Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 03.07.2014 | |
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Aktenzeichen | OVG 5 B 2.14 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 127 Abs 3 BauGB, § 130 Abs 2 BauGB, § 133 Abs 2 S 1 BauGB, § 242 Abs 9 S 1 BauGB, § 242 Abs 9 S 2 BauGB, § 28 Abs 1 KAG BB, § 54 Abs 1 Nr 5 KAG BB |
Die Urteile des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 30. Juli 2012 werden geändert.
Die Bescheide des Beklagten vom 6. April 2009 und vom 15. November 2011 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 7. September 2009 und vom 30. März 2012 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger ist Eigentümer des 1.134 qm großen Grundstücks V... in F.... Er wendet sich gegen seine Heranziehung zu den Kosten des Straßenbaus in der V.... Die V... ist ca. 600 m lang und verläuft in west-östlicher Richtung vom Ende der B... bis zur S.... Auf der nördlichen Seite erstreckt sich über die gesamte Straßenlänge der städtische Friedhof „K...“. Die südlich angrenzenden Grundstücke sind überwiegend mit Einfamilienhäusern bebaut. Die etwa auf halber Höhe nach Süden abzweigende B... teilt die V... in einen westlichen und einen östlichen Abschnitt. Das Grundstück des Klägers liegt im östlichen Straßenabschnitt. Die V... ist eine öffentliche Straße, die nicht innerhalb des Geltungsbereichs eines Bebauungsplanes liegt und trotz ihres unfertigen Zustandes bereits seit langer Zeit als Ortsstraße und zum Anbau genutzt wird.
Am 27. Juni 2007 beschloss die Stadtverordnetenversammlung der S... - SVV - den Ausbau der V... von S... bis B... als Anliegerstraße (Breite 4,75 m) einschließlich Straßenbeleuchtung. In der Begründung nahm die SVV auf den Antrag der Stadtbauverwaltung Bezug, wonach „auf Grund der hohen jährlichen Instandhaltungskosten (…) der Ausbau im ersten Abschnitt vorgeschlagen“ werde. Die V... wurde anschließend im östlichen Abschnitt mit einer 4,75 m breiten Asphaltfahrbahn mit Betonbordsteinen, beidseitigen Sickerungsmulden und Straßenbegleitgrün versehen. Bauabnahme war am 20. Dezember 2007. Die Kosten in Höhe von 167.896,06 € legte der Beklagte nach Abzug eines 25%igen Gemeindeanteils auf die Anlieger nach § 8 KAG und den Maßstäben der Satzung der S... über die Erhebung von Beiträgen für straßenbauliche Maßnahmen vom 30. Mai 2001 um. Dementsprechend zog der Beklagte auch den Kläger mit Bescheid vom 6. April 2009 zu einem Straßenausbaubeitrag für den Ausbau der V... zwischen S... und B... in Höhe von 9.955,44 € heran. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Bescheid vom 7. September 2009 zurück. Dagegen richtet sich die am 5. Oktober 2009 beim Verwaltungsgericht Potsdam erhobene Klage (VG 12 K 1659/09).
Nachdem das Verwaltungsgericht unter dem 5. Juli 2011 darauf hingewiesen hatte, dass Straßenausbaubeiträge nicht erhoben werden könnten, solange für die jeweilige Maßnahme das Erschließungsbeitragsrecht Anwendung finde, und der Beklagte nach eigenen Ermittlungen festgestellt hatte, dass die V... nicht bereits vor dem 3. Oktober 1990 hergestellt gewesen war, zog er den Kläger im Wege der „Nachberechnung“ mit Bescheid vom 15. November 2011 zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 11.189,33 € heran. Abzüglich der durch Bescheid vom 6. April 2009 auferlegten 9.955,44 € verbleibe eine Forderung von 1.233,89 €. Der Nachberechnung legte der Beklagte den für Erschließungsbeiträge geltenden Gemeindeanteil von 10% sowie einen veränderten Verteilungsmaßstab zugrunde. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2012 zurück. Am 18. April 2012 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Potsdam auch gegen den Nachberechnungsbescheid Klage erhoben (VG 12 K 768/12).
