Gericht | OLG Brandenburg 1. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 12.09.2011 | |
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Aktenzeichen | 1 AR 52/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Zuständig ist das Amtsgericht Bad Liebenwerda.
I.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten das Mahnverfahren beim Amtsgericht Wedding betrieben. Am 03.02.2011 wurde ein Mahnbescheid über eine Hauptforderung in Höhe von 9.870,49 € erlassen. Am 14.03.2011 legte der Beklagte Widerspruch ein; zuvor hatte er eine Zahlung in Höhe von 6.675,90 € an die Klägerin geleistet. Nach der Abgabe des Verfahrens an das Landgericht Cottbus als das im Mahnverfahren bezeichnete Streitgericht hat die Klägerin unter dem 14.07.2011 die Anspruchsbegründung eingereicht. Darin hat sie die Klage in Höhe einer Hauptforderung von 3.194,59 € sowie einer Zinsforderung weiterverfolgt, im Hinblick auf die Zahlung in Höhe von 6.675,90 € hat sie die Erledigung der Hauptsache erklärt.
Die Klägerin hat in der Anspruchsbegründung vom 14.07.2011 die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Bad Liebenwerda beantragt. Dazu hat das Landgericht Cottbus unter dem 21.07.2011 dem Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 10 Tagen erteilt. Am 01.08.2011 hat der Beklagte die Verlängerung der Stellungnahmefrist bis 31.08.2011 beantragt.
Durch Beschluss vom 02.08.2011 hat das Landgericht Cottbus sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit unter Bezugnahme auf §§ 23, 71 GVG an das Amtsgericht Bad Liebenwerda verwiesen. Das Amtsgericht Bad Liebenwerda hat durch Beschluss vom 17.08.2011 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und die Sache zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Senat vorgelegt.
II.
Auf den Vorlagebeschluss des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 17.08.2011 ist dessen Zuständigkeit auszusprechen.
1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, weil es für die am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht ist.
2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Landgericht Cottbus als auch das Amtsgericht Bad Liebenwerda haben sich im Sinne dieser Vorschrift rechtskräftig für sachlich unzuständig erklärt, ersteres durch den nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 02.08.2011 und letzteres durch den seine Zuständigkeit abschließend verneinenden Vorlagebeschluss vom 17.08.2011; beide genügen den Anforderungen, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es insoweit allein darauf ankommt, dass eine den Parteien bekanntgemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (statt vieler: Senat, NJW 2004, 780; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 36, Rdnr. 24 f.).
3. Zuständig ist das Amtsgericht Bad Liebenwerda.
Seine Zuständigkeit folgt aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Landgerichts Cottbus vom 02.08.2011 nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Aufgrund dieser klaren gesetzlichen Regelung kann die Bindungswirkung nur ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-)Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfallen. Im Interesse einer baldigen Klärung ist die Willkürschwelle dabei hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler wie etwa das Übersehen einer die Zuständigkeit begründenden Rechtsnorm rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung demzufolge grundsätzlich nicht. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder sonst grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (statt vieler: Senat JMBl. 2007, 65, 66; NJW 2006, 3444, 3445; 2004, 780; MDR 2006, 1184; eingehend ferner: Tombrink, NJW 2003, 2364 f.; jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
Den derart zu konkretisierenden (verfassungsrechtlichen) Einschränkungen der Bindungswirkung hält der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Cottbus stand.
Dem Beklagten ist durch die dortige Verfügung vom 21.07.2011 rechtliches Gehör unter Setzung einer - noch - angemessenen Stellungnahmefrist gewährt worden. Dass das Landgericht dem Fristverlängerungsantrag vom 01.08.2011 nicht nachgekommen ist, ist dabei unschädlich. Dem Antrag, der damit begründet worden ist, dass „die zur Sache aussagefähigen Vorstandsmitglieder“ des Beklagten sich im Urlaub befänden, hat schon deshalb nicht stattgegeben werden müssen, weil der Beklagte nicht zum sachlichen Vorbringen der Klägerin, sondern allein zu dem von ihr gestellten Verweisungsantrag angehört worden ist.
Der Verweisungsbeschluss entbehrt auch nicht jeglicher gesetzlichen Grundlage.
