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Ghetto - Transnistrien - Balta


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 8. Senat Entscheidungsdatum 19.05.2016
Aktenzeichen L 8 R 283/15 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 1 ZRBG

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung der Zeit von August 1941 bis Dezember 1943 als Zeit der Beschäftigung in einem Ghetto sowie von Ersatzzeiten.

Der 1912 in J (auch J oder J) im Landesteil Moldau, Rumänien, geborene Kläger lebt in Israel, dessen Staatsangehörigkeit er auch besitzt. Er wurde als Jude von den Nationalsozialisten verfolgt und ist als Verfolgter im Sinne des § 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt. In einer eidesstattlichen Erklärung gegenüber dem Bezirksamt für Wiedergutmachung Koblenz gab der Kläger am 30. April 1962 an, er habe als Jude in Rumänien unter den allgemeinen antijüdischen Verfolgungsmaßnahmen gelitten und habe von Juli 1941 bis zum 23. August 1944 das Judenzeichen in J-Rumänien getragen. Mit eidesstattlichen Versicherungen jeweils vom 6. Mai 1962 bestätigten Frau E und Frau M, den Kläger seit der Vorkriegszeit aus J-Rumänien zu kennen. Seit Juli 1941 bis 23. August 1944 habe er in J das Judenzeichen tragen müssen. Mit diesem Kennzeichen hätten sie den Kläger ständig während dieser Zeit gesehen. Sie könnten deswegen die Freiheitsbegrenzung bzw. – entziehung des Klägers während dieser Zeit aus eigenem Wissen bestätigen. In einer Anfrage an den Internationalen Suchdienst des Roten Kreuzes (ITS) in Arolsen gab der im Entschädigungsverfahren bevollmächtigte Rechtsanwalt an, der Kläger habe in der Zeit von Juli 1941 bis zum 23. August 1944 in J einen Freiheitsschaden durch Tragen des Judensterns erlitten. Er sei am 23. August 1944 befreit worden und dann bis Oktober 1944 in J verblieben. Anschließend habe er sich einen Monat in B aufgehalten und dann acht Monate in Wien im R Spital, anschließend drei Monate in S und einen Monat in B [richtig: ]. Die Auswanderung sei im November 1944 von Bt-Rumänien nach Palästina via Österreich und Deutschland erfolgt, per Eisenbahn und von Deutschland per Flugzeug, mit seiner Gattin und drei Kindern. Weiter findet sich in den Entschädigungsakten ein mit Schreibmaschine ausgefüllter und vom Kläger am 6. Mai 1962 unterzeichneter Fragebogen, in dem angegeben wurde, dass der Kläger sich von Juli 1941 bis 23. August 1944 in J-Rumänien aufgehalten habe und dort in der Freiheit beschränkt worden sei durch vollständige Freiheitsentziehung, Sperrstunden, „diff. gelb. Judenkennzeichen getragen“. Am 23. August 1944 seien sie von den russischen Truppen befreit worden.

In Israel hat der Kläger insgesamt 276 Monate Beiträge zur dortigen Rentenversicherung entrichtet und bezieht seit dem 1. April 1977 eine Altersrente.

Am 4. Juni 2010 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Altersrente aufgrund einer Arbeit im Ghetto. Er gab an, in der Zeit von Dezember 1941 bis Dezember 1943 im Ghetto Balta in Transnistrien Bauarbeiten bzw. Landwirtschaftsarbeiten ausgeübt zu haben, Arbeitsstelle sei das Ghetto und Arbeitgeber der Judenrat gewesen. Vorher, in der Zeit von Oktober 1941 bis November 1941, habe er in J den Judenstern tragen müssen.

In den Akten der Beklagten findet sich eine „Ghettoliste“, in der für Balta in der Ukraine, Gebiet Odessa; Transnistrien, ein Ghetto aufgeführt ist, das am 30. August 1941 eröffnet und am 18. März 1944 liquidiert wurde. Im Ghetto hätten sich 4000 Juden befunden, zwei Waisenhäuser seien unterhalten worden.