Zur Begründung seiner beiden Klagen hat der Kläger vorgetragen, es fehle an einer für die Erhebung eines Erschließungsbeitrags notwendigen Planungsentscheidung der Gemeinde. Die Herausnahme des Friedhofs aus dem Kreis der beitragspflichtigen Grundstücke sei rechtswidrig. Sie führe zu einer Verdoppelung der Beitragslast für die übrigen Anlieger. Es müsse der sog. Halbteilungsgrundsatz zum Tragen kommen.
Mit Urteilen vom 30. Juli 2012 hat das Verwaltungsgericht Potsdam beide Klagen abgewiesen: Die angefochtenen Bescheide fänden ihre Rechtsgrundlage nicht in § 8 KAG i.V.m. der Straßenausbaubeitragssatzung, wohl aber in §§ 127 ff. BauGB i.V.m. der Erschließungsbeitragssatzung. Für den Ausbau der V... finde Erschließungsbeitragsrecht Anwendung, weil es sich bei dieser Straße nicht um eine bereits vor dem 3. Oktober 1990 fertig hergestellte Erschließungsanlage im Sinne von § 242 Abs. 9 BauGB handele. Die V... sei weder einem technischen Ausbauprogramm noch den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertiggestellt worden. Sie habe keinen Grundbestand an kunstmäßigem Ausbau aufgewiesen. Es habe sich in wesentlichen Teilen um eine Sandstraße gehandelt, die nur in einem Teilbereich und nur einseitig mit einer provisorischen Asphaltdecke versehen gewesen sei. Auch eine kunstmäßig ausgebaute Straßenentwässerung habe es nicht gegeben. Das Oberflächenwasser sei nur versickert. Der Anwendung des Erschließungsbeitragsrechts stehe das Planerfordernis nicht entgegen. Liege - wie hier - ein Bebauungsplan nicht vor, so dürften Erschließungsanlagen nur hergestellt werden, wenn diejenigen Belange abgewogen worden seien, die die Gemeinde bei der Aufstellung von Bauleitplänen zu berücksichtigen und abzuwägen habe. Es spreche bereits einiges dafür, dass dieses Planerfordernis seiner Zweckbestimmung nach keine Anwendung finde, wenn es sich um den Ausbau von Anbaustraßen in den neuen Bundesländern handele, die zwar vor dem 3. Oktober 1990 angelegt, aber noch nicht im Sinne des Erschließungsbeitragsrechts hergestellt gewesen seien. Im Übrigen könne in einem Bebauungsplan zwar die Verkehrsfläche als solche festgesetzt werden, nicht aber die genaue Aufgliederung ihrer flächenmäßigen Bestandteile. Stehe in einem Fall einer wie hier gewidmeten und seit Jahren genutzten Anbaustraße die Verkehrsfläche nach Lage und Ausdehnung fest, sei nicht erkennbar, welche darüber hinaus gehenden Festsetzungen sich aus einem Bebauungsplan ergeben sollten. Die genaue und detaillierte Aufgliederung der Verkehrsfläche sei in jedem Fall dem vor dem Ausbau zu beschließenden Bauprogramm vorbehalten. Bei dem hier maßgeblichen Teilstück der V... handele es sich nach den Fotos im Veranlagungsvorgang bei natürlicher Betrachtungsweise um eine eigenständige Erschließungsanlage. Zweifel an der rechtmäßigen Ermittlung des beitragsfähigen Aufwandes und an der Erforderlichkeit bestünden nicht. Insbesondere sei die Friedhofsfläche als dem Außenbereich zugehörig nicht in den Kreis der erschlossenen Grundstücke aufzunehmen gewesen. Der Halbteilungsgrundsatz sei nicht anwendbar, weil die V... mit einer Fahrbahnbreite von 4,75 m in einem Umfang ausgebaut worden sei, der angesichts einer auf die südliche Straßenseite beschränkten Erschließungsfunktion schlechthin unentbehrlich sein dürfte.
