Gericht | VG Cottbus 5. Kammer | Entscheidungsdatum | 24.11.2020 | |
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Aktenzeichen | 5 K 122/20.A | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2020:1124.5K122.20.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Hebt ein Verwaltungsgericht eine auf § 26a AsylG und § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gestützte Unzulässigkeitsentscheidung wegen der Übergangsregelung in Art. 52 Abs. 1 Richtlinie 2013/32/EU auf, hindert die Rechtskraft dieses Urteils nicht, eine auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 gestüzte Unzulässigkeitsentscheidung zu erlassen.
Entgegen: VG Halle (Saale, Urteil vom 30.01.2019 - 4 A 624/16 -
Das Einreise- und Aufenthaltsverbot unter Ziffer 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30. April 2019 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Wegen der Kosten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
Der Kläger, eigenen Angaben zufolge malischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die auf Zuerkennung internationalen Schutzes in Italien gestützte Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig und die Androhung seiner Abschiebung nach Italien.
Nachdem er ausweislich der Antwort des italienischen Innenministeriums vom 2. Juli 2014 auf das Übernahmeersuchen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge – Bundesamt – vom 19. Juni 2014 in Italien subsidiären Schutz erhalten hatte, stellte der Kläger am 13. Mai 2014 abermals einen Asylantrag, den das Bundesamt mit Bescheid vom 26. November 2015 unter Androhung einer Abschiebung nach Italien wegen der dortigen Zuerkennung internationalen Schutzes als unzulässig ablehnte. Das Unzulässigkeitsverdikt stützte das Bundesamt auf § 60 Abs. 2 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes a. F. und auf § 26 a AsylG a. F.
Auf die dagegen erhobene Klage hob das Verwaltungsgericht Magdeburg auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juli 2016 diesen Bescheid auf. Unter Berufung auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2015 – 1... – führte das Verwaltungsgericht Magdeburg zur Begründung aus, dass dem Unzulässigkeitsverdikt Unionsrecht entgegenstehe. Die in Artikel 33 der Richtlinie 2013/32/EU eingeräumte Befugnis, Asylanträge auch wegen Gewährung subsidiären Schutzes in einem anderen EU-Mitgliedsstaat als unzulässig abzulehnen, gelte nach Maßgabe der Übergangsregelung in Artikel 51 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU erst für Anträge nach dem 20. Juli 2015. Das Urteil (1... ) erwuchs in Rechtskraft.
Nach erneuter Anhörung des Klägers am 10. Februar 2017 lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 30. April 2019 den Asylantrag als unzulässig ab, verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich Italien, drohte dem Kläger seine Abschiebung dorthin an, stellte ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Mali fest, verhängte ein auf 30 Monate befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot und setzte die Vollziehung der Abschiebungsandrohung aus. Das auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützte Unzulässigkeitsverdikt begründete es unter Verweis auf das Urteil des EuGH vom 19. März 2019 in den Rechtssachen C... u. a. damit, dass die Ermächtigungsgrundlage in Artikel 33 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2013/32/EU schon auf nach dem 1. Januar 2014 gestellte Asylanträge Anwendung finde. Wegen der weiteren Begründung wird auf Seite 148 bis 185 der Beiakte I Bezug genommen.
Mit seiner am 22. Mai 2019 beim Verwaltungsgericht Magdeburg erhobenen und an das Verwaltungsgericht Cottbus verwiesenen Klage erstrebt der Kläger die Aufhebung der zweiten Unzulässigkeitsentscheidung samt Nebenentscheidungen und eine Verurteilung der Beklagten zur Fortführung des Verfahrens.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, mit seiner psychisch kranken und pflegebedürftigen Lebensgefährten zusammenzuleben und diese zu pflegen. Wegen der Fehlgeburt bzw. der Todgeburt der gemeinsamen Kinder befinde sich der Kläger selbst in einem schlechten Gesundheitszustand, der eine Abschiebung nach Italien im Wege stehen dürfte.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30. April 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Asylverfahren des Klägers fortzuführen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge Bezug genommen. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, hierin Einsicht zu nehmen.
Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
Zunächst steht die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 8. Juli 2016 dem Erlass des hier streitgegenständlichen Bescheides nicht entgegen (a.A. zur erneuten Unzulässigkeitsentscheidung VG Halle (Saale), Urteil vom 30. Januar 2019 – 4 A 624/16 – Juris).
Nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Soweit der personelle und sachliche Umfang der Rechtskraft reicht, ist die im Vorprozess unterlegene Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage daran gehindert, einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen zu erlassen (vgl. BVerwG, Urteile vom 8. Dezember 1992 - BVerwG 1 C 12.92 - BVerwGE 91, 256 <257 f.> = Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 63 und vom 28. Januar 2010 - BVerwG 4 C 6.08 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 99). Das Wiederholungsverbot erfasst aber nur inhaltsgleiche Verwaltungsakte, d.h. die Regelung desselben Sachverhalts durch Anordnung der gleichen Rechtsfolge (BVerwG, Urteil vom 30. August 1962 - BVerwG 1 C 161.58 - BVerwGE 14, 359 <362> = Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 4 und Beschluss vom 15. März 1968 - BVerwG 7 C 183.65 - BVerwGE 29, 210 <213 f.>; BVerwG, Urteil vom 01. Juni 2011 – 10 C 25.10 –, BVerwGE 140, 22-33, Rn. 12).
In Anwendung dieser Kriterien erweisen sich die Unzulässigkeitsentscheidung auf Grund § 26a AsylG a.F. bzw. § 60 Abs. 2 AufenthG einerseits und die Unzulässigkeitsentscheidung auf Grund § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG andererseits nicht als inhaltsgleich.
Die auf § 26a AsylG gestützte Entscheidung des Bundesamts vom 26. November 2015, dass dem Kläger aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht, entspricht nach aktuellem Recht einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2020 – 1 C 4.19 – Juris Rn. 14) und bildet einen anderen Streitgegenstand als die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2020 – 1 C 4.19 – Juris Rn. 24).
Nichts Anderes gilt mit Blick auf § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Diese Vorschrift unterscheidet sich von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in ihren Rechtsfolgen dadurch, dass sie schon keine Unzulässigkeitsentscheidung vorsieht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. April 2015 – A 11 S 57/15 – Juris Rn. 50ff.), jedenfalls aber keine Rechtsfolgen auslöst, wie sie für Entscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in § 31 Abs. 3 Satz 1 und § 35 AsylG angeordnet werden.
Fehlt es an der Inhaltsgleichheit der Verwaltungsakte und damit an der Identität des prozessualen Anspruchs, kommt es nicht darauf an, ob der Klagegrund (vgl. hierzu näher BVerwG, Beschluss vom 08. September 2020 – 1 B 31.20 – Juris Rn. 14: verneinend bei rechtskräftiger Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG im Verhältnis zur Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) die vom Verwaltungsgericht Magdeburg in seinem Urteil vom 8. Juli 2016 vertretene Auslegung der Übergangsvorschrift des Art. 52 Richtlinie 2013/32/EU ist (so aber VG Halle (Saale), Urteil vom 30. Januar 2019 – 4 A 624/16 – Juris).
Hindert nach alledem das Wiederholungsverbot den Erlass des angefochtenen Bescheides nicht, muss sich erneute die Unzulässigkeitsentscheidung über den Asylantrag an § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG messen lassen. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dies ist vorliegend der Fall. Nach Auskunft der italienischen Behörden wurde dem Kläger in Italien internationaler Schutz gewährt.
Dem Unzulässigkeitsverdikt steht auch kein höherrangiges Recht entgegen.
Zunächst steht der Anwendbarkeit des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht die Übergangsbestimmung des Art. 52 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU nicht entgegen. Sie gestattet die Anwendung der nationalen Regelung zur Umsetzung des Art. 33 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2013/32/EU auch auf Asylanträge, die - wie hier - 2014 gestellt wurden.
Ebenso wenig schließt Art. 4 EU-GR-Charta ein auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestütztes Unzulässigkeitsverdikt im vorliegenden Falle aus. Ausgeschlossen wäre eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nur, wenn dem Antragsteller im Staat der Schutzgewährung die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen die Gewährleistungen des Art. 4 EU-GR-Charta droht (EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17 u.a. – und Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a. -).
Vorliegend droht keine Verletzung von Art. 4 der EU-GR-Charta.
