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Asyl, Abschiebungsschutz nach § 60, Abs. 1 und Abs. 2-7 AufenthG, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung


Metadaten

Gericht VG Cottbus 6. Kammer Entscheidungsdatum 21.01.2020
Aktenzeichen 6 K 960/17.A ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2020:0121.6K960.17.A.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 60 Abs 5 AufenthG, § 3 AsylVfG 1992, § 60 Abs 7 AufenthG, § 4 AsylVfG 1992

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Verpflichtung der Beklagten zur Flüchtlingsanerkennung bzw. Gewährung internationalen Schutzes sowie hilfsweise die Feststellung, dass Abschiebungsverbote in seiner Person hinsichtlich seines Herkunftslandes vorliegen.

Der Kläger wurde nach eigenen Angaben am 1. Januar 1999 im Dorf H... im Distrikt K... in der Provinz B... in Afghanistan geboren. Er ist nach eigenen Angaben Tadschike und sunnitischer Moslem. In Afghanistan lebe noch die Großfamilie, bestehend aus seinen Eltern, vier Brüder und drei Schwestern und den weiteren Verwandten des Klägers. Dort habe er als Schweißer gearbeitet. Der Kläger habe Afghanistan im September 2015 verlassen und ist im November 2015 über den Landweg in Deutschland eingereist.

Die persönliche Anhörung des Klägers beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) erfolgte am 28. September 2016.

Mit Bescheid vom 28. März 2017, der dem Kläger am 7. April 2017 zugestellt wurde, versagte die Beklagte vertreten durch das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft, lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab und erkannte keinen subsidiären Schutzstatus zu. Darüber hinaus stellte das Bundesamt in seinem Bescheid fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen. Der Kläger wurde zudem aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass falls er die Ausreisefrist nicht einhalten werde, er nach Afghanistan abgeschoben werden wird. Darüber hinaus wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass der Kläger in Afghanistan nicht verfolgt werde. Auch lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nicht vor. Der Kläger müsse keine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seine Unversehrtheit befürchten. Auch seien keine Abschiebungsverbote gegeben.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 20. April 2017 mit anwaltlichem Schriftsatz beim Verwaltungsgericht Klage. Zur Begründung führt er aus, dass er aus der Region B... stamme. Dort herrsche Krieg. Insbesondere die Tadschiken würden dort verfolgt, da die Taliban mehrheitlich Paschtunen seien und inzwischen den Volksgruppen Streitigkeiten bestünden. Die Familie des Klägers sei aus der Region geflohen. Wo sich die Familie des Klägers befinde, wisse er nicht. Er wisse nicht einmal, ob seine Familie überhaupt noch lebt. Schließlich lägen auch Abschiebungsverbote vor. Der Kläger habe in Afghanistan lediglich eine dreijährige Schulbildung genossen. Eine Berufsausbildung habe er nicht absolviert. Er wäre in Afghanistan nach einer Abschiebung auf sich allein gestellt und würde dort unterhalb des Existenzminimums leben müssen.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich (sinngemäß),

unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 28. März 2017 die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen;

hilfsweise, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Asylgesetz zuzuerkennen;

hilfsweise dem Kläger subsidiären Schutz gemäß § 4 Abs. 1 des Asylgesetzes zuzuerkennen;

hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes im Hinblick auf Afghanistan vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Zur Begründung bezieht sie sich vollinhaltlich auf ihre Ausführungen im Ablehnungsbescheid.

Mit Beschluss vom 13. Dezember 2019 wurde der Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

In der mündlichen Verhandlung ist der Kläger nicht erschienen, sodass eine informatorische Anhörung durch das Gericht nicht erfolgen konnte. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten bezüglich des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, den Verwaltungsvorgang des Bundesamtes sowie die Erkenntnismittelliste für Afghanistan Bezug genommen. Sämtliche Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Gerichts.

Entscheidungsgründe

Über die Klage konnte in Abwesenheit des Klägers bzw. seines Prozessbevollmächtigten verhandelt und entschieden werden, nachdem sein Prozessbevollmächtigter auf diese Folge in der Ladung vom 13. Dezember 2019 zum Termin zur mündlichen Verhandlung, zugestellt am 18. Dezember 2019 gegen Empfangsbekenntnis, ausdrücklich hingewiesen wurde, § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Entscheidung war gemäß § 76 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) durch den Einzelrichter zu treffen, dem der Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten mit unanfechtbarem Beschluss der Kammer vom 13. Dezember 2019 übertragen wurde.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht zu, § 77 Abs. 1 S. 1 AsylG.

