Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 26.11.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 9 S 71.12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 44 BauO BE, § 14 SOG BE, § 94 BGB, Art 231 § 5 BGBEG, Art 233 § 4 BGBEG, § 288 Abs 4 ZGB DDR, § 4 NutzRG |
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. August 2012 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
I.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Grundstücks in Berlin-Mahlsdorf. Das Grundstück stand zu DDR-Zeiten in Volkseigentum. Am 10. August 1984 wurde einem Ehepaar ein dingliches Nutzungsrecht auf Grund des Gesetzes vom 14. Dezember 1970 übertragen. Das Grundstück ist mit einem Einfamilienhaus bebaut, für das ein Gebäudegrundbuchblatt besteht.
Der Antragsgegner gab der Antragstellerin mit Bescheid vom 21. Juli 2011 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, das Grundstück bis spätestens 31. Dezember 2012 an die in der Straße vorhandene öffentliche Entwässerungsanlage herzustellen. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2011 zurück.
Die Antragstellerin hat am 27. Januar 2012 Klage erhoben und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage beantragt. Mit Beschluss vom 2. August 2012 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt. Der Antragsgegner hat am 16. August 2012 Beschwerde erhoben und diese erstmalig am 10. September 2012 begründet.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Bei Beschwerden in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes knüpft die Prüfung wegen § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zunächst allein an die fristgerecht dargelegten Beschwerdegründe an. Nur wenn diese die Tragfähigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung erschüttern, prüft das Oberverwaltungsgericht von Amts wegen weiter, ob der in Rede stehende vorläufige Rechtsschutz nach allgemeinem Maßstab zu gewähren ist oder nicht.
Danach ist die erstinstanzliche Entscheidung hier nicht zu ändern.
Das Verwaltungsgericht hat die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wie folgt begründet: Es könne offen bleiben, ob der Antragsgegner die Anordnung der sofortigen Vollziehung ordnungsgemäß begründet habe (§ 80 Abs. 3 VwGO). Auch könne unterstellt werden, dass die Antragstellerin hinsichtlich der Verwirklichung des Anschlusszwangs (§ 44 Satz 1 BauO Bln) ordnungspflichtig sei. Das Aussetzungsinteresse der Antragsstellerin überwiege jedenfalls deshalb, weil der Antragsgegner ermessensfehlerhaft darüber entschieden habe, ob er die Verwirklichung des Anschlusses von der Antragstellerin als Grundstückseigentümerin oder den Gebäudeeigentümern als Inhabern eines dinglichen Nutzungsrechts an dem Grundstück verlange. Es gebe keinen tragfähigen Anhaltspunkt dafür, dass die Gebäudeeigentümer wirtschaftlich nicht in der Lage seien, den Anschluss herzustellen. Soweit der Antragsgegner den Anschluss im Wege der Ersatzvornahme herstellen wolle, müsse er auch nicht gegenüber den Gebäudeeigentümern in finanzielle Vorlage treten, sondern könne einen Vorschuss anfordern und die Vorschussanforderung gegebenenfalls auch vollstrecken.
Die Beschwerde hält dem entgegen: Nach § 44 Satz 1 BauO Bln sei das Grundstück als solches (und nicht etwa ein aufstehendes Gebäude) an die Schmutzwasserkanalisation anzuschließen. Demzufolge sei vorrangig die Antragstellerin als Grundstückseigentümer zur Verwirklichung des Anschlusses heranzuziehen. Unabhängig davon sei bei der Auswahl des Heranzuziehenden zu berücksichtigen, wer wirtschaftlich dazu in der Lage sei, den Anschluss herzustellen. Auf einen im Jahr 2007 unternommenen Versuch, die Gebäudeeigentümer durch eine Zwangsgeldandrohung zum Anschluss zu bewegen, hätten diese nicht reagiert. Die Gebäudeeigentümerin sei inzwischen ausgezogen, der Gebäudeeigentümer allein offenbar wirtschaftlich nicht in der Lage, den Anschluss zu verwirklichen. Eine Beitreibung des Zwangsgeldes müsse durch Verwertung des Gebäudeeigentums erfolgen. Hierdurch werde die ausgezogene Gebäudeeigentümerin als Nichtstörerin beeinträchtigt. Zudem führe all dies noch nicht zu einem schnellen - aber aus Gründen der Volksgesundheit nötigen - Anschluss; vielmehr sei dieser nur durch Heranziehung der Antragstellerin zu erreichen.
Diese Ausführungen erschüttern die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe nicht.
