestützt auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X maßgeblich damit begründet, dass der Kläger in seinem „Antrag vom 29. Januar 2007 (persönlich abgegeben am 20. April 2007)“ zumindest grob fahrlässig falsche und unvollständige Angaben gemacht habe. Hingegen hat er, nachdem der Kläger mit seinem Widerspruch geltend gemacht hatte, in seinem „Antrag vom 29. Januar 2007“ keine grob fahrlässig falschen und unvollständigen Angaben gemacht zu haben, seinen Widerspruchsbescheid maßgeblich auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X gestützt und zur Begründung ausgeführt, der Kläger hätte wissen müssen, dass mit der Nichtaufnahme der selbständigen Tätigkeit auch kein Anspruch auf Einstiegsgeld bestehe. Zu diesem von dem Beklagten nunmehr zu Grunde gelegten Sachverhalt konnte der Kläger jedoch keine Stellung nehmen.

Eine ordnungsgemäße Anhörung des Klägers hat der Beklagte bisher auch nicht in dem vorliegend zu Grunde liegenden erstinstanzlichen Klageverfahren nachgeholt. Dabei dürfte davon auszugehen sein, dass eine Nachholung der Anhörung während des Gerichtsverfahrens jedenfalls ein entsprechendes „mehr oder minder“ förmliches besonderes Verwaltungsverfahren – gegebenenfalls unter Aussetzung des Gerichtsverfahrens – voraussetzt, in dem die beklagte Behörde dem Kläger in angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen gegeben hat und danach zu erkennen gibt, ob sie nach erneuter Prüfung dieser Tatsachen am bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält. Insoweit dürfte regelmäßig vorauszusetzen sein, dass die Behörde – gegebenenfalls nach freigestellter Aussetzung des Verfahrens gemäß § 114 Abs. 2 Satz 2 SGG – dem Kläger in einem gesonderten „Anhörungsschreiben“ alle Haupttatsachen mitteilt, auf die sie die belastende Entscheidung stützen will, und sie ihm eine angemessene Frist zur Äußerung setzt. Ferner dürfte erforderlich sein, dass die Behörde das Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und sich abschließend zum Ergebnis der Überprüfung äußert (vgl. BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 6/07 –, Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 37/09 R – m. w. N., jeweils juris). Da eine solche Anhörung des Klägers bisher nicht erfolgt ist, kann der von dem Kläger beabsichtigten Rechtsverfolgung die hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden.

Auch die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe sind für den Zeitraum ab 7. März 2012 erfüllt. Insbesondere ist der Kläger nach seinen aktuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht dazu in der Lage, sich auch nur teilweise an den Kosten der Prozessführung zu beteiligen.

Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet. Eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Zeitraum vor dem 7. März 2012 kommt nicht in Betracht, weil der Kläger erst im Beschwerdeverfahren eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben hat und diese nebst erforderlichen Belegen erst am 7. März 2012 mit seinem Schriftsatz vom 5. März 2012 beim Landessozialgericht eingegangen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 118 Abs. 1 Satz 4, 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).