Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 22.03.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 6 M 14.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 166 VwGO, § 114 ZPO, § 117 Abs 4 ZPO, § 121 ZPO, § 7 Abs 1 S 1 Nr 5 WoGG, § 7 Abs 1 S 3 Nr 2 WoGG, § 14 Abs 2 Nr 19 WoGG, § 104 Abs 1 S 2 SGB 10, § 22 Nr 1 S 2 EStG, § 2 Abs 1 SGB 12 |
1. Zur Berücksichtigung von Sachzuwendungen (Essensversorgung) durch haushaltsfremde Personen bei der Berechnung des Jahreseinkommens nach § 14 Abs. 2 Nr. 19 WoGG 2009.
2. Zu den Ausnahmetatbeständen des § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 WoGG 2009 bei Bezug von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 25. Januar 2011 wird geändert. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt und ihm Rechtsanwalt … beigeordnet.
Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Der Kläger hat nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 und § 121 der Zivilprozessordnung - ZPO - einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das erstinstanzliche Verfahren.
Der Kläger hat am 24. November 2009 Wohngeld rückwirkend ab Oktober 2009 beantragt, das ihm mit Bescheid vom 17. Dezember 2009 und Widerspruchsbescheid vom 6. April 2010 versagt wurde. Zur Begründung führte die Behörde aus, das Einkommen des Klägers schließe wegen seiner Höhe einen Wohngeldanspruch aus. Bei dessen Berechnung sei zu berücksichtigen, dass der Kläger seinen Nahrungsmittelbedarf vollständig durch Sachzuwendungen Dritter decke. Das Verwaltungsgericht hat Prozesskostenhilfe für das hiergegen gerichtete Klageverfahren versagt, weil der Kläger nicht glaubhaft gemacht habe, die Kosten des Klageverfahrens nicht selbst aufbringen zu können. Außerdem habe die Klage keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Dem Kläger stehe Wohngeld nicht zu, weil er im Bewilligungszeitraum Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII bezogen habe, bei denen die Unterkunftskosten berücksichtigt worden seien. Er sei daher vom Bezug von Wohngeld nach § 7 Abs. 1 Satz 1 WoGG 2009 ausgeschlossen.
Keiner der von der Behörde oder vom Verwaltungsgericht angeführten Gründe rechtfertigt die Versagung von Prozesskostenhilfe. Die Klage bietet hinreichende Erfolgsaussichten (dazu 1.) und der Kläger hat seine Bedürftigkeit ausreichend glaubhaft gemacht (dazu 2.).
1. Hinreichende Erfolgsaussichten einer Klage sind jedenfalls dann gegeben, wenn der Ausgang des Rechtsstreits als offen einzuschätzen ist. Das ist u.a. dann anzunehmen, wenn es zur Klärung der entscheidungserheblichen Umstände einer Beweiserhebung bedarf, deren Ergebnis nicht durch eine Würdigung innerhalb des Prozesskostenhilfeverfahrens vorweggenommen werden darf. Hier bedarf es einer weiteren Beweiserhebung, von deren Ergebnis der Ausgang des Rechtsstreits abhängen wird. Das gilt sowohl hinsichtlich der Einkommensberechnung durch die Behörde (dazu a) als auch hinsichtlich des vom Verwaltungsgericht für einschlägig erachteten Ausschlusstatbestands des § 7 Abs. 1 Satz 1 WoGG 2009 (dazu b).
a) Bei der Berechnung des wohngeldrechtlich zu berücksichtigenden Jahreseinkommens des Klägers ist die Behörde davon ausgegangen, dass diesem ein Betrag von 210 Euro monatlich zuzurechnen sei, weil seine Essensversorgung ausschließlich von Dritten übernommen werde. Das ist zwar vom rechtlichen Ansatz her nicht zu beanstanden, weil nach § 14 Abs. 2 Nr. 19 WoGG 2009 zum Jahreseinkommen die nach § 22 Nr. 1 Satz 2 EStG dem Empfänger nicht zuzurechnenden Bezüge, die ihm von haushaltsfremden Personen gewährt werden, gehören und unter solche Bezüge auch freiwillige Leistungen in Geldeswert wie freie Kost fallen (Weber-Geller, in Schmidt, EStG, 28. Auflage 2009, § 22, Rn. 7). Allerdings steht nicht fest, ob für die Verpflegung des Klägers bei der Berechnung des Jahreseinkommens überhaupt ein Betrag, der von der Behörde angenommene oder möglicherweise ein geringerer Betrag als Einkommen zugrundezulegen ist. Anlass für die Annahme der Behörde, die Essensversorgung des Klägers werde von Dritten übernommen, sind allein seine eigenen Angaben. In einem handschriftlichen Vermerk vom 2. Dezember 2009 (Bl. 15 VV) heißt es, der Kläger lebe alleine in seiner Wohnung und werde „von Schwester, Freunden + Freundin mit Naturalien versorgt“. In einem weiteren Vermerk vom 11. Januar 2010 (Bl. 16 VV) wird ausgeführt, er habe angegeben, „definitiv durch seine Kinder und die Bekannte mit Essen versorgt“ zu werden. Da der Kläger im vorliegenden Verfahren bestreitet, solche Angaben gegenüber der Behörde gemacht zu haben und geltend macht, über keine weiteren Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu verfügen, als die ihm bewilligte, ihrer Höhe nach den Wohngeldanspruch nicht ausschließende Erwerbsunfähigkeitsrente, bedarf der Sachverhalt in dieser Hinsicht der Aufklärung durch entsprechende Beweiserhebung.
