Gericht | FG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 26.06.2014 | |
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Aktenzeichen | 5 K 5148/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Der Kläger ist mitverantwortlich für das Programm des gemeinsamen Kinderkanals B… der öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunkanstalten. Zur Erstellung dieses Programms nahm der Kläger seit 2002 Dienste der C… GmbH in Anspruch. Die C… GmbH, handelnd durch ihren Geschäftsführer D…, stellte verabredungsgemäß dem Kläger, handelnd durch den Herstellungsleiter für Produktionen des B… E…, Rechnungen für nicht erbrachte Leistungen unter gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer. Die von dem Kläger beglichenen Rechnungsbeträge beliefen sich nach seinen Ermittlungen auf 6.711.668,05 € einschließlich 996.287,74 € Umsatzsteuer. Da die Rechnungen Projekte betrafen, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrag zuzuordnen waren, war der KIäger nicht vorsteuerabzugsberechtigt. Nachdem der Betrug festgestellt und das Insolvenzverfahren über das Vermögen der C… GmbH eröffnet worden war, forderte der Kläger von dem Beklagten als dem für die Besteuerung der C… GmbH zuständigen Finanzamt die Erstattung der Umsatzsteuerbeträge. Dies lehnte der Beklagte, bestätigt durch Einspruchsentscheidung vom 03.04.2012, ab. Mit Beschluss vom 21.03.2014 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der C… GmbH nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit eingestellt.
Zur Begründung seiner Klage, mit der er die Erstattung von insgesamt 498.143,87 € verfolgt, beruft sich der Kläger auf die Vorschrift des § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO), die im Sinne der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 15.03.2007 (C-35/05 - Reemtsma -) europarechtskonform auszulegen sei. Der EuGH habe dort entschieden, dass für den Fall, dass die Erstattung der Mehrwertsteuer unmöglich oder übermäßig erschwert werde, die Mitgliedstaaten zur Wahrung des Grundsatzes der Effektivität die erforderlichen Mittel vorsehen müssten, die es dem Dienstleistungsempfänger ermöglichten, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet bekommen. Insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Dienstleistungserbringers könne es geboten sein, dass der Dienstleistungsempfänger seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richten könne.
Wirtschaftlich belastet mit der Umsatzsteuer sei nur er - der Kläger -. Zahle der Fiskus die zu Unrecht entrichtete Umsatzsteuer an den insolventen Rechnungsaussteller, die C… GmbH, zurück, gehe sein - des Klägers - Anspruch de facto verloren. Die Zahlungsunfähigkeit des Rechnungsausstellers müsse er - der Kläger - sich jedoch nicht zurechnen lassen. Vielmehr sei die Zurechnung zum Fiskus geboten, da er sich des Rechnungsausstellers als Einnehmer der Umsatzsteuer bediene. Insofern könne es nicht darauf ankommen, dass zwischen ihm - dem Kläger - und dem Beklagten kein Steuerschuldverhältnis bestehe oder bestanden habe oder darauf, dass die Steuern nicht ohne Rechtsgrund, wie dies § 37 Abs. 2 AO vorsehe, gezahlt worden seien. Schließlich bestehe auch keine Gefährdung des Steueraufkommens, da er - der Kläger - keinen Vorsteuerabzug aus den in Rede stehenden Rechnungen vorgenommen habe. Als Anstalt des öffentlichen Rechts sei er nur im Rahmen der Betriebe gewerblicher Art Unternehmer. Die in Rechnung gestellten Projekte seien hingegen im Bereich des öffentlichen Rundfunkauftrags angefallen. Der Verweis des Beklagten auf das Berichtigungsverfahren nach § 14c UStG widerspreche daher der zitierten Rechtsprechung des EuGH.
