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Asyl, Abschiebungsschutz nach § 60, Abs. 1 und Abs. 2-7 AufenthG, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung


Metadaten

Gericht VG Cottbus 3. Kammer Entscheidungsdatum 08.01.2020
Aktenzeichen 3 K 41/17.A ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2020:0108.3K41.17.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 3 AsylVfG 1992, § 4 AsylVfG 1992

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für welches Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbescheid ergebenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger afghanischer Staatszugehörigkeit vom Volk der Paschtunen reiste nach eigener Darstellung am 22. Dezember 2015 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 6. April 2016 einen Asylantrag. Bei der Anhörung bei der Beklagten am 26. September 2016 führte er aus, er habe bis zur Ausreise in Nangarhar und in der Stadt Jalalabad gelebt. Am 1. Oktober 2015 habe er Afghanistan verlassen. Eingereist nach Deutschland sei er über Österreich. In Afghanistan würden neben seiner Mutter noch ein Bruder, zwei Schwestern, seine Frau, die beiden Töchter und ein Sohn sowie die Großfamilie leben. Er sei von der Schule direkt zur Armee gegangen. Nach seinem Dienst sei er zwei Monate zu Hause geblieben und habe sich dann auf den Weg nach Deutschland gemacht. Er habe von 2011 bis 2014 drei Jahre und drei Monate als Leutnant im Militärgefängnis in B... gedient. Seine wirtschaftliche Lage sei sehr gut gewesen. Als Grund dafür, Afghanistan verlassen zu haben, merkte er an, in dem Gefängnis seien hochrangige Talibankommandeure inhaftiert gewesen. Ehemalige Gefängnisinsassen hätten nach deren Entlassung von ihm die Mitarbeit gefordert, auch habe er einige Gefangene im Gefängnis besserstellen und die Taliban mit Informationen versorgen sollen. Das sei in 2014 gewesen. Während seiner Dienstzeit sei jemand zu ihm nach Hause gekommen. Auch nach seiner Ausreise sei jemand von der Taliban aufgetaucht. Die Bedrohung durch die Taliban hätte er bei der Polizei auch bei dem Gefängnis zur Sprache gebracht. Die Behörden hätten gesagt, er solle seinen Beruf aufgeben. Aufgrund der Netzwerkstruktur der Taliban hätten sie ihn in ganz Afghanistan aufgefunden. Nach einer Rückkehr nach Afghanistan würden sie ihn sofort töten.

Mit Bescheid vom 4. Januar 2017 wurde der Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt, die Flüchtlingseigenschaft sowie der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen und ihm wurde für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung nach Afghanistan angedroht. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor. Das Vorbringen des Klägers begründe erhebliche Zweifel. Die Ausführungen zu einer angeblich erlittenen Verfolgung durch die Taliban seien nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Insoweit seien die Angaben frei von Details. Im Übrigen werde einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung habe und sicher und legal in diesen Landesteil reisen könne. Die Regierung in Afghanistan sei grundsätzlich schutzwürdig, insbesondere in großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif in der Lage, Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung zu bieten. Auch sei eine sichere legale Möglichkeit, in diese Gebiete zu kommen, anzunehmen. Es könne dem Kläger zugemutet werden, sich in einem sicheren Landesteil aufzuhalten. Er sei als jung, gesund und als arbeitsfähig einzustufen. Fehle es an der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft seien auch die Voraussetzungen der Asylanerkennung nicht erfüllt. Auch lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht vor. Unter Berücksichtigung der Ausführungen zum Flüchtlingsschutz sei weder aus dem Vorbringen des Klägers noch aufgrund der Erkenntnisse des Bundesamtes erkennbar, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine interne Schutzmöglichkeit durch den afghanischen Staat vor Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung geboten werden könne. Der innerstaatliche Konflikt erreiche keinen Grad willkürlicher Gewalt, der eine Schutzgewährung ermögliche. Für keine der afrikanischen Provinzen könne generell ein Gefährdungsgrad für Zivilpersonen angenommen werden, der die Feststellung einer erheblichen individuellen Gefahr allein aufgrund einer Rückkehr in das Herkunftsgebiet und Anwesenheit dort rechtfertige. Individuelle Gefahrenumstände könnten für bestimmte Personengruppen in Frage kommen, jedoch seien solche hier nicht erkennbar. Abschiebungsverbote lägen gleichermaßen nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Afghanistan führten nicht zu der Annahme, dass bei der Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Die Sicherheitslage in Afghanistan sei weiterhin angespannt, allerdings regional unterschiedlich und Schwankungen unterworfen. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Existenzbedingungen wie Nahrungsversorgung, medizinischer Versorgung und Zugang zur Arbeit bestünden noch erhebliche Defizite. Allerdings bestünden für den Kläger inländische Fluchtalternativen bereit. Es sei nicht ersichtlich, dass er nicht in der Lage wäre, bei einer Rückkehr nach Afghanistan sein Existenzminimum zu sichern. Es sei ihm bereits vor der Ausreise gelungen, seinen Lebensunterhalt in Afghanistan sicherzustellen. Seine wirtschaftliche Situation habe er als gut beschrieben. Auch eine Schutzgewährung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sei nicht geboten.

Der Kläger hat am 10. Januar 2017 Klage erhoben. Er trägt vor, er habe bis Anfang 2015 als Gefängniswärter in P... in einem Anti-Terror-Gefängnis für hochrangige Gefangene insbesondere Angehörige der Taliban gearbeitet. Es sei von den Amerikanern ausgebildet worden. Schon während der Haftzeit sei er von den inhaftierten Taliban massiv bedroht und beschimpft worden. Nach der Entlassung einiger Taliban habe er zunächst weiter in der Haftanstalt gearbeitet. Er sei von Taliban außerhalb der Haftanstalt bedroht worden. Diese hätten ihn zu Hause aufgesucht. Die Haftleitung hätte ihm erklärt, sie könne nicht helfen; gegebenenfalls müsse er die Arbeit aufgeben. Der Kläger habe daraufhin seine Tätigkeit beendet und Afghanistan verlassen. Im Sinne der Regelung des § 3 c Nr. 3 Asylgesetz (AsylG) seien die Taliban nicht-staatliche Akteure. Ihm – dem Kläger – drohe auch eine Verfolgung wegen politischer Überzeugung. Es genüge, wenn der Verfolger dem Verfolgten bestimmte Merkmale zuschreibe. Etwaige Aktivitäten für westlich-orientierte Politiker, Firmen etc. seien bei einer Verfolgung durch die Taliban politisch. Auch führe die Aufgabe der Tätigkeit durch die Flucht nicht dazu, dass eine Wiederholungsgefahr zu verneinen wäre. Einer Verfolgung durch die Taliban stünden schutzbereite und schutzfähige Akteure nicht zur Verfügung. Der anhaltende Konflikt wirke sich negativ auf die Fähigkeit der Regierung aus, Menschenrechte zu schützen. Dies sei insbesondere in Gebieten der Fall, die unter der effektiven Kontrolle von regierungsfeindlichen Elementen stünden. Die gewaltbereite Opposition - insbesondere die Taliban – würden ihre Gewalt ohne Rücksicht auf Zivilisten sowohl gegen Staatsorgane als auch Vertreter der internationalen Gemeinschaft richten. Den verfolgten Personen stünde eine inländische Fluchtalternative nicht zur Verfügung. Die Taliban hätten ein landesweites Netzwerk gespannt. Einige Befehlshaber und bewaffnete Gruppen würden als Urheber von Verfolgung sowohl auf zentraler als auch auf lokaler Ebene agieren. In einigen Fällen seien sie eng mit der örtlichen Verwaltung verbunden. Auch in einer Stadt wie Kabul, die in Viertel eingeteilt sei, und wo sich die Menschen untereinander kennen würden, bestehe eine Verfolgungsgefahr. Neuigkeiten über eine Person, die aus einem anderen Landesteil oder dem Ausland zuziehe, könnten potentielle Akteure eine Verfolgung erreichen. Der Aufbau einer Existenz unter verschleierter Identität sei ebenfalls nicht möglich. Die Person müsse sich in einem neuen sozialen Umfeld als glaubwürdig identifizieren. Es sei auch so, dass die Taliban Listen anfertigten von Mitarbeitern von Nichtregierungsorganisationen auch hinsichtlich des Sicherheitspersonals und staatlicher Mitarbeiter. Es sei keinesfalls so, dass die Taliban nur landesweit Personen verfolgen würden, an denen sie ein besonderes Verfolgungsinteresse hätten. Vielmehr komme es eher auf eine Kosten-Nutzen-Analyse an. Er – der Kläger – müsse an jedem Ort in Afghanistan damit rechnen, von den Taliban entdeckt zu werden. Ein Leben in völliger Anonymität sei in Afghanistan nicht möglich. Auf Städte als Niederlassungsort könne nicht verwiesen werden. Der allgemeine Niedergang der Wirtschaft in Afghanistan betreffe vor allem die Stadtbevölkerung. Die landesweite Arbeitslosenquote liege bei offiziell 40 %. Dieser Anteil sei in Städten deutlich höher. Arbeitsplätze seien in der Regel nur über Beziehungen zu erlangen. Fehlender Zugang zum Arbeitsamt schränke auch den Zugang zum Wohnungsmarkt ein. Die humanitäre Lage in Afghanistan sei katastrophal. Dies belegten der fehlende Zugang zu Trinkwasser und die Enge in den Slams. Ein Überleben aus eigener Kraft sei nicht möglich. Wer versuche, für ausländische Firmen, die Regierung oder Militär zu arbeiten, müsse mit erneuter Verfolgung durch die Taliban rechnen. Mitarbeiter derartiger Firmen und Einrichtungen würden gerade in Kabul einer besonderen Gefährdung unterliegen. Unabhängig davon lägen die Voraussetzungen des § 4 AsylG vor. Dies gelte bereits mit Blick auf die Anzahl der zivilen Opfer. Jedenfalls seien die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 5 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt. Der Kläger könne nirgends einen Ort sicher erreichen, an dem es keine Gefahr für Leib und Leben gäbe. Auch unterlägen Rückkehrer aus Westeuropa einer besonderen Gefährdung. Im Übrigen sei eine Gesamtbetrachtung für einzelne Person anzustellen, ob und inwieweit sie bei einer Rückkehr nach Afghanistan Opfer gewalttätiger Handlungen werden könnten.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Januar 2017 zu verpflichten, ihn als Flüchtling gemäß § 3 AsylG anzuerkennen,

