Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 21.09.2011 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | L 11 SB 164/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 69 Abs 1 SGB 9, § 69 Abs 3 SGB 9, Teil B Nr 15.1 Anl zu § 2 VersMedVÄndV 2 |
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 statt bislang 70.
Der 1960 geborene Kläger betrieb selbständig eine Firma für Rollladen- und Jalousienbau, erlitt am 13. Juli 2001 einen Verkehrsunfall, musste daraufhin aus gesundheitlichen Gründen sein Gewerbe abmelden und bezog zwischenzeitlich eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Februar 2002 bis zum 31. Juli 2003. Derzeit bezieht er Arbeitslosengeld II.
Auf seinen ersten Antrag bei dem Beklagten stellte dieser bei ihm nach Auswertung medizinischer Befunde und Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme vom 7. März 2002 mit Bescheid vom 12. März 2002 einen GdB von 40 wegen Verkehrsunfallfolgen mit Mehrfachverletzungen am rechten Bein, linken Arm sowie Prellungsfolgen im Bauch- und Brustraum fest. In dem Bescheid wurde darauf hingewiesen, dass eine Überprüfung des Gesundheitszustandes im Februar 2003 vorgesehen sei. Auf den hiergegen eingelegten Widerspruch und nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens bei dem Arzt für Orthopädie Dr. V vom 22. Juli 2002 half der Beklagte dem Widerspruch mit Bescheid vom 24. September 2002 insoweit ab, als er einen GdB von 50 ausgehend von den Funktionsbeeinträchtigungen
- Bewegungseinschränkung und Belastungsminderung des rechten Beines nach operativ versorgtem kniegelenknahen Oberschenkelbruch sowie Sprunggelenkbruch rechts (Einzel-GdB: 40) und
- Bewegungseinschränkung beider Ellenbogengelenke nach operativ versorgtem Oberarmbruch rechts sowie Ellenbruch links (Einzel-GdB: 30)
sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) feststellte.
Auf einen im Oktober 2002 gestellten Antrag auf Neufeststellung des GdB stellte der Beklagte nach Auswertung medizinischer Unterlagen und Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme vom 21. Januar 2003 mit Bescheid vom 23. Januar 2003 einen GdB von 60 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ fest. Neben den bereits anerkannten Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigte er dabei auch einen operativen Trikuspidalklappenersatz und eine Herzschrittmachereinpflanzung bei Rhythmusstörungen mit einem Einzel-GdB von 40.
Auf einen erneuten Feststellungsantrag des Klägers vom 29. Dezember 2003 stellte der Beklagte nach Einholung eines ärztlichen Befundberichts bei dem Facharzt für Orthopädie – Chirotherapie/Sportmedizin – Dr. F vom 24. März 2004 und einer gutachtlichen Stellungnahme der Ärztin für Chirurgie Dr. G vom 19. April 2004 mit Bescheid vom 30. April 2004 einen GdB von 70 bei unveränderter Feststellung von Merkzeichen fest. Zusätzlich zu den bereits berücksichtigten Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigte er im Bereich der rechten unteren Gliedmaßen eine Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenks, wobei er insoweit weiter von einem Einzel-GdB von 40 ausging, und ein Lendenwirbelsäulen-Syndrom, eine Bandscheibenvorwölbung L4/5 und einen Bandscheibenvorfall L5/S1 mit einem Einzel-GdB von 20.
Unter Berücksichtigung einer entsprechenden Empfehlung der Ärztin für Chirurgie Dr. G in ihrer Stellungnahme vom 19. April 2004 leitete der Beklagte am 5. Januar 2005 von Amts wegen die Nachprüfung des GdB ein. Der Beklagte holte hierzu einen ärztlichen Befundbericht bei der Fachärztin für Innere Medizin Dr. P vom 18. März 2005, ergänzt am 20. April 2005, eine gutachtliche Stellungnahme der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. H vom 5. April 2005 sowie ein ärztliches Gutachten bei dem Arzt für Innere Medizin und Psychotherapeuten Dr. T vom 23. Mai 2005 ein. Letztgenannter stellte in seinem Gutachten außer den bereits berücksichtigten Funktionsbeeinträchtigungen eine Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks mit einem den Gesamt-GdB von 70 nicht erhöhenden Einzel-GdB von 10 fest. Mit Bescheid vom 2. Juni 2005 stellte der Beklagte einen GdB von 70 bei unveränderter Feststellung von Merkzeichen ausgehend von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen fest:
- Bewegungseinschränkung und Belastungsminderung des rechten Beines nach operativ versorgtem kniegelenknahen Oberschenkelbruch sowie Sprunggelenkbruch rechts, Bewegungseinschränkung rechtes Kniegelenk (Einzel-GdB: 40),
- operativer Trikuspidalklappenersatz und Herzschrittmachereinpflanzung bei Rhythmusstörungen (Einzel-GdB: 40),
- Bewegungseinschränkung beider Ellenbogengelenke nach operativ versorgtem Oberarmbruch rechts sowie Ellenbruch links (Einzel-GdB: 30),
- Lendenwirbelsäulen-Syndrom, eine Bandscheibenvorwölbung L4/5 und einen Bandscheibenvorfall L5/S1 (Einzel-GdB: 20),
- Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks (Einzel-GdB: 10).
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2005 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 6. Juli 2005 Klage erhoben, mit der er begehrt hat, bei ihm einen GdB von mindestens 80 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ (außergewöhnlich gehbehindert) festzustellen.
Zwischenzeitlich hatte der Kläger gegen einen Bescheid der Landesversicherungsanstalt Berlin vom 29. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2003 Klage beim Sozialgericht Berlin mit dem Begehren, ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auch über den 31. Juli 2003 hinaus zu bewilligen (Aktenzeichen beim Sozialgericht ), erhoben. In diesem Klageverfahren holte das Sozialgericht Befundberichte bei dem Facharzt für Orthopädie – Chirotherapie/Sportmedizin – Dr. F vom 20. Februar 2004 und der Fachärztin für Innere Medizin Dr. P vom 12. März 2004 ein und erhob sodann Beweis durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens des Facharztes für Orthopädie Dr. H vom 23. Juni 2004, der nach ambulanter Untersuchung des Klägers diagnostizierte:
1. Polytraumatisierung am 13. Juli 2001 mit Ulna-Fraktur links mit funktionell mäßigem Ergebnis nach Ausbildung von Brückenkallus,
