Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 20.12.2010 | |
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Aktenzeichen | OVG 5 NC 17.10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 123 VwGO, § 146 Abs 4 VwGO, § 11 Abs 2 KapVO, § 14 Abs 3 KapVO, § 16 KapVO |
Die Beschwerde des Antragstellers/der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. März 2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller/die Antragstellerin.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 € festgesetzt.
I.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, über die von ihr zum Wintersemester 2009/10 vergebenen Studienplätze für Studienanfänger im Fach Humanmedizin hinaus weitere 19 Plätze unter den Antragstellern auszulosen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Antragsgegnerin habe mit der Vergabe von 308 Studienplätzen ihre Aufnahmekapazität nicht ausgeschöpft. Sie habe das Lehrangebot aus Stellen deutlich zu niedrig angesetzt, insbesondere könnten von den gewährten Deputatsermäßigungen im Umfang von 52 LVS lediglich 31 LVS anerkannt werden. Ferner seien in den Referenzsemestern erteilte Lehraufträge zu Unrecht in Gänze mit Vakanzen verrechnet worden. Nach Abzug des - in Bezug auf den Studiengang Zahnmedizin wegen tatsächlich höherer Studienanfängerzahlen geringfügig nach oben zu korrigierenden - Dienstleistungsbedarfs nicht der Lehreinheit zugeordneter Studiengänge (68,6935 LVS) belaufe sich das bereinigte Lehrangebot auf 612,2851 LVS und liege damit um 44,6969 LVS höher als von der Antragsgegnerin angesetzt. Der Curriculareigenanteil der vorklinischen Lehreinheit sei von 1,9101 auf 1,9268 zu erhöhen, weil die Antragsgegnerin die Lehrleistungen im Fach Biologie nunmehr bis auf einen Anteil von 0,0579 selbst erbringe. Nach dem Zweiten Abschnitt der Kapazitätsverordnung errechne sich eine Basiszahl von 635,5461, die nach den von der Antragsgegnerin mitgeteilten Bestandszahlen um einen Schwundausgleichsfaktor von 0,9737 zu erhöhen sei und zu einer Aufnahmekapazität von 653 Studierenden/Jahr bzw. 327 Studienplätzen im Bewerbungssemester führe.
Mit der Beschwerde macht der Antragsteller/die Antragstellerin, der/die in dem vom Verwaltungsgericht angeordneten Losverfahren nicht zum Zuge gekommen ist, geltend, auch mit 327 Plätzen sei die Ausbildungskapazität der Antragsgegnerin im Bewerbungssemester noch nicht erschöpft. Die Vorinstanz habe den von der Antragsgegnerin „zulassungsfreundlich“ angesetzten Dienstleistungsabzug für den Studiengang Zahnmedizin zu Unrecht nach oben korrigiert; ferner sei ihm bei der Berechnung der Schwundquote ein Fehler bei der Übernahme der von der Antragsgegnerin mitgeteilten Bestandszahlen unterlaufen.
II.
Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur im Rahmen der fristgerechten Darlegungen des Antragstellers/der Antragstellerin befindet, ist unbegründet. Der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts ist bei Zugrundelegung dieses Prüfungsumfangs nicht zu beanstanden.
1.
