Gericht | LG Potsdam 4. Strafkammer | Entscheidungsdatum | 12.11.2014 | |
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Aktenzeichen | 24 Qs 97/14 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 23. September 2014 unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Potsdam vom 9. Oktober 2014 dahin abgeändert, dass dem Angeklagten weitere 354,62 Euro aus der Landeskasse zu erstatten sind.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Landeskasse.
Beschwerdewert: 354,62 Euro
I.
In einem gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs des Fahrens ohne Fahrerlaubnis geführten Strafverfahren beraumte das Amtsgericht Potsdam Termin zur Hauptverhandlung im beschleunigten Verfahren an, hob den Termin aber, nachdem der Verteidiger auf ein wegen derselben Tat bereits ergangenes Urteil hingewiesen und Strafklageverbrauch geltend gemacht hatte, wieder auf und stellte das Verfahren gemäß § 206a StPO ein; die notwendigen Auslagen des Angeklagten erlegte es der Staatskasse auf.
Daraufhin beantragte der Verteidiger, die ihm durch seine Tätigkeit entstandenen Gebühren in Höhe von 902,02 Euro gegen die Staatskasse festzusetzen und zu erstatten. Bei der Bestimmung der beanspruchten Grund-, Verfahrens- und Erledigungsgebühren setzte er jeweils den Mittelwert des Gebührenrahmens an; die Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen nach Nr. 7002 VV RVG machte er sowohl für das außergerichtliche als auch für das gerichtliche Verfahren geltend.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 23. September 2014 hat das Amtsgericht Potsdam die dem Angeklagten aus der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 547,40 Euro festgesetzt; abgesetzt wurde ein Betrag in Höhe von 354,62 Euro. Dabei sah der Rechtspfleger die Festlegung der Höhe der geltend gemachten Gebühren auf die Mittelgebühr als unbillig im Sinne des § 14 RVG an. Unter Berücksichtigung der sich aus dieser Vorschrift ergebenden Kriterien, von denen nur das Kriterium der Bedeutung der Angelegenheit als überdurchschnittlich bewertet werden könne, die übrigen Kriterien jedoch teilweise deutlich unter dem Durchschnitt lägen, seien jeweils Gebühren in Höhe der Mittelgebühr abzüglich 40 Prozent angemessen. Eine zweite Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen sei nicht erstattungsfähig, da es sich bei dem Ermittlungsverfahren und dem gerichtlichen Verfahren gebührenrechtlich um eine Angelegenheit handele, weshalb die Pauschale nur einmal anfalle.
Wegen der weiteren Ausführungen wird auf den Inhalt des Beschlusses verwiesen.
Gegen den am 29. September 2014 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss richtet sich die mit Schreiben vom selben Tag eingelegte sofortige Beschwerde des Verteidigers. Zur Begründung trägt er vor, es habe sich mindestens um eine durchschnittliche Angelegenheit gehandelt. Schon der Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren zeige, dass die Sache eine besondere Bedeutung habe, da ansonsten „mit der nötigen Ruhe“ hätte verhandelt werden können. Von überdurchschnittlicher Bedeutung sei die Angelegenheit für den Angeklagten auch wegen der Möglichkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis oder der Verhängung eines Fahrverbotes gewesen. Der Anspruch auf Erstattung zweier Post- und Telekommunikationspauschalen beruhe auf § 17 Nr. 10a RVG.
Mit Beschluss vom 9. Oktober 2014 hat der Rechtspfleger des Amtsgerichts Potsdam der sofortigen Beschwerde teilweise – soweit es die Absetzung einer zweiten Post- und Telekommunikationspauschale betraf – abgeholfen und einen weiteren Betrag von 23,80 Euro gegen die Staatskasse festgesetzt; wegen der weitergehenden Beschwerde hat er die Sache dem Landgericht Potsdam zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die gemäß §§ 464b Satz 3 StPO, 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, 11 Abs. 1 RPflG gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss statthafte und im Übrigen form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Zu Unrecht ist mit dem angefochtenen Beschluss eine Kürzung vorgenommen worden. Dem Angeklagten sind die von seinem Verteidiger geltend gemachten Gebühren und Auslagen in voller Höhe zu erstatten.
1. In welcher Höhe eine dem Rechtsanwalt für seine Tätigkeit dem Grunde nach zustehende Rahmengebühr erstattungsfähig ist, hängt von den in § 14 RVG aufgeführten Umständen ab (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 57. Auflage, § 464a Rdn. 11).
