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Entscheidung 16 S 47/12


Metadaten

Gericht LG Frankfurt (Oder) 6. Zivilkammer Entscheidungsdatum 20.11.2012
Aktenzeichen 16 S 47/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 10.2.2012, Az. 2.2 C 825/11, abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 465,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 180,86 € ab dem 30.11.2010 und aus weiteren 284,85 € ab dem 17.12.2012 zu zahlen, abzüglich am 9.11.2011 gezahlter 256,47 €.

Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung und Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Streitwert II. Instanz: 23,50 €

Gründe

I.

Der Kläger ist Mieter einer Wohnung der Beklagten. Er verlangt (Rück)zahlung von zuviel gezahlten Betriebskosten für das Abrechungsjahr 2009.

Die Betriebskostenabrechnung erhielt der Kläger am 8.10.2010. In der Abrechnung war eine Vorauszahlung von 18,62 € unberücksichtigt geblieben und ein Betrag von 4,88 € als „Sonstige Betriebskosten“ zu Unrecht umgelegt worden, weshalb der Kläger Rückzahlung von 23,50 € verlangt. Diese Einwendungen machte der Kläger erstmals am 24.10.2011 geltend.

Die Parteien streiten in der Berufung noch darüber, ob der Kläger mit seinen Einwendungen wegen der Frist des § 556 Abs. 3 S. 5 BGB ausgeschlossen ist.

Das Amtsgericht hat den noch in der Berufung befindlichen Teil der Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Einwendungen des Klägers aus dem Schreiben vom 24.10.2011 nicht fristgerecht gemäß § 556 Abs. 3 S. 5 BGB erhoben seien. Diese Regelung sei so auszulegen, dass die Einwendungsfrist nicht erst am 31.10.2011, sondern wegen §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB bereits am 8.10.2011 abgelaufen sei. Der Wortlaut der Vorschrift lasse im Ergebnis offen, welche der beiden Interpretationen vorzugswürdig sei. Aus der Entstehungsgeschichte lasse sich jedoch schließen, dass lediglich eine Jahresfrist gewährt werden sollte, so dass die Frist nicht erst mit Ablauf eines Kalendermonats ende. § 556 Abs. 3 S. 5 BGB sei § 20 Abs. 3 S. 4 NMV nachempfunden; bei den Beratungen zur älteren Vorschrift sei aber ausdrücklich von „Jahresfrist“ und „einem Zeitraum von 12 Monaten nach Ablauf der Abrechnungsperiode“ die Rede gewesen. Die Frist knüpfe ausdrücklich an das „Ende des Abrechungszeitraumes“ bzw. den „Zugang der Abrechnung“ an, weshalb § 192 BGB nicht zur Anwendung gelange. Die Frist ende danach mit Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tage entspreche, in dem das Ereignis falle. Wegen der insoweit divergierenden Auffassungen in der Kommentarliteratur und des Fehlens obergerichtlicher Entscheidungen hat das Amtsgericht die Berufung wegen der grundlegenden Bedeutung zugelassen.

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger den Zahlungsanspruch in Höhe von 23,50 € weiter. Unter vertiefter Auseinandersetzung mit den verschiedenen in der Kommentarliteratur vertretenen Auffassungen meint der Kläger, die gesetzliche Formulierung „Ablauf des zwölften Monats“ spreche für einen Fristablauf mit Ende des Kalendermonats. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass im Mietrecht generell häufig auf das Ende eines Kalendermonats abgestellt werde, wie z.B. in § 554 Abs. 3 S. 2 BGB, § 558b Abs. 2 S. 1 BGB und § 561 Abs. 1 BGB. Diese Auslegung werde zudem dem Ziel der Norm, Rechtssicherheit zu gewähren, besser gerecht. Die dadurch bedingte mögliche Verlängerung der Frist sei unerheblich.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Erstmals in der Berufungserwiderung behauptet die Beklagte, ihr sei das Einwendungsschreiben vom 24.10.2011 erst am 3.11.2011 zugegangen.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Kläger kann von der Beklagten nach dem zwischen den Parteien geschlossenen Mietvertrag Auszahlung des noch verbleibenden Abrechungssaldos in Höhe von 23,50 € über die Betriebskosten des Jahres 2009 verlangen. Dieser Saldo ergibt sich aus der unberücksichtigt gebliebenen Mehrzahlung in Höhe von 18,62 € sowie aus dem unberechtigten Ansatz sonstiger Betriebskosten in Höhe von 4,88 €.

