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Leistungsfall; Versicherungsfall; Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung; Verschlossenheit Teilzeitarbeitsmarkt; konkrete Betrachtungsweise


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 21. Senat Entscheidungsdatum 10.06.2010
Aktenzeichen L 21 R 1203/07 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 43 Abs 2 SGB 6

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab Mai 2002.

Der 1948 geborene Kläger absolvierte von 1965 bis 1967 eine Lehre als Schlosser und war von 1968 bis 1992 als Kellner und zuletzt als Barmixer berufstätig. Von 1993 bis 1998 war er selbstständig als Wohnungsmakler, vom 01. Mai 1999 bis 30. April 2000 war der Kläger als Betriebsleiter bei der D AG & Co. KG beschäftigt. Ab dem 01. Mai 1999 bis einschließlich Mai 2002 entrichtete er Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung bei der Beklagten (Versicherungsverlauf vom 13. Februar 2004).

Vom 28. Januar 2000 bis zu seinem Austritt bei der D AG & Co KG war der Kläger arbeitsunfähig. Vom 10. März 2000 bis zum 23. Mai 2001, unterbrochen durch die Zahlung von Übergangsgeld vom 01. August 2000 bis zum 21. August 2000, bezog er Krankengeld. Ab 18. Juli 2001 bis 20. August 2001 war er erneut arbeitsunfähig.

Am 10. Mai 2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. In dem Antrag gab er an, seit Januar 2000 wegen Morbus Bechterew mit peripherer Gelenkbeteiligung erwerbsgemindert zu sein.

Die Beklagte zog einen Reha-Entlassungsbericht der Rheumaklinik BL über eine Behandlung vom 31. Juli bis 21. August 2000 bei und veranlasste die Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Chirurgie und Sozialmedizin DM P, der in seinem nach Untersuchung des Klägers vom 03. Juni 2002 erstellten Gutachten diesen für auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig einsatzfähig hielt.

Mit Bescheid vom 18. Juli 2002 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers mit der Begründung ab, dass dieser noch in der Lage sei, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Hiergegen legte der Kläger am 30. Juli 2002 Widerspruch ein, mit dem er geltend machte, seit 28. Januar 2000 „ärztlicherseits“ arbeitsunfähig zu sein, von seinen behandelnden Ärzten sei ihm schon Anfang 2000 empfohlen worden, einen EM-Rentenantrag zu stellen. Im Juli 2001 habe er eine EDV-Schulung aus gesundheitlichen Gründen abbrechen müssen. Von weiteren Schulungen sei ihm ärztlicherseits abgeraten worden.

Die Beklagte holte einen Befundbericht der Rheumaklinik B vom 21. August 2002 mit weiteren Nachweisen ein und veranlasste die Begutachtung des Klägers durch die Ärztin für Innere Medizin/Sozialmedizin Dr. Sch. Diese kam in dem nach körperlicher Untersuchung vom 08. Oktober 2002 erstellten Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Kläger sowohl in seinem Beruf als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt lediglich drei bis unter sechs Stunden täglich einsatzfähig sei mit weiteren qualitativen Einschränkungen. Die Leistungseinschränkungen bestünden seit Januar 2000. Die Wahrscheinlichkeit einer Besserung sei nicht übermäßig groß.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, dass der Versicherungsfall der Erwerbsminderung am 28. Januar 2000 eingetreten sei mit der Folge, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung nicht erfüllt seien. Im maßgeblichen Zeitraum vom 28. Januar 1995 bis 27. Januar 2000 seien nur neun Monate an Pflichtbeiträgen vorhanden. Besondere Dehnungszeittatbestände seien nicht gegeben.