Ausgangspunkt für die Gebühr, die der Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen hat, ist nach überwiegend vertretener Auffassung, die von der Kammer in ständiger Rechtsprechung geteilt wird, grundsätzlich der – auch als Mittelgebühr bezeichnete – Mittelbetrag der einschlägigen Rahmengebühr (Hartmann, Kostengesetze, 42. Auflage, § 14 RVG Rdn. 14; Gerold/Schmidt, RVG, 21. Auflage, § 14 Rdn. 10; LG Potsdam JurBüro 2013, 189). Die Mittelgebühr soll gelten, wenn sämtliche gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände, also insbesondere Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse des Auftraggebers, als durchschnittlich einzuordnen sind (Gerold/Schmidt, a.a.O., § 14 Rdn. 10). Sie gilt wegen der vorzunehmenden Gesamtabwägung aber auch, wenn erhöhende und vermindernde Bemessungskriterien etwa gleichgewichtig sind (vgl. Hartmann, a.a.O., § 14 RVG Rdn. 14) oder wenn ein Bestimmungsmerkmal ein solches Übergewicht erhält, dass dadurch das geringere Gewicht mehrerer anderer Merkmale kompensiert wird (vgl. Gerold/Schmidt, a.a.O., § 14 Rdn. 11).
Bei der Abwägung der zu berücksichtigenden Merkmale und der sich daran anschließenden Bestimmung der Gebühren räumt die Vorschrift des § 14 Abs. 1 RVG dem Rechtsanwalt ein weites billiges Ermessen ein (Hartmann a.a.O., § 14 RVG Rdn. 21); die von ihm getroffene Bestimmung ist, wenn – wie hier – ein Dritter die Gebühr zu ersetzen hat, gemäß § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG (nur dann) nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Rechtspfleger und Gericht sind in dem Kostenfestsetzungsverfahren auf die Prüfung beschränkt, ob sich die geltend gemachte Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens hält und ob sie im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände nicht unbillig ist (Gerold/Schmidt a.a.O., § 14 Rdn. 7). Allein dann, wenn der Gebührenansatz missbräuchlich erfolgt und bei einer Gesamtabwägung unbillig ist, darf und muss das Gericht die Gebühr neu festsetzen (vgl. LG Meiningen JurBüro 2011, 643; Hartmann a.a.O., Rdn. 23). Unbillig ist der Gebührenansatz nach herrschender und auch von der Kammer vertretener Ansicht dann, wenn die beantragte Gebühr um mehr als 20 Prozent über der angemessenen Höhe liegt (BGH NJW-RR 2007, 420, 421; Gerold/Schmidt, a.a.O., § 14 Rdn. 12 m.w.N.; LG Potsdam JurBüro 2013, 189).
Unter Anwendung dieses Maßstabes lässt sich eine Unbilligkeit im vorliegenden Fall nicht feststellen.
Zwar ist, was der Rechtspfleger insoweit zutreffend erkannt hat, der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit mit Blick auf die beantragte und genommene Akteneinsicht sowie den bei Gericht angebrachten Antrag auf Einstellung des Verfahrens als unterdurchschnittlich anzusehen. In Bezug auf die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist ein Verfahren allerdings nicht erst dann als durchschnittlich zu qualifizieren, wenn sich „besondere“ rechtliche Schwierigkeiten aus den Akten entnehmen lassen oder „Spezialrechtskenntnisse“ benötigt werden; vielmehr reicht es für diese Einstufung aus, wenn – wie hier – der Verteidiger bei einem rechtlich einfach gelagerten Tatvorwurf zur Feststellung des Strafklageverbrauchs auf ein weiteres, sich nicht aus den übersandten Akten ergebendes Strafverfahren zurückgreifen muss.
Dass die ein Straßenverkehrsdelikt betreffende Strafsache für den bisher als Berufskraftfahrer tätig gewesenen Angeklagten wegen der möglichen Auswirkung auf seine Fahrerlaubnis und damit seine berufliche Zukunft von überdurchschnittlicher Bedeutung war, liegt auf der Hand und bedarf, da vom Rechtspfleger auch so festgestellt, keiner weiteren Erörterung.
Weshalb die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Angeklagten unterdurchschnittlich sein sollen, erschließt sich nicht. Aus den Akten ergibt sich hierzu nichts. Die Annahme, das durchschnittliche Nettoeinkommen der in Deutschland tätigen Berufskraftfahrer liege unter dem Durchschnittseinkommen der Bevölkerung, ist nicht belegt.
