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Kindergartenrecht, Heimrecht


Metadaten

Gericht VG Frankfurt (Oder) 6. Kammer Entscheidungsdatum 25.01.2012
Aktenzeichen VG 6 K 83/09 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt einen Zuschuss für die Fahrten zwischen seinem Wohnort und der Kindertagesstätte (im Folgenden: Kita) „XXX“ in XXX im Zeitraum vom 5. September 2008 bis zum 29. August 2009.

Der am 23. August 2003 geborene Kläger wurde seit dem 1. September 2004 in der AWO Kita „XXX“ in XXX betreut. Am 4. Februar 2008 beantragten seine Eltern ab dem 1. März 2008 die Erhöhung des Betreuungsumfangs von 6 auf 8 Stunden täglich und gaben als Betreuungseinrichtung die Kita „XXX“ in XXX an. Mit Feststellungsbescheid vom 5. Februar 2008 stellte der Beklagte für den Zeitraum 1. März 2008 bis 29. August 2009 einen Rechtsanspruch auf 40 Stunden Betreuung wöchentlich fest. Im Bescheid ist als Betreuungsart „Kindergarten“ vermerkt. Am 13. Februar 2008 reichten die Eltern des Klägers einen Antrag zum Wunsch- und Wahlrecht gemäß § 5 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) ein und verwiesen auf die gewünschte Betreuung in der Kita „XXX“. Zur Begründung führten sie aus, bei dem Kläger sei eine geistige Störung festgestellt worden, die gewünschte Kita sei hierfür als einzige in Brandenburg speziell ausgestattet. Das Amt XXX als Wohnortgemeinde stimmte dem Antrag zu und erklärte, den Kostenausgleich nach § 16 Abs. 5 Kindertagesstättengesetz (KitaG) zu übernehmen. Mit Feststellungsbescheid vom 14. Februar 2008 entsprach der Beklagte dem geltend gemachten Wunsch. Der Kläger besuchte ab dem 1. März 2008 die Kita "XXX".

Am 5. September 2008 beantragte die Mutter des Klägers beim Sozialamt des Beklagten einen Fahrtkostenzuschuss und führte dazu unter Hinweis auf die diagnostizierte Hochbegabung und stark entwickelte Verhaltensauffälligkeiten aus, die Unterbringung in der Kita „XXX“ habe gezeigt, dass eine allgemeine Kindertagesstätte Betreuungsaufwand und Anspruch nicht erbringen könne. In dem beiliegenden Psychologischen Testbericht der Diplom-Psychologin XXX vom 17. April 2008 wurden die Ergebnisse des beim Kläger am 28. März 2008 durchgeführten Intelligenztests (HAWIVA III) dargestellt. Hiernach erreichte der Kläger im Verbalteil einen IQ-Wert von 133, im Handlungsteil von 102, in der Gesamtskala ist ein IQ-Wert von 124 ausgewiesen. Weiter wurde eine überdurchschnittliche Verarbeitungsgeschwindigkeit attestiert. In den Erläuterungen hieß es unter anderem, das Profil sei als inhomogen zu bezeichnen, der Kläger müsse in seiner Entwicklung mit einem großen Begabungssprung zurecht kommen. Unter der Überschrift „Abschließende Stellungnahme und Förderempfehlungen“ hieß es insbesondere:

„Da XXX mit seinen intellektuellen Fähigkeiten im sprachlichen Bereich den meisten Kinder seiner Altersgruppe voraus ist, kommt es zum jetzigen Zeitpunkt besonders darauf an, ihn in seinem Selbstvertrauen zu unterstützen. Gerade vor dem Hintergrund, dass XXX in seiner Entwicklung mit größeren Diskrepanzen zurecht kommen muss (Vorsprung in der sprachlich-kognitiven Entwicklung bei wahrscheinlich altersgemäßer emotionaler und sozialer Entwicklung), sollte XXX durch emotionale Unterstützung und positives Feedback in der kommenden Zeit eng begleitet werden.“

Wegen der weiteren Einzelheiten des Psychologischen Testberichts wird auf Bl. 39 ff. des Verwaltungsvorgangs verwiesen.