Gegen eine Verletzung von Art. 4 der EU-GR-Charta streitet die im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems geltende Vermutung, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der EMRK steht. Dies gilt insbesondere bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie), in dem im Rahmen des mit dieser Richtlinie eingerichteten gemeinsamen Asylverfahrens der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zum Ausdruck kommt (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. – Juris Rn. 85) und dessen Umsetzung ins nationale Recht § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG dient.
Die Anwendung dieser Vermutung ist nicht disponibel, sondern zwingend (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a. – Rn. 41).
Die zur Widerlegung dieser Vermutung besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erst erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 – Juris Rn. 90). Daher ist das Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung befasst ist, mit der ein neuer Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abgelehnt wurde, in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die der Antragsteller vorgelegt hat, um das Vorliegen eines solchen Risikos in dem bereits internationalen Schutz gewährenden Mitgliedstaat nachzuweisen, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 – Juris Rn. 88).
Vorliegend ist die unionsrechtliche Vermutung nicht widerlegt, da dem Gericht keine objektiven Erkenntnisse vorliegen, dass infolge Gleichgültigkeit italienischer Behörden eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen.
Die individuellen Erlebnisse eines Betroffenen sind in diesem Zusammenhang keine Grundlage für die Widerlegung der Vermutung. Sie stellen schon keine objektiven Angaben im oben genannten Sinne dar. Ferner kommt ihnen, zumal wenn sie wie hier mehrere Jahre zurückliegen, nur in begrenztem Umfang Erkenntniswert zu, keinesfalls führen sie zur einer Beweislastumkehr (BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 10 B 35.14 – Buchholz 402.25 § 27a AsylVfG Nr. 2).
Einer Überstellung nach Italien stehen auch keine Stellungnahmen des UNHCR entgegen. Anders als im Falle Bulgariens oder Griechenlands hat der Hohe Flüchtlingskommissar zu keinem Zeitpunkt einen Abschiebestopp hinsichtlich Italiens gefordert.
Unabhängig davon, dass dem Gericht keine objektiven, zuverlässigen, genauen und gebührend aktualisierten Angaben vorliegen, die die unionsrechtliche Vermutung entkräften, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass im Falle der Kläger nicht zu besorgen ist, dass er extremer materieller Not anheimfiele, die es ihm verwehrte, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, er also gezwungen sein würde, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Nahrungsmitteln auf der Straße zu leben. Denn extreme Not begründet nur dann eine Verletzung von Art. 4 EU-GR-Charta, Art. 3 EMRK, wenn der Betroffene ihr unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen ausgesetzt ist (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 – Juris Rn. 90).
Für die Personengruppe der gesunden, arbeitsfähigen Männer ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu besorgen, dass sie eine gegen Art. 4 EU-GR-Charta verstoßende Behandlung erleiden (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juli 2019 – A 4 S 749/19 – Juris Rn. 90). Zu dieser Personengruppe zählt auch der Kläger. Es ist nicht ersichtlich, dass er gesundheitlichen Einschränkungen unterliegt. Die Bescheinigung vom 15. Mai 2019, die dem Kläger psychische Beschwerde attestiert, entbehrt bereits angesichts des Zeitablauf jeglicher Aussagekraft zur aktuellen Situation des Klägers, der im Übrigen selbst nicht vorträgt, derzeit medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Unabhängig davon ist angesichts der Unschärfen des etwaig psychischen Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptomatik regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests erforderlich ist (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2020 – 1 C 35.19 – Juris Rn. 29 unter Hinweis auf § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2 Buchst. c Satz 2 und 3 AufenthG hinsichtlich der Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer die Abschiebung beeinträchtigenden Erkrankung). Diesen Anforderungen wird der Entlassungsbericht schon mangels jedweder Begründung, geschweige denn einer prognostischen Diagnose nicht gerecht. Die Notwendigkeit einer prognostischen Diagnose drängt sich allein angesichts dessen auf, dass der Kläger nicht nur seinen eigenen Alltag meistern, sondern daneben ausweislich des Gutachtens zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SBG XI, erstellt vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg am 7. März 2019, seine Lebensgefährtin sieben Tage in der Woche im Umfang von 105 Stunden pflegen soll.
Dem Kläger droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit infolge staatlicher Gleichgültigkeit.
