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Beitrag; Bebauungsplan; Außenbereich; Innenbereich; Bebauungszusammenhang; Planaufhebung; sachliche Beitragspflicht; wirtschaftlicher Vorteil; Dauerhaftigkeit des Vorteils; bauliche Nutzbarkeit; Binnenerschließung; Anschlussrecht


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 30.11.2011
Aktenzeichen OVG 9 S 41.11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 8 Abs 2 S 2 KAG BB, § 8 Abs 7 S 2 KAG BB, § 30 BauGB, § 34 BauGB

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 20. Juli 2011 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung des jeweiligen Widerspruchs gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 24. Juni 2005 (K... 32 und 32a) - hinsichtlich des Grundstücks K... 32a nur hinsichtlich eines 25.303,50 € übersteigenden Betrages - und 11. November 2008 (K... 33a) anzuordnen, wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 39.615,02 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist Grundeigentümerin in der Gemarkung M... , Flur 4, im Bereich zwischen der K... und der Bahntrasse der „Heidekrautbahn“.

Nach Herstellung der Schmutzwasserkanalisation in der K... 2005 zog der Beklagte die Antragstellerin u.a. mit Bescheiden vom 24. Juni 2005 (K... 32 sowie 32a) und mit Bescheid vom 11. November 2008 (K... 33a) zu einem Schmutzwasseranschlussbeitrag heran.

Für das Gebiet wurde im März 2008 das Inkrafttreten eines Bebauungsplans „W... “ bekannt gemacht; im Januar 2011 wurde bekanntgemacht, dass die Gemeindevertretung der Gemeinde Mühlenbecker Land die Aufhebung dieses und den Erlass eines neuen Bebauungsplanes beschlossen hat.

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angegriffenen Beschluss vom 20. Juli 2011 die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragstellerin gegen die Beitragsbescheide antragsgemäß (teilweise) angeordnet. Gegen den am 22. Juli 2011 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 4. August 2011 Beschwerde eingelegt und diese am 22. August 2011 begründet.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Das Oberverwaltungsgericht prüft bei Beschwerden in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wegen § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zunächst, ob die Darlegungen des Beschwerdeführers in einer fristgerecht eingegangenen Beschwerdebegründung die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung erschüttern. Ist das der Fall, prüft das Oberverwaltungsgericht anschließend, ob nach allgemeinem Maßstab der begehrte vorläufige Rechtsschutz zu gewähren ist.

Danach ist der angefochtene Beschluss abzuändern.

1. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die veranlagten Grundstücke der Antragstellerin unterlägen nicht der sachlichen Beitragspflicht, weil für sie weder eine bauliche oder gewerbliche Nutzung durch Bebauungsplan festgesetzt sei noch die Flächen im bauplanungsrechtlichen Innenbereich lägen. Diese Erwägungen tragen angesichts des Beschwerdevorbringens nicht.

Denn der im März 2008 bekannt gemachte Bebauungsplan „W... “ ist - wie die Beschwerde zutreffend geltend macht - nicht aufgehoben, sondern beansprucht weiterhin Geltung. Der im Dezember 2010 gefasste und im Januar 2011 bekanntgemachte Beschluss der Gemeindevertretung, den Bebauungsplan „W... “ aufzuheben und einen anderen Bebauungsplan aufzustellen, leitete lediglich ein Planaufhebungsverfahren bzw. ein zu gegebener Zeit ersetzendes Neuerlassverfahren ein, für das (über § 1 Abs. 8 BauGB bzw. unmittelbar) die Vorschriften über die Aufstellung von Bauleitplänen gelten, und das nach wie vor nicht abgeschlossen ist. Ohnehin würde auch die Aufhebung eines Bebauungsplans nachträglich nichts mehr an seinen Wirkungen, insbesondere für die Entstehung sachlicher Beitragspflichten, ändern können.

2. Bei der nunmehr veranlassten Prüfung des Senats nach allgemeinem Maßstab erweist sich der angegriffene Beschluss auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Die streitgegenständliche Beitragserhebung ist nicht überwiegend wahrscheinlich rechtswidrig.