Nachdem der Antrag vom Sozialamt an das Jugendamt weitergeleitet worden war, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 4. November 2008 die Kostenübernahme ab und führte dazu im Wesentlichen aus, es fehle an einer Rechtsgrundlage. Die Betreuung in XXX entspreche dem Wunsch- und Wahlrecht und nicht einer Verpflichtung des Beklagten. Ein Kostenausgleich sei insoweit nur zwischen Wohnort- und aufnehmender Gemeinde vorgesehen. Mit ihrem Widerspruch machte die Mutter des Klägers geltend, der Wechsel der Kindertagesstätte sei wegen der aufgetretenen Verhaltensauffälligkeiten zwingend gewesen. Ihr Sohn müsse genau wie geistig minderbemittelte Kinder die passende Förderung erhalten. Die Folgen der permanenten Unterforderung infolge der festgestellten Hochbegabung seien einer seelischen Behinderung gleichzustellen, für die in § 35a SGB VIII besondere Hilfen vorgesehen seien. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2009, zugestellt am 17. Januar 2009, zurück und führte dazu aus, die Fahrtkosten könnten weder im Rahmen des § 5 noch des § 90 Abs. 3 SGB VIII übernommen werden, da sie unverhältnismäßig seien. Zur Erfüllung des Rechtsanspruchs auf Betreuung in einer Kindertageseinrichtung stünden neben der Kita "XXX" auch andere adäquate Tageseinrichtungen zur Verfügung. Zudem liege eine Anerkennung der besuchten Einrichtung als Kita für hoch begabte Kinder nach Angaben der Kitaleiterin nicht vor. Eine seelische Behinderung sei durch den Testbericht der Diplom-Psychologin XXX nicht nachgewiesen.

In dem an den Kinderarzt des Klägers adressierten Befundbericht vom 30. März 2009, den der Kläger am 09. Juli 2011 mit weiteren ärztlichen Stellungnahmen und Verlaufsbeobachtungen zur Gerichtsakte gereicht hat, diagnostizierte die Fachärztin für Kinder-und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Dr. XXX bei dem Kläger „nicht näher bezeichnete verhaltens- oder emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend (ICD: F 98.9G)“. Im Einzelnen hieß es, der Kläger sei wegen vielfältiger Verhaltensauffälligkeiten vorgestellt worden. Die zunächst vermutete Störung aus dem autistischen Formenkreis habe nicht bestätigt werden können. Im neuen Kindergarten habe sich der Kläger sehr positiv entwickelt. Die emotionalen und sozialen Schwierigkeiten seien am ehesten im Zusammenhang mit seinem überdurchschnittlichen kognitiven und sprachlichen Entwicklungsstand zu sehen. Dies gelte auch für die vorübergehenden zwanghaften Handlungen. Eine Behandlung sei aktuell nicht indiziert. Die Verhaltensbeobachtung der Kita „XXX“ vom 10. August 2008 beschrieb das Verhalten des Klägers bei der Aufnahme in die Kita, die dort ergriffenen Maßnahmen und die zu diesem Zeitpunkt beobachteten Änderungen insbesondere im Bereich Verhalten/Sozialanpassung. Vom 19. Juni 2009 datiert ein zum Abschluss des Kita-Besuch erstelltes Entwicklungsprofil des Klägers. Die Amtsärztin DM XXX führte in einer amtsärztlichen Stellungnahme zur Vorlage beim Finanzamt vom 20. Oktober 2009 unter Bezugnahme auf die vorgenannten Unterlagen aus, die Einschätzung des Verlaufs und der Verhaltensänderung könne - zumal das Kind nur einmal im Rahmen der Einschulungsuntersuchung gesehen worden sei – nur retrospektiv beurteilt werden. Mit einem Gesamt-IQ von 124 bestehe keine Hochbegabung. Eine Förderung des emotionalen und sozialen Verhaltens durch feste Regeln und Struktur sei nach dortigem Ermessen auch in anderen Kitas möglich gewesen. Der Kläger habe dennoch von den günstigen Bedingungen der Kita "XXX" profitieren können. In dem ebenfalls zur Vorlage beim Finanzamt erstellten Bericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin und für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie XXX vom Kinder- und jugendpsychiatrischen Dienst des Beklagten werden auf Achse I ICD F 43.25 (Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten) sowie ICD 10 F 51.4 (Pavor nocturna) als Verdachtsdiagnose sowie ICD 10 F 95.0 (vorübergehende Tic-Störung) aufgeführt. Wegen der weiteren Einzelheiten dieser Unterlagen wird auf Bl. 90 - 101 der Gerichtsakte verwiesen.