Der angegriffene Bescheid vom 28. März 2017 ist, einschließlich der darin enthaltenen Abschiebungsandrohung sowie des Einreise- und Aufenthaltsverbotes, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Ein solcher Anspruch scheitert bereits an Art. 16a Abs. 2 S. 1 GG, wonach sich auf Abs. 1 der Vorschrift nicht berufen kann, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Nachdem der Kläger im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt selbst geschildert hat, auf dem Landweg nach Deutschland eingereist zu sein, kann der Kläger nicht als Asylberechtigter anerkannt werden.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.

Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. Abs. 4 und Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.

Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GK, BGBl. 1953 II. S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

Ausgehend von diesem Maßstab ist der Kläger kein Flüchtling im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG. Zur Begründung wird insoweit in vollem Umfang auf die zutreffenden Ausführungen im Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 28. März 2017 verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG.

Dass der Kläger aufgrund seiner Volkszugehörigkeit - der Kläger ist nach eigenen Angaben Tadschike - einer Verfolgung ausgesetzt wäre, überzeugt nicht. Für eine asylrechtlich relevante Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG von Tadschiken ist nichts ersichtlich. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG nennt bei begründeter Furcht vor Verfolgung als Anknüpfungsmerkmal zwar ausdrücklich die Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Nach § 3b Abs. 1 Nr. 1 AsylG umfasst der Begriff der Rasse insbesondere auch die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe. Auch umfasst § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird (Nr. 3). Der Kläger hat diesbezüglich lediglich pauschal vorgetragen, dass Tadschiken in Afghanistan diskriminiert würden, an konkreten, ihn betreffenden Beispielen hat er dies jedoch nicht glaubhaft gemacht. Im Übrigen geben die gesichteten Erkenntnismittel hinsichtlich einer Diskriminierung von Tadschiken in Afghanistan nichts her. Die Tadschiken stellen mit 30 Prozent die zweitgrößte und zweitwichtigste ethnische Gruppe in Afghanistan dar. Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Sie sind im nationalen Durchschnitts mit etwa 25 Prozent in der afghanischen Armee und der Polizei repräsentiert (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 29. Juni 2018, letzte Aktualisierung am 31. Januar 2019, Seite 285 f.). Dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 31. Mai 2018 ist zu entnehmen, dass die afghanische Verfassung sämtliche ethnischen Minderheiten schützt (Nr. 1.3). Auch wenn es für ethnische Gruppen im Alltag soziale Diskriminierung und Ausgrenzung gibt, die nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert wird, wie dem Lagebericht auch zu entnehmen ist, so hat der Kläger jedoch keinerlei Tatsachen vorgetragen, weshalb gerade ihm wegen seiner Zugehörigkeit zu den Tadschiken Verfolgung gedroht hat oder drohen könnte. Die vom Kläger beherrschte Sprache Dari ist eine der beiden offiziellen Landessprachen (Auswärtiges Amt, a.a.O., Seite 9; VG Cottbus, Urteil vom 8. Juli 2019 – 1 K 135/18.A, n.v., Urteil vom 7. November 2019 – 6 K 539/17.A, juris).

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG, da keine stichhaltigen Gründe für die Annahme eines ihm in seinem Herkunftsland drohenden ernsthaften Schadens vorgebracht wurden.

Nach § 4 Abs. 1 S. 2 AsylG gilt als ernsthafter Schaden: Die Verhängung oder Voll-streckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3)

Es ist nicht zu erwarten, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Verhängung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Be-handlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1 und 2 AsylG) drohen könnten. Der Kläger hat hierzu bereits keine Tatsachen vorgetragen.

Auch führt die Lage in Afghanistan insgesamt betrachtet nicht dazu, dass eine Ab-schiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG oder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (vgl. VG Augsburg, Urteil vom 1. Ok-tober 2018 – Au 5 K 17.32950, beck-online m.w.N).

