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Zweitwohnungssteuer; Satzung; Schätzung; Vergleichsmiete; Plausibilität


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 13.05.2011
Aktenzeichen OVG 9 B 19.10, OVG 9 B 20.10, OVG 9 B 21.10, OVG 9 B 22.10 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 161 VwGO, § 162 AO, Art 3 GG

Tenor

Die Kosten der durch Vergleich erledigten Verfahren tragen jeweils zu 10/13 der Kläger, zu 3/13 der Beklagte.

Der Streitwert wird für die Berufungsverfahren 9 B 19 - 21.10 auf 129,96 Euro festgesetzt, für das Berufungsverfahren 9 B 22.10 auf 97,47 Euro.

Gründe

I.

Die Beteiligten haben über Zweitwohnungssteuer für einen Bungalow in der Gemeinde B… gestritten.

Die Gemeindevertretung der Gemeinde B… beschloss am 9. November 2006 mit Rückwirkung auf dem 1. Januar 2003 eine Zweitwohnungssteuersatzung (ZWS). Nach § 2 Abs. 3 ZWS ist Steuergegenstand jeder umschlossene Raum, der zum Wohnen und Schlafen genutzt wird. § 3 Abs. 1 ZWS geht von der Nettokaltmiete als Grundlage der Steuerbemessung aus. Für eigengenutzte Zweitwohnungen gilt nach § 3 Abs. 2 ZWS die ortsübliche Miete als Bemessungsgrundlage. Diese wird in Anlehnung an die Nettokaltmiete geschätzt, die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt wird. Ist eine Schätzung mangels vergleichbarer Objekte nicht möglich, wird gemäß § 3 Abs. 3 die Miete derart geschätzt, dass von der ortsüblichen Miete für Wohnungen in massiven Häusern ein Abschlag gewährt oder Zuschlag erhoben wird, entsprechend Art, Lage und Ausstattung der betreffenden Wohnung.

Der Kläger war Eigentümer eines ca. 50 qm großen Bungalows in B…, den er im Herbst 2006 wegen Baufälligkeit abgerissen hat. Mit Bescheid vom 26. Januar 2007 zog der Beklagte den Kläger zur Zweitwohnungssteuer für die Jahre 2003 bis 2007 und Folgejahre in Höhe von 129,96 Euro jährlich heran. Er berücksichtigte bei der Steuerbemessung die umschlossene Fläche des Bungalows voll, die Fläche eines überdachten Außensitzes zur Hälfte. Die (hypothetische) Nettokaltmiete schätzte der Beklagte mit 1,90 Euro/qm ein. Die Schätzung beruhte auf einem zwecks Zweitwohnungssteuererhebung in der Gemeinde erstellten Gutachten, das ausgehend von einer ortsüblichen Miete für gut ausgestattete, voll sanierte Wohnungen in Massivhäusern in guter Lage (4,35 Euro/qm) durch Ansatz von Abschlägen in Bezug auf Lage, Ausstattung und Bauweise zu einem hypothetischen Miettableau für eigengenutzte Zweitwohnungen gelangte.

Nach Widerspruchserhebung durch den Kläger setzte der Beklagte den Steuerbetrag für das Jahr 2006 herab; er ging davon aus, dass der Kläger für Oktober bis Dezember 2006, d.h. für die Zeit nach dem Abriss, nicht zweitwohnungssteuerpflichtig war.

Mit Urteil vom 18. Mai 2009 hat das Verwaltungsgericht den Zweitwohnungssteuerbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides gänzlich aufgehoben: Es sei nicht zulässig, die überdachte Außensitzfläche bei der Zweitwohnungssteuer ohne entsprechende satzungsrechtliche Regelung anteilig zu berücksichtigen. Darüber hinaus habe bei der Schätzung der hypothetischen Miete ein Abschlag für die nicht ganzjährige Nutzbarkeit des Bungalows gewährt werden müssen. Schließlich begegne die Schätzung Bedenken, soweit der Beklagte von einer guten Wohnlage ausgegangen sei. Im Berufungsverfahren haben sich die Beteiligten dahin verglichen, dass die Zweitwohnungssteuer für die Jahre 2003 bis 2005 jeweils auf 100 Euro, für das Jahr 2006 auf 75 Euro festgesetzt wurde; die Kostenentscheidung haben die Beteiligten in das Ermessen des Senats gestellt.

II.

Nachdem die Beteiligten die Kostenentscheidung in das Ermessen des Senats gestellt haben, ergeht sie analog § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes. Danach sind die Kosten wie geschehen zu verteilen. Die Kostenverteilung entspricht dem Maß des gegenseitigen Nachgebens, das wiederum dem jeweiligen Prozessrisiko gerecht wird. Insoweit gilt Folgendes:

Gegen die in Rede stehende Zweitwohnungssteuersatzung bestehen keine Bedenken. Es ist nicht zu beanstanden, dass Bemessungsgrundlage der Zweitwohnungssteuer für gemietete Zweitwohnungen die Nettokaltmiete ist (§ 3 Abs. 1 ZWS). Es ist weiter zulässig, für eigengenutzte Zweitwohnungen auf die ortsübliche Miete für vergleichbare Objekte abzustellen (§ 3 Abs. 2 ZWS). Auch die in § 3 Abs. 3 ZWS enthaltene Schätzungsregelung ist rechtmäßig. Es ist zulässig, in Fällen, in denen mangels Mietverhältnisses keine Nettokaltmiete existiert und in denen auch keine vermieteten Vergleichsobjekte vorhanden sind, eine Miete in der Weise zu schätzen, dass Zu- und Abschläge auf die ortsübliche Miete für Wohnungen in massiven Häusern erfolgen, die an die Lage, Bauart und Ausstattung der Zweitwohnung anknüpfen. Einer weiteren satzungsmäßigen Konkretisierung des Schätzmaßstabes bedarf es nicht.