Mit Bescheid vom 24. August 2011 hat die Beklagte den Antrag auf Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten abgelehnt. Die Arbeitszeit von Dezember 1941 bis Dezember 1943 im Ghetto Balta sei nicht glaubhaft gemacht worden. Nach Auswertung der Entschädigungsakte des Amtes für Wiedergutmachung habe sich der Kläger von Juli 1941 bis August 1944 in J/Rumänien aufgehalten und sei dort den Verfolgungsmaßnahmen gegen Juden ausgesetzt gewesen. Obwohl sie die jüngsten Angaben besonders beachtet hätten, könnten sie sich die verbleibenden Widersprüche nicht erklären. Nach ihrem Kenntnisstand seien die Angaben nicht plausibel.

Am 20. März 2012 stellte der Kläger über seine Bevollmächtigten erneut einen Antrag auf Altersrente und Anerkennung von Versicherungszeiten. Gleichzeitig wurde ein Antrag auf Überprüfung des Sachverhaltes gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nach Maßgabe des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) gestellt.

Am 11. Juli 2012 übersandte der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine Kopie einer Erklärung des Klägers aus der Entschädigungsakte des Israelischen Finanzministeriums vom 8. Juli 2012. Darin hat der Kläger angegeben, in der Zeit von 1941 bis 1943 im Lager Balta gewesen zu sein und von 1944 bis 1945 im Lager in J.

Mit Bescheid vom 21. August 2012 hat die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 24. August 2011 abgelehnt. Der Bescheid vom 24. August 2011 sei nicht rechtswidrig. Nach nochmaliger gründlicher Auswertung der Unterlagen aus dem Entschädigungsverfahren und den von dem Kläger aktuell gemachten Angaben habe ein Aufenthalt im Ghetto Balta leider nicht bestätigt werden können. Nach den Unterlagen habe sich der Kläger durchgehend von Juli 1941 bis August 1944 in J aufgehalten. Die Zeit sei nicht in einem vom Deutschen Reich eingegliederten oder vom Deutschen Reich besetzten Gebiet zurückgelegt worden und könne daher nach dem ZRBG nicht berücksichtigt werden. Der Ort habe sich auf dem Gebiet Rumäniens befunden. Da in den Entschädigungsakten auch ausdrücklich immer Rumänien angegeben worden sei, könne nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um dasselbe Ghetto auch unter Beachtung von unterschiedlichen Schreibweisen gehandelt habe.

Zur Begründung des am 22. November 2012 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruches trug der Kläger vor, dass durch die israelische Entschädigungsakte belegt werde, dass der Kläger von 1941 bis 1943 im Ghetto Balta inhaftiert gewesen und erst danach nach J verbracht worden sei. Aus den übersandten Unterlagen des ITS gehe ebenfalls hervor, dass der Kläger nach Transnistrien und nicht nach Rumänien deportiert worden sei. Der Kläger sei in J geboren und habe dort auch während des Krieges einige Zeit verbracht, jedoch sei er nach seiner Erinnerung etwa im Sommer 1941 ins Ghetto Balta verschleppt worden, wo er ca. zwei Jahre unter den denkbar schlimmsten Bedingungen inhaftiert gewesen sei. Im Jahr 1943 sei er dann zurück nach J gebracht worden, wo er weiterhin den Judenstern habe tragen müssen. An das Entschädigungsverfahren erinnere sich der Kläger kaum noch. Er habe seinem damaligen Bevollmächtigten vertraut und sei davon ausgegangen, dass die Entschädigungsanträge der Wahrheit entsprechend ausgefüllt würden. Er könne nicht sagen, ob seine Verfolgung vollständig aufgenommen worden sei oder ob sein Rechtsanwalt lediglich J angegeben habe. Der Kläger beherrsche die deutsche Sprache nicht und habe während des Verfahrens praktisch keine Möglichkeit gehabt, die juristische Arbeit seines Bevollmächtigten zu überprüfen. Bei den Entschädigungsverfahren in den 60er Jahren habe es sich um Massenverfahren gehandelt, die häufig oberflächlich und nicht mit der erforderlichen Sorgfalt bearbeitet worden seien. Im vorliegenden Fall sei es sehr wahrscheinlich, dass der damalige Bevollmächtigte das Verfahren habe vereinfachen wollen, indem er lediglich J angegeben habe. Für das dortige Verfahren sei es gänzlich irrelevant gewesen, ob der Kläger in einem transnistrischen Ghetto inhaftiert oder in J durch den Zwang des Sterntragens in seiner Freiheit beschränkt gewesen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2013 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen. Die Begründung entspricht im Wesentlichen derjenigen in dem angefochtenen Bescheid.

