Gericht | OLG Brandenburg Vergabesenat | Entscheidungsdatum | 01.11.2011 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | Verg W 12/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde vom 18.10.2011 gegen den Beschluss der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 4. Oktober 2011 - VK 37/11 - bis zur Entscheidung über die Beschwerde zu verlängern, wird zurückgewiesen.
Der Antrag der Antragstellerin, ihr Einsicht in die Vergabeakten zu gewähren, wird zurückgewiesen.
Der Antragstellerin wird aufgegeben, sich binnen zwei Wochen zu erklären, ob die sofortige Beschwerde zurückgenommen wird.
A. Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB bis zur Entscheidung über das Rechtsmittel zu verlängern, war zurückzuweisen. Die Beschwerde hat keine Erfolgsaussichten, § 118 Abs. 2 GWB. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist unbegründet. Zu Recht hat ihn die Vergabekammer zurückgewiesen.
Die Entscheidung des Auftraggebers, das Angebot der Antragstellerin gemäß den §§ 19 Abs. 3 lit. a), 16 Abs. 3 VOL/A-EG wegen Unvollständigkeit auszuschließen, ist vergaberechtlich nicht zu beanstanden.
1.) Die Antragstellerin hat nicht alle 17 Positionen des Leistungsverzeichnisses mit Preisen versehen. Sie hat die Position 1.5.2 des Leistungsverzeichnisses "Vermietung von 240 MGB inklusive mikroelektronischer Identifikationseinrichtung" nicht bepreist. Sie hätte dort einen Preis in "€ pro MGB und Monat " angeben müssen. Dies ist unterblieben.
Dass die Antragstellerin die vom Auftraggeber geforderte, in einem verschlossenen Umschlag einzureichende und nach den einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses zu gliedernde Urkalkulation ihrem Angebot beigefügt hat und in dieser Urkalkulation den von ihr geforderten Preis für die Position 1.5.2 eingetragen haben will, beseitigt die Unvollständigkeit des Angebotes nicht.
Selbst wenn sich darin das von der Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer eingereichte Übersichtsblatt befinden sollte, wäre der Auftraggeber im Rahmen der Wertung der Angebote nicht befugt gewesen, die Urkalkulation zu öffnen und den Inhalt dieses Blattes zur Kenntnis zu nehmen. Bei der Urkalkulation handelt es sich um eine Unterlage des Bieters, in der sich wesentliche Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse befinden, von denen Außenstehende, insbesondere der Auftraggeber als potentieller Vertragspartner, keine Kenntnis erhalten sollen. Die Einreichung einer Urkalkulation durch den Bieter ermächtigt den Auftraggeber deshalb nicht, sie nach Belieben zu öffnen. Im Gegenteil ist es üblich, dass in Vergabeverfahren enge Bedingungen formuliert werden, wann eine Öffnung der Urkalkulation zulässig und der Auftraggeber berechtigt sein soll, von diesen vertraulichen Informationen Kenntnis zu nehmen. Wie sich aus Ziffer 7.11.4 der Bewerbungsbedingungen ergibt, hatte hier der Auftraggeber eine Öffnung der Urkalkulation "ggfs. zur Prüfung der Angemessenheit der Preise gem. § 19 Abs. 6 EG VOL/A und zur Prüfung von Preisanpassungsverlangen gem. § 16 Abs. 2 Satz 3 Besondere Vertragsbedingungen nach vorheriger Information des Auftragnehmers" vorgesehen. Die vorstehenden Bedingungen, unter denen der Auftraggeber das Recht haben sollte, Einsicht in die Urkalkulation zu nehmen, waren hier unzweifelhaft nicht eingetreten. Da die Antragstellerin hier auch nicht ausdrücklich in ihrem Angebot erklärt hatte, sie sei mit einer Öffnung der Urkalkulation zur Vervollständigung ihrer Preisangaben einverstanden, war der Auftraggeber bei der Wertung der Angebote gehindert, die Urkalkulation zu öffnen und dort nach fehlenden Preisangaben zu suchen. Bei einer derartigen Sachlage kann die Urkalkulation nicht zur Auslegung des Angebotes der Antragstellerin herangezogen werden.