hilfsweise ihm subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen,

weiter hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt sie auf den Inhalt des angegriffenen Bescheides Bezug.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die jeweils zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes nach § 3 AsylG, des subsidiäre Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG, noch liegen in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vor (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 04. Januar 2017 ist auch hinsichtlich der Ausreiseaufforderung, der Abschiebungsandrohung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird hierfür in vollem Umfang auf die Gründe des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend gilt Folgendes:

1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen im Fall des Klägers nicht vor.

a) Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3 c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3 c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3 c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3 e Abs. 1 AsylG).

Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag aufgrund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.

b) Gemessen an diesen Maßstäben kann dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden. Es fehlt zunächst an einer individuellen Verfolgung.

Der Kläger trägt zwar vor, einer Bedrohungssituation durch die Taliban ausgesetzt gewesen und deshalb geflohen zu sein, jedoch kann daraus eine ihn konkret betreffende Vorverfolgung nicht abgeleitet werden. Soweit er eine Konfliktsitiuation während seiner Fahrt von B... nach H... benennt, genügt dies hier nicht. Voraussetzung ist, dass die Rechtsverletzung, aus der der Asylbewerber seine Asylberechtigung bzw. den Flüchtlingsschutz herleitet, ihm gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale zugeführt worden sein muss. Hieran fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinen Herkunftsstaat zu erleiden hat, infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 2. Juli 2013 – 8 A 2632/06.A - Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 - zitiert nach juris). Davon ist hier auszugehen. Nach der Schilderung des Klägers ging es nicht darum, genau ihn zu treffen, vielmehr gab es eine Straßensperre oder aber einen Checkpoint, der von den Taliban je nach deren Präsenz in dem bestimmten Bereich eingerichtet wird. Diese Maßnahmen gehören zu den Aktivitäten der Taliban im gesamten Land, sind Teil der Kampfesführung bzw. dienen zur Ausweitung des Machtanspruchs. Eine individuelle Verfolgung resultiert daraus nicht. Entsprechendes gilt soweit er – erstmals in der mündlichen Verhandlung - auf Verfolgungshandlungen/Tötungsdelikte in seinem Heimatort bzw. seiner Heimatregion verweist.

Auch die im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit in dem Gefängnis in B... genannten Umstände vermögen eine hier relevante Vorverfolgung nicht zu untersetzen.

Dabei kann unterstellt werden, dass er während dieser Tätigkeit diversen Anfeindungen ausgesetzt gewesen ist. Insoweit ist es ohne weiteres nachvollziehbar, dass Angehörige der Taliban oder aber Familienmitglieder derselben etwa dann, wenn die Besuchszeit gekürzt wird oder aber das Gespräch eine Einschränkung erfährt, Drohungen aussprechen, um ihr Missfallen darüber auszudrücken oder aber Druck auf die Militärangehörigen bzw. die im Gefängnis Tätigen auszuüben. Hingegen vermochte der Kläger nicht eine daraus folgende ihn persönlich betreffende Verfolgungslage glaubhaft vorzutragen. So schilderte er selbst eindrucksvoll, mit welchen Methoden er versuchte, seine Tätigkeit im Gefängnis zu verschleiern bzw. seine Anwesenheit in seinem Heimatort weitestgehend geheim zu halten. Jedenfalls kann aus seinem Vortrag nicht entnommen werden, dass eine reale Gefahr für ihn oder aber seine Familie am Heimatort bestanden hätte. Schon bei der Anhörung bei der Beklagten am 26. September 2016 verwies er lediglich darauf, dass im Jahr 2014 jemand zu ihm nach Hause gekommen sei und zu ihm wollte; auch sei nach seiner Ausreise eine Person zu ihm nach Hause gekommen. Der Kläger vermochte allerdings auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung Näheres dazu nicht zu berichten. Er führte lediglich an, die Personen hätten meistens das Gesicht verdeckt gehabt und seien Reisende und wollten etwas zu essen. In der Sache seien Sie auf der Suche nach ihm gewesen. Solche Besuche habe es vor seiner Armeezeit nicht gegeben. Dies widerspricht schon inhaltlich dem, was er während der Anhörung bei der Beklagten äußerte. Es ist nämlich etwas anderes, wenn jemand gezielt nach dem Kläger fragt oder aber dieser vorgibt, ein Reisender zu sein und lediglich angenommen wird, in der Sache würden sie nach ihm - also dem Kläger – suchen. Gegen eine hier beachtliche Bedrohungslage spricht insbesondere, dass - wenn die Taliban es wirklich auf ihn oder seine Familie abgesehen hätten – vielfältige Möglichkeiten zur Verwirklichung des Ziels bestanden hätten. Seine Familie verblieb während der gesamten Zeit seines Dienstes bei der Armee an einem Ort und war dort wirtschaftlich tätig. Seine Frau hat sich sogar gegen das Ansinnen des Klägers gewandt, nach B... umzuziehen, wobei hierfür wirtschaftliche Gründe nicht vorgebracht wurden. Es wäre bei dieser räumlichen Situation für die Taliban also ein leichtes gewesen, konkrete Handlungen zu fordern, Drohungen auszusprechen und Sanktionen gegenüber den Familienmitgliedern in Aussicht zu stellen und – wenn erforderlich – auch umzusetzen. Derartiges ist dem Vortrag des Klägers aber nicht zu entnehmen.

Auch sein Vorbringen hinsichtlich der Kontaktaufnahme über einen verwundeten Taliban vermag eine andere Sicht der Dinge nicht zu begründen. Dabei soll es an dieser Stelle ausdrücklich offen bleiben, ob das von dem Kläger geschilderte Handeln nicht als ein Versuch anzusehen ist, mit Vertretern der Taliban in Kontakt zu treten, um - etwa in Ansehung veränderter Machtverhältnisse - ein Überleben in diesem Bereich für sich und seine Familie sichern zu können. Interessant ist hierbei auch, dass der Kläger seinen Militärdienst nicht etwa auf eigenem Wusch beendet hat - wie dies bei einer etwaigen Bedrohungslage von außen nachvollziehbar wäre - sondern auf Befehl entlassen wurde. Jedenfalls kann auch daraus eine akute Bedrohungssituation für den Kläger nicht hergeleitet werden. Er merkt selbst an, dass der Bruder des inhaftierten Taliban ihn mehrmals versucht habe anzurufen, der Kläger jedoch die Telefonnummer gewechselt und dann nicht mehr mit ihm gesprochen habe. Auch hier fehlt es an einer Benennung von Tatsachen, die eine Bedrohungslage untersetzen könnten. Insoweit führt der Kläger selbst an, dass die Geschichte, von der er erzählt habe, ca. 6 Monate vor seinem Ausscheiden aus dem Militärdienst stattgefunden haben soll. Für diese Zeit und für die Zeit danach - also ca. 8 Monate vor der Ausreise - sind konkrete Aktivitäten seitens der Taliban, den Kläger oder aber seine Familie betreffend, nicht berichtet worden.

