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Wahlrecht; Bindung; Mitgieldschaft


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat Entscheidungsdatum 11.03.2011
Aktenzeichen L 1 KR 118/08 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 28h SGB 4, § 175 SGB 5

Leitsatz

Die Bindung an ein ausgeübtes Wahlrecht nach § 1745 SGB V setzt voraus, dass tatsächlich ein Mitgliedschaftsverhältnis entstanden ist.

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst zu tragen hat.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin möchte festgestellt wissen, dass der Beigeladene und seine Familienangehörigen nicht bei ihr, sondern bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert sind.

Der Beigeladene bezog bis zum 31. Dezember 2004 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz. Er wurde für die Zeit vom 02. bis zum 14. Januar 2004 von der R. GmbH als versicherungspflichtig beschäftigt bei der Beklagten angemeldet.

Da diese Zweifel am Bestehen der Versicherungspflicht hatte, stellte sie Ermittlungen an.

Der Beigeladene bezieht seit dem 01. Januar 2005 Arbeitslosengeld II. In seinem Antrag auf Leistungen beim zuständigen JobCenter N hatte er angegeben, bei der Klägerin gesetzlich krankenversichert zu sein. Das JobCenter meldete ihn zum 01. Januar 2005 als versicherungspflichtiges Mitglied bei der Klägerin an. Er erhielt eine Krankenversicherungskarte. Die Klägerin erbrachte zunächst fortlaufend Krankenleistungen.

Er war dann nach seinen Angaben (im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter des 24. Senates am 18. November 2008) ab Februar 2005 für zirka fünf Monate als Abschleppfahrer bei der Firma E beschäftigt, welche ihn zum 15. Februar 2005 auch bei der Klägerin anmeldete.

Bei einer Vorsprache des Beigeladenen bei der Klägerin am 05. Oktober 2005 teilte er dieser mit, dass angeblich für ihn (auch) im vorangegangenen Jahr eine Arbeitgeberanmeldung -bei der Beklagten- nicht eingegangen sei. Auf Nachfrage übersandte die Beklagte der Klägerin am 07. Oktober 2005 eine Übersicht der Versicherungszeiten des Beigeladenen, wonach er vom 02. Januar 2004 bis 14. Januar 2004 kranken- und pflegeversichert bei ihr gewesen sei.

Die Klägerin schrieb daraufhin an den anmeldenden Arbeitgeber E sowie an den Beigeladenen, die Anmeldung des Beigeladenen zum 15. Februar 2005 könne nicht angenommen werden, weil der Beigeladene bis zum 14. Januar 2004 „als Mitglied bei der AOK Berlin“ versichert gewesen sei.

Mit – angefochtenem – Bescheid vom 01. Dezember 2005 teilte die Klägerin dem Beigeladenen mit, dass eine Mitgliedschaft für ihn und seine Familienangehörigen nicht durchgeführt werden könne. Gemäß der gemeinsamen Verlautbarung der Spitzenverbände der Sozialversicherung vom 08. Oktober 2004 habe er seine Krankenversicherung nur dann ab dem 01. Januar 2005 frei wählen dürfen, soweit er in den letzten 18 Monaten nicht Mitglied einer Krankenkasse gewesen sei. Er - der Beigeladene - sei Mitglied der AOK Berlin gewesen.

Mit Bescheid vom 11. Januar 2006 stellte die Beklagte gegenüber dem Beigeladenen fest, dass dieser in der fraglichen Zeit im Januar 2004 nicht der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterlegen habe. Die Ermittlungen hätten ergeben, dass nicht nachzuweisen sei, dass der Beigeladene tatsächlich entgeltliche Arbeit geleistet habe. Weder habe der Arbeitgeber Namen und Anschriften damaliger Arbeitskollegen benannt, noch habe er - der Beigeladene - sich an Kollegen erinnern können, die den Arbeitseinsatz hätten bestätigen können. Auch die arbeitsvertraglich vereinbarte Benennung eines Kontos zur Lohnzahlung sei nicht erfolgt. Es existiere kein Nachweis über eine tatsächlich erfolgte Lohnzahlung. Weiter sei es wirtschaftlich nicht nachvollziehbar, dass bereits zehn Tage nach Abschluss eines auf Dauer vereinbarten Arbeitsverhältnisses dieses aus betriebsbedingten Gründen wieder gekündigt worden sei. Auch lägen widersprüchliche Angaben hinsichtlich des Zustandekommens des Arbeitsverhältnisses vor.