Dienstleistungsbedarf
Die von der Beschwerde gerügte Korrektur des Dienstleistungsabzugs für den Studiengang Zahnmedizin begegnet nach der - wie die Beschwerde selbst zutreffend ausführt - „gefestigten Rechtsprechung der Berliner Verwaltungsgerichte“ im Grundsatz keinen Bedenken (vgl. Beschlüsse des Senats vom 15. Dezember 2005 - OVG 5 NC 122.05 u.a. - [Sommersemester 2005]). Ihre Kritik an dieser Rechtsprechung verkennt, dass Studienbewerber nur Anspruch darauf haben, dass die festgesetzte bzw. der ZVS gemeldete Zulassungszahl nicht niedriger ist, als es die Kapazitätsverordnung und das verfassungsrechtliche Kapazitätserschöpfungsgebot verlangen. Von daher ist für die in Numerus-Clausus-Verfahren zu treffende Entscheidung allein maßgebend, zu welchem Ergebnis eine diesen Vorgaben entsprechende Kapazitätsberechnung führt. Das aber schließt die Korrektur erkannter Fehler bei den einzelnen Ansätzen der Berechnung ein. Dass dabei etwa nur Fehler zu korrigieren sind, die zu einem höheren Rechenergebnis führen, diese ausgleichende „gegenläufige“ Fehler hingegen bestehen bleiben, wird vom Kapazitätserschöpfungsgebot ersichtlich nicht gefordert. Denn die einzelnen Ansätze der Kapazitätsberechnung sind lediglich Hilfsmittel für die Ermittlung der den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Kapazität, haben aber keinen Eigenwert und „verselbständigen“ sich auch nicht (st. Rspr. seit OVG Berlin, Beschluss vom 6. September 2000 - OVG 5 NC 5.00 - [Tiermedizin, Wintersemester 1999/2000]). So aber verhielte es sich hier, würden fehlerhafte Ansätze der Antragsgegnerin innerhalb der Berechnung des Dienstleistungsbedarfs nicht zugeordneter Studiengänge nur in Bezug auf solche Größen korrigiert, die den Dienstleistungsbedarf zugunsten eines höheren Lehrangebots der vorklinischen Lehreinheit vermindern, tatsächlich höhere Studienanfängerzahlen eines nachfragenden Studiengangs dagegen trotz des unbestreitbar höheren Verzehrs an Deputatstunden, die das vorklinische Lehrpersonal für deren Ausbildung tatsächlich zu erbringen hat, gleichsam sehenden Auges ignoriert.
Der Einwand der Beschwerde, die Antragsgegnerin werde infolge der Korrektur des Dienstleistungsbedarfs Zahnmedizin durch die 30. Kammer gleich zweifach privilegiert, weil die 12. Kammer die Überschreitung der festgesetzten Zulassungszahl (45) in den höheren Semestern üblicherweise zum Anlass nehme, im Studiengang Zahnmedizin keinen Schwundausgleich vorzunehmen, liegt - selbst wenn es sich so verhielte - neben der Sache. Denn die Frage, ob bei der Berechnung der Aufnahmekapazität im Studiengang Zahnmedizin ein Schwundausgleich vorzunehmenist oder nicht, beantwortet sich nach § 14 Abs. 3, 16 KapVO allein danach, ob in diesem Studiengang im Zeitpunkt der aktuellen Kapazitätsermittlung infolge Studienabbruchs, Fach- oder Hochschulwechsels von Studierenden in höheren Fachsemestern ungenutztes Lehrangebot vorhanden ist, dessen "Aktivierung” das Kapazitätserschöpfungsgebot verlangt. Das aber hat damit, ob in Bezug auf Dienstleistungen, die das Lehrpersonal der Lehreinheit Vorklinik für den Studiengang Zahnmedizin zu erbringen hat, wegen der nach § 11 Abs. 2 KapVO zu berücksichtigenden Studienanfängerzahl Korrekturbedarf besteht, prinzipiell nichts zu tun. Eine entsprechende Anpassung an die tatsächliche Zahl zugelassener Studienanfänger wäre auch bei jedem anderen Studiengang, der Lehre bei der Vorklinik nachfragt, vorzunehmen. So ist das Verwaltungsgericht im Übrigen auch vorgegangen. Es hat den von der Antragsgegnerin in ihrem Kapazitätsbericht angesetzten Dienstleistungsbedarf hinsichtlich jedes einzelnen Studiengangs einer sorgfältigen Prüfung sowohl des jeweiligen Curricularanteils als auch der jeweiligen Studienanfängerzahlen unterzogen, dabei Korrekturen vornehmlich zu Lasten der Hochschule vorgenommen und im Ergebnis, d.h. trotz der beanstandeten Anhebung der Studienanfängerzahlen im Studiengang Zahnmedizin, den kapazitätsmindernden Dienstleistungsexport insgesamt herabgesetzt.