Ohne die Urkalkulation kann das Angebot der Antragstellerin nicht - auch nicht im Wege der Auslegung vom Empfängerhorizont aus gemäß den §§ 133, 157 BGB - vom Auftraggeber komplettiert werden. Im Leistungsverzeichnis war ein monatlicher Mietpreis anzugeben, nicht dagegen zusätzlich noch ein Gesamtmietpreis für eine bestimmte Anzahl von Mietbehältern für die geplante Vertragslaufzeit. Deshalb war es nicht möglich, aus weiteren Preisangaben durch eine Rechenoperation den von der Antragstellerin geforderten Preis zu errechnen.
Nichts anderes ergibt sich aus dem Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 10.12.2009 (T-195/08, zitiert nach Juris). In dem dort zur Entscheidung stehenden Vergabeverfahren hatte ein Bieter zwar ebenfalls eine Preisangabe unterlassen. Da aber ein Leistungsverzeichnis existierte, das auch an anderer Stelle den Preis für eine identische Position abfragte und der betroffene Bieter dort einen Preis angegeben hatte, konnte die fehlende Preisangabe als eine einfach auflösbare und leicht behebbare Mehrdeutigkeit angesehen werden, die den dortigen Auftraggeber berechtigte, den Bieter zur Klarstellung seines Angebots aufzufordern (EuG, T-195/08 Rn 75, 76, zitiert nach Juris). Diese Grundsätze können auf das vorliegende Verfahren nicht übertragen werden. Es existiert im Leistungsverzeichnis keine andere Position, in der dieselbe Leistung abgefragt wird. Es existiert lediglich eine vertrauliche Erklärung der Antragstellerin, die für die Auslegung nicht herangezogen werden durfte.
Darauf, dass auch die Urkalkulation aller Voraussicht nach nicht geeignet wäre, das Leistungsverzeichnis um eine eindeutige Preisangabe zu ergänzen, weil der Antragstellerin in ihrem Übersichtsblatt zur Urkalkulation bei der maßgeblichen Position ein gravierenden Rechenfehler unterlaufen ist, kommt es nicht mehr an. Dort hat die Antragstellerin unter Verwendung des in ihrem Angebot fehlenden Preises für die maßgebliche Leistungsverzeichnisposition eine Gesamtvergütung nicht für 3,25 Jahre, sondern für 3,25 Monate errechnet.
2.) Denkbar wäre im Grunde eine Berücksichtigung der Angaben der Antragstellerin in ihrer Urkalkulation - 0,4 €/pro MGB und Monat (netto) – ohnehin nur dann, wenn es sich bei der nicht bepreisten Position des Leistungsverzeichnisses um eine unwesentliche Einzelposition gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 2. HS VOL/A-EG handeln würde, deren Einzelpreis den Gesamtpreis nicht verändert oder die Wertungsreihenfolge und den Wettbewerb nicht beeinträchtigt. Das ist nicht der Fall.
Die maßgebliche Position des Leistungsverzeichnisses kann schon nicht als unwesentlich angesehen werden.
Es spricht vieles dafür, dass schon die geringe Anzahl an Leistungsverzeichnispositionen - es sind nur 17 - der Annahme entgegen steht, eine von ihnen sei unwesentlich. Quantitativ handelt es sich bei dem Preis für eine Leistungsverzeichnisposition schon um knapp 6 % der geforderten Preisangaben.
Im Übrigen beträgt der aus dieser Position richtigerweise zu errechnende und in die Preiswertung einfließende Gesamtbetrag rund 250.000 € netto = rund 300.000 € brutto (Miete für 3,25 Jahren berechnet auf die kalkulierte Anzahl an Mietbehältern von 16.185). Dieser Betrag macht etwas mehr als 10 % des von der Antragstellerin beanspruchten Gesamtentgelts ohne Erlöse aus, wenn man die vom Auftraggeber in den Verdingungsunterlagen gemachten Erläuterungen der Vorgehensweise zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes zugrunde legt. Ein derartiger Prozentsatz spricht qualitativ dagegen, eine fehlende Preisangabe als unbedeutend anzusehen.
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass Einzelpositionen nur dann "unwesentlich" i. S. d. § 19 Abs. 2 Satz 2 2. HS VOL-A/EG wären, wenn sie den Gesamtpreis nicht verändern oder die Wertungsreihenfolge und den Wettbewerb nicht beeinträchtigen. Bei einem solchen Verständnis der Vorschrift wäre der Begriff "unwesentlich" überflüssig und könnte ohne weiteres gestrichen werden. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber hier einen nichtssagenden Begriff verwenden wollte (anders: Kulartz/Marx/Portz/ Prieß-Dicks, VOL/A, 2. Aufl. 2011, § 19 VOL-A/EG Rn 106).