2. supracondyläre Humerusfraktur rechts mit funktionell gutem Ergebnis,
3. Navicularefraktur des rechten Fußes mit Ausbildung einer posttraumatischen Arthrose und Naviculare-Nekrose,
4. supracondyläre Femurfraktur rechts mit funktionell gutem Ergebnis,
5. Bandscheibenprolaps L5/S1,
6. Trikuspidalklappenausriss,
7. Trikuspidalklappenersatz am 5. Juni 2002,
8. Zustand nach Herzschrittmachertransplantation,
9. Adipositas.
Auf einen Antrag nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) holte das Sozialgericht in dem Rentenverfahren des Weiteren ein fachorthopädisches Gutachten bei dem Facharzt für Orthopädie und Chirotherapeuten G vom 23. Mai 2005 (Eingang beim Sozialgericht) ein, in dem dieser nach ambulanter Untersuchung des Klägers diagnostizierte:
1. Posttraumatische Komplexinstabilität des rechten Kniegelenks bei Zustand nach offener supracondylärer Femurtrümmerfraktur rechts, beginnende Gonarthrose rechts,
2. posttraumatische Arthrose des rechten hinteren und vorderen Sprunggelenkes nach Luxationsfraktur im Chopart-Gelenk rechts,
3. posttraumatische Streckhemmung des rechten Ellenbogengelenks nach supracondylärer offener Humerustrümmerfraktur mit Gelenkbeteiligung,
4. posttraumatische Ankylose der Pro-/Supination des linken Unterarms bei heterotoper Ossifikation der Membrana interossea nach Verplattung einer Ulnaschaftfraktur links,
5. Zustand nach Trikuspidalklappenersatz mit kardiorespiratorischer Insuffizienz, Marcumarisierung zur Herabsetzung der Blutgerinnung,
6. Zustand nach Herzschrittmacherimplantation wegen AV-Block Grad 3,
7. Zustand nach Herniotomie der Bauchwand mit Netzeinlage und verbliebener Rectusdiastase und Bauchwandschwäche,
8. Impingementsyndrom beider Schultergelenke bei Muskelfunktionsstörungen der Schultergürtelmuskulatur,
9. chronisch rezidivierendes lumbales Pseudoradikulärsyndrom bei arthromuskulären Dysbalancen,
10. chronifizierte Schmerzkrankheit Grad 1 nach Gerbershagen.
Zu dem Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Chirotherapeuten G holte das Sozialgericht in dem Rentenverfahren eine ergänzende gutachtliche Stellungnahme von Dr. H vom 12. Oktober 2005 und im Anschluss daran ein internistisch-kardiologisch-angiologisches Gutachten bei dem Facharzt für Innere Medizin, Kardiologen und Angiologen Dr. S vom 17. Februar 2006 ein, der nach ambulanter Untersuchung des Klägers für sein Fachgebiet diagnostizierte:
- Zustand nach Trikuspidalklappenersatz mit einer mechanischen Prothese vom Typ St. Jude medical mit einem Klappendurchmesser von 33mm (SJM 33 mm) am 5. Juni 2002 bei Zustand nach traumatisch bedingtem kompletten Ausriss des lateralen Trikuspidalsegels bei Zustand nach Polytrauma 2001; Zustand nach Rechtsherzdekompensation vor Klappenersatz, aktuell Rekompensation; dauerhafte orale Antikoagulation bei Zustand nach Klappenersatz. Zustand nach Thrombose der mechanischen Trikuspidalklappe (2003 im Rahmen einer Pause der oralen Antikoagulation zur Entnahme einer Muskelbiopsie) mit erfolgreicher Urokinaselyse,
- Zustand nach Schrittmacherimplantation mit einem DDDR-Schrittmacher mit transvenöser linksventrikulärer Sonde am 10. Juni 2002 bei postoperativ eingetretenem AV-Block III°.
Durch Urteil vom 15. Februar 2007 wies das Sozialgericht die auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gerichtete Klage ab. In dem anschließenden Berufungsverfahren (Aktenzeichen ) holte das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Befundberichte bei dem Chefarzt der Inneren Abteilung des E Krankenhauses , B, Dr. F vom 11. Juli 2009, dem Chefarzt der chirurgischen Abteilung des W Krankenhauses Dr. R vom 4. November 2009 und der C vom 16. November 2009 ein. Am 22. November 2009 nahm der Kläger die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Februar 2007 zurück.
Im hiesigen schwerbehindertenrechtlichen Verfahren hat der Kläger einen Kurzbefund des Orthopäden Dr. F vom 10. August 2005 vorgelegt. Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt bei der Fachärztin für Innere Medizin Dr. P vom 1. Februar 2006, dem Facharzt für Orthopädie – Chirotherapie/Sportmedizin – Dr. F vom 8. Februar 2006 und von Prof. Dr. F vom D vom 10. Februar 2006.
Der Beklagte hat versorgungsärztliche Stellungnahmen vorgelegt, und zwar internistische Stellungnahmen der Fachärztin für Innere Medizin R vom 23. August 2005 und vom 9. Juni 2006, eine gutachtliche Stellungnahme des Facharztes für Physiotherapie Dr. S vom 15. Dezember 2005 sowie eine fachchirurgische Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie und Sozialmediziners Dr. B vom 6. Juni 2006.
Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Berlin vom 16. Januar 2007 erklärt, die Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ im hiesigen gerichtlichen Verfahren nicht mehr weiter zu verfolgen und sein Klagebegehren auf die Zuerkennung eines GdB von 80 beschränkt. Diese Klage hat das Sozialgericht, das außerdem die Gerichtsakte des Sozialgerichts Berlin beigezogen hat, durch Urteil vom 16. Januar 2007 abgewiesen. Ein höherer GdB als 70 liege nicht vor. Für das Schulterleiden sei für den Zeitraum von März 2005 bis Januar 2006 ein Einzel-GdB von 20, dann wahrscheinlich nur noch von 10 angemessen. Das Herzleiden sei mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Denn Berichte des D hätten ausgewiesen, dass dem Kläger eine Belastung bis 75 Watt möglich sei, so dass der Bewertungsrahmen von 20 bis 40 hier nicht auszuschöpfen sei. Im Übrigen bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die Leiden des Klägers von dem Beklagten unrichtig bewertet worden seien.
Gegen das ihm am 26. Februar 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19. März 2007 Berufung eingelegt, mit der er begehrt hat, bei ihm ab dem 1. August 2003 einen GdB von 80 festzustellen. Der Senat hat Befundberichte bei dem Facharzt für Orthopädie – Chirotherapie/Sportmedizin – Dr. F vom 25. Februar 2009, der Fachärztin für Innere Medizin Dr. P vom 9. März 2009 und dem Neurologen Dr. H vom 30. März 2009 nebst Anlagen eingeholt.
Der Kläger hat seine Berufung mit Schriftsatz vom 31. Januar 2011 erstmals begründet und unter anderem ausgeführt, bei ihm lägen erhebliche orthopädische Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere der Lendenwirbelsäule, vor. Der „Schulterbereich beider Schultern [sei] nicht ausreichend berücksichtigt worden“. Auch seine psychische Situation sei nicht berücksichtigt worden. Der Kläger hat einen Befundbericht des D vom 7. Oktober 2009 und einen Arztbrief des Röntgeninstituts M, vom 8. Juli 2009 eingereicht.
In einem Erörterungstermin vor dem ehemaligen Berichterstatter am 10. Februar 2011 hat der Kläger sein Begehren auf die Zeit ab dem 5. Januar 2005 beschränkt. In diesem Termin hat der Kläger einen Befundbericht des D vom 30. September 2010 und einen Arztbrief der Radiologischen Gemeinschaftspraxis vom 8. Juni 2010 eingereicht.
Der Beklagte hat, ohne dass er oder der Kläger den Senat darüber in Kenntnis gesetzt haben, den Kläger nochmals begutachten lassen. In dem aufgrund ambulanter Untersuchung vom 21. März 2011 erstellten Gutachten vom 3. April 2011 hat der Arzt für Innere Medizin und Psychotherapeut Dr. T die mit Bescheid vom 2. Juni 2005 festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen im Wesentlichen und den Gesamt-GdB mit 70 vollumfänglich bestätigt. Er hat allerdings die Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks nicht mehr als eigenständige Behinderung anerkannt, sondern stattdessen eine Funktionsbehinderung beider Schultergelenke in die Funktionsbeeinträchtigungen der oberen Gliedmaßen integriert, dabei aber den Einzel-GdB insoweit weiterhin mit 30 bewertet. Im Übrigen hat er einen Diabetes mellitus mit einem Einzel-GdB von 10 aufgeführt.
