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Entscheidung 3 L 159/10


Metadaten

Gericht VG Potsdam 3. Kammer Entscheidungsdatum 06.09.2010
Aktenzeichen 3 L 159/10 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 2 TierSchG, § 11 TierSchG, § 80 Abs 5 VwGO, § 3 VwVfG, § 49 Abs 2 VwVfG, § 49 Abs 5 VwVfG

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der sinngemäße Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage VG 3 K 1265/10 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 25. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juli 2010 wiederherzustellen,

ist zulässig, aber unbegründet.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung unter Ziff. 2 der Ordnungsverfügung vom 25. März 2010 genügt unter Berücksichtigung der ergänzenden Begründung im Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2010 den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, wonach das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen ist. Der Antragsgegner hat insoweit angeführt, dass eine Fortsetzung der gewerblichen Tätigkeiten der Antragstellerin (Zucht und Handel mit Wirbeltieren) wegen der andauernden Verstöße gegen tierschutz-, tierseuchen- und arzneimittelrechtliche Vorschriften für die Dauer eines Rechtsmittelverfahrens nicht länger hingenommen werden könne und daher dem Tierschutz Vorrang gegenüber den privaten Interessen der Antragstellerin einzuräumen sei. Dies ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.

In materieller Hinsicht überwiegt im Rahmen der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abwägung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Ordnungsverfügung das private Interesse der Antragstellerin an einem Aufschub von Vollzugsmaßnahmen. Bei der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung stellt sich der Widerruf der der Antragstellerin unter dem 7. August 2006 durch das Bezirksamt …. von …. erteilten Erlaubnis, gewerbsmäßig Hunde zu züchten oder zu halten und die Zuchtprodukte zu verkaufen, voraussichtlich als rechtmäßig dar.

Rechtsgrundlage für den Widerruf der genannten Erlaubnis ist - mangels spezialgesetzlicher Rechtsgrundlage im Tierschutzgesetz - § 49 Abs. 2 VwVfG. Danach darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt auch nach Unanfechtbarkeit ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft u. a. nur widerrufen werden, wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde (§ 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG).

Die örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners zum Erlass des Widerrufs dürfte nach § 49 Abs. 5 VwVfG i. V. m. § 3 VwVfG vorliegen. Danach entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts – hier: die Erlaubnis vom 7. August 2006 – über den Widerruf die nach § 3 VwVfG zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zu widerrufende Verwaltungsakt – wie hier durch das Bezirksamt Spandau von Berlin – von einer anderen Behörde erlassen worden ist. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG ist örtlich zuständig in Angelegenheiten, die sich auf den Betrieb eines Unternehmens oder einer seiner Betriebsstätten, auf die Ausübung eines Berufs oder auf eine andere dauernde Tätigkeit beziehen, die Behörde, in deren Bezirk das Unternehmen oder die Betriebsstätte betrieben oder der Beruf oder die Tätigkeit ausgeübt wird oder werden soll. Diese Voraussetzungen dürften zu bejahen sein. Es spricht alles dafür, dass die Antragstellerin – ungeachtet der Abmeldung ihres „Servicebüros Welpenvermittlung“ am 15. September 2009 – weiterhin in …. und damit im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners eine gewerbsmäßige Hundezucht betreibt. Hierfür sprechen die in den Verwaltungsvorgängen abgehefteten Internetanzeigen, mit denen – unter der Handy-Nummer der Antragstellerin – Welpen zum Verkauf angeboten werden, und die schriftliche Zeugenaussage vom 25. März 2010 sowie der polizeiliche Tätigkeitsbericht vom 31. März 2010, aus denen sich ergibt, dass die Antragstellerin unter ihrer Adresse in ... Hunde zum Verkauf anbietet.

Die oben genannten Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG dürften zu bejahen sein. Die Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 TierSchG darf nur erteilt werden, wenn die für die Tätigkeit verantwortliche Person die erforderliche Zuverlässigkeit hat, § 11 Abs. 2 Nr. 2 TierSchG. Der Begriff der Zuverlässigkeit im tierschutzrechtlichen Sinne knüpft an den entsprechenden gewerberechtlichen Begriff an (vgl. Kluge, Tierschutzgesetz, 1. Aufl., § 11 Rdnr. 18 und Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 2. Aufl., § 11 Rdnr. 18). Mangelnde Zuverlässigkeit liegt insbesondere bei groben oder wiederholten Verstößen gegen das Tierschutzgesetz vor (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, a. a. O.; BayVGH München, Beschluss vom 14.07.2008 – 9 CS 08.536, zit. nach juris). Hier ergeben sich aus den veterinärmedizinischen Kontrollberichten gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin in der Vergangenheit mehrfach gegen materielles Tierschutzrecht, insbesondere § 2 TierSchG, verstoßen hat und keine Gewähr dafür bietet, dass sie künftig ihr Gewerbe ordnungsgemäß ausüben wird.