Es kann jedoch im vorliegenden Fall offen bleiben, ob dem Tatbestandsmerkmal der Unwesentlichkeit der ohne Preis versehenen Einzelposition eine eigenständige Bedeutung zukommt. Denn es kann hier weder festgestellt werden, dass die nicht bepreiste Position den Gesamtpreis nicht verändert noch dass die Wertungsreihenfolge und der Wettbewerb hiervon nicht beeinträchtigt werden.
Ein Einfluss der fehlenden Preisangabe auf den Gesamtpreis kann ohnehin nicht festgestellt werden, weil der Auftraggeber nur Einheitspreise und nicht auch noch zusätzlich einen Gesamtpreis abgefragt hat.
Der Auftraggeber musste im Rahmen der Wertung unter Berücksichtigung der ihm aus dem Vergabeverfahren bekannten Informationen davon ausgehen, dass durch die fehlende Preisangabe die Wertungsreihenfolge und der Wettbewerb beeinträchtigt werden. Die maßgebliche Position ist von den drei übrigen am Verfahren beteiligten Bietern sehr unterschiedlich bepreist worden. Der vom teuersten Bieter geforderte Preis beträgt nahezu das Dreifache des Preises des günstigsten Bieters. Setzt man den Preis des günstigsten Bieters in das Angebot der Antragstellerin ein, ist ihr Angebot das preisgünstigste, setzt man den Preis des teuersten Bieters ein, wäre es das zweitgünstigste. Bei einer derartigen Sachlage ist es dem Auftraggeber verwehrt, bei der Antragstellerin die fehlende Preisangabe nachzufordern. Denn allenfalls dann, wenn durch Ergänzung des höchsten der gegenwärtig aus dem Wettbewerb bekannten Preise das Angebot mit dem fehlenden Preis noch das günstigste ist, kann eine Auswirkung auf den Wettbewerb verneint werden (so auch Kulartz/Marx/Portz/Prieß-Dicks, VOL/A, 2. Aufl. 2011, § 19 VOL-A/EG Rn 109).
3.) Der Auftraggeber war auch nicht verpflichtet, eine Aufklärung über den Angebotsinhalt gemäß § 18 S. 1 VOL/A-EG durchzuführen. Das Angebot der Antragstellerin war nicht etwa mehrdeutig, sondern unvollständig. Eine Aufklärung mit dem Zweck seiner Vervollständigung ist unzulässig. Das Angebot muss vielmehr ausgeschlossen werden (Kulartz/Marx/Portz/ Prieß-Zeise, VOL/A, 2. Aufl. 2011, § 18 VOL/A-EG Rn 14).
4.) Dass ein auf § 19 Abs. 3 lit. a) VOL/A-EG gestützter Ausschluss wegen einer fehlenden Preisangabe unverhältnismäßig und aus diesem Grunde europarechtswidrig wäre, ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil dient die Regelung dazu, die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz durchzusetzen (so schon BGH zu§ 25 Nr. 1 Abs. 1 b VOB/A 2006, Beschluss vom 24.05.2005, X ZR 243/02, zitiert nach Juris).
B. Auch der Akteneinsichtsantrag der Antragstellerin war zurückzuweisen.
Bei der Bestimmung des Umfanges des Akteneinsichtsrechtes im Beschwerdeverfahren nach §§ 116 ff. GWB ist das Geheimhaltungsinteresse der konkurrierenden Bieter gegenüber dem Rechtsschutzinteresse des um Akteneinsicht nachsuchenden Beteiligten unter Berücksichtigung des Transparenzgebotes im Vergabeverfahren und des Grundrechts der Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) abzuwägen.
Diese Abwägung führt dazu, dass Akteneinsicht in dem Umfang gewährt werden muss, in dem sie zur Durchsetzung der subjektiven Rechte der Beteiligten – beschränkt auf den Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens – erforderlich ist. Ein Akteneinsichtsrecht besteht mithin lediglich bezüglich entscheidungsrelevanter Aktenbestandteile.
Einer Akteneinsicht bedarf die Antragstellerin danach nicht. Ausschlaggebend für die Entscheidung sind der Inhalt der Verdingungsunterlagen und derjenige ihres eigenen Angebotes. Diese sind ihr bekannt.
C. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Sie ergeht zusammen mit der Hauptsacheentscheidung.