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Abzweigung von Kindergeld


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 11.09.2014
Aktenzeichen 9 K 9353/13 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Ablehnung der vom Kläger beantragten Abzweigung des Kindergeldes an ihn i. S. von § 74 Abs. 1 EStG durch die Familienkasse rechtmäßig ist oder nicht.

Der am 8. März 1995 geborene Kläger ist der leibliche Sohn von Rechtsanwalt B… aus C…. Nach Beendigung seiner Schulausbildung nahm der Kläger zu Beginn des Wintersemesters 2013/14 ein Studium am College C… auf. Die Studiengebühren hierfür betragen monatlich 700,00 EUR (vgl. „Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse“ des Klägers vom 31. Dezember 2013).

Sein Vater, der bislang das Kindergeld für den Kläger erhielt, weil der Kläger in der väterlichen Wohnung wohnte, reichte am 18. Juni 2013 eine von ihm unterschriebene „Erklärung zu weiteren Berücksichtigungstatbeständen nach Beendigung der Schulausbildung“ bei der o. g. Familienkasse ein, in der er erklärte, dass der Kläger weiterhin im väterlichen Haushalt wohne und ein Studium aufnehme wolle.

Am 10. Oktober 2013 ging bei der Familienkasse ein Antrag des Klägers ein, das Kindergeld unmittelbar an ihn auszuzahlen. In dem Formular gab er u. a. an, dass seine in D… wohnhafte Mutter monatlichen Barunterhalt in Höhe von 304,00 EUR erbringe. Außerdem reichte der Kläger eine „Vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“ des Jobcenters C… vom 15. Mai 2013 betr. seinen Vater ein, wonach diesem und den mit ihm „in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen“ Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2013 in folgender Höhe vorläufig bewilligt wurden:

 Monatlicher Gesamtbetrag für den Monat Mai 2013:

 1.006,60 EUR

 Vater des Klägers

 für den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts

 396,66 EUR

 Vater des Klägers

 Bedarf für Unterkunft und Heizung

 232,04 EUR

 Kläger selbst

 Bedarf für Unterkunft und Heizung

 76,26 EUR

        

 Zuschuss nach § 26 SGB II zur

        

 Vater des Klägers

 Krankenversicherung

 157,40 EUR

        

 Pflegeversicherung

 25,01 EUR

 Kläger selbst

 Krankenversicherung

 93,90 EUR

 Bruder des Klägers

 Krankenversicherung

 25,33 EUR

Mit Bescheid vom 14. Oktober 2013 lehnte die o. g. Familienkasse eine Abzweigung des Kindergeldes an den Antragsteller i. S. von § 74 Abs. 1 EStG ab. Der hiergegen gerichtete Einspruch des Klägers blieb erfolglos und wurde von der Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 13. November 2013 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, dass eine Abzweigung im vorliegenden Fall nicht in Betracht komme, weil der Kläger im Haushalt seines Vaters lebe und dieser seine Unterhaltspflicht zumindest in Höhe des monatlichen Kindergeldbetrages durch Naturalleistungen wie z. B. Unterkunftsgewährung etc. erfülle.

Mit Bescheid vom 25. Juli 2014 hob die o. g. Familienkasse die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Vater des Klägers gemäß § 70 Abs. 2 EStG rückwirkend ab Oktober 2013 wieder auf. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger nach seinen eigenen Erklärungen im hiesigen Klageverfahren nicht als in den Haushalt seines Vaters aufgenommen anzusehen sei. Den Einspruch des Klägers hiergegen wies die Familienkasse mittels Einspruchsentscheidung vom 11. August 2014 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der Kläger weder in den Haushalt seines Vaters noch in denjenigen seiner Mutter aufgenommen worden sei. Nach seiner eigenen Aussage müsse der Kläger einen nicht unerheblichen Anteil an den Gesamthaushaltskosten seines Vaters selbst tragen, sodass er so zu behandeln sei als wenn er einen eigenen Haushalt betreiben würde. Für die Kindergeldbezugsberechtigung sei somit ausschlaggebend, welcher Elternteil den höheren Barunterhalt leiste. Dies sei im vorliegenden Fall die Kindesmutter. Sie schließe daher den Vater des Klägers von der Kindergeldzahlung aus.