In diesem Zusammenhang sei noch einmal festgehalten, dass - soweit der Kläger im Rahmen der Anhörung bei der Beklagten vermerkte, ehemalige Gefängnisinsassen hätten ihn zur Mitarbeit aufgefordert dahingehend Gefangene besserzustellen und die Taliban mit Informationen zu versorgen - sich dies im Rahmen der mündlichen Verhandlung so nicht bestätigte. Dort führte er vielmehr aus, Vergünstigungen durch die Gefängnisinsassen nicht entgegengenommen zu haben und, dass er ihnen auch nichts habe zukommen lassen. Auch fehlt es an einem nachvollziehbaren Bericht dahingehend, dass und unter welchen Voraussetzungen die Taliban konkret versucht hätten, über ihn an Informationen über das Gefängnis in B... zu kommen.

Es mag sein, dass den Kläger im Laufe der Zeit auch in Ansehung der weiteren Entwicklungen in seiner Heimatregion ein gewisses Angstgefühl beschlichen hat. Ein solches Gefühl ohne weitere Anknüpfungstatsachen genügt aber nicht, um eine begründete Furcht vor Verfolgung zu untersetzen.

Zudem würde ein Verfolgungsgeschehen, welches im Zusammenhang mit den Taliban steht, jedenfalls vorliegend keine politische Verfolgung darstellen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Taliban jedem, der eine Zusammenarbeit mit Ihnen bzw. eine Rekrutierung ablehnt, eine abweichende politische Überzeugung oder Religion zuschreiben. Die Ziele der Taliban sind insoweit nicht eindeutig politischer Natur, sondern weisen eine diffuse Gemengelage aus politischen, religiösen und wirtschaftlichen sozialen Motiven auf. Der Kläger vom Volk der Paschtunen hat vorliegend keinerlei Meinung, Grundhaltung und Überzeugung zu den Taliban vertreten, sondern allenfalls zum Ausdruck gebracht, dass er mit ihnen (doch) nicht zusammenarbeiten wolle. Die alleinige Nichtbeteiligung an einer Organisation, ohne dass hierfür die Beweggründe näher zutage getreten wären, genügt jedoch nicht für die Annahme einer dem Kläger von Seiten der Taliban zugeschriebenen politischen Überzeugung gegen diese Organisation (vgl. hierzu VG Würzburg, Urteil vom 8. August 2019 – W 5 K 19.30994 -, zitiert nach juris).

Fehlt es danach an einer einschlägigen Vorverfolgung kann auch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung durch die Taliban für den Fall der Rückkehr des Klägers nach Afghanistan nicht bejaht werden. Sofern es ein Interesse der Taliban an die Person des Klägers – dies hier einmal unterstellt – gegeben haben sollte, war dies in dessen Tätigkeit bei dem Militär bzw. in dem Gefängnis begründet in dem – dies kann hier angenommen werden – hochrangige Talibanmitglieder inhaftiert waren. Dieses allgemeine und hier nicht weiter konkretisierte Interesse nimmt freilich ab, wenn die Person keinen unmittelbaren Zugang zu dem Gefängnis und den dort inhaftierten Personen mehr hat und verblasst im Laufe der Zeit, da etwaige Informationen, das Gefängnis selbst betreffend, auch mit Blick auf die sich im Laufe der Zeit ergebenden anderweitigen Sicherheitsstandards und geänderten Organisationsstrukturen einen immer geringeren Nutzen aufweisen.

Angesichts der letztlich nicht weiter untersetzten Bedrohungssituation bestehen auch keine hinreichenden Anhalte dafür, dass der Kläger auf einer Liste der Taliban steht. Dies hat der Kläger selbst auch nicht substantiiert vorgetragen. Hierbei sei auch noch einmal hervorgehoben, dass der Kläger bezogen darauf, ob denn ein Gefängnisinsasse überhaupt die Identität eines Militärangehörigen oder einer Person, die mit Vorführaufgaben befasst ist, aufdecken kann, in sich widersprüchlich Angaben gemacht hat, indem er einerseits darauf verwies, dass Namenszeichen an der Uniform vorhanden seien, später aber anmerkte, es sei ohne weiteres möglich, diese bei dem Kontakt mit den Häftlingen abzumachen.

c) Zudem stand und steht dem Kläger eine inländische Fluchtalternative offen.

In Ansehung dessen, dass sich die Machtverhältnisse in Afghanistan territorial unterscheiden, kommt es für den Betroffenen sehr darauf an, in wessen Herrschaftsbereich er sich gerade aufhält. Hierfür ist maßgeblich, dass nicht im gesamten Staatsgebiet Afghanistans die Taliban die alleinige Kontrolle ausüben oder aber alle anderen Bereiche umkämpft sind. Vielmehr ist es so, dass 64 % der Bevölkerung im Einflussbereich der Regierung leben, 12 % im Einflussbereich der Aufständigen und 24 % in umstrittenen Gebieten (vgl. Auswärtiges Amt: Bericht über die Asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand 31. Mai 2018, Textziffer II. 4.). Selbst wenn die prozentualen Werte in verschiedenen Quellen unterschiedlich hoch angegeben werden, ist festzuhalten, dass es den Taliban nicht gelang, Provinzhauptstädte einzunehmen bzw. sich dort längere Zeit machtergreifend aufzuhalten. Alle 34 Provinzhauptstädte, befinden sich weiterhin unter der Kontrolle der Regierung (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O.). Der Kläger hatte selbst im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausgeführt, eine Wohnsitznahme in B... wäre möglich gewesen; auch, dass seine Familie dorthin zieht. Dies sei lediglich auf Wunsch seiner Frau nicht realisiert worden. Dies spricht aber auch dafür, dass die Bedrohungslage nicht derart war, dass ein solches Handeln zwingend geboten wäre. B... und die Provinz P... stellen sich zudem - auch noch jetzt - als eine hinreichende inländische Fluchtalternative dar. Für die Provinz P... ist eine Einwohnerzahl von 711.621 benannt (EASO Country auf Origin Information Report Afghanistan Security Situation Stand Juni 2019, S. 248.) P... wurde als relativ ruhig bezeichnet. Auch wenn - wie in anderen Teilen Afghanistan - eine Veränderung der Sicherheitslage hin zum Negativen festzustellen ist, ist gleichwohl für den hier relevanten Bereich der Hauptstadt Charikar und dem Distrikt B..., in dem die größte NATO Militärbasis in Afghanistan belegen ist, nicht nur davon auszugehen, dass dieser Bereiche weitestgehend von der Regierung kontrolliert werden (vgl. EASO, ebenda Seite 250), sondern auch, dass - verglichen mit der Einwohnerzahl – die Zahl der Opfer - für sich nicht geeignet ist, eine erhebliche Gefahrenlage zu untersetzen (2018 41 Betroffene - 20 Getötete/21 Verletzte). Für den Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum 30. September 2019 wurden für diesen Bereich 10 sicherheitsrelevanter Vorfälle mit 116 Todesopfern gelistet (BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation Afghanistan, Stand November 2019, S. 193 wobei hier auch Militärangehöriger mit erfasst wurden).

Auch sonst bestehen keine Anhalte dafür, dass der Kläger dort nicht eine entsprechende Unterkunft finden bzw. mit Tätigkeiten sein Überleben sichern könnte. Dafür spricht der Umstand, dass für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2019 keine Personen erfasst wurden, die aufgrund des Konfliktes vertrieben wurden. Vielmehr haben sich vom 1. Januar 2018 bis zum 31. Dezember 2018 1.113, in der Zeit vom 1. Januar 2019 bis zum 30. Juni 2019 203 Binnenvertriebene in P... niedergelassen.

Auch nach den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 wird ein Erfordernis einer externen Unterstützung für den Fall einer Rückkehr alleinstehenden leistungsfähiger Männer als nicht geboten angesehen, da diese in städtischen oder halbstädtischen Gebieten leben können, die die notwendige Infrastruktur zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen, vgl. S. 125 der deutschsprachigen Fassung). Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger über Ländereien verfügt, die durch einen Dritten bewirtschaftet werden und offensichtlich auch Erträge abwerfen. Nach den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung kann mit den Erträgen bis in die Jetztzeit das Überleben der Familie gesichert werden. Dies lässt gleichermaßen die Annahme zu, dass - sofern es darauf ankäme, bei einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan - auch das Überleben der Familie in dem als interne Fluchtalternative infrage kommenden Bereich gesichert werden könnte.