Der Kläger hat bereits am 16. Februar 2009 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, die Übernahme der Fahrtkosten sei im Rahmen von § 5 SGB VIII geboten, da sonst sein Wunsch- und Wahlrecht erheblich eingeschränkt würde. Entgegen dem Vorbringen des Beklagten sei die Kita "XXX" von der Konzeption her auf hochbegabte Kinder ausgerichtet und hätten vergleichbare Einrichtungen im näheren Umkreis seines Wohnorts nicht zur Verfügung gestanden. Er sei nach dem im Testbericht vom 17. April 2008 ausgewiesenen IQ-Wert von 133 eindeutig als hoch begabt anzusehen, die dortige Bildung eines Mittelwertes sei veraltet. Die Hochbegabung sei einer seelischen Behinderung gleichzusetzen und habe einen Anspruch auch nach § 35a SGB VIII zur Folge. Die Situation in der Kita "XXX", die keine Angebote im Vorschulbereich vorgehalten habe, in der Personalmangel geherrscht habe und wo er teilweise von den Erziehern offen abgelehnt worden sei, habe den Wechsel zwingend gemacht.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 4. November 2008 und des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 2009 zu verpflichten, ihm für den Zeitraum vom 5. September 2008 bis zum 29. August 2009 den beantragten Fahrkostenzuschuss zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er tritt der Klage unter Verweis auf seine im Bescheid und Widerspruchsbescheid dargelegte Rechtsauffassung entgegen und führt ergänzend an, die Kita „XXX“ sei im fraglichen Zeitraum nicht als therapeutische Einrichtung anerkannt gewesen, sondern habe nur besondere pädagogische Schwerpunkte gesetzt. In Wohnortnähe des Klägers seien geeignete Kindertagesstätten, die auch mit dem „Deutsche Kindergarten Gütesiegel" ausgezeichnet worden seien, verfügbar gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Gerichtsakten und des vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorganges.

Entscheidungsgründe

Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch die Berichterstatterin, §§ 87a, 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Fahrtkostenzuschuss, d.h. – teilweise - Übernahme der Kosten, die seinen Eltern für die Fahrten vom Wohnort zur Kita „XXX“ im streitgegenständlichen Zeitraum entstanden sind. Die ablehnenden Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO.

Eine spezielle Anspruchsgrundlage für die Übernahme der Kosten für die Fahrt zu einer Kindertageseinrichtung, in der ein Kind seinem Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 1 SGB VIII, § 1 Abs. 2 KitaG entsprechend betreut wird, besteht - anders etwa als für die Schülerfahrtkosten (vgl. § 112 Brandenburgisches Schulgesetz) - nicht.

Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich der geltend gemachte Anspruch hier auch weder aus § 5 SGB VIII noch aus § 35a SGB VIII.

Allerdings ist der Kläger zur Geltendmachung dieser Ansprüche aktiv legitimiert, da sowohl § 24 Abs. 1, § 1 Abs. 2 KitaG i. V. m. § 5 SGB VIII als auch § 35a SGB VIII das Kind als Rechtsinhaber benennen. Dass seine Mutter als gesetzliche Vertreterin das Vorverfahren durchgeführt hat, führt zu keiner anderen Bewertung.