Mit seinen Berufungen verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er vertieft seine erstinstanzlichen Ausführungen und führt ergänzend aus, die Herstellungskosten seien unangemessen hoch, was auf eine unterlassene Ausschreibung zurückzuführen sei. Jedenfalls dürfe nach den Grundsätzen des Halbteilungsgrundsatzes nur die Hälfte des Beitrags verlangt werden. Die Friedhofsfläche liege zwar im Außenbereich, könne aber durchaus einmal zu Bauland werden, was eine spätere Heranziehung zum Erschließungsbeitrag zuließe. Die Fahrbahn hätte auch durchaus in geringerer Breite ausgebaut werden können.
Nachdem der Senat in der mündlichen Verhandlung beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat, beantragt der Kläger nunmehr,
die Urteile des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 30. Juli 2012 zu ändern und die Bescheide des Beklagten vom 6. April 2009 und vom 15. November 2011 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 7. September 2009 und vom 30. März 2012 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtenen Urteile und ergänzt: Es habe eine ordnungsgemäße, beschränkte Ausschreibung der Straßenbauleistungen mit fünf Teilnehmern stattgefunden, von denen das preisgünstigste Angebot den Zuschlag erhalten habe. Habe aber eine ordnungsgemäße Vergabe stattgefunden, könne der Beitragsschuldner nicht erfolgreich vortragen, es seien bei der Herstellung der Straße nicht erforderliche Kosten entstanden. Im Übrigen komme dem Vergaberecht keine drittschützende Wirkung zugunsten des Beitragsschuldners zu.
Aus dem Parallelverfahren OVG 5 S 2.14 und dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 19. Februar 2013 - VG 12 L 810/12 - ergibt sich der folgende weitere Verlauf des Straßenausbaus: Aufgrund Beschlusses der SVV vom 1. Juli 2009 zum Bau eines „Gehweges, Radfahrer erlaubt, Breite 1,50 m, Lage südlich, vor den bebauten Grundstücken, Zufahrten bleiben erhalten“ erhielt die V... über ihre gesamte Länge einen Gehweg auf der Südseite. Mit Bescheiden vom 7. August 2012 zog der Beklagte die Anlieger zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung des einseitigen Gehwegs an der V... zwischen der S... und dem Ende der B... heran. Dafür bildete er ein Abrechnungsgebiet aus allen an der V... anliegenden baulich oder vergleichbar nutzbaren Grundstücken. Anträge der Anlieger im östlichen Abschnitt der V..., die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 7. August 2012 anzuordnen, hatten bei dem Verwaltungsgericht Potsdam Erfolg (vgl. Beschluss vom 19. Februar 2013 - VG 12 L 810/12 - das Grundstück des Klägers im Verfahren OVG 5 B 4.14 betreffend), solche der Anlieger im westlichen Abschnitt der V... blieben hingegen erfolglos (vgl. Beschluss vom 25. Februar 2013 im Parallelverfahren OVG 5 S 2.14). Dazu hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, die beiden Abschnitte bildeten nach natürlicher Betrachtungsweise unter Berücksichtigung des insoweit maßgeblichen Ausbauzustandes im Jahre 2007 zwei selbständige Anlagen. Wegen der erheblich unterschiedlichen Ausbauweisen, insbesondere durch das Verspringen der befestigten Fahrbahn an dieser Stelle, entstehe für den Betrachter der Eindruck, dass an dieser Einmündung der B... ein eigenständiger Teil des Straßennetzes beginne. Davon sei auch die Stadt ausgegangen, denn sie habe für den Ausbau von Fahrbahn und Entwässerung der Teilstrecke S... bis B... Erschließungsbeiträge ohne Bildung von Abrechnungsabschnitten erhoben. Die östliche Teilstrecke sei aber im Jahre 2007 bereits endgültig hergestellt worden und zwar nach dem maßgebenden Bauprogramm ohne Gehweg. Die spätere Hinzufügung eines einseitigen Gehweges sei damit eine Verbesserung oder Erweiterung der bereits hergestellten Straße. In welcher Höhe der Bescheid auf der Grundlage des Straßenausbaubeitragsrechts aufrechterhalten bleiben könne, sei indes offen. Diese Bedenken bestünden bei der Veranlagung der Anlieger an der westlichen Teilstrecke der V... nicht. Wäre die V... oder zumindest ihre Teileinrichtung Gehweg dort nicht bereits vor dem 3. Oktober 1990 hergestellt gewesen, könnte nach Erschließungsbeitragsrecht abgerechnet werden. Würde stattdessen Straßenausbaubeitragsrecht gelten, wäre die Maßnahme ebenfalls beitragspflichtig, jedenfalls in der sich nach der Straßenausbaubeitragssatzung ergebenden Höhe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Streitakten, die Beitragsakte (1 Hefter), den Veranlagungsvorgang (1 Hefter), den Vorgang SVV-Beschlüsse (1 Hefter) sowie auf 29 am 14. Juni 2014 gefertigte Photographien, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.
Die angefochtenen Erschließungsbeitragsbescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Seine Heranziehung zu den Kosten der Herstellung der V... (Fahrbahn, Entwässerungsanlage, unselbständige Grünanlage) zwischen S... und B... entbehrt mangels Abschnittsbildung und Kostenspaltung derzeit der rechtlichen Grundlage.
Zu Recht besteht kein Streit (mehr) zwischen den Beteiligten, dass sich die Rechtmäßigkeit des Bescheides nach den erschließungsbeitragsrechtlichen Regelungen der §§ 127 ff. BauGB richtet. Bei der V... handelt es sich um eine öffentliche zum Anbau bestimmte Straße im Sinne von § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, deren Abrechnung im Wege des Erschließungsbeitragsrechts die Regelung in § 242 Abs. 9 Satz 1 und 2 BauGB nicht entgegensteht. Danach können für Erschließungsanlagen oder deren Teileinrichtungen, die bis zum 3. Oktober 1990 einem technischen Ausbauprogramm oder den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertiggestellt wurden, keine Erschließungsbeiträge nach §§ 127 ff. BauGB, sondern nur Ausbaubeiträge nach dem Kommunalabgabengesetz erhoben werden. Fertigstellung bedeutet, dass die Anlage oder ihre Teileinrichtung auf der gesamten Länge der Erschließungsanlage hergestellt sein muss.
Ein technisches Ausbauprogramm für die V... gab es nicht, und für eine den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertig gestellte Erschließungsanlage wies die Anlage - abgesehen von einer möglicherweise schon vorhandenen, hier aber nicht in Rede stehenden Beleuchtungseinrichtung - nicht den erforderlichen Grundbestand an kunstmäßigem Ausbau auf („Sandpiste“, vgl. dazu Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Februar 2010 - BVerwG 9 C 1.09 -, juris Rn. 15, m.w.N., und Urteil des erkennenden Senats vom 5. Juni 2014 - OVG 5 B 1.14 -, S. 10 f. UA). Beide Verfahrensbeteiligten haben im Termin zur mündlichen Verhandlung bestätigt, dass die V... vor dem 3. Oktober 1990 bis auf eine Teilstrecke von ca. 134 m zwischen der B... und dem Grundstück V...3..., wo ein ca. 3 m breiter provisorischer Asphaltstreifen aus Kalkschotter mit angespritzter Bitumenemulsion hergestellt worden war, lediglich aus einer Sandpiste bestand. Im Zusammenhang mit der Verlegung von Abwasserleitungen in der V... im Jahre 2001 wurde im Teilbereich zwischen S... bis zur Höhe des Grundstücks V... eine Schotterdecke hergestellt und in gleichem Zusammenhang (auch) eine ca. 2,60 m breite Tragdeckschicht im westlichen Abschnitt. Eine Anlage zur Oberflächenentwässerung war an keiner Stelle und zu keiner Zeit vorhanden. Jedenfalls bis zum teilweisen Ausbau im Jahre 2007 handelte es sich bei der V... bei der gebotenen natürlichen Betrachtungsweise nach Verlauf, Breite und Ausstattung sowie Erschließungsfunktion offenkundig um eine einzige Erschließungsanlage (vgl. hierzu Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Januar 2013 - BVerwG 9 B 33.12 -, juris Rn. 6 m.w.N.). Zu diesem Zeitpunkt war die V... eine allenfalls provisorisch befestigte, durchgehende Sandpiste, deren Verlauf, Breite und Erschließungsfunktion östlich und westlich der Einmündung B... völlig gleich waren. Dass allein die Einmündung dieser Querstraße für sich genommen noch nicht die Aufteilung in zwei selbständige Erschließungsanlagen rechtfertigt, sondern allenfalls eine Abschnittsbildung an dieser Stelle, ist offenkundig.