Hinsichtlich der Höhe des Erstattungsanspruchs werde auf die Feststellungen des Finanzamts F… G… gemäß Aktenvermerk vom 03.11.2010 sowie eigene interne Ermittlungen verwiesen. Das Finanzamt gehe bei einer zu Unrecht ausgewiesenen Umsatzsteuer i. H. v. 1.036.844,65 € davon aus, dass die Hälfte hinterzogen und die andere Hälfte an den Beklagten abgeführt worden sei. Nach seinen eigenen Ermittlungen komme er - der Kläger - auf einen Gesamtbetrag ausgewiesener Umsatzsteuer i. H. v. 996.287,74 €, so dass zumindest die Erstattung des hälftigen Betrages in Höhe von 498.143,87 € begründet sei.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheids vom 24.01.2011 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 03.04.2012 den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 498.143,87 € zu zahlen,
hilfsweise: das Finanzgericht möge die Rechtsfrage, ob vorgetäuschte Umsätze und die in diesem Zusammenhang auf Grund von Scheinrechnungen durch den vermeintlichen Leistungsempfänger entrichtete Umsatzsteuer im Falle der Insolvenz des Rechnungsausstellers und der Uneinbringlichkeit von Rückerstattungsforderungen des vermeintlichen Leistungsempfängers gegenüber dem Rechnungsaussteller unter den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuersystemrichtlinie fallen, dem EuGH zur Klärung vorlegen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, es gebe keine rechtliche Grundlage für einen unmittelbaren Anspruch des Klägers gegen ihn - den Beklagten -. Eine Umsatzsteuererstattung komme nach § 14c UStG erst nach Berichtigung der Rechnungen entsprechend dem dort vorgesehenen Verfahren und nur an die C… GmbH in Betracht.
Schließlich sei nicht feststellbar, ob und in welcher Höhe tatsächlich Umsatzsteuern an ihn - den Beklagten - abgeführt worden sein.
Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung neben der Verfahrensakte und der Akte zum einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein Band Rechtsbehelfsakte und zwei Ordner „Rechnungen“ vorgelegen.
Die Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung von Umsatzsteuern gegen den Beklagten.
§ 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) ist nicht einschlägig. Danach hat in dem Fall, dass eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist, derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, einen Anspruch gegen den Leistungsempfänger auf Erstattung des gezahlten Betrags.
Das Tatbestandsmerkmal „Zahlung ohne rechtlichen Grund“ ist nicht erfüllt, da die C… GmbH mit rechtlichem Grund, nämlich aufgrund der nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG ergangenen Steuerfestsetzung gezahlt hat. Nach dieser Norm schuldet, wer einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt, den ausgewiesenen Steuerbetrag. Die Bestimmung geht zurück auf Art. 203 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL), nach der die Mehrwertsteuer von jeder Person geschuldet wird, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist. Entscheidend ist nach h. M. die formelle Bescheidlage, d. h. der Bescheid ist der Rechtsgrund (Klein/Ratschow, AO 10. Auflage § 37 Rz. 3 mwN). Da die Steuerbescheide gegen die C… GmbH nicht aufgehoben worden sind, ist der Rechtsgrund auch nicht entfallen.
Selbst wenn der Kläger ohne rechtlichen Grund gezahlt hätte oder der Rechtsgrund entfallen wäre, hätte der Kläger keinen Erstattungsanspruch gegen den Beklagten. Die Zahlung ist nämlich nicht auf Rechnung des Klägers, sondern auf Rechnung der C… GmbH bewirkt worden. Dass die Steuern letztlich aus Mitteln des Klägers stammten, ist unmaßgeblich. Da der Erstattungsanspruch die Umkehrung des Steueranspruchs ist, ist erstattungsberechtigt immer der Steuerpflichtige, gegen den der Steuerbescheid ergangen ist (Klein/Ratschow AO § 27 Rz. 11), hier also die C… GmbH.
Auch im Hinblick auf die Reemtsma-Entscheidung des EuGH vom 15.03.2007 lässt sich ein Anspruch des Klägers nicht begründen. Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt ist mit dem hiesigen Streitfall von vornherein nicht vergleichbar, so dass die Entscheidungsgrundsätze nicht übertragbar sind. Der Firma Reemtsma mit Sitz in Deutschland wurde von einem italienischen Unternehmer italienische Mehrwertsteuer berechnet und an den italienischen Fiskus gezahlt. Nachdem festgestellt worden war, dass die Leistungen in Deutschland steuerpflichtig waren, forderte Reemtsma die Steuer von dem italienischen Fiskus zurück. Der EuGH entschied, dass die Grundsätze der Neutralität, der Effektivität und der Nichtdiskriminierung nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, nach denen nur der Dienstleistungserbringer einen Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht gezahlten Mehrwertsteuer gegen die Steuerbehörden hat und der Dienstleistungsempfänger auf eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung gegen den Dienstleistungserbringer beschränkt ist. Nur für den Fall, dass die Erstattung der Mehrwertsteuer unmöglich oder übermäßig erschwert werde, insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Dienstleistungserbringers, müssten die Mitgliedstaaten es dem Dienstleistungsempfänger ermöglichen, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer erstattet zu bekommen.