Nach § 5 Abs. 1 SGB VIII haben die Leistungsberechtigten das Recht, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu äußern. Der Wahl und den Wünschen soll nach Abs. 2 S. 1 der Vorschrift entsprochen werden, sofern dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Das in § 5 SGB VIII enthaltene Recht bezieht sich auf die Auswahl der Einrichtung bzw. des Dienstes. Die Vorschrift enthält keine Rechtsgrundlage für die autonome Inanspruchnahme von Leistungen. Sie setzt grundsätzlich die Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung einer Leistung voraus und richtet sich auf die Erbringung einer gewährten Leistung. Damit ist auch die Wahl der Hilfeart und der Hilfeform nicht Gegenstand des Rechts nach § 5, sondern Teil der vorangehenden Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die im Einzelfall geeignete und notwendige Hilfe (Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 5 Rn. 8, 1 unter Verweis auf OVG für das Land Brandenburg, Beschluss vom 1. November 2001 – 4 B 158/01 – zitiert nach juris).

Hier hat der Beklagte mit Bescheid vom 14. Februar 2008 dem Wunsch- und Wahlrecht des Klägers hinsichtlich der Ausgestaltung des Anspruchs auf den Besuch einer Tageseinrichtung, der dem Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum unstreitig aufgrund seines Alters zustand (vgl. § 24 Abs. 1 SGB VIII, § 1 Abs. 2 KitaG) entsprochen. Ein Anspruch auf – teilweise – Übernahme der mit der Ausübung des Wunschrechts verbundenen Kosten für die Anfahrt zur gewählten Kita ist dieser Entscheidung schon deshalb nicht zu entnehmen, weil Fahrtkosten zu diesem Zeitpunkt nicht geltend gemacht worden waren. Die Entscheidung des Beklagten gerade im Hinblick auf § 5 Abs. 2 S. 1 SGB VIII war demnach allein auf die mit der eigentlichen Maßnahme verbundenen Kosten bezogen, wobei wegen der Kostenübernahmeerklärung des Amtes Spreenhagen kein weitergehender Prüfungsbedarf bestand.

Hinsichtlich der dann mit Antrag vom 5. September 2008 zusätzlich geltend gemachten Fahrtkosten findet die Rechtsauffassung des Klägers, die Effektivität des in § 5 Abs. 1 SGB VIII gewährten Wunsch- und Wahlrechts müsse durch Übernahme der mit der Ausübung verbundenen Kosten gewährleistet werden, im Gesetz keine Stütze. Vielmehr ergibt sich aus § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII, dass auch dann, wenn die mit Leistungsgewährung verbundenen Kosten dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe entstehen (vgl. hierzu Schellhorn in Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII, 3. Aufl. 2007, § 5 Rn. 25), der Ausübung des Wunsch- und Wahlrechts entgegengehalten werden kann, diese Mehrkosten seien unverhältnismäßig. Das setzt zunächst voraus, dass die Fahrtkosten – ggf. auch teilweise - dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe entstehen, weil sie einer im SGB VIII normierten Leistungs- oder Hilfeart zugeordnet werden können.

Dies kommt hier nur im Hinblick auf § 35a SGB VIII in Betracht. Weil die Hilfe nach Abs. 2 der Vorschrift „nach dem Bedarf im Einzelfall geleistet“ und der Verweis auf den Leistungskatalog der maßgeblichen sozialhilferechtlichen Vorschriften nicht abschließend ist, kommt insoweit ein Anspruch auf die mit der Gewährung einer Hilfe nach § 35a SGB VIII verbundenen Fahrtkosten – etwa zu einer ambulanten Behandlung oder in den Fällen des § 35a Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII – in Betracht (vgl. zu so genannten „Annexkosten“ ausführlich OVG Lüneburg, Urteil vom 27. April 2005 – 4 LC 343/04 -, zitiert nach juris, dort Rn. 25 ff.; BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2007 – 5 C 32.05 -, zitiert nach juris, dort Rn. 10; vgl. hierzu auch Fischer in Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII, § 35 a Rn. 20; BVerwG, Urteil vom 10. Septem-ber 1992 - 5 C 7.87 -, zitiert nach juris). Beim Besuch einer Tageseinrichtung, auf den nach § 24 Abs. 1 SGB VIII alle Kinder ab Vollendung des dritten Lebensjahres unabhängig vom Bestehen eines konkreten Hilfebedarfs im Einzelfall einen Rechtsanspruch haben, fehlt dagegen der rechtliche Anknüpfungspunkt für die Kostenübernahme.