Mit der am 14. Juli 2013 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er habe in der Zeit von August 1941 bis Dezember 1943 hauptsächlich außerhalb des Ghettos gearbeitet. Er habe auf den Landgütern in der Umgebung Feldarbeiten verrichtet, bei der Versorgung der Tiere geholfen und Instandsetzungsarbeiten auf den Höfen ausgeführt. In den Wintermonaten habe er in einer Art Wäscherei gearbeitet und auch Häuser von Privatleuten geputzt. Zwischendurch habe er immer wieder einige Wochen innerhalb des Ghettos gearbeitet, meist sei er zum Schneeschippen oder zur Durchführung von Reparaturarbeiten an den Baracken eingeteilt worden. Er habe im Entschädigungsverfahren keine eigene Erklärung abgegeben. Anders als in den allermeisten anderen Entschädigungsverfahren finde sich in seiner Akte keine eigene, handschriftlich verfasste Schilderung der Verfolgung. Er habe, da er die deutsche Sprache nicht beherrsche, nicht lesen können, was in den Papieren gestanden habe, die ihm sein Anwalt vorgelegt habe. Aus heutiger Sicht sei es bedauerlich, dass in den Entschädigungsverfahren häufig die Verfolgungsgeschichten stark vereinfacht und zum Teil unvollständig und verkürzt dargestellt worden seien. Dies sollte heute jedoch nicht zu Lasten der Verfolgten gehen.

Der Kläger legte eine eigene eidesstattliche Versicherung vom 27. Juli 2013 vor. Darin gab er an, dass er, als die Verfolgung durch die Nazis eingesetzt habe, gleich den Judenstern habe tragen müssen. Er sei noch in J für ein bis eineinhalb Monate geblieben, dann sei er mit Viehwagen nach Transnistrien transportiert und schließlich ins Ghetto Balta gebracht worden. Dort habe er sich Arbeit gesucht, denn ohne Arbeit würde er diese zweijährige Haft nicht überlebt haben. Er habe durchgehend die ganze Zeit im Ghetto gearbeitet, weil er sonst verhungert wäre. Der Judenrat habe ihm die Arbeit vermittelt. In den Sommermonaten habe er den ukrainischen Bauern auf den Feldern bei der Getreide- und Maisernte geholfen. Weil er körperlich kräftig gewesen sei und habe tischlern können, habe der Judenrat ihn für schwere Arbeiten im Umkreis des Ghettos eingeteilt. Er sei beim Häuserbau eingesetzt worden. Er habe nicht nur Feldarbeit verrichtet, sondern auch für die rumänische Gendarmerie innerhalb des Ghettos gearbeitet. Er habe die Räume gereinigt und gestrichen, Möbel getischlert und kleinere Geräte repariert. Manchmal habe er schwere Lasten tragen müssen. In der Wäscherei, die die deutschen, rumänischen und italienischen Armeen bedient hätte, habe er den Ofen angeheizt und Wasser gebracht. Für diese Arbeit habe er mehr zu essen bekommen, als bei den Bauern. In Balta habe er bis Ende des Jahres 1943 bleiben müssen. Danach sei er nach J, Rumänien, zurückgekehrt. Dort habe er weiterhin den Judenstern tragen müssen. 1949 sei er in Israel eingewandert, wo er bis heute lebe.

Weiter reichte der Kläger eine eidesstattliche Versicherung der Frau P vom 20. Oktober 2013 ein, in der diese angab, dass sie den Kläger gut kenne, da er ihr Cousin sei. Sie seien zusammen gewesen im Ghetto Balta in Transnistrien von Anfang an, vom Jahre 1941, bis vielleicht Ende 1943. An genaue Daten erinnere sie sich nicht. Sie könne bestätigen, dass sich der Kläger im Ghetto Balta aufgehalten habe.

Mit Urteil vom 12. Dezember 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X zur Rücknahme des Bescheides vom 24. August 2011 seien nicht erfüllt. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass er sich in der Zeit von August bzw. Dezember 1941 bis Dezember 1943 in dem Ghetto Balta aufgehalten habe. Der Kläger habe den Aufenthalt in dem Ghetto Balta vorgetragen und eine eidesstattliche Versicherung von Frau P eingereicht. Nach Überzeugung der Kammer genügten diese Mittel nicht, um den Aufenthalt des Klägers in dem Ghetto glaubhaft zu machen. Das Gericht sehe das in diesem Verfahren geschilderte Verfolgungsschicksal als möglich, aber nicht als wahrscheinlicher an, als das in dem Entschädigungsverfahren angegebene Schicksal des Klägers. Die eidesstattliche Versicherung von Frau P beschränke sich auf die Aussage, dass sie sich mit dem Kläger zusammen in dem Ghetto aufgehalten habe.

Gegen das am 4. Februar 2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 3. Mai 2015 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Er wendet sich in erster Linie gegen die s.E. fehlerhafte Gewichtung der vorgelegten Beweismittel durch das erstinstanzliche Gericht. Es ergebe sich bei konkreter Gewichtung der Beweismittel eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Deportation nach Transnistrien. So erkenne der Kläger zwar an, dass die Angaben im Entschädigungsverfahren gegen seinen Vortrag im Rentenverfahren sprechen würden, das Sozialgericht habe aber die Angaben des Internationalen Suchdienstes und in dem Vordruck der Israelischen Entschädigungsbehörde nicht ausreichend gewürdigt. Beide belegten die Deportation nach Transnistrien.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Dezember 2014 und den Bescheid der Beklagten vom 21. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 24. August 2011 zurückzunehmen und ihm Altersrente unter Berücksichtigung von Beitragszeiten im Ghetto Balta in der Zeit von August 1941 bis Dezember 1943 und von Ersatzzeiten ab dem 1. Juli 1997 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Dezember 2014 zurückzuweisen.

Sie hat vorgetragen, dass der Kläger im Entschädigungsverfahren auf die explizite Frage nach sämtlichen Aufenthaltsorten während der Verfolgungszeit angegeben habe, dass er sich bis Oktober 1944 in J aufgehalten, danach einen Monat in Bukarest, acht Monate in Wien, drei Monate in S und einen Monat in B in Deutschland verbracht habe. Es verwundere schon, dass in dieser ausführlichen Aufzählung der Aufenthalt in Balta von Dezember 1941 bis Dezember 1943 fehlen sollte. Im Übrigen blieben auch die erheblichen Zweifel an der behaupteten Beschäftigung im Ghetto bestehen. So habe der Kläger im ersten Antrag auf Zahlung einer Rente im Jahre 2010 angegeben, er habe im Ghetto Balta Bauarbeiten ausgeführt. Dagegen habe er im Jahre 2012 in seinem Antrag angegeben, Feld- und Erntearbeiten getätigt zu haben.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Frau P durch den ersuchten Richter bei dem Friedensgericht in R, Israel. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Übersetzung des Protokolls des Friedensgerichts in Ramla vom 24. Januar 2016 verwiesen.

Nach Auffassung der Beklagten verbleiben auch nach der Vernehmung der Zeugin Frau P erhebliche Zweifel an der behaupteten Beschäftigung im Ghetto Balta. Auch habe die Zeugin bekundet, dass der Kläger die Arbeit nicht freiwillig angenommen habe. Es habe sich somit um Zwangsarbeit, die nach dem ZRBG nicht berücksichtigt werde, gehandelt.

Der Kläger hat zu der Zeugenvernehmung nicht Stellung genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.

Die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Entschädigungsakten des Amtes für Wiedergutmachung in Saarburg haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Dezember 2014 und der Bescheid der Beklagten vom 21. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2013 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 24. August 2011 gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X und auf Gewährung einer Altersrente. Die genannte Vorschrift lautet:

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Der Bescheid vom 24. August 2011 war, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZRBG durch das Gesetz vom 15. Juli 2014 (BGBl. I Seite 952) rückwirkend zum 1. Juli 1997 geändert wurde und jetzt rückwirkend zum damaligen Zeitpunkt von dieser Rechtlage ausgegangen werden muss (sog. geläuterte Rechtsauffassung, vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X, Rdnr. 38), rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Regelaltersrente gemäß § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) i.V.m. dem Deutsch-Israelischen Sozialversicherungsabkommen (DISVA), da er zwar die Regelaltersgrenze erreicht, jedoch keine anrechenbaren Versicherungszeiten in der deutschen Rentenversicherung zurückgelegt hat und damit auch nicht gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 DISVA die für die Zahlung einer Rente erforderliche Zeit von mindestens zwölf Monaten Versicherungszeiten erreicht. Für den Kläger liegen keine gemäß § 51 SGB VI anrechenbaren Zeiten vor. Die Zeit, die der Kläger – nach seinen Angaben – im Ghetto Balta in der Zeit von August 1941 bis Dezember 1943 verbracht hat, ist nicht als Beitragszeit gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG zu berücksichtigen. Diese Vorschrift lautet:

Dieses Gesetz gilt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn

1. die Beschäftigung

a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist,
b) gegen Entgelt ausgeübt wurde und

2. das Ghetto in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereichs lag,

soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird.

Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass er in dem Ghetto aus freiem Willensentschluss gearbeitet hat. Eine Tatsache ist als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X).

Der Kläger hat im Entschädigungsverfahren und im Rentenverfahren unterschiedliche Verfolgungsschicksale geschildert. Für den Senat war keines der beiden Verfolgungsschicksale überwiegend wahrscheinlich. Es sind, worauf das Sozialgericht bereits zutreffend hingewiesen hat, beide Verfolgungsschicksale möglich, für beide Verfolgungsschicksale liegen eidesstattliche Erklärungen des Klägers als auch von Zeuginnen vor.

Die Angaben des Klägers im Rentenverfahren, er habe sich im Ghetto Balta aufgehalten und dort eine Beschäftigung ausgeübt, werden durch die Angaben im Entschädigungsverfahren nicht gestützt. Auch die historischen Erkenntnisse sprechen nicht dafür, dass sich der Kläger in Balta aufgehalten hat. Er stammt aus J, einem im Landesteil Moldau gelegenen Ort. Es wurden vor allem die Juden Bessarabiens und der Nordbukowina im Jahr 1941 nach Transnistrien deportiert. Kurze Zeit später wurde diese Maßnahme auch auf viele Juden der Südbukowina ausgedehnt. Juden in den übrigen Landesteilen (Moldau, Walachei, Dobrudscha, Banat, Südsiebenbürgen und südliches Kreischgebiet), wurden in der Regel nicht deportiert; Ausnahmen waren Juden, die sich „kommunistisch“ betätigten, die der Pflichtarbeit fernblieben und „Spekulanten“ (Geschichte der Juden in Rumänien, „Rumänien und der Holocaust“, Wikipedia). Auch nach den Angaben in „Über den Holocaust, Der Beginn der „Endlösung“, Die Ermordung der rumänischen Juden“, zu finden über http://www.yadvashem.org/yv/de/holocaust/about/04/romania.asp, und in Ekkehard Völkl, „Die Tragödie des Judentums“, Transnistrien und Odessa (1941-1944), Schriftenreihe des Osteuropainstituts Regensburg-Passau, Verlag Lassleben, Regensburg 1996, Seite 93, wurden die Juden aus den Gebieten Bessarabien und der Bukowina nach Transnistrien deportiert. Da J im Landesteil Moldau liegt, stützen die historischen Erkenntnisse die Angaben des Klägers nicht, es ist allerdings auch nicht ausgeschlossen, dass auch er nach Transnistrien deportiert wurde.

Die Aussage der Frau P vor dem ersuchten Richter in Israel führt nicht zur Annahme einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für den Aufenthalt des Klägers in Balta in der Zeit von 1941 bis 1943. Die Zeugin hat selbst mehrfach angegeben, sich nicht genau erinnern zu können. Hinzu kommt, dass sie zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Ereignisse selbst erst 13 bis 15 Jahre alt war. Sie kannte den Kläger, weil er ihr Cousin war. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie sich an ihn auf Grund von Zusammentreffen in J und nicht in Balta erinnert. Ihre Aussage steht auch im Gegensatz zu den eidesstattlichen Versicherungen von Frau E und Frau M, die beide bekundet haben, den Kläger während des Zeitraums Juli 1941 bis August 1944 „ständig“ gesehen zu haben. Nur eine der Angaben kann zutreffen. Für den Senat ergeben sich keine Hinweise, weswegen die Aussage von Frau P zutreffend, die Angaben von Frau E und Frau M dagegen unzutreffend sein sollten, zumal Frau E und Frau M die Angaben sehr viel zeitnäher zu den Verfolgungsereignissen gemacht haben. Es ist anzunehmen, dass ihr Erinnerungsvermögen 20 Jahre nach der Verfolgung besser war als das der Zeugin P 75 Jahre nach den in Rede stehenden Ereignissen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass, wie gesagt, die Zeugin P während ihrer Vernehmung mehrmals selbst bekundet hat, dass ihr Erinnerungsvermögen an diese Zeit nicht voll erhalten ist, in dem sie z.B. angab: „Ich erinnere mich nicht. Das Alter tut das seine“.

Auch die eigenen Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren und im Rentenverfahren sind unterschiedlich. Während er im Entschädigungsverfahren, ebenfalls u.a. in einer eidesstattlichen Erklärung, angegeben hat, in der Zeit von Juli 1941 bis August 1944 unter antijüdischen Verfolgungsmaßnahmen gelitten zu haben, gibt er nun an, sich während der überwiegenden Zeit innerhalb dieses Zeitraums in Balta befunden zu haben. Auch wenn die Erklärung des Prozessbevollmächtigten hierzu, es sei für das Entschädigungsverfahren vollkommen irrelevant gewesen, ob sich der Kläger in J oder in B aufgehalten habe und hier oder dort verfolgt worden sei und dass er die deutsche Sprache nicht beherrsche und deshalb nicht habe überprüfen können, was sein damaliger Bevollmächtigter geschrieben hatte, nachvollziehbar ist, so ist doch auffällig, dass zum Teil das Verfolgungsschicksal im Entschädigungsverfahren sehr detailliert geschildert, ein Aufenthalt in Balta jedoch nicht genannt wurde. So hatte der damalige Bevollmächtigte gegenüber dem ITS im April 1965 zu Punkt II, Angaben über die Inhaftierung, lediglich angebeben: „Von Juli 1941 bis 23. 8, 1944 Freiheitsschaden in J-Rumänien (Judenstern)“ Da die Deportation nach Balta einer Inhaftierung sehr viel ähnlicher ist als das Tragen des Judensterns verwundert es, dass diese Angabe nicht getätigt worden sein soll, obwohl im Folgenden die Aufenthalte nach dem Krieg im einzelnen aufgelistet sind. Nach alldem ist es für den Senat nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sich der Kläger im Ghetto Balta aufgehalten hat, damit ist auch eine Tätigkeit dort nicht glaubhaft gemacht.

Hinzu kommt, dass auch dann, wenn man den Aufenthalt des Klägers in Balta und die Verrichtung von Tätigkeiten dort nach der Aussage der Zeugin P als glaubhaft gemacht ansehen würde, Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 ZRBG bestünden. Nach der Aussage der Zeugin P hat der Kläger die Arbeit nicht aus freiem Willensentschluss aufgenommen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) dient das Merkmal einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung der tatsächlichen Abgrenzung zur Zwangsarbeit. Insoweit kann auf das Gesetz über die Errichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZStiftG) zurückgegriffen werden, das in seinem § 11 demjenigen eine Entschädigung wegen Zwangsarbeit zubilligt, der in einem Ghetto unter vergleichbaren Bedingungen (wie in einem Konzentrationslager) inhaftiert war und „zur Arbeit gezwungen wurde“. Diese Wendung macht auch für das ZRBG deutlich, dass eine Situation, in der jemand (allgemein) zur Arbeit gezwungen „war“, nach dem Gesetz noch keine Zwangsarbeit darstellt. Ein genereller (faktischer oder rechtlicher) Arbeitszwang allein macht die mit Rücksicht darauf ausgeübte Tätigkeit nicht zur Zwangsarbeit und steht deshalb einer „Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss“ nicht entgegen; eine solche ist vielmehr erst dann nicht mehr gegeben, wenn jemand zu einer (spezifischen) Arbeit gezwungen „wurde“ (vgl. Urteil des BSG vom 03. Juni 2009, Az. B 5 R 26/08 R, juris Rdnr. 19 = SozR 4-2600 § 35 Nr. 3). Im Lichte dessen ist Zwangsarbeit die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) Zwang, wie z.B. bei Kriegsgefangenen. Typisch ist dabei die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitern an bestimmte Unternehmen, ohne dass die Arbeiter selbst hierauf Einfluss haben. Eine verrichtete Arbeit entfernt sich um so mehr von dem Typus des Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses und nähert sich dem Typus der Zwangsarbeit an, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann (vgl. BSG, aaO., juris, Rdnr. 20). Ob eine aus eigenem Willensentschluss im Sinne des ZRBG zustande gekommene Beschäftigung oder eine den eigenen Willensentschluss ausschließende Zwangsarbeit vorlag, ist vor dem Hintergrund der wirklichen Lebenslage im Ghetto zu beurteilen. Dabei sind die Sphären „Lebensbereich“ und „Beschäftigungsverhältnis“ grundsätzlich zu trennen; ebenso spielen die Beweggründe zur Aufnahme der Beschäftigung keine Rolle. Eine aus eigenem Willensentschluss aufgenommene Beschäftigung liegt vor, wenn der Ghetto-Bewohner noch eine Dispositionsbefugnis zumindest in der Gestalt hatte, dass er die Annahme oder Ausführung der Arbeit auch ohne unmittelbare Gefahr für Leib, Leben oder seine Restfreiheit ablehnen konnte (vgl. BSG, aaO., Rdnr. 21).

Die Zeugin hat bei ihrer Vernehmung angegeben, dass der Kläger keine Wahl hatte, ob er die Arbeit annimmt oder nicht. Die Zeugin hat ausgeführt, dass niemand das freiwillig angenommen habe und der Kläger sich auch nicht habe verweigern können. Keiner habe sich geweigert, und wenn er sich geweigert hätte, wäre das für ihn lebensgefährlich gewesen. Dies hat die Zeugin bekräftigt durch den Satz: „Und wie das sein Leben gefährdet hätte!“. Weiter hat sie angegeben, dass der Kläger zwangsweise und unter Brechung seines freien Willens zur Arbeit gezwungen wurde. Diese Angaben der Zeugin lassen nur eine Interpretation dahingehend zu, dass es keine Arbeit aus freiem Willensentschluss gewesen ist. Allerdings braucht dies nicht entschieden zu werden, da der Senat aus den oben aufgezeigten Gründen bereits einen Aufenthalt und eine Tätigkeit des Klägers in Balta nicht als überwiegend wahrscheinlich ansieht.

Damit sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZRBG nicht erfüllt.

Auch sind für den Kläger keine Ersatzzeiten zu berücksichtigen. Die Verfolgung und auch die Zeit nach dem Krieg erfüllen zwar dem Grunde nach Tatbestände des § 250 Abs. 1 SGB VI, der Kläger war bzw. ist jedoch nicht Versicherter. Dafür müsste mindestens ein anrechenbarer Beitrag nach deutschem Recht zurückgelegt worden sein. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.