Die Versorgung von anerkannten Schutzberechtigten mit Wohnraum ist durch das sog. „Salvini-Gesetz“, welches seit Oktober 2018 gilt, entscheidend verbessert worden. Die sog. SPRAR-Zentren (Sistema di protezione per richiedenti asilo e refugati) wurden in SIPROIMI umbenannt und stehen seit dem 5. Oktober 2018 nur noch Minderjährigen oder Personen mit Schutzstatus offen (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 11. Januar 2019, bestätigt durch den Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe „Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien“ vom 8. Mai 2019 S. 4). Davor dienten sie nur der Aufnahme jener Personen, die sich als Asylbewerber noch in einem laufenden Asylverfahren befanden. Nach Anerkennung durften diese Personen dort nur vorübergehend verbleiben. Die italienischen Behörden setzen diese Beschränkung tatsächlich um, indem sie bereits vor dem Jahreswechsel 2018/2019 mehrere Hundert Bewohner aufgefordert haben, diese nur noch für anerkannte Schutzberechtigte und Minderjährige bestimmten Unterkünfte zu verlassen (SFH a.a.O. S. 10). Die SIPROIMI weisen einen Standard auf, der nach Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe jenen Garantien entspricht, die nach dem Urteil des EGMR vom 14. November 2014 (Application no. 29217/12 Tarakhel v. Schweiz) abgegeben wurden (SFH a.a.O.). Bei SIPROIMI handelt es sich um über 875 kleinere dezentrale Einrichtungen, die landesweit 35.650 Plätze bieten (Stand: Januar 2019 laut SFH a.a.O.).
Kehren anerkannte Flüchtlinge aus dem Ausland zurück, kommt es auf den Einzelfall an, ob der Betreffende Zugang zum SIPROIMI-System hat. Grundsätzlich ausgeschlossen sind jene Personen, die vor ihrer Weiterreise in einer SIPROIMI- oder SPRAR-Einrichtung untergebracht gewesen waren und ihren Integrationsprozess abgeschlossen hatten (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020 Seite 52). Solche Personen können beim Innenministerium einen Antrag aufgrund von neuen Vulnerabilitäten stellen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, Seite 61). Derartige neue Vulnerabilitäten macht der Kläger zwar nicht geltend. Allerdings ist davon auszugehen, dass der Kläger vor seiner Weiterreise weder in einer SPRAR-Einrichtung untergebracht gewesen war noch einen Integrationsprozess abgeschlossen hatte. Dass ihm dort eine Unterkunft und Integrationsmaßnahmen angeboten worden seien, erwähnt er nicht. Vielmehr trug er in der Anhörung am 10. Februar 2017 vor, in Italien die Auskunft erhalten zuhaben, dass es keinen Platz gebe, woraufhin er sich aufs Land begeben und dort in der Landwirtschaft gearbeitet habe. Dagegen, dass der Kläger in einer SPRAR-Einrichtung Aufnahme gefunden hat, spricht auch, dass er gegen seine Überstellung nach Italien einwendet, dass man dort draußen schlafen müsse. Ist der Kläger aber nach alledem nicht in einer SPRAR-Einrichtung untergebracht gewesen, kann er nach Rückkehr nach Italien auf eine Unterkunft in einer SIPROIMI-Einrichtung einschließlich Aufnahme in ein Integrationsprogramm verwiesen werden.
Unabhängig davon erscheint es jedenfalls als möglich, dass der Kläger auch außerhalb eines Anspruchs Zugang zum SIPROIMI-System findet. Die Unterbringungspraxis wird offenbar flexibel gehandhabt. So endet die Verweildauer in den SIPROIMI-Unterkünften für eine beträchtliche Zahl der Bewohner nicht mit Ablauf der sechs Monate, auch wenn die längere Belegung eher die Ausnahme als die Regel ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020 Seite 57). Bereits 2016 hat der EGMR festgestellt, dass kein Grund zu der Annahme besteht, dass die italienischen Behörden bei eventuell auftretenden Schwierigkeiten nicht angemessen helfen würden (EGMR Entscheidung vom 4. Oktober 2016 Nr. 30474/14). Eine Aufnahme in einer SIPROIMI-Einrichtung erscheint umso wahrscheinlicher als der Bedarf an diesen Unterkünften sinkt. Es ist nämlich eine allgemeinkundige Tatsache, dass ein erheblicher Teil der Asylbewerber und der als schutzberechtigt Anerkannten Italien wieder verlässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 04. März 2015 – 1 B 9.15 – Juris Rn. 6). Der vorliegende Fall ist ein augenfälliges Beispiel für diese Sekundärmigration, die gerade verhindert werden soll (vgl. EuGH, Urteil vom 17. März 2016 – C-695/15 PPU – Juris Rn 52). Zudem ist es eine allgemeinkundige Tatsache, dass die Zahl von Migranten, die Italien erreichen, mittlerweile stark abgenommen (im August 2017 um 90%) hat, was die Aufnahme der im Land befindlichen Asylantragsteller oder Anerkannten erleichtert (vgl. Zeit Online, „Italien meldet Rückgang von Flüchtlingszahlen“ vom 28. August 2017). Diese Tendenz hat sich auch im Jahre 2018 fortgesetzt. Laut UNHCR wurden zwischen Januar und September 2018 nur 21.000 Neuankünfte in Italien registriert, gegenüber 105.400 in der gleichen Periode im Jahr 2017 (Schweizerische Flüchtlingshilfe, „Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien“ vom 8. Mai 2019, S. 11). Vom Mai 2019 bis März 2020 landeten in Italien hingegen nur noch 13.486 Personen an (statista.com).
Die Begrenzung der Verweildauer in einer SIPROIMI-Einrichtung auf sechs Monate verstößt nicht gegen Art. 4 EU-GR-Charta. Eine lebenslange Garantie für kostenlose Versorgung mit Wohnraum lässt sich Art. 3 EMRK nicht entnehmen. Art. 3 EMRK kann nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er (aus sich heraus) die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 - (M.S.S.), EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 - 27725/10 - (Mohammed Hussein), ZAR 2013, 336 f. Rn. 70). Anerkannte Schutzberechtigte müssen sich auf die für alle italienischen Staatsangehörigen geltenden Voraussetzungen und Einschränkungen hinsichtlich des Empfangs von Sozialleistungen verweisen lassen (sogenannte Inländergleichbehandlung) (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juli 2019 – A 4 S 749/19 – Juris Rn. 93; OVG Lüneburg, Urteil vom 06. April 2018 – 10 LB 109/18 – Juris).
Selbst wenn der Kläger keine Aufnahme in einer SIPROIMI-Einrichtung finden sollte,
droht eine Verletzung des Art. 4 EU-GR-Charta durch Obdachlosigkeit dennoch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Neben staatlicher Gleichgültigkeit setzt ein Verstoß gegen Art. 4 EU-GR-Charta nämlich zusätzlich voraus, dass ein Kläger tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden (BVerwG, Beschluss vom 10. September 2018 – 1 B 52.18, 1 PKH 41.18 – Juris Rn. 8), dass Obdachlosigkeit also mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich droht, wobei auch nichtstaatliche Hilfsmaßnahmen relevant sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Mai 2014 – 10 B 31.14 – Juris Rn. 6). Neben den SIPROIMI bieten jedoch auch caritative Einrichtungen Unterkünfte an. In großen Städten konnten Flüchtlinge zwar vor Jahren teilweise nur in besetzten Häusern, mit zum Teil Hunderten von Bewohnern und ohne ausreichende Versorgung mit Trinkwasser und Elektrizität unterkommen. Inzwischen hat sich die Situation aber verbessert. Das Auswärtige Amt hat schon im August 2013 und gegenüber dem OVG NRW unter dem 23. Februar 2016 mitgeteilt, im Ergebnis könne davon ausgegangen werden, dass für die anerkannten Flüchtlinge in Italien landesweit ausreichend staatliche bzw. öffentliche oder caritative Unterkunftsmöglichkeiten (bei teilweiser lokaler Überbelegung) zur Verfügung stehen (vgl. mit zahlreichen detaillierten Einzelnachweisen OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2016 – 13 A 1490/13.A – Juris Rn. 101 bis136). Für anerkannte Asylbewerber ohne Unterkunft bieten namentlich Organisationen wie die Caritas, Suore Missionarie della Carità, Centro Astalli, Stranieri in Italia, Opere Antoniane, Comunità di Sant‘Egidio oder Consiglio Italiano per i Rifugiati Unterstützung an (Auswärtiges Amt - im Folgenden: AA -, Anfragebeantwortung an NRW vom 23.02.2016 zum Az. 13 A 516.80/48651). Auch viele religiöse Einrichtungen betreiben Unterbringungseinrichtungen und verteilen Kleidung und Nahrung (Nationaler Integrationsplan, FOR PERSONS ENTITLED TO INTERNATIONAL PROTECTION, October 2017, S. 21). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe gibt zu Schlafplätzen von Nichtregierungsorganisationen und Kirchen zu bedenken, dass diese erstens größtenteils bereits Teil des staatlichen Systems seien, womit sie auch den dortigen Vorgaben unterlägen, und nicht zusätzlich dazu bestünden. Zweitens stünden sie allen Bedürftigen zur Verfügung, nämlich nicht nur Schutzsuchenden oder -berechtigten, sondern auch Personen, die keinen Asylantrag stellen, oder italienischen Obdachlosen. Es handele sich daher um wenige Plätze (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juli 2019 – A 4 S 749/19 – Juris Rn. 60). Allerdings wird auch hier der starke Rückgang von Asylbewerberzahlen in den letzten Jahren und noch deutlicher in den letzten Monaten das Verhältnis von Nachfrage und Angebot positiv beeinflussen (so auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juli 2019 – A 4 S 749/19 – Juris Rn. 115). Zusätzlich entspannt das SIPROIMI-System die Nachfrage durch Schutzberechtigte nach Obdach, weshalb die Chancen steigen, in einer kommunalen oder caritativen Einrichtung eine Unterkunft zu finden.
Auch hinsichtlich der Gefahr der Verelendung greift eine starke unionsrechtliche Vermutung für das Gegenteil ein. Es liegen keine objektiven, zuverlässigen, genauen und gebührend aktualisierten Anhaltspunkte vor, die im Falle der Kläger eine extreme materielle Not besorgen lassen. Solche Umstände ins Blaue hinein erst zu ermitteln, verbietet sich eingedenk der unionsrechtlichen Vermutung. Die dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse lassen keinen Schluss auf extreme materielle Not zu. Als gesunder, arbeitsfähiger Mann ist der Kläger in erster Linie darauf zu verweisen, seinen Unterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu erwirtschaften. Die hohe Arbeitslosenquote Italiens, die 2018 offiziell mit 10,8% angegeben wurde, bei jungen Menschen unter 30 Jahren aber bei rund 35% liegt, dürfte vor allem im Süden des Landes noch höher liegen (Syndicat European Trade Union, 2018, S. 27 ff.). Neben insbesondere Sprachproblemen schmälert auch sie die Chance auf legale Anstellung. Dennoch erscheint der italienische Arbeitsmarkt derzeit auch für Flüchtlinge aufnahmefähig, ja sogar von der hierdurch bereitgestellten billigen Arbeitskraft abhängig zu sein. Dies gilt vor allem für saisonale und nicht-qualifizierte Arbeitsfelder. Zwar sind präzise Statistiken zur Beschäftigungssituation von Asylbewerbern und international Schutzberechtigter nicht aufzufinden. Nach plausiblen Schätzungen haben jedoch etwa 48% der Arbeiter in der Landwirtschaft keinen italienischen Pass. In den Tourismus- und Gaststätten-Sektoren, für die die italienische Regierung sogar Einreisekontingente für nicht-EU-Arbeiter vorsieht („Decreto Flussi“, Directorate General for Internal Policies of the Union, Mai 2018, S. 21), wird es vergleichbare Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge geben. Die Beschäftigungsquote der Nicht-EU-Ausländer schwankt jedenfalls zwischen 49% in der Region Calabria und 69% in der Metropolregion Rom (Il Sole 24 Ore v. 22.05.2018, C. D. Rold). Vor allem afrikanische Migranten arbeiten massenweise, teilweise offenbar „ausgebeutet“ durch sogenannte Caporali bzw. die sog. nigerianische Mafia, in der saisonalen Produktion etwa der Tomaten- und Olivenernte (Directorate General für Internal Policies of the Union, 2018, S. 21 ff.; vgl. hierzu auch den Dokumentarfilm Eldorado von M. Imhoof, 2018, Min. 48-58 sowie monitor, 23.05.2019). Arbeiter aus Afrika erzielen in der Landwirtschaft bis 25 EUR pro Tag, Arbeiter aus Osteuropa bis 35 EUR und lokale Arbeiter rund 40 EUR; durchschnittlich ist das Gehalt erwerbstätiger Ausländer rund 23% niedriger als das der Italiener (Böll-Stiftung, A. Corrado, 2017, S. 5; La Repubblica