Für den Kläger kommen aber auch noch andere inländische Fluchtalternativen in Betracht. Die Städte Herat und Mazar-e Sharif, die mit dem Flugzeug aus von Kabul erreichbar sind, gelten als derartige Orte. Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Die Provinzhauptstadt Herat hat 506.900 Einwohner, die Bevölkerungszahl in der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken. Sie wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, wenn auch hier in einigen Distrikten Aufständische aktiv sind. Mazar-e Sharif liegt in der Provinz B... in Nordafghanistan. Die Bevölkerungszahl der gesamten Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt, für Mazar-e Sharif auf 427.600. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen dort neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungssektor wächst. Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz B... zu reduzieren. Die Provinz B... ist eine der stabilsten Provinzen Afghanistans und hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Im Zeitraum 1. Januar 2017 bis 30. April 2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) gezählt (BFA, a. a. O, S. 64 ff.).

 Zudem würde für den Kläger Kabul als eine inländische Fluchtalternative anzusehen sein, vgl. § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG.
Mit einer irgendwie gearteten Verfolgung durch die Taliban oder ihnen nahestehender Personen – dies hier einmal unterstellt - ist dort nicht zu rechnen, weil der Kläger in der Millionenmetropole Kabul untertauchen und anonym leben könnte, ohne entdeckt zu werden. In Kabul leben ca. 75 % der Bevölkerung in informellen Siedlungen. Auch gibt es in Afghanistan kein Einwohnermeldewesen. Es besteht die Überzeugung, dass sich eine Person ohne Weiteres, gegebenenfalls unter falscher Identität, in einer afghanischen Großstadt aufhalten kann, ohne entdeckt oder identifiziert zu werden (vgl. VG Würzburg, Urteil vom 22. Januar 2018 – W 1 K 16.32611 – zitiert nach juris).
Die Voraussetzung, dass der Kläger sicher und legal in den Landesteil reisen können muss, welcher die Fluchtalternative darstellt, ist ebenfalls erfüllt, da Kabul der übliche Zielort von Rückführungen nach Afghanistan ist (vgl. VG Würzburg, U.v. 17.3.2017 – W 1 K 16.30736 – juris Rn. 37).
Vom Kläger kann auch vernünftigerweise erwartet werden, sich in Kabul niederzulassen. Dabei geht der Prüfungsmaßstab über das Fehlen einer beachtlichen existenziellen Notlage in § 60 Abs. 7 AufenthG hinaus, so dass beispielsweise auch die sozio-ökonomischen Verhältnisse und die Sicherheitslage zu berücksichtigen sind (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – BVerwGE 146, 12 – 31 – juris Rn. 20).
Trotz der bestehenden sozio-ökonomischen Widrigkeiten würde es dem Kläger nach Auffassung des Gerichts aller Voraussicht nach möglich sein, Arbeit zu finden und dadurch seine Grundbedürfnisse zu sichern. Hierbei ist beachtlich, dass der Kläger die Verhältnisse im Land kennt und die gebräuchliche Sprache Dari beherrscht. Er ist auch mit den Lebensverhältnissen in Afghanistan hinreichend vertraut und befähigt auf dem Arbeitsmarkt eine Anstellung zu finden. Beachtlich ist hierbei, dass der Kläger auch wenn er nicht selbst wirtschaftlich tätig war, nunmehr im Dienstleistungssektor tätig ist. In Kabul herrscht zudem keine Nahrungsmittelknappheit, so dass der Kläger sich mit den notwendigen Lebensmitteln versorgen kann. Auf den familiären Hintergrund sowie die wirtschaftlichen Verhältnissen wird Bezug genommen.
Der Kläger ist an diesem Ort auch nicht generell einer ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) ausgesetzt.

Eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts setzt eine Situation voraus, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die fragliche Person den von dem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ausgehenden Gefahren individuell ausgesetzt wäre. Zu solchen Umständen in der Person des Betroffenen gehört in erster Linie die berufsbedingte Nähe, z.B. als Arzt oder Journalist, zu einer Gefahrenquelle. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte, etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Erforderlich sind hierzu Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet. Dazu muss eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung einerseits der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und andererseits der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, erfolgen. Zudem ist eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich, die auch die medizinische Versorgung einbeziehen muss. Soweit ein Antragsteller keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände verwirklicht, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Das Risiko einer Zivilperson von 1:800 bzw. 0,125 Prozent, binnen eines Jahres verletzt oder getötet zu werden, ist dabei weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit eines ihr drohenden Schadens entfernt (vgl. zum Vorstehenden BVerwG, Urteile vom 17. November 2011, a.a.O., Rn. 18, 20, 23 und vom 27. April 2010, a.a.O., Rn. 33 f.).

 Aus dem Vortrag des Klägers ergeben sich gefahrerhöhende, individuelle Umstände nicht.
Zur Bestimmung einer ausreichenden Gefahrendichte ist durch Auswertung aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Provinz lebenden Zivilpersonen annäherungsweise zu ermitteln und zur Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der Verletzten und Getöteten in Beziehung zu setzen (VG München, U.v. 20.4.2017 – M 17 K 16.35674 – juris Rn. 45 ff.).
In der Zentralregion Afghanistans wurden nach Angaben der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) im Jahr 2017 insgesamt 2.240 Zivilpersonen getötet oder verletzt. Ausgehend von einer Einwohnerzahl von insgesamt ca. 6,5 Mio. ergibt sich ein jährliches Risiko, verletzt oder getötet zu werden, von 1 : 2.901. Selbst bei einer Verdreifachung der Anzahl der Verletzten und Getöteten auf Grund einer hohen Dunkelziffer ergäbe sich eine Wahrscheinlichkeit von ca. 1 : 967, was keine erhebliche individuelle Gefahr darstellen würde.
Bei Betrachtung der Provinz Kabul allein gelangt man zu folgendem Ergebnis: Dort gab es 2017 insgesamt 1.831 verletzte oder getötete Zivilisten, davon 479 Tote und 1.352 Verletzte. Bei einer Bevölkerungszahl in der Provinz Kabul von ca. 4,4 Mio. Einwohnern (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017, vom 28. Juli 2017, dort S. 10) entspräche dies keinem hinreichend großen Risiko, Oper willkürlicher Gewalt zu werden. Dieses läge, auf ein ganzes Jahr bezogen, bei ca. 1 : 2.403. Auch die aktuellen Zahlen vermitteln kein wesentlich anderes Bild (vgl. im Einzelnen: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2018 A 11 S 316/17 -; OVG für das Land Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. Oktober 2018 -3 L 393/18 – jeweils zitiert nach juris).
Für das Jahr 2019 ist freilich für das 3. Quartal eine Zunahme der Anschläge, aber auch der allgemeinen Kriminalität festzustellen. Aber auch dies vermag einen hier relevanten Gefährdungsgrad nicht zu untersetzen. Im ersten Halbjahr 2019 zählte UNAMA 3.812 zivile Opfer im gesamten Land (1.366 Tote, 2.446 Verletzte), was einem Rückgang von 27 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2018 entspricht (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 20). Auch wenn insbesondere für das 3. Quartal (UNAMA Report vom 17. Oktober 2019) ein Anstieg der Opferzahlen zu beklagen war, ist jedenfalls in der Jahresbilanz eine hier beachtliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse nicht gegeben (Opferzahlen gesamt für 2018 (drei Quartale) 8.240 zu 8239 für das Jahr 2019; für Kabul Provinz 1.491 Betroffene). Hinsichtlich der wirtschaftlichen Situation gilt das unter 2. cc) Ausgeführte entsprechend.

2. Dem Kläger kommt kein Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG zu. Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.

a) Dass dem Kläger die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG droht, macht er schon nicht hinreichend substantiiert glaubhaft.

b) Es ist auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger Folter oder Bestrafung oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht. Eine Schlechtbehandlung oder Bestrafung im Sinne dieser Vorschrift kann vorliegen bei Maßnahmen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychologische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. VG München, Urteil vom 20. April 2017 - M 17 K 16.35674 - m.w.N., zitiert nach juris).