Der Antragsgegner irrt hinsichtlich der Frage, wer vorliegend Zustandsstörer im Hinblick auf den bislang unterbliebenen Anschluss an die öffentliche Schmutzwasserkanalisation ist. Ausgangspunkt der Ordnungspflicht des Zustandsstörers ist der Umstand, dass eine Gefahr von einer Sache ausgeht (§ 14 Abs. 1 ASOG), sich also eine Sache in einem Zustand befindet, der gefährlich ist. Diese Sache ist hier nicht das Grundstück, sondern das aufstehende Gebäude, ggf. nebst einer abflusslosen Sammelgrube oder ähnlichem. Dem steht auch nicht entgegen, dass nach dem Wortlaut des § 44 Satz 1 BauO Bln "Grundstücke" an die öffentliche Entwässerung anzuschließen sind. Diese Formulierung knüpft an den Normalfall an, bei dem zur einheitlichen unbeweglichen Sache "Grundstück" rechtlich nicht nur der Grund und Boden, sondern - als wesentliche Bestandteile - auch die mit dem Grund und Boden fest verbundenen Sachen, insbesondere Gebäude gehören (§ 94 Abs. 1 Satz 1 BGB). Für diesen Normalfall trifft es sprachlich zu, vom Anschluss des "Grundstücks" zu reden. Dabei ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des Anschlusszwangs, dass es in diesem Normalfall für die Erfüllung der Anschlusspflicht nicht ausreicht, lediglich einen Grundstücksanschluss im technischen Sinne, d. h. eine Verbindung zwischen dem Hauptsammler in der Straße und einem Revisionsschacht an oder kurz hinter der Grundstücksgrenze zu schaffen oder sonst einen beliebigen Teil der einheitlichen Sache "Grundstück" mit der öffentlichen Schmutzwasserkanalisation zu verbinden. Vielmehr müssen gerade diejenigen Anlagen oder Einrichtungen auf dem Grundstück leitungsmäßig mit der öffentlichen Schmutzwasserkanalisation verbunden werden, in denen Schmutzwasser anfällt. Denn nur dies begegnet den Gefahren, die konkret oder jedenfalls abstrakt für das Grundwasser (und damit die Volksgesundheit) drohen, wenn die Schmutzwasserentsorgung anders als leitungsgebunden erfolgt, und nur dies stellt letztlich auch sicher, dass die Finanzierung der leitungsgebundenen Schmutzwasserentsorgung auf einer möglichst breiten Gebühren- oder Entgeltgrundlage beruht. Aus dem Sinn und Zweck des Anschlusszwangs ergibt sich auch, welche Sache an die öffentliche Schmutzwasserkanalisation anzuschließen ist, wenn - wie hier - ausnahmsweise das Grundstück und ein aufstehendes Gebäude mit seinen Nebenanlagen rechtlich nicht als eine Sache, sondern als verschiedene Sachen angesehen werden, weil das Gebäude und etwaige Nebenanlagen auf der Grundlage eines zu DDR-Zeiten verliehenen dinglichen Nutzungsrechts errichtet worden sind (Art. 231 § 5 Abs. 1 EGBGB in Verbindung mit § 288 Abs. 4 ZGB, § 4 Abs. 4 NutzRG, Art. 233 § 4 EGBGB). In diesem Fall muss die rechtlich vom Grundstück getrennte Sache Gebäude (ggf. unter Einbeziehung von Teilen seiner bisherigen Nebenanlage zur Schmutzwasserentsorgung, etwa einer passenden Rohrleitung) an die öffentliche Schmutzwasserkanalisation angeschlossen werden, damit der Sinn und Zweck des Anschlusszwangs erreicht wird. Solange dieser Anschluss nicht erfolgt ist, gehen die diesbezüglichen Gefahren vom Gebäude (und etwaigen Nebenanlagen) aus, mit der Folge, dass der oder die Gebäudeeigentümer Zustandsstörer sind, und zwar, soweit sie das Grundstück bewohnen, als Inhaber der tatsächlichen Gewalt (§ 14 Abs. 1 ASOG) und als Eigentümer des Gebäudes (§ 14 Abs. 3 Satz 1 ASOG), im Übrigen nur als Gebäudeeigentümer. Das entspricht im Ergebnis der Lage, die besteht, wenn Gefahren von einem Gebäude ausgehen, das auf der Grundlage eines Erbbaurechts errichtet worden ist (vgl. dazu OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 27. September 2012, OVG 1 N 8.12, juris, Rdnr. 3). Danach sind hier der auf dem Grundstück wohnende Gebäudeeigentümer und die nicht mehr auf dem Grundstück wohnende Gebäudeeigentümerin (und nicht die Antragstellerin) Zustandsstörer.
Ungeachtet dessen fehlt es auch an jedem belastbaren Anhaltspunkt dafür, dass der Gebäudeeigentümer (und die Gebäudeeigentümerin) wirtschaftlich nicht in der Lage wären, den Anschluss herstellen zu lassen. Das bloße Ignorieren behördlicher Anschreiben und einer Zwangsgeldandrohung belegen nur den Unwillen, den Anschluss herstellen zu lassen, nicht aber ein entsprechendes wirtschaftliches Unvermögen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).