Der Senat hat im Anschluss an den Erörterungstermin Befundberichte des Facharztes für Orthopädie – Chirotherapie/Sportmedizin – Dr. F vom 1. März 2011 und der Fachärztin für Innere Medizin Dr. P vom 15. März 2011 eingeholt sowie Beweis erhoben durch Einholung eines chirurgischen und sozialmedizinischen Sachverständigengutachtens bei dem Chirurgen und Sozialmediziner Dr. B vom 26. Mai 2011, der nach ambulanter Untersuchung des Klägers festgestellt hat, dass bei diesem ein GdB von 70 ausgehend von folgenden Einzel-GdB vorliege:
- Bewegungseinschränkungen und Belastungsminderung des rechten Beines bei Zustand nach operativ versorgtem kniegelenksnahen Oberschenkelbruch sowie operativer Versorgung einer Fußwurzelfraktur (Navikularefraktur) rechts; verbleibende Bewegungseinschränkungen im rechten Kniegelenk (Einzel-GdB: 40),
- Bewegungseinschränkungen beider Ellenbogengelenke nach operativ versorgtem Oberarmbruch rechts sowie Ellenbruch links (Einzel-GdB: 30),
- Lendenwirbelsäulensyndrom, Bandscheibenvorwölbung L4/L5 mit Neigung zu Lumbalgien bei Bandscheibenvorfall L5/S1, Ausschluss einer Nervenwurzelreizsymptomatik (Einzel-GdB: 20),
- operativer Trikuspidalklappenersatz, Herzschrittmacherimplantation bei Herzrhythmusstörungen (Einzel-GdB: 40),
- Zuckerstoffwechselstörung (Diabetes mellitus) (Einzel-GdB: 10).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 2007 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 2. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2005 zu verpflichten, ab dem 5. Januar 2005 für den Kläger einen Grad der Behinderung von 80 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist zur weiteren Begründung auf die von ihm im Berufungsverfahren vorgelegten internistischen Stellungnahmen der Fachärztin für Innere Medizin und Sozialmedizinerin R vom 17. April 2009 und vom 19. April 2011 sowie fachchirurgischen Stellungnahmen der Fachärztin für Chirurgie Dr. P vom 11. Mai 2009 und vom 13. April 2011.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, die Gerichtsakte des Sozialgerichts Berlin sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Die Berufung, mit der der Kläger noch für die Zeit ab dem 5. Januar 2005 die Feststellung eines GdB von 80 begehrt, ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend.
Die mit der Berufung weiterverfolgte Klage ist zulässig. Insbesondere liegt für den hier streitigen Zeitraum auch eine Verwaltungsentscheidung des Beklagten vor. Denn der Bescheid vom 2. Juni 2005 erging von Amts wegen aufgrund einer von dem Beklagten am 5. Januar 2005 eingeleiteten Nachprüfung auch des GdB, so dass der Beklagte mit dem genannten Bescheid jedenfalls die Zeit ab Beginn der Nachprüfung verbeschieden hat.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn der Bescheid des Beklagten vom 2. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines GdB von mehr als 70 ab dem 5. Januar 2005 liegen nicht vor. Denn eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die die Zuerkennung eines GdB von 80 rechtfertigt, liegt nicht vor (§ 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch).
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Bei der Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sind für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 (grundsätzlich) die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (vormals Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung) herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in ihrer jeweils geltenden Fassung (hier maßgeblich Ausgaben 2005 und 2008 – AHP 2005 und 2008) zu beachten, die gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 durch die in der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG - Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I Seite 2412) festgelegten „versorgungsärztlichen Grundsätze“ abgelöst worden sind, die inzwischen ihrerseits durch die Verordnungen vom 1. März 2010 (BGBl. I Seite 249), 14. Juli 2010 (BGBl. I Seite 928) und 17. Dezember 2010 (BGBl. I Seite 2124) Änderungen erfahren haben. Die AHP sind zwar kein Gesetz und sind auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen worden. Es handelt sich jedoch bei ihnen um eine auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhende Ausarbeitung im Sinne von antizipierten Sachverständigengutachten, die die möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe im gesamten Bundesgebiet zum Ziel hat. Die AHP engen das Ermessen der Verwaltung ein, führen zur Gleichbehandlung und sind deshalb auch geeignet, gerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegt zu werden. Gibt es solche anerkannten Bewertungsmaßstäbe, so ist grundsätzlich von diesen auszugehen (vgl. z. B. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 18. September 2003 - B 9 SB 3/02 R -, bestätigt in BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 SB 4/10 R – beide bei juris), weshalb sich auch der Senat für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 grundsätzlich auf die genannten AHP stützt. Für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 ist demgegenüber für die Verwaltung und die Gerichte im Grundsatz die zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretene Anlage zu § 2 VersMedV maßgeblich, mit der die in den AHP niedergelegten Maßstäbe weitgehend nur mit redaktionellen Anpassungen in eine normative Form gegossen worden sind, ohne dass die bisherigen Maßstäbe inhaltliche Änderungen erfahren hätten.
Einzel-GdB sind entsprechend den genannten Maßstäben als Grad der Behinderung in Zehnergraden entsprechend den Maßstäben des § 30 Abs. 1 BVG zu bestimmen. Für die Bildung des Gesamt-GdB bei Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen sind nach § 69 Abs. 3 SGB IX die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich nach Teil A Nr. 3 a) der Anlage zu § 2 VersMedV (Seite 10; ebenso bereits Teil A Nr. 19 AHP 2005 und 2008, Seite 24 ff.) die Anwendung jeglicher Rechenmethode verbietet. Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen der einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von einer Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Grad 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden, wobei die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden dürfen. Leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB-Grad von 10 bedingen, führen grundsätzlich nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung; auch bei leichten Funktionsstörungen mit einem GdB-Grad von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d) aa) – ee) der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 10; ebenso zuvor AHP 2005 und 2008 Teil A Nr. 19 Abs. 1, 3 und 4, Seite 24 ff.).