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG, wonach von einer Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen ist, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

Voraussetzung hierfür wäre, dass sich die von einem bewaffneten Konflikt in der Zielregion für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende allgemeine Gefahr in der Person des Klägers derart verdichtet, dass sie für diesen eine individuelle Bedrohungssituation darstellt. In der Person des Klägers sind jedoch weder gefahrerhöhende persönliche Umstände erkennbar (wie etwa der berufsbedingten Nähe zu einer Gefahrenquelle z.B. als Arzt oder Journalist oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten von Verfolgung bedrohten Religion), die eine solche individuelle Bedrohung in erster Linie hervorrufen könnten. Zudem hat sich vorliegend die allgemeine Gefahrenlage nicht derart besonders verdichtet (Gefahrendichte), dass der den bestehenden bewaffneten Konflikt (einen solchen hier unterstellt) kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau (Gewaltniveau) erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein, was ausnahmsweise die Zuer-kennung subsidiären Schutzes unabhängig von individuellen gefahrerhöhenden Umständen begründen könnte (vgl. zu den Voraussetzungen einer individuellen Bedrohungssituation EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C 465/07 (Elgafaji) - juris, Rn. 35 und 39 und Urteil vom 30. Januar 2014 - Rs. C 285/12 (Diakité) - juris, Rn. 30; BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 und Urteil vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 - juris, Rn. 18 ff.).

Zur Ermittlung der Gefahrendichte ist - in Anlehnung an die Vorgehensweise zur Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts - aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der maßgeblichen Provinz lebenden Zivil-personen annäherungsweise zu ermitteln und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Beziehung zu setzten. Neben dieser quantitativen Ermittlung bedarf es außerdem einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials u. a. mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Eine hinreichende Gefahrendichte für die Annahme der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes ist vorbehaltlich einer wertenden Gesamtbetrachtung des gefundenen Ergebnisses jedenfalls dann noch nicht gegeben, wenn das Risiko, als Zivilperson in der innerstaatlichen Auseinandersetzung getötet oder schwer verletzt zu werden, in der zu betrachtenden Region bei 1:800 liegt. (Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 22 f.; OVG Lüneburg, Urteil vom 19. September 2016 - 9 LB 100/15 -, juris Rn. 70 f.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Februar 2014 - A 11 S 2519/12 -, juris; VG München, Urteile vom 15. Mai 2017 - M 26 K 16.35366 -, juris Rn. 25 und vom 16. März 2017 - M 17 K 16.35014 -, juris Rn. 36).

Maßgeblicher Bezugspunkt für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG ist grundsätzlich die Herkunftsregion des Betroffenen, in die er typischerweise zurückkehren wird. Denn für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 100). Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob er auf internen Schutz in einer anderen Region des Landes verwiesen werden kann (Vgl. BVerwG, Urteile vom 31 Januar 2013 - 10 C 15.12 -, juris Rn. 13 und 16 und vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn.16; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. August 2014 - 13 A 2998/11.A -, juris Rn. 77 ff. und BayVGH, Urteil vom 27. März 2018 - 20 B 17.31663 -, juris Rn. 28).

Vor diesem Hintergrund ist hier auf die Region B... im Nordosten Afghanistans abzustellen, aus der der Kläger ursprünglich stammt. In der Nord-Ostregion Afghanistans, zu der auch die Heimatregion des Klägers B... gehört, wurden laut UNAMA (www.unama.unmissions.org; Afghanistan – protection of civilians in armed conflict, annual report 2016) im Jahr 2016 insgesamt 1.270 Zivilpersonen getötet oder verletzt. Ausgehend von einer Einwohnerzahl von insgesamt ca. 3,855 Millionen in der Gesamtregion und in B... von ca. 950.953 Einwohnern (im Jahr 2016), ergab sich ein Risiko von 1:3.035, verletzt oder getötet zu werden (VG München, Urteil vom 22. Juni 2017 – M 17 K 17.31284 –, Rn. 40, juris).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 61 zivile Opfer (21 getöteten Zivilisten und 40 Verletzte) registriert. Dies bedeutet einen Rückgang von 64 % der Zahl zivile Opfer im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich vom 29. Juni 2018, S. 55). Für die Jahre 2018/19 kann hinsichtlich der Region B... von einer Gesamtbevölkerung von insgesamt 1.017.499 ausgegangen werden (European Asylum Support Office – Afghanistan Security Situation, Juni 2019, S. 75). Für das Jahr 2018 dokumentierte die UNAMA 63 zivile Opfer (18 getöteten Zivilisten und 45 Verletzte). Auch dies stellt wiederum einen Rückgang um 3 % im Vergleich zum Jahr 2017 dar. Für den Zeitraum von Januar 2018 bis zum 28. Februar 2019 wurde von 89 Vorfällen berichtet (European Asylum Support Office, a.a.O., S. 79f.).