Infolge der Erledigungserklärung der Klägerin übersteigt der Streitwert nicht mehr den nach § 23 Nr. 1 GVG zur Zuständigkeit des Amtsgerichts führenden Betrag von 5.000,00 €. Denn - auch - die nur teilweise und einseitig erklärte Hauptsacheerledigung führt zur Verringerung des Streitwerts in der Weise, dass für den für erledigt erklärten Teil des Rechtsstreits regelmäßig der auf ihn entfallende Kostenwert anzusetzen ist und dieser dem Wert des nicht erledigten Teils hinzuzurechnen ist; dabei ist der Kostenwert durch eine Differenzberechnung zu ermitteln, die ergibt, um welchen Betrag die Kosten überschritten sind, die angefallen wären, wenn der Rechtsstreit von Anfang an nur über den nicht für erledigt erklärten Teil der Hauptsache geführt worden wäre (BGH NJW-RR 1996, 1210; Brandenbg. OLG [7. Zivilsenat], Beschluss vom 02.09.2009, 7 W 58/09; OLG Hamm OLGR 2004, 32; OLG München OLGR 2003, 395; OLG Nürnberg JurBüro 2002, 368, 369 f.; OLG Düsseldorf WuM 2002, 501; OLG Saarbrücken OLGR 1998, 396; Zöller/Herget, a. a. O., § 3, Rdnr. 16 „Erledigung der Hauptsache/einseitige Erledigungserklärung“). Den Gegenansichten, die bei einseitiger Erledigungserklärung entweder eine Reduzierung des Streitwerts überhaupt nicht (Brandenbg. OLG [6. Zivilsenat] NJW-RR 1996, 1472; OLG Schleswig OLGR 2005, 527; OLG München NJW-RR 1996, 957, 958; OLG Köln MDR 1995, 103; OLG Düsseldorf NJW-RR 1993, 510 f.) oder pauschal einen Abschlag in Höhe von meist 50 % des bisherigen Hauptsachestreitwerts (OLG München MDR 1998, 62, 63; OLG Frankfurt MDR 1995, 207 f.; OLG Köln VersR 1994, 954 f.) vornehmen wollen, kann nicht zugestimmt werden. Denn die klagende Partei, die den Rechtsstreit in der Hauptsache teilweise für erledigt erklärt hat, verfolgt insoweit gerade nicht das Interesse der ursprünglichen Hauptsache, sondern lediglich das Ziel, sich im Hinblick auf die Kosten des Rechtsstreits schadlos zu halten; für eine pauschale Herabsetzung des Streitwerts besteht keine Notwendigkeit, da sich dieses Kosteninteresse in der Regel konkret bestimmen lässt (Brandenbg. OLG [7. Zivilsenat] a. a. O.). Die Summe des verbleibenden Hauptsachewertes und des auf den für erledigt erklärten Teil entfallenden Kosteninteresses erreicht den Betrag von 5.000,00 € hier nicht.
Dem Amtsgericht Bad Liebenwerda kann nicht darin beigetreten werden, dass ein die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses ausschließender Verstoß gegen § 261 Abs. 3 Satz 2 ZPO gegeben sei. Zwar ist mit dem Eingang der Akten beim Prozessgericht, der im vorliegenden Fall am 17.06.2011 stattgefunden hat, die Rechtshängigkeit - gegebenenfalls, worauf es hier jedoch nicht ankommt, nach § 696 Abs. 3 ZPO rückwirkend zum Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids (Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 696, Rdnr. 6; Thomas/Putzo/ Hüßtege, ZPO, 32. Aufl., § 696, Rdnr. 12 f.) - eingetreten (vgl. BGH NJW 2009, 1213, 1214; NJW-RR 2004, 1210, 1212; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 696, Rdnr. 5; Thomas/ Putzow/ Hüßtege a. a. O.); den gegenteiligen Ansichten, wonach - außerhalb des Geltungsbereichs des § 696 Abs. 3 ZPO - für den Eintritt der Rechtshängigkeit auf den Zugang der Abgabeverfügung des Mahngerichts bei den Parteien abzustellen (OLG München MDR 1980, 501, 502) oder der Zeitpunkt der Zustellung der Anspruchsbegründung maßgebend (OLG München MDR 2007, 1154, 1155; OLG Frankfurt/Main NJW-RR 1992, 447, 448; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 69. Aufl., § 696, Rdnr. 15; MünchKomm./Schüler, ZPO, 3. Aufl., § 696, Rdnr. 21) sein soll, kann nicht gefolgt werden, da einerseits der erstgenannte Zeitpunkt sich nicht verbindlich aus den Prozessakten feststellen lässt und andererseits eine über den Zeitpunkt des Akteneingangs beim Prozessgericht hinausgehende Schutzwürdigkeit des Beklagten nach der Durchführung des Mahnverfahrens nicht gegeben ist (BGH NJW 2009, 1213, 1214 f.). Jedoch lässt sich der Anspruchsbegründung der Klägerin entnehmen (Bl. 28 d. A.), dass die Zahlung des Beklagten bereits vor dessen Widerspruch und damit vor der Abgabe des Verfahrens an das Prozessgericht stattgefunden hat. Insbesondere für derart gelagerte Fälle wird auch dann, wenn die antragstellende Partei erst nach dem Akteneingang beim Prozessgericht die Erledigungserklärung abgibt, dem Umstand der Erledigung der Hauptsache vor dem Akteneingang für die Beurteilung der sachlichen Zuständigkeit - etwa im Hinblick auf § 696 Abs. 4 ZPO - Bedeutung beigemessen, was freilich umstritten ist (vgl. Zöller/Herget, a. a. O., § 3, Rdnr. 16 „Mahnverfahren“; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 91 a, Rdnr. 58 „Mahnverfahren“, und § 696, Rdnr. 2; Musielak/Wolst, ZPO, 8. Aufl., § 91 a, Rdnr. 55; jeweils m. w. N. zum Streitstand). Im Lichte dieser Diskussion in Literatur und Rechtsprechung stellt sich die Vorgehensweise des Landgerichts Cottbus, wollte man sie - worauf es im Ergebnis indes ebenfalls nicht ankommt - mit dem Amtsgericht Bad Liebenwerda für unzulässig halten, als nur einfacher Rechtsfehler dar, der für die Annahme der Willkür nicht ausreicht (vgl. Senat, Beschluss vom 18.04.2001, 1 AR 17/01).