Der GdB bei dem Kläger ist ab dem 5. Januar 2005 mit 70 angemessen bewertet. Dies folgt aus einer Gesamtschau der vorliegenden medizinischen Unterlagen und hier vor allem aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. B, der den Kläger am 25. Mai 2011 eingehend körperlich untersucht hat und nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt ist, dass bei dem Kläger ein GdB von 70 vorliegt. Für die bei dem Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen gilt hier Folgendes:
Im Vordergrund steht aus Sicht des Senats die Behinderung seitens des Herz-Kreislaufsystems, die hier mit einem Einzel-GdB von 40 angemessen bewertet ist. Deren Bewertung richtet sich nach Teil B Nr. 9 der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 46 ff., und Teil A Nr. 26.9 AHP 2005 und 2008, Seite 71 ff. Für die Bemessung des GdB ist weniger die Art einer Herz- oder Kreislaufkrankheit maßgeblich als die [dieser Einschub ist nur in den AHP 2005 und 2008 enthalten: je nach dem vorliegenden Stadium des Leidens unterschiedliche] Leistungseinbuße. Bei der Beurteilung des GdB ist zunächst [nur in den AHP 2005 und 2008 enthalten: grundsätzlich] von dem klinischen Bild und von den Funktionseinschränkungen im Alltag auszugehen. Ergometerdaten und andere Parameter stellen [nur in den AHP 2005 und 2008 enthalten: lediglich] Richtwerte dar, die das klinische Bild ergänzen. Elektrokardiographische Abweichungen allein gestatten [nur in den AHP 2005 und 2008 enthalten: in der Regel] keinen Rückschluss auf die Leistungseinbuße. In der GdB-Tabelle (in der Anlage zu § 2 VersMedV unter Teil B Nr. 9.1.1) wird dann für Krankheiten des Herzens je nach Einschränkung der Herzleistung unter anderem ein
- GdB von 0 bis 10, wenn keine wesentliche Leistungsbeeinträchtigung (keine Insuffizienzerscheinungen wie Atemnot, anginöse Schmerzen) selbst bei gewohnter stärkerer Belastung (z. B. sehr schnelles Gehen [7-8 km/h], schwere körperliche Arbeit) und keine Einschränkung der Sollleistung bei Ergometerbelastung vorliegen;
- GdB von 20 bis 40, wenn eine Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung (z.B. forsches Gehen [5-6 km/h], mittelschwere körperliche Arbeit) auftritt und bei Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten);
- ein GdB von 50 bis 70, wenn eine Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung (z.B. Spazierengehen [3-4 km/h], Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte körperliche Arbeit) auftritt und bei Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 50 Watt (wenigstens 2 Minuten)
genannt.
Nach Teil B Nr. 9.1.2 der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 48, und Teil A Nr. 26.9 AHP 2005 und 2008, Seite 72, ist nach operativen und anderen therapeutischen Eingriffen am Herzen der GdB von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig. Bei Herzklappenprothesen ist der GdB nicht niedriger als mit 30 zu bewerten; dieser Wert schließt eine Dauerbehandlung mit Antikoagulantien ein. Herzrhythmusstörungen sind nach Teil B Nr. 9.1.6 der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 48, und Teil A Nr. 26.9 AHP 2005 und 2008, Seite 73, vor allem nach der Leistungsbeeinträchtigung des Herzens zu beurteilen. Anfallsweise auftretende hämodynamisch relevante Rhythmusstörungen (z. B. paroxysmale Tachykardien) sind je nach Häufigkeit, Dauer und subjektiver Beeinträchtigung bei fehlender andauernder Leistungsbeeinträchtigung des Herzens mit einem GdB von 10 bis 30, bei bestehender andauernder Leistungsbeeinträchtigung des Herzens entsprechend zusätzlich und nach Implantation eines Herzschrittmachers mit einem GdB von 10 zu bewerten.
Nach Maßgabe der genannten Grundlagen ist bei dem mit einem Trikuspidalklappenersatz und einem Herzschrittmacher versorgten Kläger von einer Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung auszugehen, die mit einem GdB von 40 angemessen bewertet ist. Eine Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung liegt bei dem Kläger dagegen durchgehend seit Januar 2005 nicht vor. So wird in einem Arztbrief des D vom 9. Mai 2005 eine Belastbarkeit des Klägers bis 75 Watt mit leicht hypertensiven Blutdruckwerten mitgeteilt. Bei der Begutachtung durch Dr. T am 18. Mai 2005 hat der Kläger über eine Belastungsdyspnoe nach zwei Etagen Treppensteigen geklagt. Im internistisch-kardiologischen Gutachten von Dr. S vom 17. Februar 2006 wird sogar ein negatives Belastungs-EKG bis 100 Watt bei normalem Blutdruck- und Frequenzverhalten mitgeteilt, wobei der Abbruch des Belastungs-EKG nicht wegen kardiologischer, sondern wegen Kniebeschwerden erfolgte. Insgesamt beurteilte Dr. S die Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit als leicht- bis mittelgradig eingeschränkt. In einem Arztbrief des D vom 26. September 2008 heißt es in der Anamnese, der Kläger berichte im Wesentlichen über eine kardiale Beschwerdefreiheit, insbesondere seien die Fragen nach pectanginösen Beschwerden, Dyspnoe, Schwindel oder dem Auftreten von Synkopen verneint worden. Berichtet habe der Kläger über einen gelegentlich auffälligen verstärkten Herzschlag bei insgesamt herabgesetzter Belastbarkeit mit notwendigen Pausen nach einstündiger körperlicher Anstrengung. Beim Belastungs-EKG wurde danach die kardiale Ausbelastung nicht erreicht, der Abbruch sei wegen der Kniebeschwerden des Klägers erfolgt. Nach dem Arztbrief des D vom 7. Oktober 2009 berichtete der Kläger über eine wechselnde körperliche Leistungsfähigkeit. Phasenweise verspüre er nach zwei Etagen Treppensteigen eine Dyspnoe, meist könne er seine Wohnung in der 3. Etage problemlos erreichen. Angina pectoris kenne er nicht, Synkopen habe er noch nicht gehabt, selten verspüre er eine Schwindelsymptomatik aus der Ruhe heraus mit einem Tinnitus. Werte einer Fahrradergometrie konnten in dem letztgenannten Arztbrief nicht mitgeteilt werden, da eine solche wegen der Knieschmerzen des Klägers nicht möglich war. Bei weitgehend normalen Untersuchungsbefunden unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers lässt sich aber auch hier nur eine Leistungsbeeinträchtigung bei mittelschwerer Belastung erkennen. Im letzten aktenkundigen Arztbrief des D vom 30. September 2010 wird in der Anamnese zwar mitgeteilt, dass der Kläger von einer schnelleren Erschöpfung bei körperlicher Belastung im Vergleich zur letzten Vorstellung berichtet habe. Er hat allerdings auch erklärt, dass er (erst) nach eineinhalb bis zwei Etagen Treppensteigen wegen Dyspnoe pausieren müsse, so dass trotz dieser Verschlechterung bei normaler Herzfunktion in der Echokardiographie und im Übrigen weitgehend unauffälligen kardiologischen Befunden noch nicht von einer Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung auszugehen ist, was auch durch das (zweite) Gutachten von Dr. T vom 3. April 2011 bestätigt wird, in dem der Kläger eine Belastungsdyspnoe nach eineinhalb Etagen mitgeteilt hat. Auch der Sachverständige Dr. B geht schließlich in seinem Gutachten von einem Einzel-GdB für den kardiologischen Beschwerdekomplex von 40 aus. Diese Beurteilung ist bei den mitgeteilten Befunden nachvollziehbar. So hat der Sachverständige Dr. B einen regelmäßigen Puls von 60 Schlägen je Minute gemessen; der Blutdruck betrug rechts wie links 120/70 mmHg und war damit ebenfalls unauffällig. Hinweise für ein schweres Orthostase-Syndrom – also das Vorliegen einer bei Wechsel in die aufrechte Körperlage (Orthostase) auftretenden Regulationsstörung des Blutdrucks – hat der Sachverständige nicht feststellen können. Entsprechendes gilt für kardiale Dekompensationserscheinungen sowie eine Belastungsdyspnoe. Pectanginöse Beschwerden hat der Kläger auch nicht mitgeteilt, der im Übrigen in der Beschwerdeschilderung gegenüber dem Sachverständigen Dr. B eindeutig die orthopädischen Beschwerden in den Vordergrund gerückt hat. Neben den demnach mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewertenden Erkrankungen des Herzens sind die Herzrhythmusstörungen bei Implantation eines Herzschrittmachers allenfalls mit einem den Gesamt-GdB nicht erhöhenden Einzel-GdB von 10 zu bewerten.