Dieser Werte liegt weit jenseits des vom Bundesverwaltungsgericht betrachteten Verhältnisses von 1:800, bei dem dieses immer noch eine weite Entfernung von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit annimmt. Selbst wenn man wegen einer etwaigen Dunkelziffer von doppelt so hohen tatsächlichen Opferzahlen ausginge, wäre der vom Bundesverwaltungsgericht angegebene Wert von 1:800 immer noch bei weitem nicht erreicht, auch nicht bei der gebotenen wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände.

Eine mathematisch genaue quantitative Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos durch Gegenüberstellung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und der Akte willkürlicher konfliktbedingter Gewalt dürfte zwar generell schwierig sein. Gleichwohl kann jedenfalls eine annäherungsweise quantitative Ermittlung erfolgen, um die Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung zu erfassen (VG Cottbus, Urteil vom 11. Oktober 2019 - VG 6 K 630/17.A, juris).

Dass die Opferzahlen - u.a. bei anderer Zählweise und unter Erweiterung der Opfer-gruppen - höher liegen können, wie teils eingewandt wird (vgl. Stahlmann, Gutachten vom 28. März 2018, S. 176 ff.), ändert diese Bewertung nicht, denn die von UNAMA mitgeteilten Daten sind methodisch nachvollziehbar ermittelt. Sie sind auch deswegen belastbar, da sie von einer von der internationalen Staatengemeinschaft getragenen Organisation stammen und somit einer verlässlichen, an internationalen Standards orientierten Quelle zuzuordnen sind. Es ist nicht erkennbar, dass die Methodik der UNAMA inhaltliche Defizite aufweisen würde. Dass die Methodik überholt wäre, die Informationen an offen erkennbaren inhaltlichen Defiziten litten, insbesondere an entscheidungserheblichen unzutreffenden Tatsachenannahmen, unlösbaren Widersprüchen, sich aus den Stellungnahmen ergebenden Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit oder eines speziellen, hier nicht vorhandenen Fachwissens bedürften, ist weder ersichtlich noch (substantiiert) gerügt. Dabei ist dem Gericht bewusst, dass es sich anhand dieser Zahlen lediglich um eine annäherungsweise quantitative Risikoermittlung mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor handeln kann. Es liegen für Afghanistan jedoch mangels Einwohnermeldewesens auch für die Bevölkerungszahlen nur Schätzungen vor, so dass jede Datenerhebung schon deswegen an tatsächliche Grenzen stößt. Dass und weshalb andere Auskunftsquellen methodisch belastbarere Primärdaten hätten oder ermitteln könnten, ist nicht ersichtlich, so dass die Daten von UNAMA zu Grunde gelegt werden. (Vgl. VG Aachen, Urteil vom 16. Februar 2018 -7 K 4918/17.A -, juris Rn. 40; VG Augsburg, Urteil vom 15. Januar 2018 - Au 5 K 17.31921 -, juris Rn. 35).

Das Gericht hält es nicht für gerechtfertigt, die Anzahl der durch die UNAMA registrierten verletzten und getöteten Zivilpersonen aufgrund einer hohen Dunkelziffer zu verdreifachen (Vgl. zu diesem Ansatz OVG Lüneburg, Urteil vom 7. September 2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 65; VG München, Urteil vom 11. Juli 2017 - M 26 K 17.30939 -, juris Rn. 29 und VG Lüneburg, Urteil vom 20. März 2017- 3 A 124/16 -, juris Rn. 42). Denn die Dunkelziffer der Anschläge, die zu vielen Opfern geführt haben, dürfte gering sein, weil die UNAMA nur drei Quellen verlangt, um einen Vorfall zu zählen und damit jedenfalls bei Vorfällen mit vielen Opfern eine „Nichtmeldung“ unwahrscheinlich ist (Vgl. VG Berlin, Urteil vom 14. Juni 2017 - 16 K 219.17 A -, juris Rn. 44 unter Verweis auf UNAMA, Report 2016, Februar 2017, S. 8).