Steht nach alledem fest, dass bis zum 3. Oktober 1990 mangels jeglicher Befestigung der Straße im westlichen Abschnitt und eines großen Teils im östlichen Abschnitt keine der hier interessierenden Teileinrichtungen der V... bereits fertiggestellt war, beurteilt sich die Beitragspflicht nach §§ 127 ff. BauGB.
Nach § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB entsteht die Beitragspflicht mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlagen. Dazu müssen alle im Ausbauprogramm der Gemeinde festgelegten flächenmäßigen Bestandteile der Erschließungsanlage einen Ausbauzustand erreicht haben, der den satzungsmäßig festgelegten Merkmalen der endgültigen Herstellung der Teileinrichtungen in ihrer gesamten Ausdehnung entspricht. Die V... ist aber weder in ihrer gesamten Länge noch in allen ihren Teileinrichtungen endgültig hergestellt. Für die Abrechnung nur eines Abschnitts und für bestimmte Teileinrichtungen fehlt es an den dafür vom Gesetz vorausgesetzten Beschlüssen.
Der Beschluss der SVV zum Ausbau der V... vom 27. Juni 2007 umfasst nur den Abschnitt zwischen S... und B.... Eine Heranziehung der Anlieger zu den Kosten dieses Teilausbaus wäre ohne einen weiteren Beschluss zur Abschnittsbildung nach § 130 Abs. 2 BauGB nur möglich, wenn es sich bei dieser Teilstrecke um eine selbständige Erschließungsanlage handelte, m.a.W., wenn die Erschließungsanlage an der B... endete. So hat es das Verwaltungsgericht gesehen und gemeint, wegen der erheblich unterschiedlichen Ausbauweisen, insbesondere durch das Verspringen der befestigten Fahrbahn an dieser Stelle, entstehe für den Betrachter der Eindruck, dass an der Einmündung der B... ein eigenständiger Teil des Straßennetzes beginne. Diese Wertung trifft jedoch nach Überzeugung des Senats nicht zu.
Wie oben ausgeführt bildete die V... zwischen Ende B... und S... bis zum teilweisen Ausbau im Jahre 2007 bei der gebotenen natürlichen Betrachtungsweise nach Straßenführung, Straßenbreite und Straßenausstattung sowie Erschließungsfunktion eine einheitliche Erschließungsanlage. Daran hat sich durch den Teilausbau bis zur B... nichts geändert, weil er bei „natürlicher Betrachtungsweise“ die Anlage lediglich in einen fertigen östlichen und einen unfertigen westlichen Abschnitt einer einheitlichen Erschließungsanlage geteilt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, sind zwar für die Beantwortung der Frage, wo eine selbständige Erschließungsanlage beginnt und endet, die tatsächlichen Verhältnisse maßgebend, wie sie sich im Zeitpunkt des Entstehens sachlicher Beitragspflichten einem unbefangenen Beobachter bei natürlicher Betrachtungsweise darstellen (vgl. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Januar 2013 a.a.O. und Urteil vom 10. Juni 2009 - BVerwG 9 C 2.08 -, juris Rn. 16). Damit ist indes lediglich die Regel bezeichnet, die Raum lässt für eine abweichende Beurteilung im Einzelfall.