Da der Anspruch des Klägers sich auf Fahrten bezieht, die im geltend gemachten Zeitraum bereits stattgefunden haben und damit als selbst beschaffte Hilfen anzusehen sind, kommt die Kostenübernahme nur unter den Voraussetzungen der §§ 35a, 36a SGB VIII in Betracht. Diese sind hier nicht erfüllt.

Nach § 36a Abs. 1 SGB VIII trägt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie – von den hier nicht einschlägigen Ausnahmen des Abs. 2 abgesehen – auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird. Die ab dem 1. Oktober 2005 geltende Bestimmung soll der Verbesserung der fachlichen und wirtschaftlichen Steuerungskompetenz des Jugendamtes dienen und das Entscheidungsprimat des Jugendamtes betonen (vgl. Fischer, a. a. O., § 36 a Rn. 1 f.). Werden Hilfen abweichend von den Abs. 1 und 2 vom Leistungsberechtigten selbst beschafft, so ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat (1.), die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vor-lagen (2.) und die Deckung des Bedarfs bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung (3. a)) oder bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat (3. b)).

Die Voraussetzungen dieser Bestimmungen liegen hier nicht vor, wie den Beteiligten bereits ausführlich im Erörterungstermin dargelegt wurde. Es bedarf dabei keiner Entscheidung, ob angenommen werden kann, dass dem Beklagten vor der Selbstbeschaffung Kenntnis von einem Hilfebedarf verschafft wurde. Fraglich erscheint dies vor dem Hintergrund, dass der Kläger im Zeitpunkt des Antrages auf Fahrtkostenzuschuss am 5. September 2008 die Kita „XXX“ bereits gut 6 Monate in Ausübung seines Anspruchs aus § 24 Abs. 1 SGB VIII, § 1 Abs. 2, 3 KitaG besuchte. Eine inhaltliche Veränderung der dortigen Betreuung und damit des Bedarfs als solchem ist weder dem Inhalt des Antrags noch den sonstigen Ausführungen im Verwaltungs- und Klageverfahren zu entnehmen. Es erscheint daher schon fraglich, ob trotz des Hinweises auf § 35a SGB VIII und dem Vorbringen zu dessen Voraussetzungen eine Kenntnisverschaffung von einem spezifisch eingliederungshilferechtlich relevanten Bedarf angenommen werden kann. Die Frage bedarf aber keiner weiteren Erörterung, da auch und vor allem die Voraussetzungen für die Gewährung einer solchen Hilfe (§ 36a Abs. 3 Nr. 2 SGB VIII) im maßgeblichen Zeitraum nicht anzunehmen sind.

Nach § 35a Abs. 1 SGB VIII haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn (1.) ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und (2.) daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist. Von einer seelischen Behinderung bedroht sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (§ 35 a Abs. 1 S. 2 SGB VIII).

