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Einkommensteuer 2008


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 6. Senat Entscheidungsdatum 24.06.2014
Aktenzeichen 6 K 6279/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 09. Juli 2012 und des Bescheids über Einkommensteuer für 2008 vom 19. November 2012, den Kläger gemäß § 1 Abs. 3 Einkommensteuergesetz -EStG- als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln und ihn zusammen mit seiner Ehefrau zu veranlagen.

Die Revision wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Beschluss:

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Bemessung der Einkommensteuer nach dem sog. Splittingtarif für Eheleute.

Der Kläger ist polnischer Staatsbürger, ist mit Frau B… verheiratet und lebte im Streitjahr 2008 in C… (Polen). Vom 01. Mai 2008 bis zum 05. August 2008 war der Kläger in D… als Arbeitnehmer für die E… S.A. (Betriebsstätte F…) tätig. Er erzielte aus dieser Beschäftigung einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 8.321 €. Vom Bruttoarbeitslohn wurden 1.376 € Lohnsteuer einbehalten.

Am 25. Januar 2011 übermittelte der Kläger seine Steuererklärung für das Streitjahr an den Beklagten und beantragte die Zusammenveranlagung mit seiner Ehefrau. Der Steuererklärung fügte der Kläger eine Bescheinigung EU/EWR bei, aus der sich polnische Einkünfte in Höhe von 24.508,96 PLN für den Kläger und in Höhe von 0,00 PLN für die Ehefrau ergaben. Zu einer Veranlagung des Klägers und seiner Ehefrau in Polen liegen dem Gericht keine Informationen vor.

Mit Bescheid vom 14. Februar 2011 lehnte der Beklagte eine Veranlagung für 2008 ab, da der Beklagte nicht unbeschränkt steuerpflichtig sei. Hiergegen richtete sich der fristgerechte Einspruch des Klägers. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 09. Juli 2012 als unbegründet zurück, da die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG nicht vorliegen würden. Der Kläger sei nur beschränkt steuerpflichtig. Die Einkünfte des Klägers würden nicht zu mindestens 90 % der deutschen Einkommensteuer liegen bzw. liegen auch nicht unterhalb des Grundfreibetrags, der er nach den Verhältnissen des Wohnsitzstaates zu kürzen sei. Die ausländischen Einkünfte würden umgerechnet 7.067 € betragen. Nach der Ländergruppeneinteilung sei der Grundfreibetrag für Polen nur in Höhe von 50 %, entspricht 3.832 € anzusetzen (7.664 € x 50 %). Eine Zusammenveranlagung der Ehefrau mit dem Kläger nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG komme nicht in Betracht, da hierfür der Kläger zunächst als unbeschränkt steuerpflichtig qualifizieren müsste.

Hiergegen richtet sich die Klage vom 10. August 2012. In der mündlichen Verhandlung verwies der Kläger auf die Entscheidung des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern (Az. 1 K 385/11 vom 15. Januar 2014). In diesem Fall sei ein gleich gelagerter Fall positiv entschieden worden. Eine Revision sei nunmehr anhängig (Bundesfinanzhof, Az.: I R 16/14).

Im Laufe des Klageverfahrens erließ der Beklagte am 19. November 2012 erstmals einen Bescheid über Einkommensteuer 2008. Der Veranlagung legte er inländische Einkünfte in Höhe von 7.401 € (8.321 € Bruttoarbeitslohn abzüglich Arbeitnehmer-Pauschbetrag), Sonderausgaben in Höhe von 1.700 € sowie dem Progressionsvorbehalt unterliegende steuerfreie Einkünfte in Höhe von 7.067 € zugrunde. Der Beklagte setzte die Einkommensteuer auf 444 € fest und erstattete die übersteigende Lohnsteuer in Höhe von 932 €.

Der Kläger beantragt,

1.unter Aufhebung des Bescheids vom 14. Februar 2011, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09. Juli 2012, geändert durch Bescheid vom 19. November 2012, den Kläger zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer 2008 zu veranlagen und die Einkommensteuer auf 0,00 € festzusetzen sowie
2.hilfsweise, die Zulassung der Revision und
3.die Hinzuziehung des steuerlichen Beraters im Einspruchsverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

1.das Verfahren in Hinsicht auf die anhängige Revision beim Bundesfinanzhof, Az. I R 16/14 ruhend zu stellen,
2.hilfsweise, die Klage abzuweisen,
3.hilfsweise, die Zulassung der Revision.