1.

Der Kläger ist mit seinen erst am 24.10.2011 erhobenen Einwendungen nicht gemäß § 556 Abs. 3 S. 5 BGB ausgeschlossen. Denn die Frist war am 24.10.2011 noch nicht abgelaufen, sondern erst am 31.10.2011. Die Norm ist so auszulegen, dass das Fristende gemäß § 192 BGB stets auf das Ende des Kalendermonats fällt (so auch Langenberg in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 10. Aufl., § 556 Rn. 461; Eisenschmid/Rips/Wall, Betriebskostenkommentar, 2004, Teil 2, § 565, Rn. 367; Schmid in: Fachanwaltskommentar Mietrecht, 3. Aufl., § 556 Rn. 166; a.A. Weitemeyer in: Staudinger, 9/2010, § 556 Rn. 108).

a)

Für eine solche Auslegung spricht zunächst der Wortlaut der Norm. Gemäß § 556 Abs. 3 S. 5 BGB hat der Mieter dem Vermieter Einwendungen „spätestens bis zum Ablauf des zwölften Monats“ nach Zugang der Abrechnung mitzuteilen. Der Ablauf bezieht sich nach dem Wortlaut nur auf den letzten (zwölften) Monat der Frist und nicht auf den Ablauf von „zwölf Monaten“ insgesamt.

Die Formulierung „Ablauf des Monats“ wird synonym verwendet für „Ende des Monats“ im Sinne des § 192 BGB; so z.B. in § 554 Abs. 3 S. 2 BGB (Palandt/Weidenkaff, BGB, 71. Aufl., § 554 Rn. 29), in § 561 Abs. 1 BGB und § 573c Abs. 1 S. 1 BGB. „Ablauf des Monats“ ist regelmäßig auch gar nicht anders zu interpretieren als mit dem Ende des Kalendermonats.

Hätte der Gesetzgeber – unter Ausschluss des § 192 BGB - eine taggenaue Frist im Sinne des § 188 Abs. 2 BGB bestimmen wollen, so hätte es näher gelegen, statt des tatsächlich gewählten Wortlauts eine wesentlich einfache Formulierung wie „innerhalb von zwölf Monaten“ oder „innerhalb eines Jahres“ zu wählen. Der insoweit aufwändigeren Gestaltung des Wortlauts ist bei der Auslegung Rechnung zu tragen.

Die ausdrückliche Bezeichnung als „Kalendermonat“ ist nicht erforderlich. Schon § 192 BGB zeigt, dass auch der Kalendermonat als „Monat“ bezeichnet wird. Auch mietrechtlich ist die Verwendung von „Monat“ bzw. „Kalendermonat“ nicht einheitlich (vgl. §§ 560, 561, 554, 558, 558b, 560 Abs. 2, 561, 573c BGB). Nicht nur umgangssprachlich, sondern auch in der mietvertraglichen Praxis wird mit „Monat“ in aller Regel der Kalendermonat bezeichnet.

b)

Sinn und Zweck der Einwendungsfrist des § 556 Abs. 3 S. 5 BGB ist es, etwaigen Streitigkeiten über die Richtigkeit der Betriebskostenabrechnung eine zeitliche Grenze zu setzen und damit Abrechungssicherheit zu gewährleisten (Ehlert in: Bamberger/Roth, BGB, 3. Aufl., § 556 Rn. 63). Einwendungen, die erst nach Fristablauf erhoben werden, sollen grundsätzlich ausgeschlossen sein. Da beide der hier in Frage kommenden Auslegungen den gesetzlichen Zweck erfüllen, ist teleologisch keiner Auslegungsalternative ein Vorrang einzuräumen.