Soweit sich der Kläger in diesem Zusammenhang auf eine etwaige Verfolgung durch die Taliban beruft, ist auf die Erwägungen zu 1. zu verweisen, auch hinsichtlich einer etwaigen internen Fluchtalternative.

c) Soweit die allgemeine humanitäre Lage in Afghanistan eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung darstellen kann, fehlt es schon an dem erforderlichen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur.

d) Es ist auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger eine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG droht.

aa) Bei der Prüfung einer solchen Bedrohung ist Bezugspunkt für die Gefahrenprognose (bei einem nicht landesweiten Konflikt) der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urteile vom 31. Januar 2013, a.a.O., Rn. 13, vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 16 und vom 14. Juli 2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17), wobei aber auch hier nach § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e (interner Schutz) zur Anwendung gelangt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist selbst ein Risiko von 1:800 noch weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden (Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 17. November 2011 – 10 C 13/10 – juris, Rn. 22-23). Die Anzahl der zivilen Opfer in Afghanistan im gesamten Jahr 2018 entspricht nach dem UNAMA-Bericht vom 24. Februar 2019 mit 10.993 zivilen Opfern bei einer Einwohnerzahl von 27 Millionen Menschen einem schädigungsbedingten Risiko von 1:2456. In der Provinz B..., deren Hauptstadt Mazar-e Sharif ist, lag das schädigungsbedingte Risiko im Jahr 2017 bei 1:10715 (für Kabul; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil v. 8. November 2018 – 13a B 17.31918 – juris, Rn.; 24 für Afghanistan insgesamt und Nangarhar; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss v. 25. Februar 2019 – 13a ZB 18.32203 – juris, Rn. 6 für Afghanistan unter Berücksichtigung des aktuellsten UNAMA-Reports vom 24. Februar 2019; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 26. Februar 2019 – 13 A 3992/18.A – juris; für Afghanistan insgesamt und Kabul; Verwaltungsgericht Trier, Urteil v. 12. Dezember 2018 – 9 K 11867/17.TR – juris, Rn. 29 für Herat; Verwaltungsgericht Greifswald, Urteil v. 7. Januar 2019 – 3 A 1194-17 As HGW – juris, Rn. 22 für die Provinz B... einschließlich Mazar-e Sharif; Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil v. 29. Januar 2019 – 9 LB 93/18 – juris, Leitsatz Nr. 3b und Rn. 55; Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil v. 13. Februar 2019 – W 1 K 18.31857 – juris, Rn. 55 für Mazar-e Sharif und Herat; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 14. März 2019 – 13 A 2600/18.A – juris, für Afghanistan insgesamt und Kabul).

bb) Die Kammer lässt ausdrücklich offen, ob bezogen auf die Provinz N... und enger auf seinen Herkunftsdistrikt H..., aus dem der Kläger stammt, eine Gefahrenlage gegeben ist, die eine ernsthafte und individuelle Bedrohung des Klägers nach sich zöge (dies verneinend: VG München, Urteil vom 27. März 2019 - M 26 K 17.40450 – zitiert nach juris). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.545.448 geschätzt (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt, a. a. O., S. 91). Im Zeitraum 1. September 2015 – 31. Mai 2016 wurden in der Provinz N... 1.901 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO aus dem Jahr 2016). Seit dem Auftreten des Islamischen Staates in der bergreichen Provinz N... kommt es vermehrt zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräfte und IS-Aufständischen. Die Aktivitäten des Islamischen Staates in der Provinz sind auf einige Gebiete in N... beschränkt. Berichten zufolge sind dies insbesondere die Distrikte A..., K..., H..., sowie andere abgelegene Distrikte in N... . In der Provinz werden regelmäßig Luftangriffe gegen den Islamischen Staat durchgeführt. Auch werden regelmäßig militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien; getötet wurden dabei hochrangige Führer des IS, aber auch Anführer der Taliban. In manchen Teilen der Provinz hat sich die Sicherheitslage aufgrund von militärischen Operationen verbessert. Einem hochrangigen Beamten zufolge, werden die afghanischen Sicherheitskräfte weiterhin Druck auf Sympathisanten des IS in Ostafghanistan ausüben, um zu verhindern, dass diese sich in den Distrikten N... oder anderen Provinzen ausweiten. In dieser Provinz sind im Jahr 2018 von der UNAMA 1815 Opfer willkürlicher Gewalt gezählt worden (eine Steigerung um 111 % (UNAMA, Afghanistan, Protection of Civilians in Armed Conflict, Annual Report 2018, Anlage I). Das entspricht einem Opferrisiko von 1: 880 pro Jahr (wobei die Einwohnerzahl der Provinz stetig steigt und jetzt mit 1.864.582 Personen angegeben wird und zur Berechnung hier ein Wert von 1.600.000 zugrunde gelegt wurde). Auch wenn die Opferzahlen sich leicht verringert haben - nach Sigar - Report to the United States Congress – October 2019, S. 75 - wurden in der Zeit vom Januar – September 2019 für die Provinz 762 betroffene Personen erfasst (auf das Jahr hochgerechnet: Risiko 1: 1.835). Freilich ist hier zu beachten, dass die Heimatregion (H... ) durch die Taliban beherrscht wird (EASO, Afghanistan Security Situation June 2019, S. 216) und der Kläger als vormaliges Mitglied der Armee ein besonderes Gefährdungspotential aufweist. Zudem wird die Provinz als für die Zivilisten mit als die Gefährlichste angesehen (vgl Sigar, a.a.O., S.74). Ob eine andere allein auf Jalalabad bezogene Betrachtung eine andere Sicht der Dinge rechtfertigt, kann gleichermaßen offen bleiben.

cc) Der Kläger ist auch hier auf eine inländische Fluchtalternative zu verweisen. Hinsichtlich der Gefahrenlage bezogen auf den innerstaatlichen Konflikt ist auf die Erwägungen zu 1. zu verweisen.

Für den Kläger besteht im Falle der Rückkehr auch keine extreme Gefahrenlage in dem Sinne, dass der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert würde (EGMR, z.B. Urteile v. 11. Juli 2017 – Nr. 46051/13, S. M. A. ./. Niederlande –, Rn. 53; – Nr. 41509/12, Soleimankheel u.a. ./. Niederlande –, Rn. 51; v. 9. April 2013 – Nr. 70073/10 und 44539/11, H. und B. ./. Vereinigtes Königreich –, Rn. 92f; EASO Country Guidance: Guidance note and common analysis, Juni 2018, S. 106-107; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil v. 11. April 2018 – A 11 S 924/17 – juris; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil v. 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 – juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil v. 8. November 2018 – 13a B 17.31918 – juris; Verwaltungsgericht Trier, Urteil v. 12. Dezember 2018 – 9 K 11867/17.TR – juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss v. 21. Dezember 2018 – 13a 17.31203 – juris; Verwaltungsgericht Greifswald, Urteil v. 7. Januar 2019 – 3 A 1194/17 As HGW – juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss v. 11. Januar 2019 – 13a ZB 18.32929 – juris; Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil v. 29. Januar 2019 – 9 LB 93/18 – juris; Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil v. 13. Februar 2019 – W 1 K 18.31857 – juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss v. 25. Februar 2019 – 13a ZB 18.32203 – juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 26. Februar 2019 – 13 A 3992/18.A - juris; Verwaltungsgericht Trier, Urteil v. 5. März 2019 – 8 K 828/17.A – juris; Verwaltungsgericht Braunschweig, Urteil v. 7. März 2019 – 1 A 928/17 – juris; Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 18. Juni 2019 – 13 A 3741/18.A – UA; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil v. 26. Juni 2019 – A 11 S 2108/18 - juris; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil v. 23. August 2019 – 7 A 2750/15.A – juris, vom 27. September 2019 – 7 A 1637/14.A –juris).