Gegen diesen Bescheid legten weder der Beigeladene noch dessen Arbeitgeber Widerspruch ein. Auch die Klägerin griff den Bescheid nicht mit einer Anfechtungsklage an.

Das Sozialgericht Berlin (SG) verpflichtete die Klägerin mit Beschluss vom 02. Februar 2006 (Az.: S 84 KR 2677/05 ER) im Wege einstweiliger Anordnung, der Tochter des Beigeladenen vorläufig Leistungen zur Krankenbehandlung zu gewähren. Im Beschwerdeverfahren erklärte die Klägerin im Rahmen eines Erörterungstermins am 31. März 2006, in Vorleistung zu treten und bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache der Tochter des Beigeladenen vorläufig Krankenbehandlungen zu gewähren. Das Widerspruchsverfahren zwischen der Tochter des Beigeladenen und der Klägerin ruht im Hinblick auf das vorliegende Verfahren.

Am 14. August 2006 hat die Klägerin Klage vor dem SG erhoben. Zumindest bis zum 01. Juli 2005 habe der Beigeladene kein Wahlrecht ausüben können, weil er in der Zeit vom 02. bis zum 14. Januar 2004 bei der Beklagten Mitglied gewesen sei.

Der Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 2006 ändere daran nichts, da die Bindung an das Wahlrecht unabhängig von der damit verbundenen Mitgliedschaft und deren Dauer sei. Zudem sei der Bescheid rechtswidrig, da sämtliche Voraussetzungen für die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses zweifelsfrei erfüllt worden seien. Dies ergebe sich aus dem Feststellungsbogen der Beklagten vom 13. Mai 2004 und aus den Schreiben des Beigeladenen sowie des Arbeitgebers vom 09. November 2005 bzw. vom 29. Dezember 2005. Die Beklagte habe ihre versicherungsrechtliche Prüfung offensichtlich Anfang Juli 2004 eingestellt und erst am 03. November 2005 - einen Tag, nachdem die Klägerin ihre Ersatzansprüche bei der Beklagten angemeldet habe - wieder aufgenommen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, festzustellen, dass der Beigeladene aufgrund des Bezuges von Arbeitslosengeld II ab dem 01. Januar 2005 Mitglied der Beklagten geworden sei, ferner, die Beklagte zu verurteilen, die von der Klägerin seit dem 01. Januar 2005 erbrachten Leistungen für den Beigeladenen und dessen Familienangehörigen der Klägerin gegenüber in vollem Umfange zu erstatten.