Hiergegen hat der Kläger am 12. März 2003 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er geltend gemacht hat, dass zwar der 28. Januar 2000 der erste Tag seiner Krankschreibung gewesen sei, dies aber nicht identisch mit dem Versicherungsfall sei, zumal er nach der Kur in BL im Juli 2001 noch eine Umschulung zum EDV-Fachmann begonnen und den Rentenantrag auch erst am 10. Mai 2002 gestellt habe. Seine Krankheit weise eine progrediente Entwicklung mit deutlicher Verschlechterung im Jahr 2002 auf.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt und die Begutachtung durch den Arzt für Orthopädie, Rheumatologie, Handchirurgie und Physikalische Medizin und Chefarzt der Orthopädisch-Rheumatologischen Abteilung des I-Krankenhauses Prof. Dr. S veranlasst. Dieser stellte nach körperlicher Untersuchung des Klägers vom 23. Juli 2004 in seinem Gutachten vom 10. August 2004 fest, dass bei dem Kläger auf orthopädisch-rheumatologischem Fachgebiet eine Spondylitis ankylosans mit erheblicher entzündlicher Aktivität seit dem 28. Januar 2000 bestehe. Aufgrund der vorliegenden aktenkundigen Daten sei davon auszugehen, dass bereits vor Mai 2002 das vollschichtige Leistungsvermögen aufgehoben gewesen sei, und zwar seit dem Jahr 2000. Den versorgungsärztlichen Feststellungen des Dr. P werde nicht gefolgt, da die chirurgischen Rentenbegutachtungen im Allgemeinen das Leistungsvermögen bei rheumatologischen Erkrankungen nicht ausreichend beschreiben würden. Den Ausführungen der Frau Dr. Sch würde dagegen gefolgt, ebenso den Diagnosen der behandelnden Ärzte. Allerdings läge eine überzeugende Darstellung der richtungsweisenden Verschlimmerung im Jahr 2002 nicht vor.

Das Sozialgericht hat ferner ein weiteres internistisch-rheumatologisches Gutachten des Prof. Dr. med. B vom 06. November 2006 veranlasst. Dieser kam nach körperlicher Untersuchung des Klägers am 17. Juli 2006 zu den Feststellungen, dass in der Zusammenschau aller Befunde bereits Anfang 2000 eine hochentzündliche Aktivität des Morbus Bechterew mit beginnender sekundärer Coxarthrose sowie einer Manifestation an den Kniegelenken vorgelegen habe. Da die entzündliche Aktivität mit Basistherapeutika nicht zu stoppen gewesen sei, sei es zu einem kontinuierlichen Prozess der Gelenk- und Wirbelsäulenmanifestationen gekommen. Quantitative Einschränkungen der Leistungsfähigkeit hätten seit dem 28. Januar 2000 für eine Arbeitszeit von unter sechs Stunden täglich und seit dem 02. April 2002 für eine maximale Arbeitszeit von vier Stunden täglich bestanden. Allerdings sei von einer deutlichen Zustandsverschlechterung im Jahre 2002 nicht auszugehen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 18. Juni 2002 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass nach den medizinischen Ermittlungen von einem Versicherungsfall der teilweisen Erwerbsminderung am 28. Januar 2000 auszugehen sei. Zu diesem Zeitpunkt seien die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, weil der Kläger im maßgebenden Zeitraum nur neun Monate an Pflichtbeiträgen erbracht habe. Anwartschaftserhaltungstatbestände könne der Kläger nicht aufweisen, da er von 1993 bis 1998 versicherungsfrei selbstständig gewesen sei.

Der Kläger hat gegen das ihm am 14. August 2007 zugestellte Urteil am 27. August 2007 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung macht er geltend, dass die Erwerbsminderung nicht bereits am 28. Januar 2000 eingetreten sei, denn zu diesem Zeitpunkt sei sein berufliches Leistungsvermögen noch nicht auf absehbare Zeit eingeschränkt gewesen. Auch die Gutachterin Frau Dr. Sch habe noch Besserungschancen gesehen, da sie eine Befristung bis zum Januar 2004 angebe.