Überdies ist im Rahmen der gebotenen wertenden Betrachtungsweise zu berück-sichtigen, dass die Gesamtzahl der zivilen Opfer zu einem nicht unerheblichen Teil Personen mit erhöhten Gefährdungspotentialen betroffen haben dürfte. Infolgedessen kann nicht angenommen werden, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Provinz B... einer ernsthaften Tötungs- oder Verletzungsgefahr ausgesetzt wäre. Umstände, die ein maßgeblich erhöhtes Gefährdungspotential begründen würden, bestehen für den Kläger nach den obigen Ausführungen gerade nicht. Insbesondere ergeben sich solche auch nicht aus seiner Situation als Rückkehrer. Vielmehr sind nach den Angaben des Auswärtigen Amtes (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 28) seit 2002 rund 5,8 Millionen afghanischer Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückgekehrt, sodass eine Großzahl der afghanischen Bevölkerung einen Flüchtlingshintergrund hat (vgl. auch VG Aachen, Urteil vom 30. November 2018 - 7 K 14/18.A, beck-online).

Im Übrigen geht auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan nicht derart ist, dass jede Über-stellung dorthin notwendig Art. 3 EMRK verletze (vgl. z.B. EGMR, Urteil vom 11. Juli 2017 - S.M.A./Netherlands, Nr. 46051/13 - Rn. 53). Auch aus dem, dem Gericht vor-liegenden zusätzlichen Erkenntnismaterial neueren Datums lässt sich nichts dafür entnehmen, dass hier zwischenzeitlich eine andere Einschätzung zur Sicherheitslage geboten wäre.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG).

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der EMRK unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (BVerwG, Urteil vom 11. November 1997 – 9 C 13.96 –, juris Rn. 8 ff.) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse). Insbesondere sind zu nennen das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 1 EMRK) und das Verbot der Folter (Art. 3 EMRK). Für die Frage, wie die Gefahr beschaffen sein muss, mit der die Rechtsgutsverletzung droht, ist auf den asylrechtlichen Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ zurückzugreifen. Für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die aufgrund des Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen, wobei zunächst zu prüfen ist, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15.12, juris Rn. 26).

Hier ist der allein in Frage kommende Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf, aufgrund der zu erwartenden schlechten Lebensbedingungen und der daraus resultierenden Gefährdungen vorliegend nicht verletzt. Der Kläger muss nicht befürchten, aufgrund der Lage in Afghanistan unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Die obergerichtliche Rechtsprechung geht davon aus, dass für arbeitsfähige, alleinstehende männliche Staatsangehörige ohne gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen regelmäßig auch ohne Vermögen und ohne familiäre Unterstützung im Fall einer zwangsweisen Rückführung keine extreme Gefahrenlage besteht (Hessischer VGH, Beschluss vom 27. September 2017 - 7 A 1827/17.Z.A -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2018 - A 11 S 316/17 -, Urteil vom 11. April 2018 – A 11 S 924/17, Urteil vom 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17, alle juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 25. Februar 2019 - 13a ZB 18.32203 -, juris).