Die Beklagte hat vorgebracht, da der Beigeladene bei ihr nicht Mitglied gewesen sei, könne keine Bindung nach § 175 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) vorgelegen haben. Der Bescheid vom 11. Januar 2006 sei bestandskräftig und auch rechtmäßig.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 07. Februar 2008 abgewiesen. Sie sei zwar als Feststellungsklage und im Antrag zu 2. als Leistungsklage auf Verurteilung zur Kostenerstattung dem Grunde nach zulässig, §§ 54 Abs. 5, 55 Abs. 1 Nr. 1, 56 und 130 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), habe in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der Beigeladene sei seit dem 01. Januar 2005 Mitglied der Klägerin und nicht der Beklagten. Er sei als Bezieher von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) seit 01. Januar 2005 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert. Für die Durchführung dieser Versicherung sei die Krankenkasse zuständig, die der Antragsteller wähle, § 173 Abs. 1 SGB V. Die Ausübung des Wahlrechts sei gegenüber der gewählten Krankenkasse zu erklären, welche die Mitgliedschaft nicht ablehnen dürfe, § 175 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V. An die Wahl der Krankenkasse sei der Versicherungspflichtige mindestens 18 Monate gebunden, § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V. Beim Beigeladenen sei die Wahl der Krankenkasse zum 01. Januar 2005 erforderlich gewesen, weil er zu diesem Zeitpunkt nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen sei. Er habe bis dahin laufend Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz bezogen. Als solcher habe er gemäß § 264 Abs. 2 Satz 1 SGB V gegenüber der Klägerin als der von ihm gewählten Krankenkasse (§ 264 Abs. 3 Satz 1 SGB V) Anspruch auf Krankenbehandlung gehabt. Ein solcher Anspruch von Sozialhilfeempfängern sei jedoch, wie § 264 Abs. 2 Satz 1 SGB V klarstelle, keine echte Versicherung und begründe dementsprechend keine vollgültige Mitgliedschaft bei der Krankenkasse. Der Beigeladene sei weiter nicht an ein vorher ausgeübtes Wahlrecht zugunsten der Beklagten nach § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V gebunden gewesen. Die Beklagte habe mit bestandskräftigem und damit bindendem Bescheid vom 11. Januar 2006 gemäß § 28 h Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) festgestellt, dass der Beigeladene in der Zeit vom 02. bis zum 14. Januar 2004 nicht der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung unterlegen habe. Dass dieser Bescheid gemäß § 40 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch nichtig sei, sei weder ersichtlich und werde auch von der Klägerin nicht behauptet. Auf die Rechtmäßigkeit komme es wegen der Bestandskraft nicht an. Allerdings bestünden gegen die materielle Rechtmäßigkeit des Bescheides keine durchgreifenden Bedenken. Es hätten aus Sicht der Beklagten erhebliche Indizien gegen das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses gesprochen (kein Krankenversicherungsschutz, nur sehr kurzfristiges Arbeitsverhältnis von zehn Tagen, kein Nachweis der Lohnzahlung, möglicherweise bestehendes Verwandtschaftsverhältnis zum Geschäftsführer des Arbeitgebers, widersprüchliche Angaben zum Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses), und weder der Beigeladene noch dessen vermeintlicher Arbeitgeber hätten Nachweise für das Bestehen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses beibringen können. Die Beklagte sei zu Recht vom Bestehen eines Scheinbeschäftigungsverhältnisses ausgegangen (Bezugnahme auf Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 29. September 1998 - B 1 Kr 10/96 R -). Insbesondere hätten keine Kollegen etc. als Zeugen benannt werden können, die das Beschäftigungsverhältnis hätten bestätigen können. Es könne deshalb unentschieden bleiben, ob bei fehlender Bindungswirkung des Bescheides die Bindungsfrist an die Krankenkassenwahl trotz Unterbrechung der Mitgliedschaft bzw. der Versicherungspflicht durch die Gewährung der Krankenbehandlung durch die Klägerin gemäß § 264 Abs. 2 SGB V weiter laufe (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 30. Juni 2007 - B 12 KR 19/06 R -). Jedenfalls setze die Bindung voraus, dass durch die die Bindung auslösende Ausübung des Wahlrechts tatsächlich ein Mitgliedschaftsverhältnis entstanden sei, d. h., dass zumindest zu diesem Zeitpunkt eine Versicherungspflicht bzw. eine Versicherungsberechtigung bestanden habe. Dies ergebe sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V, wonach nur Versicherungspflichtige und Versicherungsberechtigte an die Wahl gebunden seien und ein Wahlrecht vorliegen müsse, welches nach § 173 SGB V ebenfalls eine Versicherungspflicht bzw. Versicherungsberechtigung voraussetze.