Er sei am 31. August 2000 aus der stationären Rehabilitationsmaßnahme vollschichtig erwerbsfähig entlassen worden. Qualitative und quantitative Leistungseinschränkungen seien im Abschlussbericht nicht mitgeteilt worden. Die zuständige Krankenkasse KKH habe mit Schreiben vom 17. April 2001 dem Kläger Arbeitsfähigkeit ab dem 30. April 2001 attestiert. Erst im Mai 2002 sei die Therapie mit einem alternativen TNF-Alpha-Blocker begonnen worden und erst am 20. August 2002 sei das Versorgungsamt Berlin einem Verschlimmerungsantrag des Klägers nachgekommen und habe den Grad der Behinderung (GdB) heraufgesetzt. Auch der Gutachter Prof. Dr. B habe eine Zunahme der Symptomatik ab dem Jahr 2002 mitgeteilt. Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger noch über ein Leistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten verfügt. Er habe auch nach dem vom Sozialgericht angenommenen Datum des Leistungsfalls noch an einer Fortbildungsmaßnahme teilgenommen. Nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. L sei für den Zeitraum von Januar 2000 bis Mai 2002 von einem verbliebenen Restleistungsvermögen für drei bis sechs Stunden auszugehen. Der Leistungsfall eines aufgehobenen Leistungsvermögens und damit einer vollen Erwerbsminderung bestehe erst ab Mai 2002.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Juni 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm, dem Kläger, ab 01. Mai 2002 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält auch nach den weiteren medizinischen Ermittlungen an ihrer durch die erstinstanzliche Entscheidung bestätigten Auffassung aus dem Widerspruchsbescheid fest. Nach den Feststellungen der Frau Dr. L sei ein Leistungsfall im Januar 2000 bestätigt. Eine Besserung im Sinne einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit sei bei bestehender chronisch-progredienter Erkrankung seit Januar 2000 nicht mehr gesehen worden. Ein neuer Leistungsfall einer vollen Erwerbsminderung im Mai 2002 scheide damit aus. Der Kläger sei nach der vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Rechtsprechung der „konkreten Betrachtungsweise“ auch bei einem Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden täglich bereits seit dem 28. Januar 2000 voll erwerbsgemindert, da ihm der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen gewesen sei.

Der Senat hat die Verwaltungsvorgänge des Arbeitsamtes beigezogen und den Kläger zur Einreichung von Unterlagen über die Teilnahme an einer Trainingsmaßnahme nach § 48 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) veranlasst. Danach nahm der Kläger in der Zeit vom 28. Mai bis 08. Juni 2001 an einer zweiwöchigen Trainingsmaßnahme der Akademie für Berufsförderung und Umschulung gGmbH teil. Ferner nahm der Kläger teilweise an einer EDV-Schulung teil, deren Laufzeit auf den 09. Juli bis 07. September 2001 konzipiert war. Diese Maßnahme brach der Kläger am 18. Juli 2001 aus gesundheitlichen Gründen ab.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat ein orthopädisches Sachverständigengutachten der Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. L vom 24. Januar 2010 veranlasst. Die Gutachterin stellte zusammenfassend fest, dass von einer quantitativen Leistungseinschränkung der Erwerbsfähigkeit ab dem Jahr 2000 ausgegangen werden müsse. Weil es sich jedoch um einen chronisch-progredienten Verlauf handele und nicht um ein akut einsetzendes Ereignis, sei von einer zunehmenden Einschränkung der Erwerbsfähigkeit im Sinne einer zunächst einsetzenden Teilerwerbsminderung und anschließendem Übergang in eine volle Erwerbsminderung auszugehen. Ab dem 28. Januar 2000 habe eine Teilerwerbsminderung im Sinne einer quantitativen Einschränkung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf unter sechs Stunden, ab dem 02. April 2002 habe eine quantitative Leistungseinschränkung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf unter drei Stunden bestanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Az.: ) und der Leistungsakte der Bundesagentur für Arbeit (Stammnummer: ) Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, der angefochtene ablehnende Bescheid der Beklagten ist in der Gestalt des Widerspruchsbescheides rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Rente wegen voller Erwerbsminderung, weil die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls nicht erfüllt sind.

Zwar ist der Kläger - wie auch zwischen den Beteiligten nicht streitig ist - nicht mehr in der Lage, Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten, sodass die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung i.S. von § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI – in der ab 01. Januar 2001 geltenden Fassung vorliegen.

Die maßgebende Minderung der Erwerbsfähigkeit ist bei dem Kläger aber nach den übereinstimmenden Feststellungen der Gerichtssachverständigen nicht erst im Mai 2002 eingetreten. Zwar war ab diesem Zeitpunkt nach den ärztlichen Feststellungen die Erwerbsfähigkeit des Klägers aus rein medizinischen Gründen vollständig aufgehoben. Der Versicherungsfall der „vollen Erwerbsminderung“ bzw. der Erwerbsunfähigkeit nach § 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung – SGB VI a.F. - ist jedoch bereits am 28. Januar 2000 eingetreten. Da anlässlich der Rechtsänderung zum 01. Januar 2001 und der Schaffung der Versicherungsfälle der vollen und teilweisen Erwerbsminderung keine neuen Versicherungsfälle eingeführt worden sind (BSG, Urteil vom 14. August 2003 - B 13 RJ 4/03 R -, Rn. 23) bestand damit weiterhin die rentenberechtigende Erwerbsminderung, so dass es zu keinem neuen Versicherungsfall gekommen ist.