Weiter sind hier die Funktionsbeeinträchtigungen der rechten unteren Gliedmaßen mit einer Art „kleinem Gesamt-GdB“ von durchgehend allerhöchstens 40 zu bewerten, was sich insbesondere aus den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Dr. B ergibt. Bewegungseinschränkungen im Kniegelenk sind nach Teil B Nr. 18.14 der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 100, und Teil A Nr. 26.18 AHP 2005 und 2008, Seite 126, wie folgt zu bewerten:
- geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 0-0-90) einseitig mit 0 bis 10 und beidseitig mit 10 bis 20,
- mittleren Grades (z. B. Streckung/Beugung 0-10-90) einseitig mit 20 und beidseitig mit 40,
- stärkeren Grades (z. B. Streckung/Beugung 0-30-90) einseitig mit 30 und beidseitig mit 50.
Ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (z. B. Chondromalacia patellae Stadium II-IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen, einseitig, sind ohne Bewegungseinschränkung mit 10 bis 30 und mit Bewegungseinschränkung mit 20 bis 40 zu bewerten.
Hier hat der Sachverständige Dr. B nach der Neutral-Null-Methode links (0°-0°-140°) wie rechts (0°-0°-130°) - identische Werte wurden auch schon in dem Gutachten von Dr. H vom 23. Juni 2004 mitgeteilt - völlig unauffällige Bewegungsausmaße festgestellt. Die Beugung und Streckung war danach in beiden Kniegelenken nicht eingeschränkt, die Knochen- und Bandführung in beiden Kniegelenken stabil. Das mediale und laterale Seitenband war links wie rechts intakt und fest, die Kreuzbandfunktion war beidseits intakt, ein vorderes oder hinteres Schubladenphänomen hat sich nicht auslösen lassen, die Meniskuszeichen waren links wie rechts negativ. Berücksichtigt man schließlich, dass nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. B ein Kniegelenkserguss weder im rechten noch im linken Kniegelenk vorlag und der mediale und laterale Kniegelenkspalt links wie rechts nicht druckdolent war, ist eine Bewertung der Funktionsbeeinträchtigungen des rechten Kniegelenks mit einem Einzel-GdB von 30 nur deshalb (knapp) angemessen, weil der Sachverständige Dr. B am rechten Kniegelenk einen deutlich pathologischen Befund bei schlechter Beweglichkeit der rechten Kniescheibe erhoben hat und der Kläger offenbar unter Knieschmerzen leidet. Ein höherer Einzel-GdB als 30 war für die Beschwerden des rechten Kniegelenks auch in der Vergangenheit nicht festzustellen. Denn soweit der Arzt G in seinem Gutachten vom 23. Mai 2005 bei Bewegungseinschränkung geringen Grades (10°-0°-110°) festgestellt hat, dass das rechte Knie bei Palpation deutlich geschwollen war mit Reizerguss und retropatellarem Kompressionsschmerz und deutlichem hinteren Schubladenphänomen, war mit diesen Befunden ein Einzel-GdB von 30 leichter zu rechtfertigen als aktuell, kam aber eine Bemessung mit einem höheren Einzel-GdB nicht in Betracht.
Im oberen und unteren Sprunggelenk - ein Sprunggelenksbruch lag nach den überzeugenden und mit den Darlegungen von Dr. H übereinstimmenden Ausführungen von Dr. B bei dem Kläger nie vor - hat Dr. B einen völlig unauffälligen Befund erhoben und insbesondere auch normale Bewegungsausmaße festgestellt, so dass ein GdB aktuell insoweit überhaupt nicht festgestellt werden kann (vgl. Teil B Nr. 18.14 der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 101, und Teil A Nr. 26.18 AHP 2005 und 2008, Seite 127). Soweit Dr. H in seinem Gutachten vom 23. Juni 2004 eine Bewegungseinschränkung der unteren Sprunggelenke festgestellt hat, kommt nach den AHP und den versorgungsärztlichen Grundsätzen ohnehin allenfalls ein den Gesamt-GdB nicht erhöhender Einzel-GdB von 10 in Betracht. Die danach und auch nach dem Gutachten des Arztes G vom 23. Mai 2005 bestehenden Bewegungseinschränkungen im oberen Sprunggelenk waren links als solche allenfalls geringen Grades mit keinem Einzel-GdB und rechts als solche mittleren Grades mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten, so dass auch insoweit weder der Gesamt-GdB noch der „kleine Gesamt-GdB“ für die rechten unteren Gliedmaßen zu erhöhen ist. Im Übrigen liegt eine chronische Metatarsalgie – also Schmerzen am Mittelfuß – im Zusammenhang mit dem Senk- und Spreizfuß beidseits bei Hallux valgus-Bildung beidseits vor, dies aber bei rechts wie links frei beweglichen Zehgelenken, so dass nach Teil B Nr. 18.14 der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 101, und Teil A Nr. 26.18 AHP 2005 und 2008, Seite 127, knapp die Annahme einer Fußdeformität rechts mit statischer Auswirkung stärkeren Grades gerechtfertigt werden kann, der allerdings mit keinem höheren Einzel-GdB als 20 bewertet werden kann und zusammen mit den Kniebeschwerden rechts sowie den - in der Vergangenheit vorliegenden - Bewegungseinschränkungen der Sprunggelenke den bereits beschriebenen „kleinen Gesamt-GdB“ von 40 rechtfertigt.
Die Funktionsbeeinträchtigungen der oberen Gliedmaßen sind hier mit einem GdB von 30 zu bewerten. Dies folgt insbesondere aus den Bewegungseinschränkungen im Ellenbogengelenk. Deren Bewertung richtet sich nach Teil B Nr. 18.13 der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 92 ff., und Teil A Nr. 26.18 AHP 2005 und 2008, Seite 118 ff.
Danach sind Bewegungseinschränkungen im Ellenbogengelenk
- geringen Grades (Streckung/Beugung bis 0-30-120 bei freier Unterarmdrehbeweglichkeit) mit einem GdB von 0 bis 10 und
- stärkeren Grades (insbesondere der Beugung einschließlich Einschränkung der Unterarmdrehbeweglichkeit) mit einem GdB von 20 bis 30 zu bewerten.