Afghanistan, das etwa 27 Millionen Einwohner hat, von denen 47,3 Prozent unter 15 Jahre und 60 Prozent unter 25 Jahre alt sind, ist eines der ärmsten Länder der Welt. Im Human Development Index belegte es im Jahr 2018 Platz 168 von 189 (UN Development Programme, Human Development Indices and Indicators, 2018 Statistical Update). Dennoch haben sich für viele Afghanen die Lebensbedingungen in absoluten Zahlen über die letzten 15 Jahre deutlich verbessert. Seit 2002 erzielte Afghanistan wichtige Fortschritte beim Aufbau seiner Wirtschaft, bleibt aber weiterhin arm und abhängig von Hilfeleistungen. Die Armutsrate sank auf nationaler Ebene und konnte im Norden und Westen des Landes reduziert werden, während sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße stieg. Die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten haben dazu geführt, dass dort ca. eine Million oder fast ein Drittel aller Kinder als akut unterernährt gelten. Der Dienstleistungs- und Industriesektor wuchs in 2017 um 3,4 bzw. 1,8 Prozent, während der Agrarsektor aufgrund ungünstiger klimatischer Bedingungen zurückging. Ungefähr drei Viertel der Bevölkerung lebt in ländlichen und ungefähr ein Viertel in städtischen Gebieten. Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft die Haupteinnahmequelle. Mindestens 39 Prozent der Bevölkerung des Landes leben unterhalb der Armutsgrenze. Aktuell gelten über 40 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80 Prozent davon sind unsichere Stellen. Generell sind für sämtliche Lebensbereiche (Unterkunft, Arbeit usw.) Netzwerke erforderlich, ohne die eine „Wiedereingliederung“ in die afghanische Gesellschaft jedenfalls erheblich erschwert ist. Zur Erlangung eines der wenigen vorhandenen Arbeitsplätze sind nicht schulische oder berufliche Ausbildung, Qualifikation oder Erfahrung ausschlaggebend, sondern Beziehungen. Dies gilt für den gesamten Arbeitsmarkt einschließlich des Staatsdienstes. Eine staatliche Arbeitsvermittlung oder gar eine Arbeitslosenunterstützung nach westlichen Vorstellungen existiert nicht. Die Wohnkosten in den Städten sind allgemein im Verhältnis zum Einkommen hoch. Bei der Wohnungssuche benötigt man außergewöhnliche finanzielle Ressourcen, um eine Chance auf eine winterfeste Unterkunft zu haben, aber auch soziale Netzwerke. Es gibt keine NGOs oder öffentliche Organisationen, die bei der Wohnungssuche unterstützen. Immobilienmakler bieten einen entsprechenden Service im Austausch für eine Monatsmiete von Mieter und Vermieter an. Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte fehlt es oft an grundlegender Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport. Ein Anteil von schätzungsweise 45 Prozent der Bevölkerung hat keinen Zugang zu Trinkwasser. Verschärft werden die humanitäre Lage und die Versorgungsprobleme durch eine große Anzahl Binnenvertriebener (2016 ca. 650.000, 2017 ca. 501.000) sowie durch Rückkehrer aus Pakistan und Iran (2016 ca. eine Million, 2017 ca. 610.000, 2018 ca. 530.000). Seit 2002 sind laut UNHCR ca. 5,8 Millionen afghanischer Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückgekehrt, vor allem aus Pakistan und Iran. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind 2019 bis zum 6. Juni etwa 100.000 Personen aus dem Iran freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt, etwa 128.000 wurden zurückgeführt (Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 22). Wegen dieses erheblichen Zustroms ist Wohnraum knapp, so dass etwa drei Viertel der Menschen in Slums leben (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Afghanistan vom 29. Juni 2018 mit letzten Kurzinformationen vom 22. August 2018).
Andererseits können (freiwillige) Rückkehrer von Unterstützungsmaßnahmen profitieren, die der übrigen Bevölkerung nicht zugänglich sind. Die IOM bietet in Deutschland verschiedene Rückkehrhilfen an. Es gibt zwei Programme für Geldzahlungen bei freiwilliger Rückkehr (REAG/GARP/StarthilfePlus) – insgesamt 2.000 Euro. Auch von Seiten der afghanischen Regierung gibt es Unterstützung, so eine Arbeitsvermittlung, rechtlichen Beistand sowie bei Fragen von Grund und Boden und Obdach. Im März 2017 wurde ein von der EU gefördertes Programm in Höhe von 18 Millionen Euro gestartet. Weiter bieten nichtstaatliche Organisationen Unterstützung für freiwillige und abgeschobene Rückkehrer an, so IPSO (International Psychosocial Organisation) und AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation), u.a. kostenlose psychosoziale Unterstützungsangebote, Programme zur Alphabetisierung, Weiterbildung und Existenzgründung vor Ort sowie die Möglichkeit einer Unterkunft für mehr als zwei Wochen. Von 2012 bis Ende 2018 sind laut IOM 3,2 Millionen Afghanen aus dem Ausland nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Rahmen seines freiwilligen Rückkehrprogramms hat UNHCR im Zeitraum 2002 bis 2018 über 5,26 Millionen Menschen bei der Rückkehr nach Afghanistan assistiert. Somit hat eine große Zahl der afghanischen Bevölkerung einen Flucht- und Migrationshintergrund (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., Seite 29; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Afghanistan vom 29. Juni 2018 mit letzten Kurzinformationen vom 22. August 2018, Seite 333 ff).
Die Unterkunftsmöglichkeit im S... in Kabul-Stadt besteht zwar seit April 2019 nicht mehr. Nach vom Bundesamt wiedergegebenen Informationen des Europäischen Auswärtigen Dienstes wurde das Angebot lediglich von einer geringen Anzahl von Zurückgeführten in Anspruch genommen. Stattdessen können Zurückgeführte nun eine Barzahlung von umgerechnet 150,00 EUR und Informationen über Hotels und Unterkünfte erhalten (vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 18. Juni 2019 – 13 A 3741/18.A – UA Seite 53 m.w.N.).
Für die hier relevante Personengruppe alleinstehender arbeitsfähiger junger Männer fehlt es an zuverlässigen Anhaltspunkten dazu, dass ihnen die Existenzsicherung oder gar das Überleben generell nicht möglich wären. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass seit dem Jahr 2003 mit Unterstützung der IOM insgesamt 15.041 Personen aus verschiedenen Ländern Europas, darunter aus dem Vereinigten Königreich, Norwegen, Niederlande, Deutschland, Schweden, Dänemark, Frankreich, Belgien und Österreich, freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt sind. Allein im Jahr 2016 unterstützte die IOM 6.864 Personen bei ihrer Rückkehr aus Europa nach Afghanistan, davon über 3.000 Personen aus Deutschland. Die meisten dieser Rückkehrer, 78 Prozent bzw. 5.382 Personen, waren dabei junge Männer, von denen wiederum ein erheblicher Anteil zwischen 19 und 26 Jahre alt war, nämlich 2.781 Personen. Bei weiteren 2.101 Personen handelte es sich um Jugendliche mit bis zu 18 Jahren. Die Zahl der zurückgekehrten Familien wird mit 733 angegeben (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil v. 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 – juris, Rn. 400-401 m.w.N.). Bis Juli 2017 kehrten nach Angaben der IOM aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Afghanistan vom 29. Juni 2018 mit letzten Kurzinformationen vom 22. August 2018, Seite 331).
Neben diesen zahlreichen freiwilligen Rückkehrern gab und gibt es Abschiebungen aus Europa. So wurden im Zeitraum zwischen Oktober 2016 und April 2017 insgesamt 176 Personen aus Europa nach Afghanistan abgeschoben, darunter 106 aus Deutschland, von denen wiederum einige keine Verwandten in Kabul oder teilweise auch im gesamten Land hatten. Vom 31. Mai 2017 bis zum 23. Januar 2018 wurden 68 weitere Personen aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben, von Ende Dezember 2016 bis einschließlich September 2018 insgesamt 366 Personen (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil v. 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 – juris, Rn. 402-406 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Nach aktuellen Erkenntnissen wurden seit der ersten Abschiebung aus Deutschland im Dezember 2016 insgesamt 756 Männer in 29 Flügen von deutschen Behörden zurück nach Afghanistan geschickt. Zuletzt erfolgte am 7. November 2019 eine Sammelabschiebung von 36 Männern nach Kabul (www.stern.de, Abruf v. 7. November 2019: „Abschiebeflug aus Deutschland in Kabul eingetroffen“). Den umfangreichen Erkenntnismitteln zu Afghanistan sind keine Informationen zu entnehmen, aus denen geschlossen werden könnte, dass allein der Umstand einer Rückkehr aus dem westlichen Ausland bei fehlenden Netzwerken vor Ort einer Existenzsicherung in Afghanistan wenn auch nur auf niedriger Stufe entgegenstände. Zwar gibt es vereinzelte Rückkehrberichte über Probleme insbesondere bei der Suche nach Unterkünften und Arbeit. Erfahrungsberichte oder Schilderungen dahingehend, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer ohne Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände sogar verstorben wären, liegen hingegen nicht vor (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil v. 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 – juris, Rn. 407).
Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Auch EASO berichtet hierzu von unbestätigten Einzelfällen. EASO liegen aber einzelne Berichte über versuchte Entführungen aufgrund der Vermutung, der Rückkehrer sei im Ausland zu Vermögen gekommen, vor (Auswärtiges Amt, a.a.O., Seite 31).
Die Problematik fehlender Netzwerke bzw. dass es für viele Afghanen schlechterdings nicht vorstellbar sei, ohne Zugehörigkeit zu sozialen Netzwerken zu überleben, durchzieht die vorliegenden Erkenntnismittel und Erfahrungsberichte derjenigen, die in letzter Zeit Einzelschicksale von Rückkehrern in Afghanistan untersucht bzw. entsprechende Versuche unternommen haben. Derartige Aussagen beantworten aber nicht die Frage, wie es um die Überlebenssicherung von alleinstehenden Rückkehrern steht, wenn diese trotz der fehlenden Vorstellbarkeit des Alleinstehens in größerer Zahl in Afghanistan erscheinen, wie es bereits in den letzten Jahren der Fall war und auch weiterhin der Fall ist. Eine tatsächliche Gefahr der zeitnahen Verelendung im Fall der Rückkehr und damit ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK lässt sich auch weiterhin für diese Personen nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit belegen. Hinreichend gesicherte Erkenntnisse für eine solche Gefahr liegen nicht vor. Daher erscheint der Schluss logisch und nachvollziehbar, dass es Rückkehrern zumindest möglich sein muss, frühere Netzwerke wieder aufleben zu lassen oder neue zu etablieren (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil v. 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 – juris, Rn. 419-425). Gerade angesichts der großen Zahl von Rückkehrern aus Pakistan, Iran und Europa erscheint es schlüssig, dass diese zurückkehrenden jungen Männer untereinander eigene Netzwerke aufbauen und dadurch das Fehlen existierender Netzwerke wenigstens so weit kompensieren, dass sie jedenfalls am Rande des Existenzminimums ihr Dasein fristen können.
Soweit Friederike Stahlmann in ihrer jüngsten „Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen abgeschobener Afghanen“ (Asylmagazin 8-9/2019, Seite 276-285) 55 aus Deutschland zurückgekehrte Abgeschobene untersucht hat, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Bei den von ihr untersuchten 55 Personen handelt es sich statistisch gesehen im Verhältnis zu den 6.864 von der IOM unterstützten Rückkehrern aus Europa allein im Jahr 2016 bzw. angesichts von 41.803 Personen, die nach Angaben der IOM bis Juli 2017 aus Europa und der Türkei nach Afghanistan zurückgekehrt sind, um eine nicht signifikante Größe. Die Personenanzahl ist im Verhältnis zur Gesamtzahl der Rückkehrer zu klein, um den Schluss auf eine ausreichend reale, nicht auf bloßen Spekulationen oder Hypothesen beruhende Gefahr im Sinne des „sufficiently real risk“ zuzulassen.
Soweit in ihrer Studie Gewalterfahrungen allgemein oder in Form speziell gegen Rückkehrer gerichteter Gewalt beschrieben werden, ist nicht ersichtlich, dass die Schwelle der für § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG erforderlichen erheblichen individuellen Gefahr erreicht wäre. Beim Fehlen individueller gefahrerhöhender Umstände kann eine Individualisierung nur ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre, was ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt voraussetzt (Verwaltungsgericht München, Urteil v. 1. Juni 2017 – M 17 K 17.31283 – juris, Rn. 44 m.w.N.). Hiervon kann angesichts von 31 bzw. 28 von Stahlmann angeführten Betroffenen im Verhältnis zur hohen Anzahl der Rückkehrer aus Europa, der Türkei, dem Iran und Pakistan insgesamt nicht die Rede sein. Außerdem sind die näheren Umstände der Gewalterfahrungen nicht belegt. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass alle Rückkehrer die Gewalt allein aufgrund ihres Rückkehrerstatus – und nicht aus anderen Gründen, z.B. aufgrund von allgemeiner Kriminalität oder sogar wegen gefährlichen Vorverhaltens (bei einigen Abgeschobenen handelte es sich um Straftäter) – erfahren haben.
Soweit Friederike Stahlmann in der Studie allgemeine Probleme bei der Wohnungs- und Arbeitsuche geltend macht, ist ebenfalls unter Einbeziehung der sonstigen Erkenntnisse nicht ersichtlich, dass die Existenzsicherung für Rückkehrer flächendeckend unmöglich wäre. Vielmehr ist kritisch zu hinterfragen, ob die von ihr kontaktierten Rückkehrer aus Deutschland überhaupt ernsthafte Eingliederungsversuche in Afghanistan unternommen haben. Es gibt Hinweise, dass aus Deutschland Abgeschobene in aller Regel sofort versuchen, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Von den 55 Befragten erklärte lediglich einer, in Afghanistan bleiben zu wollen (vgl. www.fr.de, Abruf v. 7. November 2019: „Fast alle Abgeschobenen wollen zurück nach Deutschland“).
Auch wird aus der Untersuchung der 55 Betroffenen nicht deutlich, an welchem Ort sich diese zu welchem Zeitpunkt aufgehalten und unter welchen Umständen sich die berichteten Erfahrungen ereignet haben. Da sich die Untersuchung auf solche Personen bezieht, die zwischen Dezember 2016 und April 2019 aus Deutschland abgeschoben wurden, kann aus 55 Vorfällen innerhalb von mehr als zwei Jahren an unbekannten Orten und unter nicht näher bekannten Umständen kein belastbarer Schluss auf flächendeckende schwere Gewalt oder existenzbedrohende Versorgungsprobleme in Kabul-Stadt, Herat und Mazar-e Sharif geschlossen werden.
Zudem bestehen Anhaltspunkte dafür, dass Betroffene teilweise doch auf ein Netzwerk von Freunden oder Verwandten zurückgreifen können, auch wenn sie im Asylverfahren behaupten, keinen Kontakt mehr in die Heimat zu haben. Interviews mit Familien, die in Afghanistan verblieben sind, ergaben, dass viele Migranten, besonders Minderjährige, dahingehend beraten würden zu behaupten, dass sie keine lebenden Verwandten mehr hätten oder jeglichen Kontakt verloren hätten. Afghanistan ist jedoch ein Migrationsland. Von je her wurden alleinstehende junge Männer von ihren Familien ins Ausland geschickt, um ihre Familien finanziell zu unterstützen. 25 Prozent aller Afghanen sollen im Ausland leben. Es ist traditionell die Pflicht eines Afghanen, der Großfamilie zu helfen. Jährlich fließen große Geldsummen vom westlichen Ausland nach Afghanistan, um die dort gebliebenen Familienmitglieder zu unterstützen. Im Jahr 2015 wurden mehr als 300 Mio US$ an Empfänger in Afghanistan überwiesen. 15 Prozent der Haushalte in ländlichen Gebieten erhielten Mittel aus dem Ausland, die 20 Prozent der Tagesausgaben der Familien abdeckten. Die Kontakte zur Familie werden durch Nutzung des Internet und von Smartphones erleichtert. Dies spricht dafür, dass ausgewanderte Afghanen in vielen Fällen vom Ausland aus Kontakt zu ihren Familien halten, schon um die finanziellen Transaktionen durchzuführen (vgl. Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil v. 29. Januar 2019 – 9 LB 93/18 – juris, Rn. 103 m.w.N.).
Die Hauptstadt Kabul ist die wirtschaftlich bedeutendste und fortschrittlichste Stadt Afghanistans. Trotzdem sind nach offiziellen Angaben ca. 80 Prozent der Einwohner direkt oder indirekt in der Landwirtschaft tätig, 15 Prozent im Dienstleistungssektor und fünf Prozent in der Industrie. Obwohl sowohl afghanische Regierungsbehörden als auch viele große Firmen ihren Sitz in Kabul haben, ist die Arbeitslosigkeit in der Hauptstadt sehr hoch (Amnesty International, Auskunft an das Verwaltungsgericht Wiesbaden v. 5. Februar 2018, Seite 55). In Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Menschen aus unsicheren Provinzen kommen auf der Suche nach Sicherheit und Jobs nach Kabul, wo etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen existieren, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer und Binnenvertriebene wohnen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Afghanistan vom 29. Juni 2018 mit letzten Kurzinformationen vom 22. August 2018, Seite 49-50). Kabul-Stadt ist daher Ziel von Flüchtlingen und nicht umgekehrt ein Ort, aus dem Fluchtbewegungen in andere Regionen in nennenswerter Anzahl festzustellen wären.
Im Januar 2017 wurde berichtet, dass geschätzte 70 Prozent der Bewohner von Kabul in informellen Siedlungen leben und dass etwas mehr als die Hälfte dieser Haushalte in den informellen Siedlungen mit ungesicherter Nahrungsmittelversorgung konfrontiert waren (UNHCR, Leitfaden zur Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan, November 2018, Seite 7). Es gibt in den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln aber keine Hinweise darauf, dass Flüchtlingen bzw. Rückkehrern in Kabul das Überleben generell, unabhängig von ihren individuellen Eigenschaften und Lebensumständen, unmöglich wäre.