Der Beklagte verweist auf seine Einspruchsentscheidung.

Die Beteiligten wurden am 27. Januar 2014 angehört, ob sie Bedenken gegen eine Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter hätten. Der Beklagte erklärte sein Einverständnis zur Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter am 30. Januar 2014. Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 04. März 2014 auf den Einzelrichter übertragen.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist als auf Zusammenveranlagung gerichtete Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-) statthaft und kann vom Kläger allein erhoben werden.

II. Das Gericht konnte in der Sache nicht die Anordnung des Ruhen des Verfahrens treffen (§ 155 FGO in Verbindung mit § 251 Zivilprozessordnung). Hierfür wären übereinstimmende Anträge der Beteiligten erforderlich (vgl. Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl. 2011, § 74 FGO, Rn. 23). Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO kam ebenfalls nicht in Betracht, da die Streitsache nicht ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Es fehlt an der Vorgreiflichkeit, da beim Bundesfinanzhof nur in einer sog. Parallelsache dieselbe Rechtsfrage streitig ist (vgl. Koch, ebenda, Rn. 17).

III. Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten; er hat einen Anspruch darauf, gemäß § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und gemäß § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG zusammen mit seiner Ehefrau veranlagt zu werden (§ 101 Satz 1 FGO).

1. Der Kläger begehrt die Zusammenveranlagung und Bemessung der Einkommensteuer nach dem sog. Splittingtarif für Eheleute. Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG können Ehegatten, die beide unbeschränkt einkommensteuerpflichtig im Sinne des § 1 Abs. 1 oder 2 EStG oder des § 1a EStG sind und nicht dauernd getrennt leben und bei denen diese Voraussetzungen zu Beginn des Veranlagungszeitraums vorgelegen haben oder im Laufe des Veranlagungszeitraums eingetreten sind, zwischen getrennter Veranlagung (§ 26a EStG) und Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) wählen. Gemäß § 26b EStG werden bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten die Einkünfte, die die Ehegatten erzielt haben, zusammengerechnet, den Ehegatten gemeinsam zugerechnet und, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, die Ehegatten sodann gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt.

2. Die Voraussetzungen des § 26 EStG sind im Streitfall gegeben. Der Kläger ist als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig nach § 1 Abs. 3 EStG und seine Ehefrau ist für Zwecke des § 26 EStG gemäß § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig zu behandeln.

a) Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG ist, dass zumindest einer der Ehegatten Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist, ist und dieser nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist oder der nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig zu behandeln ist. Nur insoweit wird nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG auf Antrag der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland für die Anwendung des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG ebenfalls als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt.

b) Die Ehefrau des Klägers und der Kläger erfüllen ersichtlich nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 EStG, da weder ein Wohnsitz noch ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland im Streitjahr gegeben war.

c) Die Ehefrau des Klägers und der Kläger erfüllen isoliert nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG.

aa) Hiernach kann eine natürliche Person auf Antrag als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werden, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, soweit sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 EStG hat und die weiteren Voraussetzungen des Satzes 2 erfüllt. Nach § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG müssen die Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG nicht übersteigen; dieser Betrag ist zu kürzen, soweit es nach den Verhältnissen im Wohnsitzstaat des Steuerpflichtigen notwendig und angemessen ist.

bb) Die Ehefrau des Klägers erfüllt diese Voraussetzungen nicht, da sie keine inländischen Einkünfte im Sinne des § 49 EStG erzielt hat.

cc) Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG nicht, da seine Einkünfte nicht zu mindestens 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegen und die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte auch nicht den anteiligen Grundfreibetrag überschritten. Der Kläger erzielte im Streitjahr inländische Einkünfte in Höhe von 7.401 € (8.321 € Bruttoarbeitslohn abzüglich Arbeitnehmer-Pauschbetrag) und ausländische Einkünfte in Höhe von (umgerechnet) 7.067 €. Die der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte betrugen somit nur ca. 51 % (7.401 € von 14.468 €).