§ 35a Abs. 1a SGB VIII regelt das Verfahren zur Feststellung der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Abs. 1 S. 1 Nr. 1. Diese Vorschrift soll insbesondere sicherstellen, dass die bei den Jugendämtern nicht vorhandene ärztliche bzw. psychologische Fachkompetenz in das Hilfeplanverfahren einbezogen wird. Hiernach hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme eines nach Maßgabe des Abs. 1a Satz 1 Nrn. 1 - 3 qualifizierten Arztes oder Psychotherapeuten einzuholen, die auf Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (im Folgenden: ICD 10) erstellt ist und darlegt, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Der mit dem Antrag vorgelegte Psychologische Testbericht der Diplom-Psychologin Spahn ist schon deshalb nicht zur Feststellung der Voraussetzungen von § 35a Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII geeignet, weil diese über keine ausreichende Qualifikation im Sinne des § 35 a Abs. 1a S. 1 SGB VIII verfügt. Hinzu kommt, dass dort vorrangig die Ergebnisse des beim Kläger durchgeführten Intelligenztests und keine eigene Wahrnehmung etwaiger seelischer Störungen dargestellt werden. Es bedarf in diesem Zusammenhang – wie auch hinsichtlich der im späten Verlauf des Klageverfahrens vorgelegten weiteren Begutachtungen des Klägers - keiner Entscheidung, ob die ermittelten IQ-Werte einer Hochbegabung des Klägers belegen. Dies wäre nach den insoweit verbindlichen Kriterien, die die Beteiligten im Grundsatz nicht infrage stellen, nur bei einem Wert von mehr als 130 der Fall. Ob, wie die gesetzlichen Vertreter des Klägers meinen, der im April 2008 ermittelte Verbalteil mit einem IQ-Wert von 133 isoliert zu betrachten oder aber – wie in allen ärztlichen Stellungnahmen und Begutachtungen - von einem Gesamtwert von 124 auszugehen ist, bedarf keiner Entscheidung. Hochbegabung als solche ist keine in der ICD 10 umschriebene Krankheit oder Entwicklungsstörung.

Auch dem Befundbericht von Dr. XXX vom 30. März 2009 und der Stellungnahme von Frau XXX vom 5. Februar 2010, die beide den persönliche Qualifikationsvoraussetzungen des §§ 35a Abs. 1a S. 1 SGB VIII genügen, lässt sich nicht entnehmen, dass im streitgegenständlichen Zeitraum eine Abweichung der seelischen Gesundheit des Klägers im Sinne von § 35a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VIII vorlag. Der Befundbericht von Frau Dr. XXX enthält zwar eine Diagnose nach ICD 10, jedoch lässt sich dem ein Jahr nach den Wechsel des Klägers in die Kita „XXX“ und 6 Monate nach dem Antrag auf Fahrtkostenzuschuss erstellten Befund kein Anhalt zum Krankheitswert dieser Diagnose im maßgeblichen Zeitraum und zur Dauer und Schwere der darunter gefassten Störung entnehmen. Im Gegenteil wird dort von einer „positiven sozialen Entwicklung“ und der „erstaunlich schnell erfolgreichen Behandlung“ der anfänglich bestehenden Enuresis berichtet und ein aktueller Behandlungsbedarf ausdrücklich verneint. Die nach dem multiaxialen Klassifikationsschema erstellte Stellungnahme von Frau XXX enthält zwar auf Achse I drei nach ICD klassifizierte Diagnosen, von denen jedoch zwei ausdrücklich als Verdachtsdiagnosen bezeichnet sind. Hinzu kommt, dass auf Achse VI von „3 derzeit mäßigen sozialen Störungen“ die Rede ist. Soweit dort ausgeführt wird, der Besuch der Kita „XXX“, „die spezifische pädagogische Angebote für hochbegabte Kinder hat, entlastete das Kind maßgeblich und führte zu einer deutlichen Regredienz der vorhandenen emotionalen und sozialen Symptomatik des Kindes“, „aus kinderpsychiatrischer Sicht“ erscheine diese Hilfe „auch aus der aktuellen Perspektive indiziert“, enthalten diese im Nachhinein abgegebenen Äußerungen weder ausreichende Aussagen zur Beurteilung von Schwere und Dauer der anhand der Schilderungen der Eltern dargestellten Verhaltensauffälligkeiten, die zum Wechsel der Kita geführt hatten.