In Kabul gibt es lokale Treffpunkte in bestimmten Stadtteilen für Menschen, die Arbeit suchen. Arbeitsuchende und „Arbeitgeber“ treffen dort früh am Morgen Vereinbarungen für Tagesarbeiten oder Arbeiten von kurzer Dauer, in der Regel unqualifizierte Handarbeit, es kann aber auch qualifiziertere Arbeit geben. Nach einem kurzen Gespräch und einer kurzen Einschätzung entscheidet der „Arbeitgeber“, wer eingestellt wird, wobei nicht jeder Arbeit bekommt. Das Gehalt beträgt etwa 300 Afghani (ca. 4,3 US$) für ungelernte Arbeitskräfte, während Fachkräfte bis zu 1.000 Afghani (ca. 14,5 US$) pro Tag verdienen können. Demnach gibt es Orte in Kabul, wo Arbeit, wenn auch nur unterwertige und tagesweise, unabhängig von bestehenden Netzwerken vermittelt wird (vgl. Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil v. 29. Januar 2019 – 9 LB 93/18 – juris, Rn. 106 m.w.N.).
In Mazar-e Sharif in der Provinz B... (auch: B... ) befindet sich ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt der Region Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Dagegen ist die Infrastruktur noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region, da viele Straßen in schlechtem Zustand sind (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt Afghanistan vom 29. Juni 2018 mit letzten Kurzinformationen vom 22. August 2018, Seite 68 f; vgl. zur Lage in Mazar-e Sharif auch Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil v. 29. Januar 2019 – 9 LB 93/18 – juris, Rn. 166 ff. m.w.N.).
Auch nach dem EASO-Bericht vom 1. Juni 2018 stehen in den Großstädten Kabul und Mazar-e Sharif Unterkünfte und Nahrung grundsätzlich zur Verfügung, sofern der Lebensunterhalt gewährleistet ist. In Kabul, so der EASO-Bericht, ist der Zugang zu Trinkwasser oft eine Herausforderung, aber in Mazar-e Sharif haben die meisten Menschen besseren Zugang zu Wasserquellen sowie sanitären Anlagen. In Kabul und Mazar-e Sharif sind auch Einrichtungen zur Gesundheitsversorgung vorhanden, wenn auch überlastet. Es besteht eine hohe Arbeitslosenquote, insbesondere bei städtischen Jugendlichen. Städtische Armut ist verbreitet und steigt an. Es hängt vom Zugang zu einem unterstützenden Netzwerk und von den finanziellen Mitteln ab, wie eine Person mit diesen Umständen zurechtkommt (vgl. EASO, Country Guidance: Afghanistan, June 2018, S. 104 ff).
Der UNHCR geht in seinen aktualisierten Richtlinien vom 30. August 2018 weiterhin davon aus, dass alleinstehenden leistungsfähigen afghanischen Männern sowie verheirateten Paaren im erwerbsfähigen Alter die Rückkehr in Gebiete, die unter der Kontrolle des Staates stehen, in der Regel zumutbar ist. Soweit der UNHCR hiervon nunmehr Kabul ausdrücklich ausnimmt, geschieht dies aufgrund seiner Bewertung aufgrund der von ihm selbst angelegten Maßstäbe, die sich von den gesetzlichen Anforderungen und der höchstrichterlichen Rechtsprechung unterscheiden können (vgl. zu allem: Verwaltungsgericht Cottbus, Urteil vom 06. November 2019 – VG 1 K 179/18.A; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil v. 8. November 2018 – 13a B 17.31918 – juris, Rn. 34).
Für den Kläger gilt vorliegend, dass er auf eine Großfamilie zurückgreifen kann, da seine Frau und die Kinder sowie seine verheiratete Mutter aber auch sein Bruder sich noch in Afghanistan aufhalten. Auch ist die Familie mit Grundbesitz ausgestattet, der - wie bereits ausgeführt – eine wirtschaftliche Existenzgrundlage bietet. Die Ländereien werden von Dritten bewirtschaftet und werfen offensichtlich das Auskommen der in Afghanistan weiterhin ansässigen Familie sichernde Erträge ab. Der Kläger kann – sofern erforderlich - zudem sicher und legal nach Mazar-e Sharif oder Herat gelangen, die auf dem Luftweg direkt bzw. über Kabul erreichbar sind. Die Fahrten jeweils vom Flughafen in die Stadt sind tagsüber generell als sicher zu betrachten (Auswärtiges Amt, a.a.O., Seite 22 und 31-32; EASO, Country Guidance: Afghanistan, June 2018, Seite 102). Auch sonst gibt es für den nach eigenen Angaben mittlerweile 34-jährigen Kläger keine greifbaren Anhaltspunkte, weshalb er nicht in der Lage wäre, das erforderliche Existenzminimum in Kabul-Stadt oder in einer anderen Großstadt/Provinzhauptstadt zu erwirtschaften. Er war zwar – soweit ersichtlich – bisher nicht wirtschaftlich tätig, kann aber auf einen gewissen Bildungsgrad verweisen und hat sich in Deutschland Kenntnisse im Dienstleistungsgewerbe angeeignet. Von dem Kläger kann auch erwartet werden, dass er sich vernünftigerweise in den genannten Orten niederlässt. Dies gilt auch unter gesonderter Betrachtung seiner familiären Verbindung. Im vorliegenden Fall hat der Kläger selbst in Afghanistan einen Dienstort innegehabt, der ein dauerndes Zusammenleben mit der Familie nicht ermöglichte. Er hat - obwohl es ihm möglich war – die Familie nicht zu seinem Dienstort geholt bzw. hat die Familie dort nicht Wohnung genommen. Die Kernfamilie befindet sich gegenwärtig in der Obhut anderer Familienmitglieder. Dies rechtfertigt die Annahme, dass - jedenfalls für eine gewisse Zeit – es für ihn zumutbar ist, eine wirtschaftliche Existenz – getrennt von der Familie - aufzubauen.
Selbst wenn wegen der familiären Bindungen in Afghanistan eine weitergehende Betrachtung geboten sein sollte (die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 04. Juli 2019 – 1 C 45/18 – zitiert nach juris – betrifft freilich nur eine im Bundesgebiet in familiärer Lebensgemeinschaft lebende Kernfamilie), führt auch dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Wie bereits ausgeführt, kann dem Kläger mit seiner Familie ohne weiteres angesonnen werden, in eine andere Provinz zu gehen, wobei sich hier insbesondere P... anbietet, Sowohl B... aber auch die Hauptstadt Charikar liegen in der Hand der Regierung. Der Kläger hat selbst angemerkt, dass Wohnraum vorhanden sei. Er dürfte sich mit Blick auf seine dreijährige Armeezeit dort jedenfalls orientieren und die Möglichkeiten für eine Arbeitsaufnahme sicher ausloten können. Im Umfeld der dort vorhandenen militärischen Einheiten dürften auch Beschäftigungsmöglichkeiten vorhanden sein, auch – soweit erforderlich - solche bei denen der Kläger sein Vorwissen einbringen kann. Im Übrigen ist auch hier auf die Unterstützungsleistungen für Rückkehrer - wie oben ausgeführt – sowie auf die verlässlichen Einnahmen aus den eigenen Ländereien zu verweisen.
4. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots.
a) In Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kommt insoweit nur eine allgemeine Gefahr aufgrund der schlechten Versorgungslage in Afghanistan in Betracht. Insoweit wird auf die Erwägungen im angegriffenen Bescheid und die obigen Ausführungen zu 3. verwiesen.
b) Ein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 AufenthG scheidet für den Kläger ebenfalls aus. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine Abschiebestopp-Anordnung besteht jedoch für die hier in Rede stehende Personengruppe nicht. Nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies kann aus individuellen Gründen der Fall sein, kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht. Eine solche Ausnahme können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage darstellen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahr ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit in dem Sinn drohen, dass er im Fall der Abschiebung sozusagen sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wäre. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren, wenn also z.B. der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre.
Von diesem Maßstab ausgehend bietet § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz als § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK. Liegen also die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante extreme Gefahrenlage aus (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil v. 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 – juris, Rn. 453). Die fraglos schlechten Lebensverhältnisse in Afghanistan begründen wie oben dargestellt bereits keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK und erfüllen damit erst recht nicht die höheren Voraussetzungen der extremen Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen.

5. Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 AsylG, § 59 AufenthG. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.

Hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde seitens des Klägers substantiiert nichts vorgetragen, auch sind für das Gericht keine Gründe dafür ersichtlich, dass die im Bescheid aufgenommene Frist von 30 Monate ermessensfehlerhaft sein könnte.

6. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.