Die V... ist mit dem Ausbau 2007 in Verlauf und Breite nicht verändert worden. Es handelt sich nach diesen Kriterien nach wie vor um eine einheitliche Erschließungsanlage. Der „Versprung“ in Höhe der B... besteht nicht etwa in einer Verschwenkung des Straßenverlaufs, sondern lediglich in einer Verengung der Fahrbahn auf die Hälfte, was allein der erst teilweisen Herstellung der Straße geschuldet ist.
Der unterschiedliche Ausbauzustand ist hier aber kein sinnvolles Abgrenzungskriterium. Im Fall einer sukzessiven Ausbauplanung führte das vom Bundesverwaltungsgericht postulierte Abstellen auf den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht für die Frage, wo die Erschließungsanlage endet, in einen Zirkelschluss, weil der Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht in diesem Fall seinerseits wiederum von der Frage abhängt, wo die Erschließungsanlage endet. Zudem ließe der Blick allein auf den Ausbauzustand, der naturgemäß bei einem sukzessiven Straßenausbau vor und hinter dem Ende der Ausbaustrecke ein anderer ist, die Regelung in § 130 Abs. 2 BauGB leerlaufen, wonach die Gemeinde zur Vorfinanzierung der Kosten des Straßenausbaus Abschnitte bilden und abrechnen kann. Diese Regelung wäre überflüssig, ließe das Ende eines Teilausbaus einer vorhandenen, aber unbefestigten Straße diese stets in zwei selbständige Erschließungsanlagen zerfallen.
Der Ausbauzustand nach dem Teilausbau ist allenfalls dann für die Bestimmung des Endes der Erschließungsanlage von Bedeutung, wenn der Teilausbau nach dem Straßenbauprogramm der Gemeinde zugleich das Ende des Ausbaus der Erschließungsanlage insgesamt markiert, m.a.W., wenn die Gemeinde auf den Ausbau der Reststrecke verzichtet hat. Von einem solchen Verzicht kann hier aber nicht die Rede sein.
Das Bauprogramm der S... sah zwar im maßgeblichen Zeitpunkt des Ausbaubeschlusses vom 27. Juni 2007 noch keine konkreten Einzelheiten des Zeitpunkts und der Art des Ausbaus der V... auf der westlichen Teilstrecke zwischen B... und Ende der B... vor. Da der Beschluss nach seiner Begründung jedoch dem Antrag der Stadtbauverwaltung in ihrer Beschlussvorlage insoweit folgt, als der Ausbau „im ersten Abschnitt“ vorgeschlagen werde, bedeutet dies jedenfalls, dass die S... einen abschnittweisen Ausbau beschlossen hat, was wiederum die Annahme ausschließt, die Stadt habe auf einen Ausbau im westlichen Abschnitt endgültig verzichtet. Der weitere Ablauf spricht ebenfalls für einen dahingehenden Willen der SVV. Denn bereits zwei Jahre nach dem Ausbaubeschluss für die östliche Teilstrecke hat sie den weiteren Ausbau durch Herstellung des Gehwegs, diesmal aber über die gesamte Länge der V..., beschlossen, also auch im bislang nicht ausgebauten Teilstück.