Gegen den Aufhebungsbescheid hat der Vater des Klägers fristgerecht Klage zum FG erhoben, die noch anhängig ist (Az.: 9 K 15144/14).

Im Rahmen seiner Klage im hiesigen Verfahren macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass vorliegend ein Fall des § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG gegeben sei, weil sein Vater mangels Leistungsfähigkeit ihm gegenüber nicht unterhaltsverpflichtet sei. Er, der Kläger, sei zwar in den Haushalt seines Vaters aufgenommen worden. Dies sei nach der BFH-Rechtsprechung aber kein Hindernis für eine Abzweigung des Kindergeldes an ihn, da sein Vater Grundsicherungsleistungen nach dem SGB zwecks Aufstockung seines (nicht existenzdeckenden) Erwerbseinkommens als selbständiger Rechtsanwalt beziehe (Hinweis auf Urteil des BFH vom 17. Dezember 2008 III R 6/07, BStBl II 2009, 926). Zwar handele es sich bei der Entscheidung der Familienkasse über eine eventuelle Abzweigung des Kindergeldes um eine Ermessensentscheidung. Vorliegend liege aber ein Fall einer Ermessensreduzierung auf Null vor (Hinweis auf Tz. V 32.2 Abs. 5 Satz 1 der Dienstanweisung zum Kindergeld, Stand 2014 - DA-KG -). Wegen der Einzelheiten der Argumentation wird auf die Schriftsätze seiner Prozessbevollmächtigten vom 10. Dezember 2013 sowie vom 12. Februar, 30. Juni, 31. Juli, 25. August und vom 11. September 2014 verwiesen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 14. Oktober 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung den Antrag auf Abzweigung dahin gehend neu zu bescheiden, dass dem Antrag stattgegeben wird,

hilfsweise,

die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 14. Oktober 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. November 2013 über den Antrag auf Abzweigung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist im Wesentlichen auf seine Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung.

Dem erkennenden Gericht haben bei seiner Entscheidung die Akten 9 K 15144/14 sowie 9 K 15144/14 PKH sowie ein Band Kindergeldakten betr. den Kläger vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

1.
Die Klage ist sowohl hinsichtlich des Hauptantrages als auch hinsichtlich des Hilfsantrages unbegründet. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 14. Oktober 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. November 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Beklagte hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die Voraussetzungen für eine Abzweigung bereits dem Grunde nach nicht gegeben sind.

Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG kann das für ein Kind nach § 66 Abs. 1 EStG festgesetzte Kindergeld an dieses selbst ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Eine Verletzung der Unterhaltspflicht liegt vor, wenn der Kindergeldberechtigte objektiv und dauerhaft für den wesentlichen Unterhalt des Kindes nicht aufkommt; die Pflichtverletzung muss nicht schuldhaft sein (BFH-Urteil vom 26. August 2010 III R 16/08, BStBl II 2013, 617 m. w. N.).

Die Entscheidung der Familienkasse über eine Abzweigung des Kindergeldes ist eine Ermessensentscheidung („kann“). Die Familienkasse hat bei Ausübung ihres Ermessens sowohl den Zweck des Kindergeldes als auch den Zweck der Abzweigungsvorschrift (§ 5 AO) zu beachten. Da das Kindergeld die Eltern wegen ihrer Unterhaltsleistungen steuerlich entlasten soll, sind bei der Prüfung, ob und inwieweit das Kindergeld abzuzweigen ist, auch geringe Unterhaltsleistungen des Kindergeldberechtigten mit einzubeziehen. Trägt der Kindergeldberechtigte dagegen überhaupt keine Aufwendungen für den Unterhalt des Kindes, ist das Ermessen der Familienkasse eingeschränkt. Ermessensgerecht ist in einem solchen Fall allein die Auszahlung des Kindergeldes an das Kind, da der erkennbare Zweck des § 74 Abs. 1 EStG darin liegt, dem Kind das Kindergeld zukommen zu lassen, wenn der Kindergeldberechtigte keinen Unterhalt leistet. In der Regel ist das Kindergeld daher an das Kind abzuzweigen, wenn der Kindergeldberechtigte keine laufenden Unterhaltszahlungen erbringt (BFH, a.a.O.).

Nach § 102 Satz 1 FGO kann das Gericht eine Ermessenentscheidung nur daraufhin überprüfen, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (BFH, a.a.O.).

