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Überprüfungsverfahren - Verletztenrente - