Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 19.01.2011 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | L 9 KR 142/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 33 SGB 5 |
Eine Ceragem-Massageliege zählt als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 12. März 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin begehrt Kostenerstattung für eine koreanische Massageliege. Hierbei handelt es sich nach dem im Auftrag der Herstellerin (Ceragem Co., Ltd mit Sitz in Korea) und ihrer EU-Repräsentantin (Ceragem Europe GmbH) erstellten „Bericht zur klinischen Bewertung des Medizinprodukts Massageliege CERAGEM-E“ vom 22. Juni 2009 um „eine automatische Wärme-Liege mit Massageeffekt, die zudem Ferninfrarotstrahlung durch Kugelprojektoren und Epoxidcarbonplatten abgibt“. Als Zweckbestimmung wird die Unterstützung bei der Muskelentspannungstherapie und die phasenweise Erleichterung kleinerer Muskel- und Gelenkschmerzen, Steifigkeit und Erhöhung der Blutzirkulation angegeben. Die Erzeugung der Ferninfrarotstrahlung wird durch das Aufheizen von kugelförmigen Jade-Steinen mit Hilfe von Halogenlampen erreicht. Diese Kugeln („interne Projektoren“) sind so auf einem Schlitten in der Mitte der Liege befestigt, dass sie – in der Regel dreimal während einer 40-minütigen Standardtherapie – rechts und links der Wirbelsäule entlang geführt werden. Anschließend werden gezielt 14 bestimmte Punkte entlang der Wirbelsäule angefahren, an denen es zu einer 2-minütigen lokalen Temperaturübertragung, verbunden mit einem Akupressureffekt, kommt (vgl. auch die Darstellung unter http://ceragem-potsdam.de). Die Ceragem-Massageliegen, die weltweit in verschiedenen Modellen mit unterschiedlichen Bezeichnungen, jedoch technisch und von der Wirkungsweise identisch in Verkehr gebracht wurden, können in zahlreichen „Ceragem-Centern“ über längere Zeit kostenlos genutzt werden.
Die 1975 geborene Klägerin, der ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G, aG, H, B und RF zuerkannt sind, leidet an folgenden dauerhaften Erkrankungen: Infantile Cerebralparese, Anfallsleiden, Kyphose, Skoliose, Hüftluxation links, schwere Intelligenzminderung. Ihre Immobilität führt zu Durchblutungsstörungen an den Extremitäten und zu chronischer Obstipation. Ihr verordnete die Fachärztin für Kinderheilkunde F am 30. Oktober 2006 eine therapeutische Massageliege und befürwortete auf einem beigefügten ärztlichen Attest vom gleichen Tage den Gebrauch der Ceragem-Massageliege, weil durch deren tägliche Nutzung der Muskeltonus der Klägerin gelockert und dadurch ihre Gelenke entspannt worden seien. Die periphere Durchblutung habe sich spontan verbessert, was zu einer geringeren Infektneigung geführt habe. Den größten Effekt habe man an der Defäkation beobachten können: Während bisher ein regelmäßiger Stuhlgang nur durch den täglichen Gebrauch von Laxantien und Klistieren habe erreicht werden können, erfolge unter Anwendung der Ceragem-Massage jeden Morgen ein spontanes Absetzen des Stuhlganges. Hierdurch komme es für die Klägerin und ihre sie betreuende Mutter zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität. Es würde allerdings wegen der Immobilität der Klägerin sehr anstrengend werden, sie regelmäßig zu einer aushäusigen Massage zu bringen.
Mit Bescheid vom 26. Oktober 2006 lehnte die Beklagte den Antrag der gesetzlichen Vertreterin der Klägerin auf Versorgung mit einer Massageliege ab. Im Rahmen des sich anschließenden Widerspruchsverfahren lehnte sie mit Schreiben vom 24. Januar 2007 auch einen gleichgerichteten Antrag der Klägerin ab und verwies zur Begründung auf das beigefügte Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 15. Januar 2007, in dem der Dipl.-Med. A. F zum Ergebnis gelangte, der Massageliege stehe nicht die Qualität eines Hilfsmittels zu, ohne das die ärztliche Behandlung nicht sichergestellt werden könne oder welches unmittelbar dazu diene, die bestehende Behinderung auszugleichen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Massageliege im Sinne einer Therapieliege als mittelbare Hilfe zur Erleichterung der Therapiedurchführung in Betracht komme, sodass auch keine Bezuschussung satzungsabhängig als ergänzende Leistung zur Rehabilitation entsprechend § 43 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGBV) erwogen werden könne. Es sei nicht erkennbar, auf welcher Grundlage der Versichertengemeinschaft gegenüber die Versorgung mit diesem im Hilfsmittelverzeichnis nicht erfassten und eher als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens erkennbaren Produkt begründbar wäre. Im Übrigen sei diese Massageliege in den „Ceragem-Centern“ für jedermann zur Nutzung zugänglich und sei keinesfalls ausschließlich für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt worden. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2007 zurück.
Nachdem das Sozialgericht den Befundbericht der Kinderärztin F vom 6. Dezember 2007 veranlasst hatte, wies es die Klage mit Gerichtsbescheid vom 12. März 2008 ab, weil es sich bei der Ceragem-Liege um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele, wie bereits die 36. Kammer des Sozialgerichts Berlin in ihrem Gerichtsbescheid vom 31. Mai 2007 (Az.: S 36 KR 3117/06) zutreffend erkannt habe. Darüber hinaus sei die Ceragem-Liege auch nicht erforderlich, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern. Denn ausweislich des Befundberichtes der Kinderärztin F diene die Liege dem Zweck, die von der Klägerin in Anspruch genommene Krankengymnastik vorzubereiten und zu sichern. Dieser Zweck könne jedoch weit besser durch eine Intensivierung der Krankengymnastik erreicht werden, wie dies der MDK vorschlage.
Gegen diesen ihr am 18. März 2008 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung der Klägerin vom 25. März 2008, zu deren Begründung sie unter anderem vorbringt: Alle denkbaren konservativen Heilmaßnahmen, insbesondere Krankengymnastik, seien bereits ausgeschöpft worden und führten nicht zu einer nachhaltigen Linderung ihrer Beschwerden. Die Krankengymnastik beuge allenfalls einer Verschlechterung vor. Soweit das Sozialgericht die Klägerin auf Krankengymnastik verweise, sei dies auch deshalb zynisch, weil die Krankengymnastik in der von der Klägerin besuchten Tageseinrichtung aus Kostengründen von zweimal wöchentlich auf einmal monatlich seit dem Jahr 2006 herabgesetzt worden sei. Die allein zutreffende Auslegung der Werbeanpreisung der Ceragem-Liege müsse zwingend zum Ergebnis kommen, dass diese Liege „jedem kranken Menschen ein …. glücklicheres Leben bereite“ und daher sehr wohl vorwiegend für Kranke und/oder Behinderte gedacht sei.
Im Juli 2007 hat die Mutter der Klägerin eine „Ceragem-Medizinische-Massageliege“ zum Preis von 2.550.- Euro erworben.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 12. März 2008 sowie die Bescheide der Beklagten vom 27. Oktober 2006 und 24. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.550 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat die Stellungnahme der Kinderärztin F vom 2. Juni 2010 veranlasst, wegen deren Inhalts auf Blatt 116/117 der Gerichtsakte verwiesen wird. Ferner hat er den o.g. „Bericht zur Klinischen Bewertung des Medizinprodukts Massageliege CERAGEM-E“ von der Ceragem Europe GmbH beigezogen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide erweisen sich im Ergebnis als rechtmäßig, da der Klägerin gegenüber der Beklagten kein Anspruch auf Kostenerstattung für die von ihr selbst beschaffte Ceragem-Liege zusteht.
Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt bzw. sind den Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Frage nach der nicht rechtzeitigen Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung stellt sich nicht, da sich die Klägerin die Massageliege erst nach der Ablehnung durch die Beklagte beschafft hat. Auch ein Fall der unrechtmäßigen Leistungsablehnung (§ 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. SGB V) liegt nicht vor. Denn die Ceragem-Liege gehört in der ambulanten ärztlichen Versorgung nicht zum Leistungsumfang in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
1. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der ab 1. April 2007 geltenden Fassung haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.
2. Die Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin nach § 33 Abs. 1 SGB V liegen nicht vor.
a) Es fehlt bereits an einer wirksamen ärztlichen Verordnung der Massageliege. Die Verordnung der Fachärztin für Kinderheilkunde F vom 30. Oktober 2006 ist ungeeignet, da diese Verordnung außerhalb des ärztlichen Fachgebiets liegt, für das diese Ärztin zugelassen ist.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des Berliner Gesetzes über die Weiterbildung von Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten und Apothekern darf ein Arzt, der eine Facharztbezeichnung oder Gebietsbezeichnung führt, grundsätzlich nur in dem zugehörigen Gebiet tätig werden. Das Gebiet Kinder- und Jugendmedizin umfasst nach Teil B Ziffer 14 der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Berlin „die Erkennung, Behandlung, Prävention, Rehabilitation und Nachsorge aller körperlichen, neurologischen, psychischen und psychosomatischen Erkrankungen, Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsstörungen und Behinderungen des Säuglings, Kleinkindes, Kindes und Jugendlichen von Beginn bis zum Abschluss seiner somatischen Entwicklung einschließlich pränataler Erkrankungen, Neonatologie, Sozialpädiatrie, der Vorsorgeuntersuchungen und der Schutzimpfungen.“ Da die Klägerin zum Zeitpunkt der ärztlichen Verordnung keine Jugendliche mehr war und i.ü. auch ihre somatische Entwicklung abgeschlossen war, war die Kinderärztin F damals berufsrechtlich nicht mehr zu ihrer Behandlung befugt. Diese berufsrechtliche Bindung schlägt auf den Bereich des Vertragsarztrechts durch (Bundesverfassungsgericht SozR 4-2500 § 135 Nr. 2; BSG, Urteil vom 8. September 2004, Az.: B 6 KA 32/03 R, veröffentlicht in Juris; Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 19 Rd. 11), wie sich u.a. aus den Vorschriften des vertragsärztlichen Zulassungsrechts (§ 3 Abs. 2 Buchst. b, § 24 Abs. 3 Zulassungsverordnung-Ärzte) ergibt.
b) Darüber hinaus handelt es sich bei der Ceragem-Liege um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens.
Im Hinblick auf die Aufgabe der Krankenversicherung, allein die medizinische Rehabilitation sicherzustellen, sind nur solche Gegenstände als Hilfsmittel zu gewähren, die spezifisch der Bekämpfung einer Krankheit oder dem Ausgleich einer Behinderung dienen. Was daher regelmäßig auch von Gesunden benutzt wird, fällt auch bei hohen Kosten nicht in die Leistungspflicht der Krankenversicherung. Der ausdrückliche gesetzliche Ausschluss der allgemeinen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens stellt dies nur klar. Zur Ermittlung des Vorliegens der Eigenschaft eines Hilfsmittels der Krankenversicherung ist deshalb allein auf die Zweckbestimmung des Gegenstands abzustellen, die einerseits aus der Sicht der Hersteller, andererseits aus der Sicht der tatsächlichen Benutzer zu bestimmen ist: Geräte, die für die speziellen Bedürfnisse kranker oder behinderter Menschen entwickelt sowie hergestellt worden sind und die ausschließlich oder ganz überwiegend auch von diesem Personenkreis benutzt werden, sind nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen; das gilt selbst dann, wenn sie millionenfach verbreitet sind (z.B. Brillen, Hörgeräte). Umgekehrt ist ein Gegenstand auch trotz geringer Verbreitung in der Bevölkerung und trotz hohen Verkaufspreises als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens einzustufen, wenn er schon von der Konzeption her nicht vorwiegend für Kranke und Behinderte gedacht ist (BSG, Urteil vom 16. September 1999, Az.: B 3 KR 1/99 R, veröffentlicht in Juris, m.w.N.).
Zu Recht hat das Sozialgericht unter Berücksichtigung dieser Kriterien und unter Verweis auf das Urteil des 36. Kammer des Sozialgerichts Berlin (Gerichtsbescheid vom 31. Mai 2007, Az.: S 36 KR 3117/06) die Ceragem-Liege als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens eingestuft (ebenso Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. Juli 2009, Az.: L 1 KR 381/07, unveröffentlicht). Denn ausweislich des von der Klägerin eingereichten Werbematerials der Ceragem Europe GmbH handelt es sich bei dieser Liege um eine „Wellnessliege mit Massageeffekt für den privaten Gebrauch“, die „jedem Menschen auf der Welt ein besseres, schöneres und glücklicheres Leben“ bereite. Das Anpreisen der Liege richtet sich ganz offensichtlich nicht nur an kranke und/oder behinderte Menschen, sondern in gleichem Maße an gesunde Personen. Die Ceragem-Liege soll nach dem Konzept des Herstellers in erster Linie als sog. „Wellness-Produkt“ dem allgemeinen Wohlbefinden dienen und ist insofern nicht speziell für kranke und/oder behinderte, sondern für alle Menschen konzipiert. Dass die Liege daneben auch der Vorbeugung und Behandlung insbesondere von Rückenbeschwerden dienen soll, ist demgegenüber ohne Belang.
Zwar weist die Klägerseite zu Recht darauf hin, dass die Ceragem-Liege ausweislich des von der Beklagten während des Klageverfahrens eingereichten Werbematerials vom Januar 2008 zu einem späteren Zeitpunkt als „therapeutische Massageliege“ angeboten wurde. Aber auch in diesen Unterlagen, die aus der Zeit nach der Selbstbeschaffung – dies ist der für die Beurteilung des Hilfsmittels als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens maßgebliche Zeitpunkt – stammen, findet sich noch die Aussage: „Schon bald wird in jedem Haushalt ein Massagegerät stehen.“ Dies belegt, dass nach Auffassung des Herstellers die Ceragem-Liege nach wie vor nicht ausschließlich für den Kreis der kranken und behinderten Menschen vorgesehen ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.