Der Sachverständige Dr. B hat die Bewegungsausmaße der Ellenbogengelenke nach der Neutral-Null-Methode mit 0°-20°-150° rechts und 0°-5°-150° links und die Unterarmdrehung auswärts/einwärts mit 80°-0°-75° rechts und 0°-0°-0° links gemessen. Bei Berücksichtigung der aufgehobenen Drehbewegung des linken Unterarms gegen den Oberarm erscheint ein Einzel-GdB von 30 angemessen. Dieser ist indes für den Bereich der oberen Gliedmaßen nicht zu erhöhen. Denn weitere wesentliche Funktionsbeeinträchtigungen hat der Sachverständige Dr. B insoweit nicht feststellen können. Dies gilt insbesondere für die von dem Kläger beklagten Beschwerden der Schultergelenke, die hier nicht die Zuerkennung eines Einzel-GdB rechtfertigen. Bewegungseinschränkungen des Schultergelenks sind nach Teil B Nr. 18.13 der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 93, und Teil A Nr. 26.18 AHP 2005 und 2008, Seite 119, bei Armhebung nur bis zu 120° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB von 10 und bei Armhebung nur bis zu 90° mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit mit einem GdB von 20 zu bewerten. Die von dem Sachverständigen Dr. B nach der Neutral-Null-Methode gemessenen Bewegungsausmaße der Schultergelenke liegen aber durchweg im Normbereich (Arm seitwärts/körperwärts rechts 180°-0°-30° und links 180°-0°-20°; Arm rückwärts/vorwärts rechts 40°-0°-160° und links 40°-0°-150°; Arm auswärts/einwärts drehen <Oberarm anliegend> rechts 50°-0°-95° und links 40°-0°-95°; Arm auswärts/einwärts drehen <Oberarm 90° angehoben> rechts wie links 70°-0°-70°) und rechtfertigen ebenso wenig die Zuerkennung eines GdB wie die insoweit auch im Übrigen erhobenen Normbefunde. Soweit im Übrigen das Sozialgericht in seinen Entscheidungsgründen von einem Einzel-GdB von 20 für die Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks für den Zeitraum von März 2005 bis zu einer Schulteroperation im Januar 2006 ausgegangen ist, kann offen bleiben, ob ihm insoweit zu folgen ist, weil sich ein entsprechender Einzel-GdB weder auf den Gesamt-GdB noch auf den „kleinen Gesamt-GdB“ für den Bereich der oberen Extremitäten erhöhend auswirken würde. Der Senat merkt aber diesbezüglich an, dass die Bewertung mit einem Einzel-GdB von 20 insoweit fraglich erscheint. Denn auch der Arzt G hat in seinem Gutachten vom 23. Mai 2005 nicht festgestellt, dass der linke Arm nur um 90° zu heben ist.
Die bei dem Kläger bestehenden Wirbelsäulenleiden sind nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. B mit einem GdB von insgesamt allenfalls 20 zu bewerten. Deren Bewertung richtet sich nach Teil B Nr. 18.9 der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 89 f., und Teil A Nr. 26.18 AHP 2005 und 2008, Seite 115 f. Der GdB bei angeborenen und erworbenen Wirbelsäulenschäden ergibt sich danach primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Der Begriff Instabilität beinhaltet die abnorme Beweglichkeit zweier Wirbel gegeneinander unter physiologischer Belastung und die daraus resultierenden Weichteilveränderungen und Schmerzen. So genannte Wirbelsäulensyndrome (wie Schulter-Arm-Syndrom, Lumbalsyndrom, Ischialgie, sowie andere Nerven- und Muskelreizerscheinungen) können bei Instabilität und bei Einengungen des Spinalkanals oder der Zwischenwirbellöcher auftreten. Zu bewerten sind Wirbelsäulenschäden wie folgt:
- ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität 0,
- mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurzdauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) 10,
- mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) 20,
- mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) 30,
- mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten 30 bis 40,
- mit besonders schweren Auswirkungen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [z. B. Milwaukee-Korsett]; schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) 50 bis 70,
- bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit 80 bis 100.
Hier hat der Sachverständige Dr. B, dem entgegen der in der mündlichen Verhandlung des Senats geäußerten Mutmaßung der Prozessbevollmächtigten des Klägers auch der – für die Feststellung von Funktionsbeeinträchtigungen ohnehin nur wenig aussagekräftige – CT-Befund der Lendenwirbelsäule vom 8. Juli 2009 vorgelegen hat, im Bereich der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule nach der Neutral-Null-Methode weitestgehend normale Werte gemessen (Ausnahmen Ott´sches Zeichen, das von Dr. B statt mit 30:32 cm mit 30:31 cm bestimmt wurde, sowie Wert nach Schober DF S1 10 cm cranial, der mit 10:14 cm statt mit 10:15 cm bestimmt wurde). Die (mäßige) Schmerzhaftigkeit der Dornfortsätze im Bereich der Halswirbelsäule, die dezente Torsionsfehlhaltung im thorakolumbalen Übergang und die Klopfschmerzhaftigkeit der Dornfortsätze der Wirbelkörper lumbal rechtfertigen allenfalls die Annahme von für die Gesamt-GdB unbeachtlichen Einzel-GdB von 10 für den Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule (je als Wirbelsäulenschaden mit geringen funktionellen Auswirkungen) sowie von 20 für den Bereich der Lendenwirbelsäule (als Wirbelsäulenschaden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen). Die Annahme schwerer funktioneller Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt oder mittelgradiger bis schwerer funktioneller Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ist auch für die Vergangenheit nicht gerechtfertigt. Von dem Gutachter Dr. H konnte eine frei bewegliche Halswirbelsäule bei Nichtvorliegen funktioneller Einschränkungen festgestellt werden. Bei weitgehend unauffälligen Bewegungsausmaßen wurde hier für die Brust- und Lendenwirbelsäule auch nur ein Dehnschmerz im Verlauf der Rückenmuskulatur bei Inklination mitgeteilt. Die vom Gutachter G mitgeteilten Befunde rechtfertigen gleichfalls keinen höheren Einzel-GdB als 20.
Im Befundbericht der Fachärztin für Innere Medizin Dr. P vom 9. März 2009 sowie in einem Befundbericht des D vom 26. September 2008 wird jeweils als Erkrankung ein Diabetes Mellitus Typ II benannt, wobei Dr. P mitteilt, dieser sei seit April 2008 bekannt. Hierfür ist bei dem Kläger allenfalls ein Einzel-GdB von 10 festzustellen.
Zur GdB-Bewertung des Diabetes mellitus hat das BSG, dessen Rechtsprechung der Senats im vorstehenden Zusammenhang in jeder Hinsicht folgt, mit Urteil vom 24. April 2008 (B 9/9a SB 10/06 R - juris) entschieden, dass die Bewertungsgrundsätze nach Teil A Nr. 26.15 AHP 1996 und 2004 (Seite 119 bzw. Seite 99) nur mit gewissen Maßgaben dem höherrangigen Recht und dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen. Danach ist bei der GdB-Bewertung neben der Einstellungsqualität auch der Therapieaufwand zu berücksichtigen, soweit dieser sich auf die Teilhabe des behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft nachteilig auswirkt. Als Rechtsgrundlagen für die Feststellung des GdB sind im vorliegenden Fall - zunächst allgemein (formal) betrachtet - für die Zeit vom 5. Januar 2005 bis zum 21. Juli 2010 die vorläufige Neufassung von Teil A Nr. 26.15 AHP gemäß Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 22. September 2008 (IV C 3-48064-3) an die zuständigen obersten Landesbehörden unter Beachtung der Grundsätze der Rechtsprechung des BSG und ab dem 22. Juli 2010 die Regelung in Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV in der Fassung vom 14. Juli 2010 (BGBl. I Seite 928) heranzuziehen.
Für den erstgenannten Zeitraum (5. Januar 2005 bis zum 21. Juli 2010) ist nach der Rechtsprechung des BSG zu berücksichtigen, dass die vorläufige Neufassung des Teil A Nr. 26.15 AHP unter Beachtung der im genannten Urteil vom 24. April 2008 dargelegten Grundsätze rückwirkend auf Sachverhalte anzuwenden ist, die vor deren Einführung durch das Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 22. September 2008 liegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2008 - B 9/9a SB 4/07 R - juris). Nach der vorläufigen Neufassung des Teils A Nr. 26.15 AHP ist der GdB nach Maßgabe der folgenden Tabelle festzustellen:
Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus)
mit Diät allein (ohne blutzuckerregulierende Medikamente) 0,
mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung nicht erhöhen 10,
mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung erhöhen 20,
unter Insulintherapie, auch in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Medikamenten, je nach Stabilität der Stoffwechsellage (stabil oder mäßig schwankend) 30 bis 40,
unter Insulintherapie instabile Stoffwechsellage einschließlich gelegentlicher schwerer Hypoglykämien 50.