Die Einkünfte aus Polen in Höhe von 7.067 € überstiegen auch den im Streitjahr maßgeblichen Grundfreibetrag von 3.832 € (7.664 € x 50 %). Der maßgebliche Grundfreibetrag war für in Polen ansässige Steuerpflichtige gem. § 1 Abs. 3 Satz 2, 2. Teilsatz EStG um 50 % zu kürzen (vgl. BMF-Schreiben betreffend die Berücksichtigung ausländischer Verhältnisse; Ländergruppeneinteilung ab 1. Januar 2008 vom 09. September 2008, IV C 4-S 2285/07/0005, BStBl. I 2008, 936).

d) Bei Überprüfung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG für den Kläger sind die Einkünfte der Ehegatten jedoch zusammen zu rechnen. Dies ergibt sich aus § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG, wonach bei Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG auf die Einkünfte beider Ehegatten abzustellen und der Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 zu verdoppeln ist. Diese Regelung ist nach der Rechtsprechung dahingehend zu verstehen, dass sie sich auf § 1a Abs. 1 EStG bezieht und die Grundvoraussetzung (unbeschränkte Steuerpflicht) im Fall des § 1 Abs. 3 EStG modifiziert (BFH, Urteile vom 20. August 2008, I R 78/07, BStBl II 2009, 708; 08. September 2010, I R 28/10, BStBl II 2011, 269; FG Meckelburg-Vorpommern, Urteil vom 15. Januar 2014, 1 K 385/11, n.v.; jeweils mit weiteren Nachweisen). Diese Auffassung wird auch von der Literatur geteilt (vgl. Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, § 1a EStG, Rn. 30). Der abweichenden Auffassung (vgl. Einkommensteuer-Richtlinien 2012, R1 Satz 3 sowie Heinicke in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 32. Aufl. 2013, § 1a EStG, Rn. 20) ist nicht zu folgen, da der Wortlaut des § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG klar ist.

IV. Das Gericht hat die Revision nach § 115 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Fraglich bleibt, ob der Wortlaut des § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG teleologisch zu reduzieren ist, denn der Kläger und seine Ehefrau erlangen hierdurch die Zusammenveranlagung im Wohnsitzstaat und in Deutschland. § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG erfasst in diesem Fall auch nicht nur die gemeinschaftsrechtlich gebotenen Fälle, in denen ein gebietsfremder Arbeitnehmer in seinem Wohnsitzstaat „keine nennenswerten Einkünfte erzielt“ (EuGH, Urteil vom 14. Februar 1995, C-279/93, Rs. Schumacker) und deshalb der Wohnsitzstaat nicht in der Lage ist, ihm die Vergünstigungen zu gewähren, die sich aus der Berücksichtigung seiner persönlichen Lage und seines Familienstandes ergäben. Im Streitfall ist es vielmehr so, dass der Kläger im Wohnsitzstaat nur unwesentlich geringere Einkünfte (ca. 7.067 €) erzielte als im Inland (7.401 €). Unberücksichtigt bleibt hierdurch zudem, dass die inländischen Einkünfte nach dem Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Polen (Art. 15 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 24 Abs. 2 Buchstabe a) im Wohnsitzstaat freizustellen sind.

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 und § 138 Abs. 2 FGO, denn der Beklagte ist nicht nur unterlegen, er hat der Klage bereits während des Klageverfahrens zum Teil abgeholfen und den Kläger überhaupt veranlagt, wodurch es bereits zu einer Herabsetzung der Steuerbelastung (Lohnsteuereinbehalt in Höhe von 1.376 €) auf 444 € kam.

VI. Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten zum Vorverfahren war gem. § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig zu erklären, da die Sachfrage nicht so einfach war, dass der Kläger das Einspruchsverfahren allein hätte führen können. Dies ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass der Beklagte die Einkommensteuererklärung des Klägers zunächst nicht als Antrag nach § 50 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG gewertet hatte.

Beschluss:

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 128 Abs. 4 FGO).