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Rundfunkänderungsstaatsvertrag; Merkzeichen RF


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat Entscheidungsdatum 14.01.2010
Aktenzeichen L 13 SB 202/07 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 31. Juli 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger die medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „RF“ – Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht – erfüllt.

Bei dem 1938 geborenen Kläger hatte der Beklagte wegen folgender Behinderungen

a) Kinderlähmungsfolgen mit Einschränkung der Muskel- und Nervenfunktionen der unteren Gliedmaßen,

b) Wirbelsäulenfehlhaltung, Torsionsskoliose der Lendenwirbelsäule, Drehgleiten L5, Beckenschiefstand, Funktionsbehinderung beider Knie- und Hüftgelenke bei degenerativen Veränderungen,

c) Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen,

d) Karpaltunnelsyndrom rechts, Behinderung rechtes Schultergelenk,

e) Fettstoffwechselstörung,

einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen "G"), einer außergewöhnlichen Gehbehinderung (Merkzeichen "aG"), der Notwendigkeit ständiger Begleitung (Merkzeichen "B") und der Berechtigung, den besonderen Fahrdienst zu nutzen (Merkzeichen „T“), festgestellt.

Den Antrag des Klägers von Juni 2005 auf Zuerkennung des Merkzeichens „RF“ lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 18. Mai 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 2006 ab.

Die daraufhin erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Gerichtsbescheid vom 31. Juli 2007 als unbegründet abgewiesen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung der medizinischen Voraussetzungen für das Merkzeichen „RF“, da es an einer gültigen Anspruchsnorm fehle. Denn die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht verstoße gegen höherrangiges Bundesrecht.

Mit der Berufung gegen diese Entscheidung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Der Senat hat Befundberichte des Internisten Dr. S vom 29. Februar 2008, des Neurologen Dr. M vom 13. März 2008 und des Facharztes für Physikalische und Rehabilitative Medizin D vom 29. September 2008 eingeholt.

Der Kläger trägt vor, die erhobenen Befunde hätten sich kontinuierlich verschlechtert. Er berichtet, dass er seit einigen Jahren große Probleme mit den Armen habe. Er könne beispielsweise keine Gehhilfen mehr benutzen, weil die Kraft fehle und an beiden Armen Aussetzer im Greifmechanismus aufgetreten seien. Mit seinem behindertengerecht umgebauten Kraftfahrzeug könne er allenfalls bis zum Eingang des Veranstaltungsortes oder auch nur in dessen Nähe fahren. Sein größtes Problem seien das Laufen, Treppen, Schrägen, Unebenheiten. Hierbei müsse er sich voll konzentrieren können.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 31. Juli 2007 und den Bescheid des Beklagten vom 18. Mai 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. August 2006 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, bei ihm das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „RF“ – Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht – festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält seine Entscheidung unter Berufung auf diverse versorgungsärztliche Stellungnahmen für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegen-stand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Er hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihm die gesundheitlichen Merkmale für die Inanspruchnahme des für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erforderlichen Nachteilsausgleichs „RF“ vorliegen (vgl. § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuches, Neuntes Buch - SGB IX -).

Abzustellen ist, da der Kläger den Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens „RF“ im Juni 2005 stellte, auf die Vorschriften des am 1. April 2005 in Kraft getretenen Achten Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Achter Rundfunkänderungsstaatsvertrag) in Verbindung mit § 1 des Berliner Zustimmungsgesetzes vom 27. Januar 2005 (GVBl. S. 82), welches die bis dahin geltende Berliner Verordnung über die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 2. Januar 1992 (GVBl. S. 3) aufhob. Spätere Änderungen, zuletzt im Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag in Verbindung mit § 1 des Berliner Zustimmungsgesetzes vom 2. April 2009 (GVBl. S. 138), haben die hier maßgeblichen Voraussetzungen unberührt gelassen.

Ob diese Vorschriften, wie das Sozialgericht in der angegriffenen Entscheidung gemeint hat, wegen Verstoßes gegen höherrangiges Bundesrecht verfassungswidrig sind, wobei im Hinblick auf Art. 100 GG insbesondere die gerichtliche Verwerfungskompetenz fraglich sein dürfte, kann offen bleiben. Denn der Kläger gehört nicht zu dem Personenkreis des Art. 5 § 6 Abs. 1 Satz 1 des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrags.

Nach der hier allein in Frage stehenden Nr. 8 des Vertrags werden auf Antrag folgende natürliche Personen und deren Ehegatten im ausschließlich privaten Bereich von der Rundfunkgebührenpflicht befreit:

behinderte Menschen, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend wenigstens 80 vom Hundert beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.