Dabei ist letztlich das Argument, die hier favorisierte Auslegung führe zu einer Verlängerung der Frist, nicht durchgreifend. Zwar trifft es zu, dass eine zum Monatsultimo endende Frist länger ist, als die taggenaue. Rechtlich und praktisch gesehen ist schon dem Gesetzgeber ein sehr weiter Spielraum bei der Fristbestimmung eröffnet. Ein zwingender Grund, weshalb die Frist nicht auch 10 oder 14 Monate betragen könnte, ist nicht ersichtlich. Die Jahresfrist dürfte daher lediglich wegen ihrer einfachen Handhabbarkeit gewählt worden sein. Die angesichts der Gesamtfrist von 12 Monaten relativ geringe Fristdifferenz von maximal einem Monat, die sich aus den beiden verschiedenen Auslegungen ergeben kann, ist daher kein entscheidender Faktor bei der Auslegung.

Nicht zuletzt die einfachere Handhabbarkeit in der Praxis und die Üblichkeit eines kalendermonatlichen Turnus in der Mietpraxis sprechen für ein Fristende zum Monatsultimo.

c)

Systematisch ist zu beachten, dass die hier maßgebliche Formulierung in § 556 Abs. 3 S. 5 BGB identisch ist mit derjenigen in S. 2 desselben Absatzes, in dem das Ende der Abrechungsfrist bestimmt wird. Aus der systematischen Nähe und der vergleichbaren Interessenlage folgt das Bedürfnis nach einer insoweit identischen Auslegung. Auch bezüglich des Endes der Abrechungsfrist ist die Formulierung „spätestens zum Ablauf des zwölften Monats“ so auszulegen, dass auch dieser Zeitpunkt stets auf das Ende eines Kalendermonats fallen muss. Die Argumentation ist insoweit identisch; zwingende Gründe, die gegen eine solche Auslegung sprechen, sind auch hinsichtlich des Endes der Abrechungsfrist nicht ersichtlich. Vielmehr ist insoweit zu berücksichtigen, dass das Ende des Abrechungszeitraumes in der Praxis häufig ohne Weiteres auf ein Monatsultimo fällt, weil Mietverträge, und damit auch die Abrechungszeiträume, in der Regel mit Beginn eines Monats abgeschlossen werden.

d)

Aus der Gesetzesbegründung zu § 20 Abs. 3 S. 4 NMV (BT-Drucksache 302/1/90, S. 5) lässt sich im Ergebnis nichts Maßgebliches für die Auslegung in der streitgegenständlichen Konstellation herleiten. Zwar ist der Ausgangspunkt des Amtsgerichts zutreffend, dass § 556 Abs. 3 S. 5 BGB insoweit dem § 20 Abs. 3 S. 4 NMV nachempfunden ist. Jedoch enthält die Gesetzbegründung keine hinreichend spezifische Differenzierung, ob die gesetzliche Frist als taggenaue Jahresfrist oder als solche mit einem Monatsultimo zu verstehen ist. Es ist auch nicht zu erwarten, dass in der Gesetzesbegründung ein solches im Rahmen der Gesetzgebung eher untergeordnetes Detail näher erörtert wird. Wenn in der Gesetzesbegründung daher von „Jahresfrist“ oder „12 Monaten“ die Rede ist, lässt sich dem daher nicht eine Bevorzugung der einen oder anderen Auslegung der Norm entnehmen.

2.

Der in der Berufung neue und unter Beweis gestellte Sachvortrag der Beklagten, ihr sei das Schreiben vom 24.10.2011 erst am 3.11.2011 zugegangen, war gemäß §§ 529, 531 Abs. 2 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen. Denn dieser erstmals in der Berufung erfolgte Vortrag ist streitig und ein Zulassungsgrund im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 24.1.2012 (Bl. 93 d.A.) noch in erster Instanz selbst vorgetragen, dass der Kläger seine Einwendungen gegen die Betriebskostenabrechnung „erst am 24.10.2011 erhoben“ habe. Deshalb hat das Amtsgericht diesen Teil des Sachvortrag im Tatbestand des angefochtenen Urteils als unstreitig dargestellt.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 709 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen. Die Auslegung der hier maßgeblichen gesetzlichen Bestimmung ist in der Literatur umstritten. Ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu liegt soweit ersichtlich nicht vor. Die Frage des Endes der Einwendungsfrist gemäß § 556 Abs. 3 S. 5 BGB betrifft eine unbestimmte Vielzahl von Fällen und berührt das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts