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Verzugsschadensersatz - Verzugszinsen - verspätete Zahlungen - ambulant erbrachte Hilfe zur Pflege - Schuldbeitritt - sozialhilferechtliches Dreiecksverhältnis


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 23. Senat Entscheidungsdatum 21.03.2013
Aktenzeichen L 23 SO 247/12 B ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 17a Abs 2 GVG, § 17a Abs 4 S 3 GVG, § 51 Abs 1 Nr 6a SGG, Kap 7 SGB 12

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. September 2012 aufgehoben.

Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist zulässig.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Beschwerde an das Bundessozialgericht wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger ist für die Pflegekassen und den Beklagten als Leistungserbringer nach Maßgabe des Rahmenvertrages gemäß § 75 Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch Elftes Buch — SGB XI — zur ambulanten pflegerischen Versorgung vom 15. November 2006 sowie der Vereinbarung nach § 93 Abs. 2 BSHG vom 04. Oktober1996 zwischen dem Kläger und dem Beklagten, deren Weitergeltung (entsprechend §§ 75 Abs. 2 Satz 1, 79 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch SGB XII) vereinbart worden ist, tätig.

Der Beklagte bewilligte dem Hilfeempfänger B mit Bescheid vom 6. Juni 2011 ambulante Leistungen der Hilfe zur Pflege für die Zeit vom 17. Juni 2009 bis zum 30. Juni 2011. Der Kläger hatte zuvor bereits die entsprechenden Leistungen für diesen Zeitraum erbracht. Der Kläger übersandte dem Beklagten Rechnungen für die in der Zeit von September bis Dezember 2009 erbrachten Leistungen mit Datum vom 20. Juni 2011, in denen er um Zahlung innerhalb von 14 Tagen ohne Abzug bat. Da der Beklagte die Rechnungen nicht beglich, mahnte der Kläger ihn mit Schreiben vom 27. Juli 2011 und mit weiterem anwaltlichen Schriftsatz vom 29. August 2011. Die Hauptforderung ging beim Kläger am 5. September 2011 ohne die geltend gemachten Verzugszinsen ein.

Mit Schreiben vom 13. September 2011 forderte der Kläger den Beklagten auf, binnen zwei Wochen die Kosten für die Beauftragung seines Rechtsanwaltes in Höhe von 359,50 Euro zu übernehmen sowie Verzugszinsen in Höhe von 34,50 Euro zu zahlen. Nach mehrmaligem Schriftwechsel lehnte der Beklagte die Zahlung der geltend gemachten Forderung endgültig ab.

Hiergegen hat der Kläger Klage zum SG Berlin erhoben, mit der er die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines Betrages von 400.- Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 359,50 Euro seit dem 17. November 2011 begehrt.

Das SG Berlin hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 17. September 2012 an das Amtsgericht Schöneberg verwiesen. Für die geltend gemachte Forderung sei der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht eröffnet. Vielmehr gehöre der Rechtsstreit in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit, weil es sich um eine privatrechtliche Streitigkeit handele, die nicht in den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung oder Pflegeversicherung falle.

Dies ergebe sich aus der Ausgestaltung des Leistungserbringungsverhältnisses in Form des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses bei der Gewährung stationärer als auch ambulanter Leistungen. Der Hilfeempfänger schließe mit dem Leistungserbringer einen privatrechtlichen Vertrag über die Leistungserbringung. Gleichzeitig trete der Sozialhilfeträger der Schuld des Hilfeempfängers gegenüber dem Leistungserbringer bei. Durch den Schuldbeitritt in Form der kumulativen Schuldübernahme trete der Sozialhilfeträger als Gesamtschuldner in Höhe der bewilligten Leistungen an die Seite des Sozialhilfeempfängers. Da sich aufgrund des Schuldbeitritts nicht die Rechtsnatur des Anspruches zwischen dem Hilfeempfänger und dem Leistungserbringer ändere, sei auch dieser direkte Anspruch des Leistungserbringers - hier des Klägers - gegen den Sozialhilfeträger — hier Beklagter - privatrechtlicher Natur.

Der Kläger hat gegen den ihm am 1. Oktober 2012 zugestellten Beschluss am 5. Oktober 2012 Beschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, dass Rechtsgrundlage für den Schuldbeitritt des Beklagten die zwischen dem Beklagten und dem Kläger abgeschlossenen öffentlich-rechtlichen Verträge und der gegenüber dem Hilfeempfänger ergangene Bewilligungsbescheid sei, mithin sozialrechtliche Normen, so dass der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben sei.

Der Beklagte hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Das Verhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten sei ein privatrechtliches, dementsprechend sei die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung geworden sind.

II.

Die nach § 17a Abs. 2, Abs. 4 Satz 3 GVG statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 17. September 2012 (Verweisung an das Amtsgericht Schöneberg) hat Erfolg.

Für die vorliegende Streitigkeit ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet.

Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden nach § 51 Abs 1 Nr. 6a SGG über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten (u.a.) in Angelegenheiten der Sozialhilfe. Nach § 13 GVG (i.d.F. durch das FGG-Reformgesetz vom 17.12.2008, BGBl I 2586, m.W.v. 1.9.2009) gehören vor die ordentlichen Gerichte die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die Familiensachen und die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Zivilsachen) sowie die Streitsachen, für die nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder aufgrund von Vorschriften des Bundesrechts besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind.

Ob ein Rechtstreit öffentlich-rechtlicher oder bürgerlichrechtlicher Natur ist, richtet sich, wenn eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung des Gesetzgebers fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Dieser Grundsatz bestimmt die Auslegung sowohl von § 13 GVG (Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten) als auch von § 51 Abs. 1 SGG (Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit). Öffentlich-rechtlich sind nicht nur Streitigkeiten, die aus einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung entstehen. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit kann auch auf einem Gleichordnungsverhältnis beruhen. Entscheidend ist die wahre Natur des Anspruchs, wie er sich nach dem klägerischen Sachvortrag darstellt, und nicht, ob dieser sich auf eine zivilrechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Anspruchsgrundlage beruft (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 10. Juli 1989 - Az: GmS-OGB 1/88 - veröffentlicht in: Juris). Von einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis ist daher dann auszugehen, wenn ein Träger öffentlicher Gewalt aufgrund eines ihm eingeräumten oder auferlegten Sonderrechts handelt (BSG vom 27. April 2010 - Az: B 8 SO 2/10 R - veröffentlicht in: Juris, m.w.N.).

Für die Rechtswegprüfung ist nicht erforderlich, dass sich die Streitigkeit als ausschließlich bürgerlich-rechtlich oder als ausschließlich öffentlich-rechtlich charakterisieren lässt. Für die Bejahung der Zulässigkeit des vom Kläger beschrittenen Rechtswegs reicht es vielmehr aus, wenn das Klagebegehren in einem Sachverhalt wurzelt, der jedenfalls kraft solcher Rechtsgrundlagen zu beurteilen ist, die in die (originäre) Rechtswegzuständigkeit des angerufenen Gerichts fallen. Trifft das zu, berührt es die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht, dass das Klagebegehren auch unter Berücksichtigung von Anspruchsgrundlagen, die zu einem anderen Rechtsgebiet gehören, zu prüfen ist, (vgl. § 17 Abs 2 Satz 1 GVG i.d.F. Durch das Vierte Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 17.12.1990 - 4. VwGO-ÄndG -, BGBl I 2803; hierzu u.a. BSG SozR 3-1500 § 51 Nr. 15; BVerwG NVwZ 1993, 358; BGHZ 121, 367; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 51 Rn. 40).

So liegt der Fall hier. Das vom Kläger geltend gemachte Klagebegehren (Nebenforderungen wegen verspäteter Übernahme der Kosten für die ambulante pflegerische Versorgung eines Sozialhilfeempfängers) wurzelt in einem Sachverhalt, der nach den Vorschriften des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu beurteilen ist, die in die (originäre) Rechtswegzuständigkeit des angerufenen Gerichts fallen.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erklärt der Sozialhilfeträger im Dreiecksverhältnis zwischen Hilfeempfänger, Sozialhilfeträger und Leistungserbringer mit der Übernahme der Kosten - hier für Pflegeleistungen - im Bewilligungsbescheid (hier Bescheid vom 6. Juni 2011) den Schuldbeitritt zur Zahlungsverpflichtung des Hilfebedürftigen gegenüber dem Leistungserbringer; "Übernahme" bedeutet in diesem Zusammenhang Schuldbeitritt durch Verwaltungsakt mit Drittwirkung vgl. grundsätzlich: BSG Urteile vom 02. Februar 2010 - B 8 SO 20/08 R – Juris - und vom 28. Oktober 2008 - B 8 SO 22/07 R - BSGE 102, 1 ffRn. 25 ff; vgl. bereits BVerwG, Urteilvom19. Mai 1994 - 5 C 33/91 - Juris .

Auch wenn es sich bei der zu Grunde liegenden Schuld des Hilfeempfängers, wie hier, gegenüber dem Leistungserbringer um eine zivilrechtliche Verpflichtung handelt, wurzelt die streitentscheidende (Vor-)frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Sozialhilfeträger der zivilrechtlichen Schuld des Hilfeempfängers beigetreten ist, im öffentlichen Recht.

Denn ein solcher Schuldbeitritt gilt nur für die Dauer der Hilfebedürftigkeit des Leistungsempfängers und wird zugleich durch den sozialhilferechtlich anzuerkennenden Umfang dieser Hilfebedürftigkeit der Höhe nach begrenzt. Diese Übernahmeerklärung des Sozialhilfeträgers steht deshalb von vornherein unter dem Vorbehalt, dass ein sozialhilferechtlicher Bedarf besteht (§ 9 Abs. 1 SGB XII), den der Hilfesuchende weder selbst noch mit Hilfe anderer decken kann (§ 2 Abs. 1 SGB XII). Der Sozialhilfeanspruch des Hilfesuchenden und die Selbstverpflichtung des Sozialhilfeträgers gegenüber dem Leistungserbringer stehen somit in einem untrennbaren rechtlichen Zusammenhang(ebenso SG Dortmund, Urteil vom 21. August 2012 – S 41 SO 583/11). Bereits das Bundesverwaltungsgericht hat für den Fall der vom Sozialhilfeträger gegenüber dem Vermieter erklärten Übernahme der Miete eines Hilfebedürftigen entschieden, dass diese Akzessorietät in aller Regel die Annahme rechtfertigt, dass der Sozialhilfeträger mit der (behaupteten) Selbstverpflichtung die Handlungsebene des öffentlichen Rechts nicht hat verlassen wollen und für seine Erklärung die Form eines öffentlich-rechtlichen, einseitigen oder vertraglichen Leistungsversprechens gewählt hat (BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1994 - 5 C 33/91 – Juris). Dies kann jedoch für die vorliegend zu entscheidende Frage der Rechtswegzuständigkeit dahin stehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der Kläger klagt nicht als Versicherter, Leistungsempfänger etc. im Sinne des § 183 SGG. In Verfahren über eine Rechtswegbeschwerde hat grundsätzlich eine Kostenentscheidung zu ergehen. Die Regelung des § 17b Abs. 2 GVG, wonach im Falle der Verweisung des Rechtstreits an ein anderes Gericht die im Verfahren vor dem angegangenen Gericht entstandenen Kosten als Teil der Kosten im Verfahren vor dem aufnehmenden Gericht behandelt werden und deshalb in dem Verweisungsbeschluss keine eigenständige Kostenentscheidung zu treffen ist, beschränkt sich auf die Kosten des ersten Rechtszugs. Sie findet - unabhängig vom Inhalt der Entscheidung - keine Anwendung auf das Beschwerdeverfahren bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs (vgl. BSG vom 01. April 2009 - Az: B 14 SF 1/08 R; BVerwG vom 18. Mai 2010 - Az: 1 B 1/10 - veröffentlicht in: Juris).

Die Verpflichtung des Beklagten, die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, ist darin begründet, dass er sich mit seiner Auffassung, die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit seien für den vorliegenden Rechtsstreit zuständig, nicht durchgesetzt hat (§ 154 Abs. 1 VwGO).

Der Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, da zum einen außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind und zum anderen für Beschwerden der vorliegenden Art Gerichtskosten nach Nr. 7504 der Anlage 1 zum GKG entweder gar nicht oder in Höhe einer Festgebühr anfallen (BVerwG vom 18. Mai 2010 - Az: 1 B 1/10 - veröffentlicht in: Juris; OVG Nordrhein-Westfalen vom 02. April 2009 - Az: 11 E 469/08 - veröffentlicht in: Juris).

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar. Die Voraussetzungen für die Zulassung der weiteren Beschwerde an das Bundessozialgericht liegen nicht vor (§ 17a Abs. 4 GVG).