Der Beigeladene habe sein Wahlrecht zugunsten der Klägerin ausgeübt. Entweder sei dies in den Angaben gegenüber dem JobCenter zu sehen, er sei bei der Klägerin gesetzlich krankenversichert gewesen, weil - entsprechend § 16 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) diese Ausübung wirksam sei (in diesem Sinne Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 22. August 2005 - L 8 KR 113/05 -). Alternativ sei das nicht ausgeübte Wahlrecht durch die Anmeldung des JobCenters nach § 175 Abs. 3 Satz 2 SGB V ersetzt worden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin.

Bereits die Anmeldung durch den Arbeitgeber 2004 habe eine wahlrechtsersetzende Funktion unter Anwendung des § 175 Abs. 3 Satz 2 SGB V gehabt (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 08. Oktober 1998 - B 12 KR 11/98 R -). Die Beklagte sei „unstreitig“ Vorkasse im Sinne des § 175 Abs. 3 Satz 2, 1. Halbsatz SGB V, wonach das JobCenter den Versicherten bei der Krankenkasse anzumelden habe, bei der zuletzt eine Versicherung bestanden habe, soweit eine Mitgliedsbescheinigung nicht vorgelegt werde. Nur wenn vor Eintritt der Versicherungspflicht ab 01. Januar 2005 keine Vorkasse für den Beigeladenen bestanden hätte, stünde dem JobCenter die Ermächtigung gemäß § 175 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz SGB V zu, den Beigeladenen bei einer der nach § 173 SGB V wählbaren Krankenkasse anzumelden. Das JobCenter N müsse die Anmeldung bei der Klägerin stornieren und beigeladen werden. Das angeführte Urteil des BSG vom 30. Juni 2007 sei ihrer Ansicht nach auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht anwendbar. Dort sei nämlich der Versicherte aus einer Familienversicherung ausgeschieden, wohingegen hier der Beigeladene im Januar 2004 sein Wahlrecht bereits ausgeübt habe. Die Meldung als Arbeitnehmer zum 15. Februar 2005 sei unzulässig gewesen, da die Beklagte zum Zeitpunkt der Meldung die Vorkasse des Beigeladenen gewesen sei.

§ 175 Abs. 3 Satz 2 SGB V sei durch das Gesetz zur Neuregelung der Krankenkassenwahlrechte nicht geändert worden. Es sei lediglich die Bindungswirkung des § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V auf 18 Monate verlängert worden. Das SG hätte auch den Sachverhalt weiter aufklären müssen. Die Beweislast für das Nichtbestehen eines Beschäftigungsverhältnisses trage die Beklagte als der in Anspruch genommene Sozialversicherungsträger.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 07. Februar 2008 aufzuheben und festzustellen, dass der Beigeladene aufgrund des Bezuges von Arbeitslosengeld II ab dem 01. Januar 2005 Mitglied der Beklagten geworden ist und

die Beklagte zu verurteilen, die von der Klägerin seit dem 01. Januar 2005 erbrachten Leistungen für den Beigeladenen und dessen Familienangehörigen der Klägerin in vollem Umfang zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der bestandskräftige Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 2006 sei nicht Streitgegenstand. Eine weitere Sachaufklärung sei deshalb nicht erforderlich.

Die Verwaltungsvorgänge der Klägerin sowie der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Senat verweist zur Vermeidung bloßer Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Urteil, § 153 Abs. 2 SGG. Das Berufungsvorbringen gibt für eine andersartige Bewertung keinen Anlass.

Die Klägerin hätte den Bescheid der Beklagten anfechten müssen, wenn sie der Auffassung gewesen sei, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Diese ist gerade deshalb nicht Vorkasse im Sinne des § 175 SGB V. Der Beigeladene konnte die Beklagte nicht als gesetzliche Krankenkasse auswählen bzw. -gewählt haben, wie das SG richtig ausgeführt hat.

Die Beiladung des JobCenters ist nicht erforderlich und erscheint auch nicht geboten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.