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Entscheidung 10 K 15202/09


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 16.12.2010
Aktenzeichen 10 K 15202/09 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Bescheid vom 15. Januar 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. September 2009 wird dahingehend geändert, dass festgestellt wird, dass die Klägerin Anspruch auf Erstattung der anteiligen Einkommensteuer 2006 in Höhe von 855,04 € hat.

Die Kosten des Verfahrens werden zu 75 % der Klägerin und zu 25 % dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts A vom 14. November 2003 zur Insolvenzverwalterin über das Vermögen des Herrn B bestellt. Mit Beschluss vom 31. Juli 2006 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben und die Nachtragsverteilung der während der Dauer des Insolvenzverfahrens begründeten Ansprüche auf Steuererstattungen vorbehalten.

Mit Schreiben vom 9. August 2007 bezifferte der Beklagte die insoweit entstanden Steuererstattungsansprüche wie folgt: 2004 - 1.151,53 €, 2005 - 1.554,16 € und 7/12 von 2006 855,04 € und bat die Klägerin um Angabe der Kontenverbindung. Nach Aktenlage erfolgte am 4. September 2007 seitens des Beklagten eine Aufrechnung mit Insolvenzforderungen. Die letztendlich mit Schreiben vom 5. Januar 2009 begehrte Auszahlung des Betrages für 2006 bzw. die Erteilung eines rechtsmittelfähigen Bescheides (Abrechnungsbescheides) an die Klägerin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15. Januar 2009 ab und wies den dagegen eingelegten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 2. September 2009 als unbegründet zurück. Für eine Auszahlung des Betrages auf das Treuhandkonto der Klägerin gäbe es keinen Rechtsgrund. Die Nachtragsverteilung von Steuererstattungen sei mit Beschluss des Amtsgerichts lediglich vorbehalten. Nur im Fall einer wirksam angeordneten Nachtragsverteilung gemäß § 203 Abs.1 Insolvenzordnung (InsO), die auch die Steuererstattungsansprüche, die vor oder während der Dauer des Insolvenzverfahrens begründet wurden, erfasse, wäre das Recht des Insolvenzschuldners über den hier streitgegenständlichen Einkommensteuererstattungsanspruch zu verfügen, beschränkt gewesen. Es handele sich bei dem in Rede stehenden Anspruch um nachträglich ermittelte Gegenstände im Sinne des § 203 Abs.1 Nr. 3 InsO (BFH v. 7.6.2006 VII B 329/05, BStBl. II 2006, 641). Werde eine zur Insolvenzmasse gehörende Forderung des Schuldners – wie im Streitfall – erst nachträglich ermittelt, könne eine Nachtragsverteilung zwar auch dann angeordnet werden, wenn das Insolvenzverfahren bereits aufgehoben worden sei. Eine erneute Insolvenzbeschlagnahme träte aber erst mit dem Beschluss über die Anordnung der Nachtragsverteilung ein, dem keine Rückwirkung zukomme (BFH, Beschluss vom 4. September 2008, VII B 239/07, BFH/NV 2009, 6).

Mit der dagegen erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, im Beschluss über die Aufhebung des Insolvenzverfahren sei die Nachtragsverteilung für Steuererstattungsansprüche für die Zeit vor und während der Dauer des Insolvenzverfahren angeordnet worden. Das führe dazu, dass der Insolvenzbeschlag für den Einkommensteuererstattungsanspruch zu Gunsten der Masse andauere. Die Anordnung der Nachtragsverteilung habe lediglich deklaratorische Wirkung. Insoweit werde auf die umfassende Kommentierung im Münchner Kommentar zu § 203 der Insolvenzordnung verwiesen. Sowohl in der Rechtsprechung des BGH als auch in der Rechtsprechung des BFH sei anerkannt, dass der Vorbehalt der Nachtragsverteilung ausreichend sei. Auf die Entscheidung des BFH vom 5. März 2008 (X R 60/04) werde verwiesen. Der Entscheidung liege ein Sachverhalt zu Grunde, in welchem ebenfalls die Nachtragsverteilung vorbehalten wurde. Die Klägerin hat ihr Klagebegehren mit Schreiben vom 28. Januar 2010 auf den anteiligen Erstattungsanspruch wegen der Einkommensteuer 2006 eingeschränkt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr zugunsten einen Abrechnungsbescheid über 855,04 € zu erlassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist der Beklagte auf die Gründe der Einspruchsentscheidung. Im Verfahren X R 60/04 habe der BFH nur darüber zu befinden gehabt, ob der Steueranspruch des Fiskus aus der Einkommensteuer eines Beteiligten gegen den Insolvenzverwalter der Personengesellschaft aus der Masse der Gesellschaft geltend gemacht werden könne. Der Umstand, ob eine Nachtragsverteilung angeordnet oder vorbehalten war, sei nicht entscheidungserheblich gewesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 90 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung –FGO-).