Folgendes gilt zur Lage in Afghanistan: Afghanistan, das etwa 27 Millionen Einwohner hat, von denen 47,3 Prozent unter 15 Jahre und 60 Prozent unter 25 Jahre alt sind, ist eines der ärmsten Länder der Welt. Im Human Development Index belegte es im Jahr 2018 Platz 168 von 189 (UN Development Programme, Human Development Indices and Indicators, 2018 Statistical Update). Dennoch haben sich für viele Afghanen die Lebensbedingungen in absoluten Zahlen über die letzten 15 Jahre deutlich verbessert. Seit 2002 erzielte Afghanistan wichtige Fortschritte beim Aufbau seiner Wirtschaft, bleibt aber weiterhin arm und abhängig von Hilfeleistungen. Die Armutsrate sank auf nationaler Ebene und konnte im Norden und Westen des Landes reduziert werden, während sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße stieg. Die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten haben dazu geführt, dass dort ca. eine Million oder fast ein Drittel aller Kinder als akut unterernährt gelten. Der Dienstleistungs- und Industriesektor wuchs in 2017 um 3,4 bzw. 1,8 Prozent, während der Agrarsektor aufgrund ungünstiger klimatischer Bedingungen zurück-ging. Ungefähr drei Viertel der Bevölkerung lebt in ländlichen und ungefähr ein Viertel in städtischen Gebieten. Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft die Haupteinnahmequelle. Mindestens 39 Prozent der Bevölkerung des Landes leben unterhalb der Armutsgrenze. Aktuell gelten über 40 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80 Prozent davon sind unsichere Stellen. Generell sind für sämtliche Lebensbereiche (Unterkunft, Arbeit usw.) Netzwerke erforderlich, ohne die eine „Wiedereingliederung“ in die afghanische Gesellschaft jedenfalls erheblich erschwert ist. Zur Erlangung eines der wenigen vorhandenen Arbeitsplätze sind nicht schulische oder berufliche Ausbildung, Qualifikation oder Erfahrung ausschlaggebend, sondern Beziehungen. Dies gilt für den gesamten Arbeitsmarkt einschließlich des Staatsdienstes. Eine staatliche Arbeitsvermittlung oder gar eine Arbeitslosenunterstützung nach westlichen Vorstellungen existiert nicht. Die Wohnkosten in den Städten sind allgemein im Verhältnis zum Einkommen hoch. Bei der Wohnungssuche benötigt man außergewöhnliche finanzielle Ressourcen, um eine Chance auf eine winterfeste Unterkunft zu haben, aber auch soziale Netzwerke. Es gibt keine NGOs oder öffentliche Organisationen, die bei der Wohnungssuche unterstützen. Immobilienmakler bieten einen entsprechenden Service im Austausch für eine Monatsmiete von Mieter und Vermieter an. Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte fehlt es oft an grundlegender Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Ein Anteil von schätzungsweise 45 Prozent der Bevölkerung hat keinen Zugang zu Trinkwasser. Verschärft werden die humanitäre Lage und die Versorgungsprobleme durch eine große Anzahl Binnenvertriebener (2016 ca. 650.000, 2017 ca. 501.000) sowie durch Rückkehrer aus Pakistan und Iran (2016 ca. eine Million, 2017 ca. 610.000, 2018 ca. 530.000). Seit 2002 sind laut UNHCR ca. 5,8 Millionen afghanischer Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückgekehrt, vor allem aus Pakistan und Iran. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind 2019 bis zum 6. Juni etwa 100.000 Personen aus dem Iran freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt, etwa 128.000 wurden zurückgeführt (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 22). Wegen dieses erheblichen Zustroms ist Wohnraum knapp, so dass etwa drei Viertel der Menschen in Slums leben (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Afghanistan vom 29. Juni 2018 mit letzten Kurzinformationen vom 22. August 2018).

Andererseits können Rückkehrer von Unterstützungsmaßnahmen profitieren, die der übrigen Bevölkerung nicht zugänglich sind. Die IOM bietet in Deutschland verschiedene Rückkehrhilfen an. Es gibt zwei Programme für Geldzahlungen bei freiwilliger Rückkehr. Auch von Seiten der afghanischen Regierung gibt es Unterstützung, so eine Arbeitsvermittlung, rechtlichen Beistand sowie bei Fragen von Grund und Boden und Obdach. Im März 2017 wurde ein von der EU gefördertes Programm in Höhe von 18 Millionen Euro gestartet. Weiter bieten nichtstaatliche Organisationen Unterstützung für freiwillige und abgeschobene Rückkehrer an, so IPSO (International Psychosocial Organisation) und AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation), u.a. kostenlose psychosoziale Unterstützungsangebote, Programme zur Alphabetisierung, Weiterbildung und Existenzgründung vor Ort sowie die Möglichkeit einer Unterkunft für mehr als zwei Wochen. Von 2012 bis Ende 2018 sind laut IOM 3,2 Millionen Afghanen aus dem Ausland nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Rahmen seines freiwilligen Rückkehrprogramms hat UNHCR im Zeitraum 2002 bis 2018 über 5,26 Millionen Menschen bei der Rückkehr nach Afghanistan assistiert. Somit hat eine große Zahl der afghanischen Bevölkerung einen Flucht- und Migrationshintergrund (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., Seite 29; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Afghanistan vom 29. Juni 2018 mit letzten Kurzinformationen vom 22. August 2018, Seite 333 ff).