Nach § 130 Abs. 2 BauGB kann der beitragsfähige Erschließungsbeitrag nicht nur für die einzelne Erschließungsanlage im Ganzen, sondern auch für bestimmte Abschnitte einer Erschließungsanlage ermittelt werden. Die Abschnittbildung soll es der Gemeinde ermöglichen, wenn sie nur einen Abschnitt der Erschließungsanlage ausbaut, die Aufwendungen hierfür alsbald durch Beiträge zu decken und nicht die Herstellung der gesamten Anlage abwarten zu müssen. Abschnitte einer Erschließungsanlage können u.a. nach örtlich erkennbaren Merkmalen gebildet werden, wie z.B. auch nach Straßenkreuzungen oder -einmündungen. Ob die jeweilige Gemeinde von der Möglichkeit einer Abschnittsbildung Gebrauch macht, steht in ihrem Ermessen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Januar 2013 - BVerwG 9 B 33.12 -, juris Rn. 7). Dieser innerdienstliche Ermessensakt der Gemeinde (vgl. Urteil des 5. Senats OVG Berlin vom 3. März 1989 - OVG 5 B 107.87 - Mecklenburgische Straße, UA S. 29) muss nach außen bekundet werden. Die Abschnittsbildung muss dabei nicht ausdrücklich erfolgen; es genügt, dass das dafür zuständige Organ der Gemeinde seinen Willen zur abschnittsweisen Abrechnung klar hat erkennen lassen (vgl. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. November 2001 - BVerwG 9 B 54.01 - juris Rn. 11). Zuständiges Organ innerhalb der Gemeinde ist regelmäßig die Gemeindevertretung, weil es sich wegen der Bedeutung der Entscheidung für den Haushalt der Gemeinde nicht um ein Geschäft der laufende Verwaltung handelt (vgl. §§ 28 Abs. 1, 54 Abs. 1 Nr. 5 BbgKVerf).
Der Beschluss der Gemeinde, eine Straße zunächst nur auf einem Teilstück auszubauen, ersetzt den erforderlichen Beschluss zur Abschnittsbildung nicht. Denn ein Teilausbaubeschluss lässt offen, wann abgerechnet werden soll. So liegt es hier: Der Beschluss der SVV vom 27. Juni 2007 trifft keine Entscheidung zu den Abrechnungsmodalitäten, ebenso wenig wie der Beschluss vom 27. Januar 2013, mit der die SVV F... beschlossen hat, „dass die Grundlagen der Bauleitplanung gemäß § 125 Abs. 2 BauGB bei der Vorbereitung und Durchführung der Erschließung in der V... eingehalten wurden“. Ohne einen weiteren SVV-Beschluss zur Abschnittsbildung ist die V... (noch) nicht abrechnungsfähig.
Damit eine Erschließungsanlage abgerechnet werden kann, müssen zudem alle flächenmäßigen Teileinrichtungen den Anforderungen des satzungsmäßigen Ausbauprogramms entsprechen. Auch daran fehlt es hier.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 EBS 1995 sind u.a. Straßen endgültig hergestellt, wenn ihre Flächen im Eigentum der Gemeinde stehen und sie über betriebsfertige Entwässerungs- und Beleuchtungseinrichtungen verfügen. Absatz 2 der Vorschrift regelt die Anforderungen an die Teileinrichtungen, wie Fahrbahn, Geh- und Radwege sowie unselbständige Grünanlagen. Ob und ggf. welche Teileinrichtungen Bestandteil der Erschließungsanlage sind, bestimmt das Bauprogramm der Gemeinde.
Nach dem schon mehrfach erwähnten Beschluss vom 27. Juni 2007 hat die Stadt F... ihre Verwaltung beauftragt, die V... auf der fraglichen Teilstrecke als Anliegerstraße (Breite 4,75 m) einschließlich Straßenbeleuchtung auszubauen. Da die V... keine Breite von 4,75 m, sondern von 15 m aufweist, kann mit dem Zusatz „Breite 4,75 m“ nur die Fahrbahn gemeint sein. Diese Teileinrichtung ist auch hergestellt worden, ebenso wie die Straßenbeleuchtung bereits unstreitig vorhanden war. Das bedeutet aber, dass es im Bauprogramm der Gemeinde bislang an einer Festlegung der Ausstattung der übrigen Straßenflächen fehlt. Zwar geht aus den Abrechnungsunterlagen hervor, dass beim Beklagten auch Kosten für die Herstellung beidseitiger Sickerungsmulden und Straßenbegleitgrün entstanden sind und er diese in die Kostenberechnung für die Heranziehungsbescheide eingestellt hat. Dieser Ausbau entsprach jedoch nicht dem gemeindlichen Bauprogramm für den Ausbau der V.... Denn dieses verhält sich nicht zur Ausstattung der neben dem 4,75 m breiten Fahrdamm verbleibenden Flächen. Insbesondere lässt sich dem Beschluss vom 27. Juni 2007 eine Entscheidung, ob die V... mit oder ohne Gehweg ausgebaut werden soll, nicht entnehmen, wobei der Senat davon ausgeht, dass der Beklagten die vollständigen Vorgänge der SVV vorgelegt hat.