Die Klage ist begründet.

Die Ablehnung der Erteilung eines Abrechnungsbescheides sowie der Auszahlungen des anteiligen Einkommensteuererstattungsanspruchs für 2006 des Insolvenzschuldners an die Klägerin durch den Bescheid vom 15. Januar 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. September 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs.1 Satz 1 FGO).

Die Klägerin hat Anspruch auf Auszahlung des während der Dauer des Insolvenzverfahrens insolvenzrechtlich entstandenen Anspruchs auf Erstattung der Einkommensteuer des Insolvenzschuldners. Aufgrund der im Beschluss über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens ausdrücklich vorbehaltenen Nachtragsverteilung wirkt der Insolvenzbeschlag insoweit fort und der Anspruch ist nicht durch Aufrechnung erloschen.

Der anteilige Erstattungsanspruch wegen Einkommensteuer 2006 gehört zur Insolvenzmasse. Nach § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Es kommt nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden war, sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war (BFH, Urteile vom 5. Oktober 2004 VII R 69/03, BStBl II 2005, 195; vom 16. November 2004 VII R 75/03, BStBl II 2006, 193; vom 31. Mai 2005 VII R 74/04, BFH/NV 2005, 1745). Bei Steuervorauszahlungen erlangt der Steuerpflichtige bereits mit deren Entrichtung einen Erstattungsanspruch unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Ende des Besteuerungszeitraums die geschuldete Steuer geringer ist als die Vorauszahlung (vgl. BFH, Urteil vom 6. Februar 1996 VII R 116/94, BStBl II 1996, 557). Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht gemäß § 80 Abs. 1 InsO das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über und die Insolvenzgläubiger können ab diesem Zeitpunkt gemäß § 87 InsO ihre Forderungen nur nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften verfolgen, wozu gehört, dass die Aufrechnung durch Insolvenzgläubiger gegen zur Insolvenzmasse gehörende Forderungen nur nach den §§ 94 bis 96 InsO möglich ist. Diese im Dritten Teil der InsO beschriebenen Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfallen erst mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens gemäß § 200 InsO (vgl. Münchner Kommentar InsO, Hintzen, § 203 RdNr. 19; BFH, Beschluss vom 7. Juni 2006, VII B 329/05, BStBl. II 2006, 641).

Im Streitfall ist der aus der Einkommensteuerveranlagung 2006 und mithin aus der abgeführten Einkommensteuer resultierende Erstattungsanspruch des Schuldners, der zeitanteilig auf die Dauer des Insolvenzverfahren entfällt, in insolvenzrechtlicher Hinsicht während des Insolvenzverfahren begründet worden und unterfällt damit der Insolvenzbeschlagnahme.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die Insolvenzbeschlagnahme nicht mit der Aufhebung des Insolvenzverfahren entfallen, denn hinsichtlich der während Dauer des Insolvenzverfahrens begründeten Ansprüche auf Steuererstattungen wurde ausdrücklich die Nachtragsverteilung vorbehalten.

Sofern Beträge oder Vermögensgegenstände einer Nachtragsverteilung vorbehalten werden, wirkt die Insolvenzbeschlagnahme auch über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens hinaus. In diesen Fällen ist die Insolvenzbeschlagnahme nicht mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens entfallen. Soweit diese Vermögenswerte betroffen sind, dauert die Beschlagnahme nach wie vor an. Die Anordnung der Nachtragsverteilung durch gerichtlichen Beschluss hat insoweit nur deklaratorische Bedeutung. Der Schuldner kann trotz formeller Aufhebung des Insolvenzverfahrens über diese Gegenstände nicht verfügen. Zwangsvollstreckungen für Insolvenzgläubiger sind unzulässig (§ 89 InsO; vgl. Münchner Kommentar 2008, Hintzen, Rz. 19ff. zu § 203 InsO). Soweit die Nachtragsverteilung vorbehalten wurde, enden die Befugnisse des Insolvenzverwalters nicht mit der Nachtragsverteilung. Auch die Prozessführungsbefugnis bleibt zum Zwecke der Nachtragsverteilung erhalten (Münchner Kommentar 2008, Hintzen, Rz 23 zu § 203 InsO.

Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis betrifft, entscheidet die Finanzbehörde durch sogenannten „Abrechnungsbescheid“ (§ 218 Abs. 2 der Abgabenordnung). Die Klägerin hat aufgrund des fortdauernden Insolvenzbeschlags für die während der Dauer des Insolvenzverfahren entstandenen Einkommensteuererstattungsansprüche wegen des Vorbehalts der Nachtragsverteilung Anspruch auf Erteilung eines diesbezüglichen Abrechnungsbescheides und Auskehrung des Betrages.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.