Auch ist diesen und den weiter vorgelegten Unterlagen weder zu entnehmen, dass im maßgeblichen Zeitraum von einer Teilhabebeeinträchtigung im Sinne von § 35 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VIII auszugehen gewesen wäre, noch belegen sie, dass die Betreuung des Klägers in der Kita „XXX“ als Hilfe nach § 35a Abs. 2 SGB VIII einzuordnen ist. Die Feststellungen der Teilhabebeeinträchtigung unterliegt einer eigenständigen fachlichen Beurteilung des Jugendamtes (vgl. Wiesner, a. a. O., § 35a Rn. 21). Die von den gesetzlichen Vertretern des Klägers vorgelegten Unterlagen enthalten wenig Anhaltspunkte dafür, dass im Zeitpunkt der Antragstellung (5. September 2008) von Fortbestehen der sozialen Auffälligkeiten im relevanten Maße auszugehen gewesen wäre. Vielmehr beschreibt die Verhaltensbeobachtung der Kita „XXX“ vom 10. August 2008, die allein im näheren zeitlichen Zusammenhang mit dem Antrag erstellt wurde, zwar die bei der Aufnahme des Klägers im März bestehenden sozialen Auffälligkeiten, aber auch die durch die im einzelnen beschriebenen Maßnahmen erreichten Veränderungen. Die Entwicklung des Klägers wird bereits in diesem Zeitpunkt ausdrücklich als sehr positiv beschrieben. Entsprechendes gilt für das am 19. Juni 2009 erstellte Entwicklungsprofil.

Auch und vor allem ist den eingereichten Unterlagen wie auch den Ermittlungen des Beklagten im Verwaltungsvorgang nicht zu entnehmen, dass die Betreuung des Klägers in der Kita „XXX“ im maßgeblichen Zeitraum spezifisch eingliederungshilferechtliche Inhalte aufwies. Nach dem Gesprächsvermerk mit der Leiterin der Kita „XXX“ (Bl. 51 BA Rückseite) verstand sich die Kita ausdrücklich nicht als therapeutische Einrichtung. Ausweislich des zum Verwaltungsvorgang genommenen Ausdrucks der seinerzeitigen Homepage bezeichnete sich die Kita als „Kindertagesstätte mit naturwissenschaftlichen Profil“ und gab weiter an, „hoch begabte Kinder“ würden „integrativ betreut“. Diese Profilbeschreibung ist auch bis heute im Wesentlichen unverändert geblieben (vgl. www.foederforum-ffo.de/pages/kita.htm, abgerufen am 9. Januar 2012). Auch nach den Angaben der gesetzlichen Vertreterin des Klägers im Erörterungstermin ist nicht davon auszugehen, dass tatsächlich als Eingliederungshilfe zu qualifizierende Maßnahmen stattgefunden haben. Dem Kläger wurden in der Kita „XXX“ die dort üblichen Betreuungs- und Förderangebote und keine spezifischen, etwa therapeutischen oder heilpädagogischen Maßnahmen zuteil. Die Maßnahmen, die in Verhaltensbeobachtung und Entwicklungsprofil der Kita „XXX“ beschrieben werden, wie die Einführung von feste Strukturen und Regeln sowie Kontrolle der Einhaltung dieser Regeln sind in erster Linie pädagogische Maßnahmen. Insoweit ist nichts dafür ersichtlich, dass diese ausschließlich in der Kita „XXX" angeboten werden konnten. Auch handelte es sich bei den in der Klageschrift weiter aufgeführten Angeboten, die dem Kläger wie im Übrigen allen anderen in der Kita „XXX“ betreuten Kindergartenkinder offen standen, wie etwa Labor und Computerbereich sowie teilweise Betreuung durch als Honorarkräfte angestellte Professoren der Gauß-Schule um Bildungsangebote, nicht um Maßnahmen der Eingliederungshilfe.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1,188 S. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.