Gemäß § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung oder Anlage angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der rechtswirksamen Satzung; die Satzung kann einen späteren Zeitpunkt bestimmen. Die Entstehensvoraussetzungen sind danach erfüllt.

Die Anschlussmöglichkeit ist für alle drei streitgegenständlich veranlagten Grundstücke mit Abschluss der Bauarbeiten für die K... im Jahr 2005 geschaffen worden.

Die maßgebliche Satzung ist die sich auf den 1. Juli 2004 Rückwirkung beimessende Schmutzwasseranschlussbeitragssatzung vom 9. Februar 2010 (- SABS 2010 - vgl. zu deren Rechtmäßigkeit u.a. Urteil des Senats vom 26. Januar 2011 - 9 B 14.09 -, Juris). Soweit die Antragstellerin gegenüber der vorherigen Beitragssatzung vom 15. Juni 2004 (SABS 2004) unter Bezugnahme auf ein erstinstanzliches Urteil stichwortartig Beanstandungspunkte nennt, wird auf das vorgenannte Urteil des Senats - in Erwartung dessen das Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes erstinstanzlich ausgesetzt worden war - verwiesen.

Auch gemessen an der SABS 2010 bestehen keine überwiegenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung.

a) Dies gilt mit Blick auf den Bebauungsplan jedenfalls hinsichtlich des Grundstücks K... 33a.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SABS 2011 (wortgleich zur SABS 2004) unterliegen der sachlichen Beitragspflicht Grundstücke, die an die öffentliche Schmutzwasseranlage angeschlossen werden können und für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung festgesetzt ist, sobald sie bebaut oder gewerblich genutzt werden können. Die Anschlussmöglichkeit war 2005 geschaffen, die Festsetzung baulicher Nutzbarkeit war 2008 getroffen worden, so dass die beplanten Flächen seither zweifelsfrei Bauland verkörpern. Dahinstehen kann, ob dem letzten Halbsatz der Satzungsbestimmung vor dem Hintergrund insbesondere der gesetzlichen Regelung der Entstehungsvoraussetzungen der sachlichen Beitragspflicht (§ 8 Abs. 7 Satz 2 KAG) überhaupt eine eigenständige Bedeutung zukommt, weil davon auszugehen ist, dass mit der Schaffung einer Anschlussmöglichkeit für Bauland ein beitragsrelevanter Vorteil einhergeht.

Denn selbst wenn angenommen würde, Bauland in einem Bebauungsplangebiet solle erst dann beitragspflichtig sein, wenn es - tatsächlich - bebaut werden könne, läge dieser Fall vor. Das von der Antragstellerin angeführte Fehlen einer Binnenerschließung im Plangebiet hindert die Bebaubarkeit nicht. Insoweit genügt für die Erteilung von Baugenehmigungen und die Durchführung der Bauarbeiten in einem Bebauungsplangebiet, dass die Erschließung gesichert ist bzw. bis zum Beginn der Benutzung des Gebäudes die Erschließungsanlagen benutzbar sind (vgl. § 30 Abs. 1 BauGB, § 4 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BbgBO). Dies ist hier jedenfalls schon dadurch gewährleistet, dass das veranlagte Grundstück an die die öffentlichen Erschließungsanlagen (Straße, Kanalisation) aufweisenden Grundstücke unmittelbar angrenzt; dies sichert hier wie regelmäßig, dass sich der Grundstückseigentümer die seinen Bedürfnissen entsprechenden Anschlüsse und Binnenerschließungen schaffen kann bzw. im Falle eines Anschluss- und Benutzungszwanges sogar schaffen muss. Auf subjektive Umstände, wie etwaige Vorstellungen der Antragstellerin zur Wirtschaftlichkeit einer Grundstücksverwertung im Gesamtkonzept der Planungen, kommt es, da es um die - grundstücksbezogene - sachliche Beitragspflicht geht, insoweit nicht an. Auch der Erschließungsvertrag der Antragstellerin mit der Gemeinde Mühlenbecker Land lässt kein objektives Hindernis für die Antragstellerin erkennen, die weitere (Binnen-) Erschließung und mit ihr die Bebauung zu realisieren.