Für die hier relevante Personengruppe alleinstehender arbeitsfähiger junger Männer, die aus dem westlichen Ausland nach Afghanistan zurückkehren, fehlt es an zuverlässigen Anhaltspunkten dazu, dass ihnen die Existenzsicherung oder gar das Überleben generell nicht möglich wären. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass seit dem Jahr 2003 mit Unterstützung der IOM insgesamt 15.041 Personen aus verschiedenen Ländern Europas, darunter aus dem Vereinigten Königreich, Norwegen, Niederlande, Deutschland, Schweden, Dänemark, Frankreich, Belgien und Österreich, freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Allein im Jahr 2016 unterstützte die IOM 6.864 Personen bei ihrer Rückkehr aus Europa nach Afghanistan, davon über 3.000 Personen aus Deutschland. Die meisten dieser Rückkehrer, 78 Prozent bzw. 5.382 Personen, waren dabei junge Männer, von denen wiederum ein erheblicher Anteil zwischen 19 und 26 Jahre alt war, nämlich 2.781 Personen. Bei weiteren 2.101 Personen handelte es sich um Jugendliche mit bis zu 18 Jahren. Die Zahl der zurückgekehrten Familien wird mit 733 angegeben (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 – juris, Rn. 400-401 m.w.N.). Bis Juli 2017 kehrten nach Angaben der IOM aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Afghanistan vom 29. Juni 2018 mit letzten Kurzinformationen vom 22. August 2018, Seite 331).

Neben diesen zahlreichen freiwilligen Rückkehrern gab und gibt es Abschiebungen aus Europa. So wurden im Zeitraum zwischen Oktober 2016 und April 2017 insgesamt 176 Personen aus Europa nach Afghanistan abgeschoben, darunter 106 aus Deutschland, von denen wiederum einige keine Verwandten in Kabul oder teilweise auch im gesamten Land hatten. Vom 31. Mai 2017 bis zum 23. Januar 2018 wurden 68 weitere Personen aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben, von Ende Dezember 2016 bis einschließlich September 2018 insgesamt 366 Personen (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 – juris, Rn. 402-406 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Nach aktuellen Erkenntnissen wurden seit der ersten Abschiebung aus Deutschland im Dezember 2016 insgesamt 589 Männer in 24 Flügen von deutschen Behörden zurück nach Afghanistan geschickt (vgl. www. sueddeutsche.de „Weiterer Abschiebeflug“, veröffentlicht am 16. Juni 2019 um 20:32 Uhr, Abruf am 17. Juni 2019). Die bisher letzte Sammelabschiebung aus der Bundesrepublik fand am 31. Juli 2019 statt, als 45 Männer nach Kabul geflogen wurden (vgl. www.spiegel.de „Weiterer Abschiebeflug in Kabul eingetroffen“, veröffentlicht am 31. Juli 2019 um 9:31 Uhr, Abruf am 16. August 2019).

Den umfangreichen Erkenntnismitteln zu Afghanistan sind keine Informationen zu entnehmen, aus denen geschlossen werden könnte, dass allein der Umstand einer Rückkehr aus dem westlichen Ausland bei fehlenden Netzwerken vor Ort einer Existenzsicherung in Afghanistan wenn auch nur auf niedriger Stufe entgegenstände. Zwar gibt es vereinzelte Rückkehrberichte über Probleme insbesondere bei der Suche nach Unterkünften und Arbeit. Erfahrungsberichte oder Schilderungen dahingehend, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer ohne Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern sowie kinderlose Ehepaare in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände sogar verstorben wären, liegen hingegen nicht vor (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 – juris, Rn. 407).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Auch EASO berichtet hierzu von unbestätigten Einzelfällen. EASO liegen aber einzelne Berichte über versuchte Entführungen aufgrund der Vermutung, der Rückkehrer sei im Ausland zu Vermögen gekommen, vor (Auswärtiges Amt, a.a.O., Seite 31).