Nach § 44 Abs. 2 SGB VI a.F. sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630 Deutsche Mark übersteigt; erwerbsunfähig sind auch Versicherte die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können. Nach den Feststellungen der Gerichtssachverständigen ist der Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung danach bei dem Kläger bereits im Januar 2000 eingetreten. Denn ab diesem Zeitpunkt konnte er auch nach den Feststellungen der zuletzt gehörten Sachverständigen gesundheitsbedingt nur noch Teilzeitarbeit verrichten, wobei der Teilzeitarbeitsmarkt für ihn verschlossen war. Damit war der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit eingetreten.

Mit „Versicherungsfall“ werden die Ereignisse im Leben des Versicherten bezeichnet, gegen deren Nachteile er oder seine Hinterbliebenen durch die Versicherung geschützt werden sollen (BSGE 20, 48,50). Für die spezifische Leistungsart einer „Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 SGB VI a.F.“ gilt wie auch für die Leistungsart der „Rente wegen voller Erwerbsminderung“, dass Anspruch auf diese Rente derjenige hat, der die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat (§ 44 Abs. 1 SGB VI) und erwerbsunfähig nach § 44 Abs. 2 SGB VI ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. hierzu BSGE 30, 167 und BSGE 43, 75, jeweils noch zu den Ansprüchen nach der Reichsversicherungsordnung - RVO -) ist aber auch dann Erwerbsunfähigkeit des Versicherten anzunehmen, wenn dieser zwar noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes bis zu acht Stunden täglich erwerbstätig sein kann, er jedoch - wie im vorliegenden Fall - keinen entsprechenden Arbeitsplatz inne hat und ihm der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen ist (vgl. Jörg in: Kreikebohm, SGB VI, Komm., 2. Aufl., § 43 Rdnr. 27f. zu dem Anspruch auf volle Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 SGB VI bei Verschlossenheit des Arbeitsmarktes). Eine Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes liegt vor, wenn weder der Rentenversicherungsträger noch die zuständige Arbeitsagentur dem Versicherten innerhalb eines Jahres einen für ihn in Betracht kommenden Arbeitsplatz anbieten können (Jörg a. a. O., Rdnr. 28). Angesichts der Arbeitsmarktlage gehen die Rentenversicherungsträger in der Regel ohne weitere Ermittlungen davon aus, dass die Vermittlung eines in seinem Leistungsvermögen qualitativ und quantitativ eingeschränkten Versicherten nicht innerhalb der Jahresfrist möglich ist, sodass der Leistungsfall bereits mit dem Absinken des Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden täglich angenommen wird, dies galt auch schon unter Geltung des § 44 SGB VI a.F. bis 31. Dezember 2000 (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Bd.1, Stand Januar 2002, § 43 Rdnr. 31 m.w.N. aus der Rspr.).

Danach ist hier der Versicherungsfall bereits am 28. Januar 2000 eingetreten.

In dem maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraum vor Eintritt des Versicherungsfalls der Erwerbsunfähigkeit (28. Januar 1995 bis 27. Januar 2000) nicht wenigstens drei Jahre (36 Kalendermonate) Pflichtbeiträge, sondern lediglich neun Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet, sodass die (besonderen) versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 44 Abs. Abs. 1 Nr. 2 SGB VI) nicht erfüllt sind. Dehnungszeittatbestände nach § 44 Abs. 4 SGB VI a.F. in Verbindung mit § 43 Abs. 3, Abs. 4 SGB VI a. F. liegen nicht vor. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist nicht auf einen „Leistungsfall für ein aufgehobenes Leistungsvermögen“ abzustellen. Es ist bei der Frage nach dem Eintritt der für eine Rente maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht auf den medizinischen Sachverhalt abzustellen, sondern auf den Versicherungsfall. Der Eintritt der Erwerbsminderung ist der „Eintritt des Versicherungsfalles“ nach der Terminologie des ab 31. Dezember 2000 geltenden Rechts, vorher war der Eintritt der „Erwerbsunfähigkeit“ der Versicherungsfall (vgl. BSG, Urteil vom 14. August 2003 - B 13 RJ 4/03 R -).