v. 15.03.2019, D. V. Polchi). Die Wohnverhältnisse in den landwirtschaftlichen Wohnlagern, in denen immer wieder Gewalt gegen Arbeiter und auch Prostitution stattfindet, weisen oft slumähnlichen Charakter auf. Allerdings schlug der Versuch der EU, dort Wohnprojekte zu etablieren, fehl, weil die Arbeiter es vorzogen, in den Slums nahe der Felder zu leben, statt Anfahrtswege in Kauf zu nehmen (L. D’Agostino, Ghettos and gangmasters, 2017; La Repubblica v. 07.04.2019 und 28.03.2019, Migranti; The Guardian v. 01.02.2018, B. L. Nadeau). Da es keine Anzeichen dafür gibt, dass etwa die Märkte für Billiggemüse nachlassen werden, muss auf dieser Erkenntnisbasis derzeit davon ausgegangen werden, dass Flüchtlinge insbesondere in der Landwirtschaft realistische und legale Arbeitsmöglichkeiten haben, um ihre Grundbedürfnisse zu decken und damit im Sinne der „harten“ Vorgaben des Jawo-Urteils eine Situation extremer Not gemäß Art. 4 GRCh selbst abzuwenden (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Juli 2019 – A 4 S 749/19 – Juris Rn. 119).
Jedenfalls für eine Übergangszeit kann er auf private oder kommunale Fürsorge verwiesen werden. In Italien gibt es kein allgemeines System der Sozialhilfe. Etwaige gemeindliche Unterstützungsleistungen sind an den offiziellen Wohnsitz in der Gemeinde geknüpft. Es gibt aber öffentliche Fürsorgeleistungen für gemeldete Flüchtlinge, wenn sie bereit sind, an Maßnahmen zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage, z. B. speziellen beruflichen Lehrgängen, teilzunehmen. Lokale Behörden, Stiftungen, Gewerkschaften, Hilfsorganisationen oder NGOs unterhalten Integrationsprogramme und arbeiten dabei teilweise zusammen. Soweit solche Leistungen nicht greifen oder ausreichen, können Flüchtlinge, wenn sie - wie viele Italiener auch - arbeitslos sind, auf Spenden caritativer Organisationen zurückgreifen. Für eine legale, sozialversicherungspflichtige Arbeit ist ein fester Wohnsitz Voraussetzung. Der Arbeitsmarkt ist zwar schwierig. Viele Flüchtlinge, die mit gleichaltrigen italienischen Arbeitslosen auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren, kommen häufig nur als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft unter. Daraus kann allerdings nicht auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK geschlossen werden. Zusammenfassend ist danach davon auszugehen, dass anerkannte Flüchtlinge in Italien staatliche Hilfen in Anspruch nehmen können, um jedenfalls ihre Grundbedürfnisse zu decken. Gelingt dies nicht sogleich bzw. vollständig, können sie die Hilfe caritativer Organisationen erhalten (vgl. zum Ganzen mit zahlreichen detaillierten Einzelnachweisen OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2016 – 13 A 1490/13.A – Juris Rn. 101 bis136).
Angesichts Art. 30 der Richtlinie 2011/95/EU besteht auch im Falle anerkannter Schutzberechtigter eine starke unionsrechtliche Vermutung dafür, dass die ihnen in Italien gebotene medizinische Versorgung angemessen sein wird (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 – C-578/16 PPU – Rn. 70 zu Art. 17 bis 19 der Richtlinie 2013/22/EU). Die dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse bestätigen diese Vermutung. Bei der Gesundheitsversorgung werden anerkannte Flüchtlinge in Italien wie italienische Bürger behandelt. Der kostenlose Zugang zur Notfallversorgung steht ihnen immer zur Verfügung (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. August 2016 – 13 A 63/16.A – Juris Rn. 94). Auch psychische Erkrankungen sind als weit verbreitete Erkrankungen in Italien behandelbar. Auch hätte der Kläger Zugang zur dortigen medizinischen Versorgung. Wie ausgeführt, ist in Italien anerkannten Flüchtlingen der Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem eröffnet. Insbesondere sind eine kostenfreie Notversorgung sowie die Versorgung sonstiger ernsthafter, auch chronischer Erkrankungen mit den erforderlichen Medikamenten und der notwendigen ärztlichen Behandlung gesichert. Dem steht der geforderte Selbstbehalt (sog. "Ticket") nicht entgegen. Um eine Befreiung zu erhalten, muss sich der Flüchtling lediglich offiziell arbeitslos melden. Abgesehen davon besteht über eine sog. STP-Karte, die bei einer öffentlichen lokalen Gesundheitsorganisation oder in einem großen Krankenhaus zu beantragen ist, ein Zugang zur kostenlosen medizinischen Behandlung, wenn diese wegen schwerer Erkrankungen dringend erforderlich ist.