Der Hinweis der Beschwerde in ihrem nachgereichten Schriftsatz vom 5. Oktober 2010, dass das Verwaltungsgericht den Dienstleistungsexport für den Studiengang Zahnmedizin im Nachfolgesemester wieder herabgesetzt habe, ist für die Frage, ob es ihn im hier in Rede stehenden Semester zu Recht angehoben hat, aus rechtlichen wie tatsächlichen Gründen ohne Belang. Denn das Verwaltungsgericht ist bei der Kapazitätsermittlung für das Sommersemester 2010 in gleicher Weise vorgegangen wie im Wintersemester 2009/10, in diesem Fall allerdings mit dem umgekehrten Ergebnis, weil die Antragsgegnerin die maßgeblichen Studienanfängerzahlen zu hoch angesetzt hatte.
Soweit die Beschwerde schließlich einwendet, dass es nicht angehe, jede vorsätzliche oder fahrlässige Abweichung von der Kapazitätsverordnung zu Lasten der Studienbewerber zu werten, so dass man es, wenn man - wie hier - eine Überbuchung anerkenne, konsequenterweise auch bei dem von der Antragsgegnerin „zulassungsfreundlich“ angesetzten Dienstleistungsbedarf belassen müsse, ist der ihrem Einwand zugrunde liegende Schluss nicht nachvollziehbar. Zwischen der Kapazitätsermittlung nach Maßgabe des Zweiten Abschnitts der Kapazitätsverordnung und der Frage, ob einer Überbuchung kapazitätsdeckende Wirkung zukommt, besteht keine Wechselbeziehung in dem von der Beschwerde reklamierten Sinne.
2.
Schwundquote
Die Beschwerde rügt, der Vorinstanz sei bei der Berechnung des Schwundes ein Fehler unterlaufen: Sie habe für das Eingangssemester des Wintersemesters 2007/08 die (festgesetzte) Zulassungszahl 298 eingesetzt. Tatsächlich aber habe sie mit Beschluss vom 18. Februar 2008 - VG 30 A 1674.07 u.a. -, ausgehend von einer realen Belegung von 302 Studienplätzen, weitere 17 Studienplätze „aufgedeckt“, so dass in die Schwundstatistik statt 298 die Zahl 319 einzustellen gewesen wäre. Dadurch „vermindere“ sich die Übergangsquote von 0,9824 auf 0,9661 und der Schwundausgleichsfaktor auf 0,9536.
Diese Rüge hat ebenfalls keinen Erfolg. Im Eingangssemester des Wintersemesters 2007/08 waren nach der von der Antragsgegnerin vorgelegten Studierendenstatistik bei einer festgesetzten Zulassungszahl von 300 insgesamt 302 Studienanfänger eingeschrieben; davon waren, wie die Antragsgegnerin bereits mit Schriftsätzen vom 25. und 26. Februar 2010 vorgetragen hatte, 4 Studierende beurlaubt. Der Bestand des Eingangssemesters des Wintersemesters 2007/08 ohne die beurlaubten Studierenden, aber mit den 17 sog. „Gerichtsmedizinern“ hätte sich mithin auf 315 und nicht - wie von der Beschwerde angenommen - auf 319 belaufen. Das Verwaltungsgericht hat jedoch zu Recht den von der Antragsgegnerin angegebenen Bestand von 298 Studierenden übernommen und in seine Schwundberechnung eingestellt. Denn die Buchungspraxis der Charité, klagende Studienbewerber in dasjenige Anfangssemester aufzunehmen, zu dem sie - ungeachtet der aus Gründen des prozessualen Bestandsschutzes auf die Rechtsverhältnisse eines möglicherweise früheren Semesters bezogenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts - tatsächlich das Studium aufnehmen können, ist nicht zu beanstanden. Hierzu hat der Senat in seinem dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers/der Antragstellerin bekannten Beschluss vom 3. April 2009 - OVG 5 NC 157.08 - [Zahnmedizin, Sommersemester 2008], juris, LS 1 und Rn. 7 ff. m.w.N.) ausgeführt:
„Skepsis, ob für das Bewerbungssemester tatsächlich von 46 kapazitätsrechtlich wirksam Immatrikulierten auszugehen ist, ist auch nicht aufgrund des Hinweises der Beschwerde angebracht, dass wegen der Buchungspraxis der Antragsgegnerin unklar sei, ob die 3 Studierenden, die nach dem das Wintersemester 2007/2008 betreffenden Beschluss des Verwaltungsgerichts nach den damaligen Rechtsverhältnissen zuzulassen gewesen seien, tatsächlich als Studienanfänger für das Wintersemester 2007/2008 verbucht worden seien und nicht für das Sommersemester 2008. Die Antragstellerin würde durch eine solche Buchung nicht in ihren Rechten verletzt werden. Der außerkapazitäre Zulassungsanspruch besteht nur nach Maßgabe der ungenutzten Aufnahmekapazität. Dem Teilhaberecht des einzelnen Bewerbers aus Art. 12 Abs. 1 GG soll nur für den Fall der Vorrang vor den aus der Not des Mangels entstandenen Verteilungsmaßstäben eingeräumt werden, dass ein mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbares Ergebnis droht: das Freibleiben eines begehrten Studienplatzes und damit eine Vergrößerung des Mangels ohne vernünftige Rechtfertigung
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. April 1975 - 1 BvR 344.73 -, Juris Rn. 42; Beschlüsse des Senats vom 2. September 2008 - OVG 5 NC 54.08 - [Zahnmedizin Wintersemester 2007/2008], BA S. 4 ff.; 6. Juni 2008 - OVG 5 NC 117.07 u.a. -, BA S. 5 und vom 13. März 2008 - OVG 5 NC 109.07 u.a. - BA S. 6; OVG Greifswald, Beschluss vom 18. Juni 2008 - 1 N 1.07 -, Juris Rn. 6 ff.; OVG Hamburg, Beschluss vom 18. Oktober 2005 - 3 Bs 319.05 -, NVwZ-RR 2006, 475; OVG Berlin, Beschluss vom 26. Juli 2001 - OVG 5 NC 13.01 -, Juris Rn. 3; VGH Kassel, Beschluss vom 18. Januar 2001 - 8 GM 3131.00.SO.T -, Juris Rn. 10; OVG Münster, Beschluss vom 29. April 1982 - 16 B 2002.81 -, NVwZ 1983, 236, 237; vgl. auch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15. Dezember 1989 - BVerwG 7 C 17.89 -, Juris zur Ablehnung der Rechtsverletzung, wenn Vergabe des Studienplatzes an Mitbewerber rechtswidrig war; ferner Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 1. Dezember 1978 - BVerwG 7 C 34.78 -, E 57, 148; a. A. OVG Koblenz, Beschluss vom 27. September 2005 - 6 D 11152.05 -, Juris Rn. 5; wohl auch OVG Hamburg, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 3 NC 90.07 -, Juris Rn. 106).
Es ist auch nicht evident unsachlich
(vgl. dazu BVerfG, Entscheidung vom 18. Juli 1972 - BvL 32.70, 1 BvL 25.71 -, Juris unter III.1.; Beschlüsse des Senats vom 2. September 2008 - OVG 5 NC 41.08 u.a. - [Zahnmedizin Wintersemester 2007/2008], BA S. 6; OVG Hamburg, a.a.O.; vgl. auch Bundes-verwaltungsgericht, Urteil vom 14. Dezember 1990 - BVerwG 7 C 48.89 -, Juris Rn. 8 zur Auflösung der Bewerberkonkurrenz nach der zeitlichen Reihenfolge der einstweiligen Anordnungen),
die klagenden Studienbewerber in dasjenige Anfangssemester aufzunehmen, zu dem sie - nachdem das Verwaltungsgericht entschieden hat - tatsächlich das Studium aufnehmen können. Für die von der Beschwerde gerügte Buchungspraxis spricht vielmehr, dass sie die Nachteile, die dem Studienbewerber durch die Verfahrensdauer des Rechtsstreits erwachsen, reduziert. Auch Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin vorliegend mit der möglichen Buchung der Studienbewerber des Wintersemesters 2007/2008 für das Bewerbungssemester rechtsmissbräuchlich mit der Absicht, die Erfolgsaussichten klagender Studienbewerber zu verringern (vgl. dazu Beschlüsse des Senats vom 2. September 2008 - OVG 5 NC 41.08 u.a. - [Zahnmedizin, Wintersemester 2007/2008], BA S. 6 m.w. Nachw.) gehandelt haben könnte, sind nicht ersichtlich.“
Dem ist, zumal sich die Beschwerde hierzu nicht verhält, nichts hinzuzufügen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).