Häufige, ausgeprägte oder schwere Hypoglykämien sind zusätzlich zu bewerten. Schwere Hypoglykämien sind Unterzuckerungen, die eine ärztliche Hilfe erfordern.
Die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene und im Wortlaut mit der vorläufigen Neufassung des Teils A Nr. 26.15 AHP identische Regelung in Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV in der Fassung vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I Seite 2412) ist indes nicht zur GdB-Bewertung heranzuziehen, da sie den gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX zwingend zu berücksichtigenden Therapieaufwand nicht erfasst und aus diesem Grund nichtig ist (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 SB 3/08 R - juris). Die Feststellung des GdB hat bis zu einer im Einklang mit den rechtlichen Vorgaben aus § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX stehenden Neufassung der Bestimmungen über den Diabetes mellitus nach den Grundsätzen des Urteils des BSG vom 24. April 2008 (B 9/9a SB 10/06 R - juris) zu erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 SB 3/08 R - juris).
Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV ist in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der VersMedV vom 14. Juli 2010 (BGBl. I Seite 928) am Tag nach ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt, also am 22. Juli 2010, in Kraft getreten. Es ist nach der Rechtsprechung des BSG rechtmäßig, ist mangels Übergangsvorschrift demnach ab diesem Tag anzuwenden (vgl. Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 SB 3/09 R – juris) und hat folgenden Inhalt:
Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus)
Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie regelhaft keine Hypoglykämie auslösen kann und die somit in der Lebensführung kaum beeinträchtigt sind, erleiden auch durch den Therapieaufwand keine Teilhabebeeinträchtigung, die die Feststellung eines GdS rechtfertigt. Der GdS beträgt 0.
Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 20.
Die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann, die mindestens einmal täglich eine dokumentierte Überprüfung des Blutzuckers selbst durchführen müssen und durch weitere Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden je nach Ausmaß des Therapieaufwands und der Güte der Stoffwechseleinstellung eine stärkere Teilhabebeeinträchtigung. Der GdS beträgt 30 bis 40.
Die an Diabetes erkrankten Menschen, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind, erleiden auf Grund dieses Therapieaufwands eine ausgeprägte Teilhabebeeinträchtigung. Die Blutzuckerselbstmessungen und Insulindosen (beziehungsweise Insulingaben über die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein. Der GdS beträgt 50.
Außergewöhnlich schwer regulierbare Stoffwechsellagen können jeweils höhere GdS-Werte bedingen.
Nach den - hier für die Zeit vom 5. Januar 2005 bis 21. Juli 2010 maßgeblichen - Grundsätzen des BSG (vgl. Urteil vom 24. April 2008 - B 9/9a SB 10/06 R - juris) ist bei der Bewertung des Einzel-GdB von Diabetes mellitus aber auch der Therapieaufwand zu berücksichtigen, soweit er sich auf die Teilhabe des behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft nachteilig auswirkt. Der GdB wird relativ niedrig anzusetzen sein, wenn mit geringem Therapieaufwand eine ausgeglichene Stoffwechsellage erreicht wird. Mit (in beeinträchtigender Weise) wachsendem Therapieaufwand und/oder abnehmendem Therapieerfolg (instabilerer Stoffwechsellage) wird der GdB höher einzuschätzen sein. Dabei sind jeweils - im Vergleich zu anderen Behinderungen - die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in Betracht zu ziehen (BSG, Urteil vom 24. April 2008 - B 9/9a SB 10/06 R - juris). Für die Zeit ab 22. Juli 2010 sieht Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV ebenfalls eine differenzierte Berücksichtigung des Therapieaufwandes bei Diabetes mellitus vor.
Der Begriff „Therapieaufwand“ ist im Sinne der Grundsätze der Rechtsprechung des BSG vom 24. April 2008 weit auszulegen (vgl. hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 - B 9 SB 3/09 R - juris). Die Auslegung orientiert sich an dem Wortsinn des Begriffs Therapie, der die Gesamtheit der Maßnahmen zur Behandlung einer Krankheit mit dem Ziel der Wiederherstellung der Gesundheit, der Linderung der Krankheitsbeschwerden und der Verhinderung von Rückfällen umfasst. Denn es geht im Schwerbehindertenrecht um die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, aufgrund derer der von Krankheit betroffene Mensch nicht mehr die Gesamtheit der ihm sozial zugeschriebenen Funktionen unbeeinträchtigt und ungefährdet wahrnehmen kann, auch wenn diese Auswirkungen an sich nur geringfügig sind. Sie können sich bei gewissen stummen Erkrankungen allein aus ärztlichen Handlungsanweisungen, zum Beispiel Diät, Ruhepausen, Schonung, verkürzte Arbeitsbelastung, Meidung bestimmter Außeneinflüsse (zum Beispiel Witterung, Zugluft, Nässe) oder Vorgaben zu bestimmten Körperhaltungen (zum Beispiel Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen usw.), ergeben. Eine eigenständige funktionelle Bedeutung des Therapieaufwands, zum Beispiel ständiger aufwändiger Verbandswechsel, ist insoweit nicht erforderlich.
Allerdings muss der Therapieaufwand zur Erzielung des Therapieerfolgs (stabilere Stoffwechsellage) medizinisch notwendig sein, um bei der GdB-Bewertung berücksichtigt zu werden. Eine ärztliche Verordnung kann als Nachweis für die medizinische Indikation dienen, ist aber nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines krankheitsbedingten Therapieaufwands. Erforderlich ist allerdings, dass die Therapie tatsächlich durchgeführt wird.
Zudem ist nur derjenige Therapieaufwand bei der GdB-Bewertung zu berücksichtigen, der sich nachteilig auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX auswirkt. Dies gilt entsprechend für die ab 22. Juli 2010 geltende Regelung in Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV nF.
Die mögliche Teilhabebeeinträchtigung durch medizinisch notwendigen Therapieaufwand beruht hierbei nicht auf gesundheitlichen Funktionsbeeinträchtigungen, die beim Diabetes mellitus aufgrund der Hypoglykämieneigung und der Instabilität der Stoffwechsellage vorliegen können und ebenfalls Grundlage der GdB-Bewertung sind, sondern auf therapiebedingten Einschränkungen in der Lebensführung oder bei der Gestaltung des Tagesablaufs. Insoweit kann zur Konkretisierung der Grundsätze der Rechtsprechung des BSG auch für die Zeit vor dem 22. Juli 2010 auf die neuen Bewertungsgrundsätze in Teil B Nr. 15.1 der Anlage zu § 2 VersMedV nF zurückgegriffen werden, nach denen die insoweit bei der GdB-Bewertung zu berücksichtigenden Teilhabestörungen unter dem Oberbegriff "Einschnitte in die Lebensführung" zusammengefasst sind. Obgleich die Änderung der Anlage zu § 2 VersMedV formal keine Rückwirkung entfaltet und Gerichte und Verwaltung für den Zeitraum bis 21. Juli 2010 nicht bindet, ist ihr Inhalt als antizipiertes Sachverständigengutachten bedeutsam. Allgemein ist es zur Vermeidung sachfremder Erwägungen geboten, sich an allgemein gültigen Bewertungskriterien zu orientieren, wie sie in den AHP und der Anlage zu § 2 VersMedV aufgeführt sind. Nach der Begründung zur Verordnungsänderung (BR-Drs. 285/10 Seite 3 zu Nr. 2) zeigen sich Einschnitte in die Lebensführung zum Beispiel bei der Planung des Tagesablaufs, der Gestaltung der Freizeit, der Zubereitung der Mahlzeiten, der Berufsausübung und der Mobilität.