Nach § 2 Nr. 1 TierSchG muss, wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen. Hiergegen hat die Antragstellerin, wie sich aus den veterinärmedizinischen Kontrollberichten ergibt, in der Vergangenheit mehrfach und schwerwiegend verstoßen. Bei der Kontrolle des Tierbestandes am 5. Januar 2010 waren zwei Welpen erkrankt. Aufgrund eines Anrufes bei der Tierärztin am 7. Januar 2010 stellte eine Mitarbeiterin des Antragsgegners fest, dass die Antragstellerin entgegen ihren Angaben beim Kontrolltermin diese Welpen nicht tierärztlich hatte behandeln lassen. Bei der Kontrolle am 2. Januar 2010 wurde eine Verbesserung der Haltungsbedingungen durch Vergrößerung der Ställe und Einrichtung einer Heizung für nötig befunden; die Haltungsbedingungen wurden als unsauber beanstandet. Im Kontrollbericht vom 11. Februar 2010 wird festgehalten, dass ein Beagle-Welpe tot auf dem Fußboden der Garage aufgefunden wurde. Dieses Tier wies Reste von blutigem Durchfall auf, die Totenstarre hatte bereits eingesetzt. Bei der pathologischen Untersuchung stellte das Landeslabor Berlin-Brandenburg fest, dass der tote Welpe an Parvovirose und einer meldepflichtigen Salmonellenerkrankung litt. Die weiteren sechs lebenden Welpen waren, was durch die in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Fotos belegt wird, krank; sie hatten Augen-, Ohren – und Nasenentzündungen. Belege für eine tierärztliche Behandlung konnte die Antragstellerin nicht vorlegen. Die Haltungsbedingungen wurden wiederum als für die Welpenhaltung ungeeignet befunden. Es waren mehrere Kothaufen zu sehen. Zwar wird im Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 2010 ausgeführt, dass bei der letzten Kontrolle am 1. Juli 2010 Schutzhütte und Liegefläche vorhanden gewesen seien und die Haltung sauber erschienen sei (S. 4 des Widerspruchsbescheids). Auch wenn inzwischen bessere Haltungsbedingungen für die Welpen vorliegen, reicht dies allein aus Sicht des Gerichts nicht aus, eine für die Antragstellerin günstige Prognose der Zuverlässigkeit anzunehmen, da sie sich dem Druck des vorliegenden Verfahrens gebeugt hat und nicht mit der erforderlichen Sicherheit angenommen werden kann, dass sich die in der Vergangenheit festgestellten tierschutzwidrigen Vorkommnisse – insbesondere die Vernachlässigung der erforderlichen tierärztlichen Betreuung kranker Welpen – nicht wiederholen werden. Insbesondere die mangelnde Pflege und Betreuung kranker Welpen durch einen Tierarzt dürfte weiterhin die Annahme der Unzuverlässigkeit der Antragstellerin rechtfertigen. Insoweit ist auch zu ihren Lasten zu berücksichtigen, dass sie sich beharrlich weigert, auf bisherige Anforderungen des Antragsgegners ein Zwingerbuch vorzulegen, obwohl ihr die Führung und Haltung eines Zwingerbuchs auf aktuellem Stand durch bestandskräftige Auflage in der Erlaubnis des Bezirksamts … vom 7. August 2006 aufgegeben worden ist. Diese auf der Grundlage von § 11 Abs. 2 a Nr. 1 TierSchG ergangene Auflage soll der Behörde die Überwachung von Herkunft und Verbleib der Tiere ermöglichen. Indem die Antragstellerin den Sinn dieser Auflage in Frage stellt und ihr zuwiderhandelt, hat sie den Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 18 Abs. 1 Nr. 20 TierSchG erfüllt und sich als uneinsichtig und für die gewerbsmäßige Tierzucht unzuverlässig erwiesen.

Ohne den Widerruf dürfte auch das öffentliche Interesse gefährdet sein, vgl. § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG. Der Widerruf erfolgte zur Abwehr einer Gefahr für Leben und Gesundheit der von der Antragstellerin gehaltenen Tiere. Der gesetzliche Tierschutz würde aller Voraussicht nach gefährdet, dürfte die Antragstellerin weiterhin ihre Tätigkeit als gewerbliche Tierzüchterin ausüben.

Der Widerruf dürfte auch ermessensfehlerfrei erfolgt sein. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner, der das ihm zustehende Ermessen erkannt hat, den Widerruf der Erlaubnis vom 7. August 2006 als „zwingend erforderlich“ angesehen hat, um weiteren Verstößen gegen das Tierschutzgesetz vorzubeugen. Mildere, gleich geeignete Mittel zur Wahrung der tierschutzrechtlichen Belange dürften nicht in Betracht kommen.

Auch die unabhängig von der Prüfung der Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten der Antragstellerin aus. Denn der aus Art. 20 a GG ableitbare Auftrag des Staates zum Schutz des Lebens und der Gesundheit von Tieren gebietet es, dass derjenige, der ein Tier hält oder betreut, die Folgen tierschutzrechtlicher Maßnahmen im Sinne von § 16 a TierSchG hinzunehmen hat, wenn hinreichender Anlass zu der Annahme besteht, dass aus der weiteren Haltung oder Betreuung von Tieren durch den oder die Betroffene eine Gefahr für deren angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung resultiert (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3.2.2010 - OVG 5 S 28.09 -, zit. nach juris). Nichts anderes kann für die hier streitige sofortige Vollziehung des Widerrufs einer tierschutzrechtlichen Erlaubnis gelten. Auch insoweit überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Suspensivinteresse der Antragstellerin. Wie oben dargelegt, ergeben sich aus den Verwaltungsvorgängen, insbesondere den Kontrollberichten des Veterinäramtes, zahlreiche Anhaltspunkte für eine Vernachlässigung der Pflege der Welpen durch die Antragstellerin, so dass ernstzunehmende Gefahren für die Gesundheit der von ihr gehaltenen Hunde droht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer hat für den in Streit stehenden Widerruf der Erlaubnis zum gewerbsmäßigen Züchten einen Betrag von 15.000 Euro (vgl. Nr. 54.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004, GewArch 2005, S. 67) in Ansatz gebracht, der im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des vorliegenden Eilverfahrens zu halbieren war.