Auch ein beitragsrelevanter wirtschaftlicher Vorteil (§ 8 Abs. 2 Satz 2 KAG) steht durch die von der Antragstellerin erwähnten Umstände nicht in Frage. Im Vergleich der Grundstückssituation ohne und mit Anschlussmöglichkeit an die Schmutzwasserkanalisation würde nämlich eine Bebaubarkeit objektiv ausgeschlossen bzw. in wesentlich weitere Ferne gerückt sein, wenn bzw. solange die - hier abgerechnete - Kanalanschlussmöglichkeit nicht geschaffen worden wäre.

Auch die Dauerhaftigkeit der beitragsrelevanten Vorteilslage ist gegeben. Denn das Anschlussrecht ist gemäß §§ 4 und 5 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 der Schmutzwasserbeseitigungssatzung vom 20. Juni 2002 gewährleistet. Danach erstreckt sich das Anschlussrecht auf solche Grundstücke, die durch eine Straße (Weg, Platz) erschlossen sind, in der eine betriebsfertige und aufnahmefähige öffentliche Schmutzwasserleitung vorhanden ist; dazu muss die öffentliche Schmutzwasserleitung in unmittelbarer Nähe des Grundstückes oder auf dem Grundstück verlaufen. Dies ist seit dem Abschluss der Kanalbauarbeiten in der K... 2005 für alle Grundstücke der Antragstellerin dort der Fall. Soweit die Antragstellerin meint, es fehle in tatsächlicher Hinsicht an der Erschließung der Flurstücke, weil es der Binnenerschließung auf diesen Flurstücken ermangele, geht dies - wie oben ausgeführt - fehl.

b) Hinsichtlich der übrigen Grundstücke K... 32 und 32a kann dahinstehen, ob der Antragsgegner zur Rechtfertigung der Beitragsbescheide vom 24. Juni 2005 ebenfalls den Bebauungsplan vom März 2008 heranziehen kann, wofür sprechen könnte, dass noch kein Widerspruchsbescheid ergangen, mithin das Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

Denn für alle drei veranlagten Grundstücke spricht nach Lage der Akten - und unabhängig davon auch nach Luftbildern (Google-Maps bzw. Brandenburg-Viewer) - einiges dafür, dass sie sich bereits im Zeitpunkt des Erlasses der Beitragsbescheide im - gemäß § 34 BauGB unbeplanten - Innenbereich befunden haben. Jedenfalls besteht, entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Außenbereichslage. Die Lage ist, soweit ersichtlich, vielmehr offen und kann daher nach dem Maßstab des Verfahrens vorläufigen Rechtsschutzes dem Aussetzungsantrag nicht zum Erfolg verhelfen.