Dies ergibt sich u. a. aufgrund folgender Erwägungen: Der Begriff der Minderung der Erwerbsfähigkeit in § 101 Abs.1 SGB VI ist im Gesetz nicht definiert. Übereinstimmend in Rechtsprechung und Literatur versteht man jedoch unter Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit des Versicherten, sich unter Ausnutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm nach seinen gesamten Kenntnissen und körperlichen und geistigen Fähigkeiten im ganzen Bereich des wirtschaftlichen Lebens bieten, einen Erwerb zu verschaffen (vgl. BSGE 28, 18). Der Begriff beinhaltet in der gesetzlichen Rentenversicherung die Beeinträchtigung des beruflichen Leistungsvermögens und die Fähigkeit des Versicherten zum Erwerb von Einkünften durch eine Beschäftigung oder Tätigkeit. Hierbei sind aber nicht ausschließlich Kriterien zu beachten, die mit dem Gesundheitszustand des Versicherten in unmittelbarem Zusammenhang stehen. So ist bei einer Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit für die Frage des Vorliegens einer Minderung der Erwerbsfähigkeit zu prüfen, ob ein zumutbarer Verweisungsberuf besteht. Ist der Versicherte aus medizinischer Sicht nur teilweise erwerbsgemindert, kommt eine Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage in Betracht (sog. konkrete Betrachtungsweise, vgl. BT-Drs. 14/4230 S. 23). Anders als im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, das grundsätzlich eine abstrakte Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit für einen Anspruch auf Verletztenrente beinhaltet und dabei ausschließlich auf die gesundheitlich bedingten Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund eines Versicherungsfalls abstellt (vgl. § 56 SGB VII), sieht die gesetzliche Rentenversicherung die konkrete Betrachtungsweise vor, bei der neben den bei dem Versicherten vorliegenden Gesundheitsstörungen auch der beruflichen Werdegang, die Arbeitsmarktlage und die konkrete Beschäftigungssituation zu berücksichtigen sind.

Ein neuer Versicherungsfall ist im Mai 2002 nicht eingetreten.

Der Zustand der den Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Abs. 2 SGB VI a.F. und damit der vollen Erwerbsminderung ab 01. Januar 2001 nach § 43 Abs. 2 SGB VI begründenden Erwerbsminderung bestand beim Kläger unverändert bis zum Mai 2002 und über diesen Zeitpunkt hinaus. Durch die geltend gemachte Verschlimmerung der bestehenden Erkrankung konnte daher der bereits voll erwerbsgeminderte Kläger nicht erneut erwerbsgemindert werden. Es kommt nicht darauf an, worauf die Erwerbsminderung letztlich beruht, d. h. ob sie allein auf Krankheit oder Behinderung des Versicherten zurückzuführen ist oder ob sie nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand des Versicherten beruht (BSG, Urteil vom 29. November 1990 - 5/4 a RJ 41/87 -, juris). Entscheidend ist allein die eingetretene Folge, die in beiden Fällen in der eingetretenen vollen Erwerbsminderung besteht. Für die Frage, ob ein Versicherungsfall (noch) vorliegt oder nicht, spielt es demzufolge auch keine Rolle, ob die ursprünglich gegebene volle Erwerbsminderung - bei Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen - zur Gewährung einer zeitlich befristeten Rente wegen einer Aussicht auf Besserung des Gesundheitszustandes oder im Hinblick darauf, dass der Arbeitsmarkt in absehbarer Zeit nicht mehr verschlossen sein werde, zu gewähren gewesen wäre. Dass sich der Gesundheitszustand des Klägers im Jahr 2001 – etwa während der Durchführung der zweiwöchigen Fortbildungsmaßnahme vom 28. Mai bis 08. Juni 2001 - dergestalt verbessert hätte, dass der Kläger vollschichtig leistungsfähig war, und sich erst im Jahr 2002 eine erneute – volle - quantitative Leistungsminderung eingestellt haben könnte, ist nach den übereinstimmenden und überzeugenden Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen auszuschließen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), lagen nicht vor.