Im Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Einspruchsentscheidung musste die Beklagte davon ausgehen, dass der Vater des Klägers bereits seit längerer Zeit und laufend Naturalunterhaltsleistungen zugunsten seines Sohnes, des Klägers, erbracht hat, in dem er ihn - auch nach Beendigung seiner Schuldausbildung - weiterhin in seinem Haushalt beherbergt hat. Denn in der vom Vater des Klägers eingereichten „Erklärung zu weiteren Berücksichtigungstatbeständen nach Beendigung der Schulausbildung“ vom 18. Juni 2013 hatte dieser angegeben, dass der Kläger weiterhin in seinem Haushalt wohne. Finanzielle Beiträge des Klägers zu den Kosten des gemeinsamen Haushaltes hatte der Vater dort nicht aufgeführt. Solche Geldzuwendungen an den Vater hatte der Kläger auch nicht in seinem „Antrag auf Auszahlung des anteiligen Kindergeldes“ vom 10. Oktober 2013 erwähnt, sondern statt dessen angegeben, dass seine Mutter für seinen Unterhalt monatlich 304,00 EUR entrichte.

Nach Tz. 74.1.2 Abs. 2 Satz 2 und 3 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des EStG (DA-FamEStG 2012), die der BFH-Rechtsprechung entspricht (vgl. BFH in BStBl II 2013, Tz. 16), kommt eine Abzweigung nicht in Betracht, wenn der Berechtigte regelmäßig Unterhaltsleistungen erbringt, die den Betrag des anteiligen Kindergeldes übersteigen, wovon grundsätzlich auszugehen ist, wenn das Kind in den Haushalt des Berechtigten aufgenommen worden ist. Dies ist vorliegend nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts der Fall. Dass der Kläger möglicherweise eigene finanzielle Beiträge zu dieser Haushaltsgemeinschaft beisteuert, würde im Übrigen, wenn es zutrifft, grundsätzlich nicht schaden: Schädlich wäre nur, wenn der Vater des Klägers diesen zum Zwecke einer Gewinnerzielung in den gemeinsamen Haushalt aufgenommen hätte (vgl. Treiber, in: Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 64 EStG Rz. 18 i. V. m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG 2013).

Zu Unrecht beruft sich der Kläger auf den Ausnahmetatbestand gemäß BFH-Urteil in BStBl II 2009, 926. Der dort entschiedene Sachverhalt ist mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht ohne weiteres vergleichbar. Im vom BFH entschiedenen Fall bezog der Kindesvater und seine Ehefrau (lediglich) Arbeitslosengeld II (§§ 19 ff. SGB II). Sie erhielten zu zweit insgesamt 510,16 EUR ausbezahlt. Die beiden Kinder erhielten selbst Grundsicherungsleistungen nach §§ 41 ff. SGB XII, weshalb der Kindesvater keinen kinderbezogenen Zuschlag zum ALG II bekam. Im vorliegenden Fall war der Vater des Klägers unstreitig im Zeitpunkt des Ergehens der Einspruchsentscheidung als Rechtsanwalt einzelunternehmerisch tätig und bezog hieraus einen - der Familienkasse der Höhe nach unbekannten - Nettoertrag, der auf die Grundsicherungsleistungen seitens des Jobcenters angerechnet wurde. Anders als im vom BFH entschiedenen Fall ist es daher im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen, dass der Vater des Klägers doch Unterhaltsleistungen zugunsten des Klägers erbracht hat. Hierfür sprechen die Umstände, dass einerseits die Kindesmutter mit monatlich 304,00 EUR keinen den Lebensbedarf eines Studenten am College in C… (Studiengebühren monatlich 700,00 EUR) voll abdeckenden Barunterhalt geleistet und andererseits der Kläger selbst keine Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II erhalten hat.

2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

3.
Die Revision gegen dieses Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung wurde wegen des unklaren Sachverhalts (Höhe der vom Vater des Kläger im Zeitpunkt des Ergehens der Einspruchsentscheidung erzielten Brutto- und Nettoeinkünfte aus selbständiger Arbeit sowie eventuelle weitere Einkünfte, z. B. aus Vermietung oder Verpachtung oder Kapitalvermögen) nicht zugelassen.