Auch der weitere Verlauf des Ausbaus spricht übrigens dafür, dass die Stadt im Juni 2007 nur die Herstellung der Teileinrichtung Fahrbahn, ggf. auch mit Entwässerungseinrichtung, beschlossen, die Ausstattung der Straße im Übrigen - insbesondere mit Gehwegen - jedoch einer späteren Entscheidung vorbehalten hat. Die Entscheidung zugunsten eines einseitigen Gehwegs hat die Stadt erst im Beschluss vom 1. Juli 2009 getroffen. Es ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung - schon im Hinblick auf das damit verbundene Risiko, auf den Kosten des Gehwegs sitzen zu bleiben - wenig wahrscheinlich, dass die SVV im Juni 2007 den endgültigen Ausbau der V... ohne Gehwege, dafür aber mit ca. 10 m breitem Straßenbegleitgrün beschließen wollte, um nur zwei Jahre später und noch vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens betreffend die Heranziehung der Anlieger zu den Straßenausbaubeiträgen für die erste Ausbaustufe die Anlegung eines Gehwegs zu beschließen.
Zwar ist ein Gehweg auf der südlichen Seite inzwischen entsprechend dem Beschluss der SVV vom 1. Juli 2009 hergestellt worden. Jedoch sind die Kosten seiner Herstellung nicht Gegenstand der im vorliegenden Verfahren angefochtenen Bescheide, zumal der Beschluss vom 1. Juli 2009 keine Aussage über die Ausstattung der Fläche nördlich der Fahrbahn trifft, das Ausbauprogramm der Gemeinde mithin nach wie vor unvollständig ist.
Die streitgegenständliche Abrechnung der Kosten der Herstellung der Teileinrichtung Fahrbahn bedurfte jedenfalls der Anordnung der Kostenspaltung gem. § 127 Abs. 3 BauGB. Danach kann der Erschließungsbeitrag für den Grunderwerb, die Freilegung und für Teile der Erschließungsanlagen auch selbständig erhoben werden (Kostenspaltung). Neben der Regelung in der Ortssatzung gem. § 132 Nr. 3 BauGB - hier in § 6 EBS 1995 - muss die Kostenspaltung im Einzelfall ausgesprochen werden. Dieser „Ausspruch“ muss eindeutig zumindest in irgendwelchen Vermerken, Niederschriften, Abrechnungsunterlagen usw. in den Akten zum Ausdruck kommen, sein Vorliegen muss nachweisbar sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 1997 - BVerwG 8 B 129.97 -, juris Rn. 4). Der Ausspruch der Kostenspaltung muss zudem so gefasst sein, dass sich eindeutig bestimmen lässt, welche Teileinrichtungen abgerechnet werden sollen. Ob diesen Anforderungen genügt wird, bedarf einer vom Tatsachengericht vorzunehmenden Würdigung im Einzelfall. Da es sich auch bei der Anordnung der Kostenspaltung um eine in das Ermessen der Gemeinde gestellte Möglichkeit der Vorfinanzierung handelt, erfordert sie - ebenso wie die Abschnittsbildung - regelmäßig einen Gemeinderatsbeschluss. Hier ist aber von einer Kostenspaltung in den Verwaltungsvorgängen an keiner Stelle die Rede. Insbesondere sagt der Ausbaubeschluss vom 27. Juni 2007 nichts über den Zeitpunkt der Heranziehung der Anlieger aus. Solange keine Kostenspaltung beschlossen ist, ist die V... nicht abrechnungsfähig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.
Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.