So hat das Verwaltungsgericht unzutreffend angenommen, die „Fabrikhalle“ auf dem westlichen Teil des Flurstücks 141/7 sei für die Frage des Bebauungszusammenhangs im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB voraussichtlich nicht zu berücksichtigen, weil Bauten, die nicht dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienten, keine Berücksichtigung fänden. Eine solche Prämisse dürfte es für gewerblich genutzte Bauten, die - anders als Wohngebäude - von vorn herein nicht zum ständigen Aufenthalt von Menschen bestimmt sind, so generell nicht geben. Vielmehr wurde ein solcher Grundsatz etwa für die Abgrenzung von Wohnnutzung und dem Wohnen nur ähnlicher Nutzung (z.B. Wochenendnutzung, Ferienhäuser, Sommerhäuser) sowie Baulichkeiten, die ausschließlich landwirtschaftlichen Zwecken (Scheunen, Ställe) oder kleingärtnerischer Nutzung (Lauben) dienen, bzw. für Reit- oder Stellplätze, Kassenhäuschen, sportplatzbegleitende Geländer oder niedrige Flutlichtmasten entwickelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2000 - 4 B 39.00 -, Juris Rn. 5 f.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. April 2009 - 10. S 35.08 -, Juris Rn. 8). Eine Nichtberücksichtigung nahezu jeglicher gewerblicher Nutzung für die Abgrenzung von Ortsteilen und für die Erkenntnis prägender Bebauung und der Bebauungszusammenhänge, zumal wenn es sich wie hier um Fabrikgebäude handelte, überdehnte den Anwendungsbereich des vorgenannten Grundsatzes. Demnach dürfte dem großflächigen Fabrikgebäude, zumal gemeinsam mit dem angrenzenden 6-Familien-Wohnhaus (vgl. Schreiben der Antragstellerin vom 4. Oktober 2004) erhebliche Prägekraft und damit Bedeutung für die Frage zukommen, ob die Grundstücke der Antragstellerin im Jahr 2005 in einem Bebauungszusammenhang mit der umliegenden Bebauung der Gemeinde Mühlenbecker Land standen und daher im bauplanungsrechtlichen Innenbereich lagen. Dies dürfte auch unter dem Gesichtspunkt gelten, dass die Fabrikhalle ungenutzt war, zumal es insoweit auf die Umstände des Einzelfalles ankommen dürfte (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss des 10. Senats vom 14. Februar 2006 - 10 S 4.05 -, Juris Rn. 13 ff. m.w.N.) und im vorliegenden Verfahren weder von einer langen Zeitdauer der Nichtnutzung noch etwa starken Verfallserscheinungen die Rede war.

Für die Annahme eines Außenbereichs spricht im Übrigen zwar, dass es auf dem gesamten Planbereich des Dreiecks zwischen K... und den beiden Bahntrassen erheblich große unbebaute Flächen gab. Hingegen streitet für einen Bebauungszusammenhang zunächst die schon im Zeitpunkt der Herstellung der Kanalisation in der K... westlich dieser Straße vorhandene großflächige Bebauung in Gestalt des Komplexes aus Fabrikgebäude und 6-Familien-Wohnhaus sowie eines noch größeren Gebäudekomplexes weiter im Süden in Richtung des Bahnhofs Mühlenbeck-Mönchmühle. Dass sich zwischen diesen großen Gebäudekomplexen Abstände von 100 m und mehr befanden, spricht noch nicht überwiegend gegen eine Innenbereichslage, weil gerade große Baukörper nicht selten mit Rücksicht auf die Grundflächen- und Geschossflächenverhältnisse (vgl. §§ 16 ff. BauNVO) einen Ausgleich durch größere Freiflächen um das Gebäude erfordern, ohne dass die städtebaulichen Zusammenhänge gerade einer solch großteiligen Struktur verloren gingen. Für eine solche großteilige Bebauungsstruktur dürften hier auch östlich der K... anschließende Baukörper erheblichen Volumens gestanden haben. Hinzu kommt auch, dass sowohl westlich der K... - südöstlich des Wohn- und Fabrikkomplexes - als auch straßenbegleitend östlich bis ca. auf die Höhe dieses Komplexes ergänzend kleinteilige Siedlungsbebauung erkennbar ist, die nach einer begrenzten „Lücke“ von ca. 100 m ab der Nordseite des Wohn- und Fabrikkomplexes wiederum eine Entsprechung findet und im Jahr 2005 bereits vorhanden gewesen sein dürfte. Für einen Bebauungszusammenhang würde außerdem sprechen, wenn sich die Bahndämme, auch bei niedriger Höhe, als derart deutlich wahrzunehmende Zäsuren in der Landschaft darstellten, dass sie Grenzen verkörperten, bis zu welchen sich ein Ortsteil durch seine schon vorhandene bauliche Prägung noch erstrecken mag und wo er - erst - sein Ende findet. Dies beinhaltet Fragen, die sich im vorliegenden Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dahingehend beantworten lassen, es habe sich bei den Grundstücken der Antragstellerin im Jahr 2005 um Außenbereich gehandelt. Vielmehr ist die Lage offen; die entsprechende Klärung muss daher dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Zur Vorteilslage und deren Dauerhaftigkeit wird im Übrigen auf die Ausführungen unter a) verwiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).