Die Intensität der Einschnitte in die Lebensführung und damit der nachteiligen Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist nach der Rechtsprechung des BSG davon abhängig, ob der Therapieaufwand aus medizinischen Gründen nach Ort, Zeit oder Art und Weise festgelegt ist, mit einem Vernachlässigen der Maßnahmen gravierende gesundheitliche Folgen einhergehen können oder die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in anderen Lebensbereichen wegen des zeitlichen Umfangs der Therapie erheblich beeinträchtigt wird. Je flexibler die Durchführung der notwendigen Therapie gehandhabt werden kann, desto geringer fällt die Intensität der Teilhabestörung aus. Dies gilt auch für den Fall, dass ein (gelegentliches) Aussetzen der Therapie keine gravierenden Auswirkungen auf den Gesundheitszustand des Betroffenen hat oder durch andere Behandlungsmethoden selbstbestimmt kompensiert werden kann.
Dabei hat das BSG in seinem Urteil vom 2. Dezember 2010 erläutert, dass dann, wenn sich der medizinisch notwendige Therapieaufwand seiner Art und Weise nach nicht als krankheitsspezifisch darstellt (zum Beispiel Blutzuckerwertmessungen, Insulininjektionen), sondern allgemein einer gesunden Lebensweise entspricht (zum Beispiel Ernährungsverhalten, körperliche Aktivität), grundsätzlich davon auszugehen ist, dass eine solche Lebensführung zumutbar in den Tagesablauf einbezogen und unter wertender Betrachtung nicht als nachteilige Auswirkung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX angesehen werden kann. Insoweit sind Menschen mit und ohne Behinderung in gleicher Weise dafür verantwortlich, durch eine gesunde Lebensweise den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden oder zu. Hält sich der medizinisch notwendige Therapieaufwand in dem Rahmen dessen, was auch Menschen ohne Behinderung allgemein als gesunde Lebensweise empfohlen wird, kann er mithin im Allgemeinen nicht bei der Bemessung des GdB (hier von Diabetes mellitus) berücksichtigt werden. Das BSG ist des Weiteren davon ausgegangen, dass sportliche Betätigung, soweit sie zur Behandlung einer Krankheit medizinisch notwendig ist, in der Regel keine nachteiligen Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX hat. Nur bei Hinzutreten besonders einschränkender Umstände kann im Einzelfall eine bei der Bemessung des GdB zu berücksichtigende Teilhabebeeinträchtigung angenommen werden, wenn die medizinisch notwendige sportliche Betätigung als Einschnitt in die Lebensführung die Gestaltung des Tagesablaufs in besonderem Maße prägt, weil sie zum Beispiel aus medizinischen Gründen nach Ort, Zeit oder Art und Weise festgelegt ist oder ihrem Umfang nach erheblich über das Maß einer auch Menschen ohne Behinderung empfohlenen gesunden Lebensweise hinausgeht.
Nach Maßgabe der obigen Ausführungen ergibt sich hier demnach folgendes Bild:
Dem Befundbericht von Dr. P vom 9. März 2009 beigefügte Laborwerte vom 22. Dezember 2008 und vom 22. Januar 2009 benennen Blutzuckerwerte, die sich im Normbereich bewegen. Nach dem Befundbericht des D vom 7. Oktober 2009 betrug indes der Nüchtern-Blutzuckerwert 195 mg/dl und war damit deutlich erhöht. Entsprechendes gilt für den mit Befundbericht des D vom 30. September 2010 mitgeteilten Laborwert vom 15. September 2010 von 207 mg/dl und die mit Befundbericht der Fachärztin für Innere Medizin Dr. P vom 15. März 2011 mitgeteilten Laborbefunde vom 12. Januar 2011 (178 mg/dl) und vom 14. Februar 2011 (316 mg/dl). Die Diabetes-Erkrankung des Klägers wurde dabei mindestens bis zum 30. September 2010 (Datum eines Arztbriefs des D, in dem die entsprechende Medikation mitgeteilt wurde) mit Metformin 850 mg medikamentös behandelt. Solange war der Diabetes mellitus bei dem Kläger mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung nicht erhöhen. Denn Metformin führt nicht zur Hypoglykämie (vgl. http://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Metformin). Nach der vorläufigen Neufassung des Teils A Nr. 26.15 AHP ist der GdB demnach im Grundsatz nur mit 10 zu bewerten. Ein Therapieaufwand, namentlich eine Therapie, die - außer der Einnahme von Medikamenten - auch tatsächlich durchgeführt wurde, ist hier auch nicht erkennbar, so dass eine höhere Bewertung des GdB als 10 bis zum 21. Juli 2010 hier nicht in Betracht kommt.
Ab dem 22. Juli 2010 ist Voraussetzung für die Bewertung mit einem GdB von 20, dass die an Diabetes erkrankten Menschen, deren Therapie eine Hypoglykämie auslösen kann und die durch Einschnitte in der Lebensführung beeinträchtigt sind, durch den Therapieaufwand eine signifikante Teilhabebeeinträchtigung erleiden. Hier wurde offenbar infolge der bereits genannten Blutzuckerwerte, wie die Fachärztin für Innere Medizin Dr. P im Befundbericht vom 15. März 2011 mitgeteilt hat, die Medikation auf Eucreas 50/850 umgestellt. Eine Höherbewertung für den Diabetes Mellitus kommt hier ungeachtet dieser Umstellung, zu der es zwischen dem 30. September 2010 und dem 15. März 2011 gekommen sein muss, nicht in Betracht. Zwar handelt es sich bei diesem Medikament um ein solches, das eine Hypoglykämie auslösen kann (vgl. http://www.pharmazie.com/graphic/A/27/0-91227.pdf). Es fehlt aber an der zu fordernden Beeinträchtigung durch Einschnitte in der Lebensführung sowie eine Therapie oder einen Therapieaufwand, so dass ab dem 22. Juli 2010 wahrscheinlich – dies kann aber offen bleiben – gar kein Einzel-GdB für die Diabetes-Erkrankung festzustellen sein dürfte.
Von Vorstehendem ausgehend ergibt sich kein höherer Gesamt-GdB als 70. Der mit 40 zu bewertende kardiale Beschwerdekomplex ist infolge der von Seiten der rechten unteren Extremität bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen, die ebenfalls mit (allenfalls) 40 zu bewerten sind, und den Bewegungseinschränkungen beider Ellenbogengelenke, die mit einem GdB von 30 zu bewerten sind, um 30 auf 70 zu erhöhen. Die Funktionsbeeinträchtigungen von Seiten der Wirbelsäule, die mit 20 zu bewerten sind und allenfalls zu leichten Einschränkungen führen, wirken sich nicht GdB-erhöhend aus. Gleiches gilt für den Diabetes mellitus, der wegen der Geringfügigkeit der von ihm ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen ebenfalls außer Betracht bleiben muss, was im Übrigen auch dann der Fall wäre, wollte man ihn mit einem Einzel-GdB von 10 oder gar 20 bewerten.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil Gründe hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.