Die Problematik fehlender Netzwerke bzw. dass es für viele Afghanen schlechter-dings nicht vorstellbar sei, ohne Zugehörigkeit zu sozialen Netzwerken zu überleben, durchzieht die vorliegenden Erkenntnismittel und Erfahrungsberichte derjenigen, die in letzter Zeit Einzelschicksale von Rückkehrern in Afghanistan untersucht bzw. entsprechende Versuche unternommen haben. Derartige Aussagen beantworten aber nicht die Frage, wie es um die Überlebenssicherung von alleinstehenden Rückkehrern steht, wenn diese trotz der fehlenden Vorstellbarkeit des Alleinstehens in größerer Zahl in Afghanistan erscheinen, wie es bereits in den letzten Jahren der Fall war und auch weiterhin der Fall ist. Eine tatsächliche Gefahr der zeitnahen Verelendung im Fall der Rückkehr und damit ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK lässt sich auch weiterhin für diese Personen nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit belegen. Hinreichend gesicherte Erkenntnisse für eine solche Gefahr liegen nicht vor. Daher erscheint der Schluss logisch und nachvollziehbar, dass es Rückkehrern zumindest möglich sein muss, frühere Netzwerke wieder aufleben zu lassen oder neue zu etablieren (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 – juris, Rn. 419-425). Gerade angesichts der großen Zahl von Rückkehrern aus Pakistan, Iran und Europa erscheint es schlüssig, dass diese zurückkehrenden jungen, alleinstehenden Männer untereinander eigene Netzwerke aufbauen und dadurch das Fehlen existierender Netzwerke wenigstens so weit kompensieren, dass sie jedenfalls am Rande des Existenzminimums ihr Dasein fristen können.

Trotz der in Afghanistan bestehenden Widrigkeiten würde es dem Kläger nach Auffassung des Gerichts aller Voraussicht nach möglich sein, Arbeit jedenfalls als Tagelöhner zu finden und dadurch seine Grundbedürfnisse zu sichern. In den meisten Branchen, beispielsweise im Baubereich, werden Tagelöhner eingesetzt. Das Existenzminimum für eine Person kann durch solche Aushilfsjobs erwirtschaftet werden (vgl. VG Berlin, Urteil vom 10. Februar 2016 – 9 K 535.13 A; juris Rn. 56). Der unverheiratete und kinderlose Kläger müsste im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nur sich selbst versorgen. Dies ist ihm zumutbar. Daneben könnte der Kläger zumindest für die erste Zeit nach seiner Rückkehr verschiedene Rückkehrförderprogramme in Anspruch nehmen, welche u.a. Reisebeihilfen, Startgelder, Beratung und Begleitung zu Behörden, medizinischen und karitativen Einrichtungen, Unterkunft sowie finanzielle Integrationshilfen vorsehen (vgl. hierzu VG Augsburg, Urteil vom 13. August 2018 - Au 5 K 17.30441, beck-online).

Ein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 AufenthG scheidet für den Kläger ebenfalls aus.

Nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies kann aus individuellen Gründen der Fall sein, kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht. Eine solche Ausnahme können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage darstellen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahr ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit in dem Sinn drohen, dass er im Fall der Abschiebung sozusagen sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wäre. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren, wenn also z.B. der Ausländer mangels jeglicher Lebens-grundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre.

Von diesem Maßstab ausgehend bietet § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz als § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK. Liegen also die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante extreme Gefahrenlage aus (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 – juris, Rn. 453). Die fraglos schlechten Lebensverhältnisse in Afghanistan begründen wie oben dargestellt bereits keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK und erfüllen damit erst recht nicht die höheren Voraussetzungen der extremen Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigt, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG).

Die Regelung in § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG umfasst nach ihrem Wortlaut, ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem Sinn und Zweck auch die Feststellung ziel-staatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG (Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28. September 2017 – 2 L 85/17 – juris, Leitsatz und Rn. 13).

Bei dem Kläger greift die gesetzliche Vermutung, dass seiner Abschiebung keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse aus gesundheitlichen Gründen entgegenstehen.

Auch im Übrigen ist gegen den Bescheid in materiell-rechtlicher Hinsicht nichts zu erinnern.

Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 AsylG, § 59 Auf-enthG. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.

Gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 Auf-enthG wurde weder seitens des Klägers weder etwas vorgetragen noch sind für das Gericht nach eigener Prüfung Gründe dafür ersichtlich, dass die Befristung auf 30 Monate ermessensfehlerhaft sein könnte.

Die Kostenentscheidung einschließlich der Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Einer Streitwertfestsetzung bedurfte es vorliegend nicht, da das Verfahren gerichtskostenfrei war.