Nach Nr. 33 Abs. 2 lit. c (S. 141) der vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen und im Zeitpunkt der Antragstellung durch den Kläger (noch) geltenden „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ in der Fassung des Jahres 2005 (AHP 2005) gehören hierzu:

- behinderte Menschen, bei denen schwere Bewegungsstörungen – auch durch innere Leiden (schwere Herzleistungsschwäche, schwere Lungenfunktionsstörung) – bestehen und die deshalb auf Dauer selbst mit Hilfe von Begleitpersonen oder mit technischen Hilfsmitteln (z.B. Rollstuhl) öffentliche Veranstaltungen in zumutbarer Weise nicht besuchen können,

- behinderte Menschen, die durch ihre Behinderung auf ihre Umgebung unzumutbar abstoßend oder störend wirken (z.B. durch Entstellung, Geruchsbelästigung bei unzureichend verschließbarem Anus praeter, häufige hirnorganische Anfälle, grobe unwillkürliche Kopf- und Gliedmaßenbewegungen bei Spastikern, laute Atemgeräusche, wie sie etwa bei Asthmaanfällen und nach Tracheotomie vorkommen können),

- behinderte Menschen mit – nicht nur vorübergehend – ansteckungsfähiger Lungentuberkulose,

- behinderte Menschen nach Organtransplantation, wenn über einen Zeitraum von einem halben Jahr hinaus die Therapie mit immunsuppressiven Medikamenten in einer so hohen Dosierung erfolgt, dass dem Betroffenen auferlegt wird, alle Menschenansammlungen zu meiden,

- geistig oder seelisch behinderte Menschen, bei denen befürchtet werden muss, dass sie beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen durch motorische Unruhe, lautes Sprechen oder aggressives Verhalten stören.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - sind als öffentliche Veranstaltungen Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern, also nicht nur Ereignisse kultureller Art, sondern auch Sportveranstaltungen, Volksfeste, Messen, Märkte und Gottesdienste (vgl. BSG, Urteil vom 17. März 1982, 9a/9 RVs 6/81, SozR 3870 § 3 Nr. 15 = BSGE 53, 175). Die Unmöglichkeit der Teilnahme an solchen Veranstaltungen kann nur dann bejaht werden, wenn der Schwerbehinderte in einem derartigen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und an das Haus gebunden ist. Mit dieser sehr engen Auslegung soll gewährleistet werden, dass der auch aus anderen Gründen problematische Nachteilsausgleich „RF“ (vgl. insbesondere BSG, Urteile vom 10. August 1993, 9/9a RVs 7/91, in: Breith 1994, S. 230, und vom 16. März 1994, 9 RVs 3/93, bei Juris, das die Auffassung vertritt, es erscheine wegen der nahezu vollständigen Ausstattung aller Haushalte in Deutschland mit Rundfunk- und Fernsehgeräten zunehmend zweifelhaft, dass durch den Nachteilsausgleich „RF“ tatsächlich ein behinderungsbedingter Mehraufwand ausgeglichen werde) nur Personengruppen zugute kommt, die den gesetzlich ausdrücklich genannten Schwerbehinderten (Blinden und Hörgeschädigten) und den aus wirtschaftlicher Bedrängnis sozial Benachteiligten vergleichbar sind.

Der Senat vermag den vorliegenden ärztlichen Äußerungen nicht zu entnehmen, dass der Kläger die geschilderten Voraussetzungen erfüllt. Zwar wurde ihm ein GdB von 100 zuerkannt. Bei ihm bestehen jedoch keine Leiden im Sinne des Art. 5 § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrags, die ihn ständig daran hinderten, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Dokumentiert sind schwere Bewegungsstörungen des Klägers, die im Laufe der Jahre noch zugenommen haben. Allerdings ist es dem Kläger nach Einschätzung des Senats zumutbar, öffentliche Veranstaltungen unter Verwendung eines Rollstuhls und mit Hilfe einer Begleitperson zu besuchen. Hierbei ist unerheblich, dass bestimmte Veranstaltungen für Rollstuhlfahrer nicht geeignet sein mögen. Denn nach Nr. 33 Abs. 2 (S. 142) der AHP 2005, deren Grundsätze auch nach Inkrafttreten des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrags weitergelten, müssen die behinderten Menschen allgemein von öffentlichen Zusammenkünften ausgeschlossen sein. Es genügt nicht, dass die Teilnahme sich an einzelnen, nur gelegentlich stattfindenden Veranstaltungen – bestimmter Art – verbietet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.