Nichts Anderes folgt aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 11. Januar 2019 mit Blick auf das dort kritisierte sog. „Salvini-Gesetz“. Die gerügten Regelungen betreffen Schutzberechtigte nicht oder stellen sie – wie oben dargestellt – hinsichtlich der Unterkunft sogar besser. Soweit die Abschaffung des sog. humanitären Schutzstatus, die Einführung einer Liste sicherer Herkunftsstaaten, die Möglichkeit der Ablehnung des Asylantrages als „offensichtlich unbegründet“ oder die Schaffung der negativen Voraussetzung einer internen Fluchtalternative angeprangert wird, handelt es sich um Regelungen, die im deutschen Recht seit jeher Anwendung finden, ohne Zweifel an der Konformität mit Art. 3 EMRK auszulösen. Im Übrigen sind diese Novellierungen für bereits anerkannte Asylbewerber – wie hier – ebenso irrelevant, wie die Regelungen zur Feststellung der Identität, zur Dauer der Abschiebehaft und über die Aufenthaltsbewilligung während des Asylverfahrens.
Der auf Verurteilung zur Sachentscheidung über den Asylantrag gerichtete Leistungsklageantrag bleibt nach dem Vorstehenden ebenfalls ohne Erfolg.
Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 34, 35 AsylG. Danach erlässt das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 des AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen und der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt. Diese Voraussetzungen liegen vor. Es liegt weder ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG noch ein solches nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vor. Die Bindung zu der Lebensgefährtin kann nur als inlandsbezogenes Abschiebungshindernis Bedeutung erlangen.
Gem. § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Im Falle einer Abschiebung nach Italien droht keine konventionswidrige Behandlung. Dagegen streitet die im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems geltende Vermutung, dass die Behandlung der Personen, die internationalen Schutz beantragen, in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der EMRK steht. Dies gilt insbesondere bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie, in dem im Rahmen des mit dieser Richtlinie eingerichteten gemeinsamen Asylverfahrens der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zum Ausdruck kommt (EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. – Juris Rn. 85). Diese Vermutung wird nach dem Vorstehenden vorliegend nicht widerlegt.
Ebenso wenig greift ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ein. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Das normative Vergewisserungskonzept des Art. 16a Abs. 2 GG umfasst auch solche Gefährdungen; einer Prüfung bedarf es deshalb vor einer Aufenthaltsbeendigung in sichere Drittstaaten, wozu auch Italien als Mitglied der EU gehört, auch insoweit nicht (vgl. zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 –, BVerfGE 94, 49-114, Rn. 186). Nichts Anderes gilt mit Blick auf die Covid-19-Krankheitswelle. Selbst wenn pandemiebedingt erneut Einreisebeschränkungen verhängt werden sollten, begründete dies kein Abschiebungsverbot, weil die Unmöglichkeit der Abschiebung kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis bildet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 1998 – 9 B 604.98 – Juris; BVerwG, Beschluss vom 01. September 1998 – 1 B 41.98 – Buchholz 402.240 § 50 AuslG 1990 Nr 4; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 11. Mai 1998 – 9 B 409.98 – InfAuslR 1999, 525-526). Dies gilt erst recht bei absehbar vorübergehenden Hindernissen.
Das konkludent mit der Befristungsentscheidung ausgesprochene Einreise- und Aufenthaltsverbot lässt die Bindung des Klägers zu seiner pflegebedürftigen Lebensgefährtin außer Acht, weshalb es aufzuheben ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.