Der Beklagte hat bei der Steuerbemessung zulässigerweise auch den überdachten Außensitz hälftig mitgerechnet. Unerheblich ist insoweit, dass gemäß § 2 Abs. 3 ZWS als Steuergegenstand jeder umschlossene Raum gilt, der zum Wohnen und zum Schlafen genutzt wird. Der Steuergegenstand ist lediglich Anknüpfungspunkt für die Steuerpflicht überhaupt. Besteht eine Steuerpflicht, so ist gleichsam in einem zweiten Schritt nach der Steuerbemessung zu fragen. Anerkanntermaßen kann die Bemessung der Zweitwohnungsteuer grundlegend an den Mietaufwand anknüpfen, der für entsprechende Objekte entsteht. Entscheidend ist dabei nicht, wie das Verwaltungsgericht meint, ob die Wohnflächenverordnung anwendbar ist. Vielmehr ist bei Zugrundelegung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise zu fragen, wie sich der Mietpreis üblicherweise bestimmt. Dies geschieht regelmäßig unter hälftiger Einbeziehung überdachter Außenflächen.

Die Einordnung des klägerischen Grundstücks in eine gute Wohnlage erscheint nicht als fehlerhaft. Allein die Tatsache, dass eine erhebliche Entfernung zu Infrastruktureinrichtungen wie Läden und Dienstleistungsbetrieben besteht, spricht nicht gegen die Einordnung der Wohnlage als gut. Das klägerische Grundstück liegt in einer Ferienwohnanlage in Seenähe und genügt aufgrund dessen in besonderem Maße den Anforderungen an ein Erholungsgrundstück. Dass ein einzelnes Merkmal guter Lage nicht vorhanden ist, führt nicht zu Zweifeln an der notwendig typisierend vorzunehmenden Einordnung in eine gute Wohnlage insgesamt.

Der Beklagte musste bei der Mietschätzung keine ausdrückliche Unterscheidung zwischen ganzjährig und nicht ganzjährig nutzbaren Zweitwohnungen treffen. Das gilt ungeachtet der Frage, ob eine solche Unterscheidung im Zweitwohnungssteuerrecht überhaupt vorzunehmen ist; denn jedenfalls unter dem Blickwinkel der Bauart und der Ausstattung sind Gesichtspunkte in die Schätzung eingegangen, die die Frage der ganzjährigen Nutzbarkeit bereits mit "abbilden".

Indessen ist auch nach zwei mündlichen Verhandlungen offen, ob das von einer Gutachterin erarbeitete Tableau mit hypothetischen Mieten für eigengenutzte Zweitwohnungen hinsichtlich der konkret angesetzten Werte eine plausible Schätzung darstellt. Die Schätzung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH vom 18. Dezember 1984 – VIII R 195/82; BStBl. II 1986, 226, Rz. 39) ein Verfahren, Besteuerungsgrundlagen mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu ermitteln, wenn eine sichere Feststellung trotz des Bemühens um Aufklärung nicht möglich ist. Ziel der Schätzung ist es, in einem Akt wertenden Schlussfolgerns aus bloßen Anhaltspunkten diejenigen Tatsachen zu ermitteln, die die größtmögliche erreichbare Wahrscheinlichkeit für sich haben (vgl. Klein, AO, 10. A., § 162, Rz. 36). Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für ein solches Verfahren von Bedeutung sein können. Es ist zweifelhaft, ob das hier geschehen ist.

Methodisch erscheint es nicht unzulässig, ausgehend von der ortsüblichen Miete, die für eine bestimmte Kategorie von vermieteten Erstwohnungen gezahlt wird, auf die hypothetische Miete von Zweitwohnungen zu schließen, indem Zu- und Abschläge nach Lage, Bauart und Ausstattung vorgenommen werden. Allerdings muss die Bemessung der Zu- und Abschläge nach plausiblen und nachvollziehbaren Parametern folgen. Eine Schätzung muss die Realität nicht in allen Einzelfällen treffen, muss sie aber nach nachvollziehbaren und auf allen zur Verfügung stehenden Erkenntnis- und Erfahrungsquellen fußenden Kriterien abzubilden suchen. Vorliegend hat der Beklagte die prozentualen Abschläge für Bauart und Ausstattung nicht in einer Weise näher erläutern können, die erkennen lässt, ob den konkreten prozentualen Abschlagsstufen lediglich weitgehend beliebige Setzungen der Gutachterin oder aber Erfahrungswerte zu Grunde liegen, die durch Tatsachen- und Erfahrungswissen unterlegt sind. Auch die in 20-Cent-Schritten vorgenommenen Abstufungen hinsichtlich der Wohnlage sind nicht zweifelsfrei nachvollziehbar. Mangels anderweitiger Erkenntnisquellen kann es zwar zulässig sein, auf konkrete Daten aus Nachbargemeinden zurückzugreifen. Auch erscheint es denkbar, dass im Rahmen mathematischer Verhältnisbildung die dortigen Zahlenwerte auf die örtlichen Verhältnisse umgerechnet und im Wege einer mathematisch üblichen Rundung praktisch handhabbar gemacht werden. Jedoch ist nicht nachvollziehbar, wieso im konkreten Fall ein sich im Zuge mathematischer Berechnungen ergebender Abschlagswert von 23 Cent im Zuge der Abrundung zu Ungunsten der Steuerpflichtigen auf 20 Cent verändert wird.

Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren beruht auf § 47 und § 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).