b) Auch die vom Verwaltungsgericht in den Vordergrund gerückte Frage, ob der Bezug der Leistungen nach dem SGB XII durch den Kläger dem Wohngeldanspruch und damit der Annahme, die Klage habe hinreichende Erfolgsaussichten, entgegensteht, hängt letztlich vom Ergebnis der Beweisaufnahme ab. Zwar sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WoGG 2009 vom Wohngeld Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII ausgeschlossen, wenn - wie im Falle des Klägers - bei deren Berechnung die Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden sind. Das Verwaltungsgericht könnte allerdings zu Unrecht angenommen haben, dass § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 WoGG 2009 nicht eingreift, der von diesem Grundsatz unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen vorsieht. Der Ausschluss vom Wohngeldbezug nach Satz 1 besteht danach dann nicht, wenn durch Wohngeld die Hilfebedürftigkeit vermieden oder beseitigt werden kann und die Leistungen nach dem SGB XII während der Dauer des Verwaltungsverfahrens zur Feststellung ihres Grundes und ihrer Höhe noch nicht erbracht worden sind (Buchstabe a) oder der zuständige Träger die Leistungen nach dem SGB XII als nachrangig Verpflichteter Leistungsträger im Sinne des § 104 SGB X erbringt (Buchstabe b). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hängt letztlich ebenfalls vom Ergebnis der aus den unter 1. a) dargelegten Gründen erforderlichen Beweisaufnahme ab.
Erweisen sich danach die Angaben des Klägers als zutreffend, kann davon ausgegangen werden, dass die Hilfebedürftigkeit durch den Wohngeldbezug beseitigt würde, denn das dem Kläger zustehende Wohngeld dürfte bei überschlägiger Betrachtung die ihm gewährten Grundsicherungsleistungen übersteigen. Der Kläger bezieht eine Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich 641,43 Euro (Bl. 33 d.A.). Die wohngeldrechtlich zu berücksichtigende Miete beträgt nach den Berechnungen der Behörde 332 Euro (Bl. 36 VV). Nach der aktuellen Wohngeldtabelle stünde ihm damit ein Wohngeld von monatlich 91 Euro zu. Die ihm gewährten Grundsicherungsleistungen erreichen demgegenüber nur eine Höhe von 80,81 Euro bzw. von 81,13 Euro im Monat März 2010.
Auch die weiteren Voraussetzungen zum Eingreifen des Ausnahmetatbestandes wären voraussichtlich gegeben, wenn die Angaben des Klägers zuträfen und sein Einkommen sich auf die angegebene EU-Rente beschränkte. Dabei muss nicht entschieden werden, ob dann § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 Buchstabe a) WoGG 2009 einschlägig wäre, weil die Grundsicherungsleistungen während der Dauer des Verwaltungsverfahrens zur Feststellung ihres Grundes und ihrer Höhe nicht er-bracht worden waren. Jedenfalls müsste dann angenommen werden, dass der Träger der Grundsicherungsleistungen diese als nachrangig verpflichteter Leistungsträger im Sinne des § 104 SGB X erbracht hat, so dass § 7 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 Buchstabe b) WoGG 2009 eingriffe.
Nach § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist ein Leistungsträger nachrangig verpflichtet, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Hätte das Einkommen des Klägers die von der Behörde angenommene Höhe, wäre die Wohngeldbehörde überhaupt nicht zur Leistung verpflichtet im Sinne des § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X, so dass der Träger der Grundsicherungsleistungen diesem gegenüber auch nicht nachranging verpflichtet sein könnte. Wäre dagegen allein die EU-Rente des Klägers als Einkommen zu berücksichtigen, wäre der Träger der Grundsicherungsleistungen nachrangig verpflichtet, weil - wie dargelegt - der dem Kläger dann voraussichtlich zustehende Wohngeldanspruch die Grundsicherungsleistungen überstiege mit der Folge, dass der Anspruch auf Grundsicherungsleistungen wegen ihres Nachrangs (vgl. § 2 Abs. 1 SGB XII) entfiele.
2. Der Kläger ist nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auch nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Dies hat er auch glaubhaft gemacht. Insbesondere hat er jedenfalls im Beschwerdeverfahren ein ausgefülltes und unterschriebenes Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 117 Abs. 4 ZPO vorgelegt.
Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang darauf, dass das Verwaltungsgericht das Prozesskostenhilfegesuch nicht mit der Begründung hätte ablehnen dürfen, der Kläger habe seine Bedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht, ohne ihm zuvor Gelegenheit zu geben, die für unvollständig gehaltenen Angaben zu belegen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 25. August 2006 - 2 PA 1148/06 -, NVwZ-RR 2007, S. 142, Rn. 2 bei juris).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).