Hier liegt der Fall ersichtlich anders, denn es wurde weder Umsatzsteuer irrtümlich berechnet noch liegen den Rechnungen tatsächlich erbrachte Leistungen zugrunde. Es handelt sich vielmehr um das kollusive Zusammenwirken der Herren E… und D… zum Nachteil des Klägers, bei dem sich die Beteiligten durch gezielte Scheinrechnungen bewusst außerhalb der nationalen und unionsrechtlichen Mehrwertsteuerregelungen gestellt haben. Dem Kläger, der sich insoweit das Verhalten seines Angestellten zurechnen lassen muss, ist daher die Berufung auf deren Grundsätze des Mehrwertsteuersystems, insbesondere den Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer, verwehrt. Bei zutreffender Lesart des Urteils des EuGH erschließt sich, dass die genannten Rechtsprechungsgrundsätze vor dem Hintergrund einer tatsächlichen erbrachten Dienstleistung zu verstehen sind. Hätte der EuGH jedwede Art von Abrechnungen ungeachtet der diesen zugrundeliegenden Leistungen gemeint, ist davon auszugehen, dass er nicht die Begriffe „Dienstleistungserbringer“ und „Dienstleistungsempfänger“, sondern „Rechnungsaussteller“ und „Rechnungsempfänger“ verwandt hätte. Die Zahlungsunfähigkeit des Dienstleistungserbringers, die der EuGH als Grund für einen unmittelbaren Erstattungsanspruch anerkannt hat und auf die der Kläger sich wesentlich beruft, kann dieser deshalb angesichts der Scheinrechnungen nicht zu seinen Gunsten geltend machen.
Im Übrigen war im Fall Reemtsma die Umsatzsteuer tatsächlich nicht geschuldet, während im Streitfall – wie ausgeführt – die Steuer nach § 14c Abs. 2 Satz 2 geschuldet war und bis zu einer Berichtigung geschuldet ist. Aus diesem Grund ist der Beklagte entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht ungerechtfertigt bereichert.
Unabhängig davon ist schließlich ein Erstattungsanspruch des Klägers auch deshalb nicht gegeben, weil nicht feststeht, dass in der geltend gemachten Höhe tatsächlich Umsatzsteuer an den Beklagten abgeführt wurde. Nach den Feststellungen des Finanzamts F… G… gemäß Aktenvermerk vom 3.11.2010 beruht die Ermittlung der Höhe der hinterzogenen Umsatzsteuer jedenfalls seit August 2006 auf einer Schätzung, da die Umsätze nicht in der offiziellen Buchhaltung der C… GmbH erfasst wurden. Dass die nicht hinterzogenen Steuern vollständig abgeführt wurden, hat das Finanzamt weder festgestellt noch kann dies im Umkehrschluss unterstellt werden.
Das Gericht ist ferner der Auffassung, dass eine Klagestattgabe zu Gunsten des Klägers zwar eine umsatzsteuerliche Neutralität herstellen könnte, die aber den Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung (vgl. nur Stürner in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Auflage 2013, Einleitung, Rn. 62) des Insolvenzrechts verletzen würde. Hätte nämlich die C… GmbH die Rechnungen berichtigt, hätte der Beklagte die entrichtete Umsatzsteuer in die Insolvenzmasse zu zahlen. Der Klägerin stünde hiervon nur ihre Quote zu. Letztlich hat der Kläger Ansprüche aus unerlaubter Handlung gegen Herrn D… und Herrn E…. Der Kläger kann auch nach Abschluss möglicher Insolvenzverfahren gegen Herrn D… und Herrn E… vorgehen, da die Forderung des Klägers von der Restschuldbefreiung ausgenommen sein dürfte (§ 302 Nr. 1 Insolvenzordnung).
Von der Anrufung des EuGH zu der von dem Kläger aufgeworfenen Frage, ob vorgetäuschte Umsätze und darauf beruhende Scheinrechnungen in den Anwendungsbereich der MwStSystRL fallen, sieht das Gericht ab, da die Voraussetzungen für eine Vorlagepflicht nicht vorliegen (Beschluss des BFH vom 6.11.2012 I B 28/12, BFH/NV 2013, 246).
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-.