Entgegen der vom Rechtspfleger vertretenen Auffassung war ein (vermeintlich) „sehr geringes Haftungsrisiko“ des Rechtsanwalts nicht als weiteres Bemessungskriterium heranzuziehen. Denn zu berücksichtigen ist, wie sich aus dem Kontext der Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 3 RVG ergibt, nur ein „besonderes“ Haftungsrisiko. Das Gesetz schafft hierfür einen gewissen Gebührenausgleich, weil sich ein besonderes Risiko meist nur durch entsprechend höhere Versicherungsprämien absichern lässt (vgl. Hartmann, a.a.O., § 14 RVG Rdn. 13). Keineswegs aber soll sich nach der Intention des Gesetzgebers ein normales oder geringes Haftungsrisiko gebührenmindernd auswirken.
Anders, als der Verteidiger meint, kommt einer Strafsache nicht allein dadurch besondere Bedeutung zu, dass im beschleunigten Verfahren (und nicht „mit der nötigen Ruhe“) verhandelt werden soll. Diese Verfahrensart wird nämlich von der Staatsanwaltschaft nur gewählt, wenn die Sache auf Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist (§ 417 StPO).
Im Ergebnis einer Gesamtabwägung der hier relevanten Bemessungsmerkmale geht die Kammer trotz des geringen Aktenumfangs und des in tatsächlicher Hinsicht klaren Sachverhalts noch von einer Durchschnittssache aus. Die Geltendmachung der Mittelgebühr ist daher, auch mit Blick auf den Erfolg der Verteidigung, nicht zu beanstanden.
2. Dem Verteidiger steht sowohl für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren als auch für das nachfolgende gerichtliche Verfahren die Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen nach Nr. 7002 VV RVG zu. Nach der seit dem 1. August 2013 geänderten Rechtslage handelt es sich bei den beiden vorbezeichneten Verfahren gemäß § 17 Nr. 10a RVG um verschiedene Angelegenheiten, so dass die Pauschale – wie geschehen – jeweils anstelle der tatsächlichen Auslagen gefordert werden kann.
3. Der Rechtspfleger des Amtsgerichts Potsdam hat zwar entsprechend der aktuellen Rechtslage in seinem Beschluss vom 9. Oktober 2014 eine zweite Pauschale in Höhe von 20,00 Euro zuzüglich Umsatzsteuer nachträglich festgesetzt. Zu einer solchen Teilabhilfeentscheidung war er jedoch nicht berechtigt.
Da sich das Kostenbeschwerdeverfahren nach herrschender und auch von der Kammer in ständiger Rechtsprechung vertretener Meinung nach StPO-Grundsätzen richtet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 464b Rdn. 6; BGH, NJW 2003, 763; LG Potsdam, Rpfleger 2014, 624), war eine Abhilfe durch den Rechtspfleger wegen des in § 311 Abs. 3 Satz 1 StPO normierten Abhilfeverbots unzulässig. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs, die allein ausnahmsweise gemäß § 311 Abs. 3 Satz 2 StPO eine Abhilfe ermöglicht hätte, ist nach Aktenlage nicht ersichtlich. Vielmehr hatte der zu dieser Problematik angehörte Verteidiger ausdrücklich auf § 17 Nr. 10a RVG hingewiesen.
Wegen dieses Verfahrensfehlers hat die Kammer den unzulässigen Teilabhilfebeschluss des Rechtspflegers vom 9. Oktober 2014 auch ohne ein hiergegen eingelegtes Rechtsmittel aufgehoben. Dies erschien zudem aus Gründen der für die Vollstreckung erforderlichen Klarheit geboten.
4. Die erstattungsfähigen Rechtsanwaltskosten setzen sich wie folgt zusammen:
Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG
200,00 Euro
Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG
Verfahrensgebühr nach Nr. 4106 VV RVG
Erledigungsgebühr nach Nr. 4141 VV RVG165,00 Euro
165,00 Euro
165,00 EuroPauschale nach Nr. 7002 VV RVG (Ermittlungsverfahren)
Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG (gerichtliches Verfahren)
Kopierkosten nach Nr. 7000 VV RVG (22 Seiten)
Aktenversendungspauschale20,00 Euro
20,00 Euro
11,00 Euro
12,00 EuroZwischensumme:
758,00 Euro
19% Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG
144,02 Euro
Gesamtbetrag:
902,02 Euro
Da zugunsten des Angeklagten mit dem – insoweit nicht angegriffenen – Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23. September 2014 bereits ein Betrag von 547,40 Euro festgesetzt worden ist, sind ihm noch weitere 354,62 Euro aus der Landeskasse zu erstatten.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung.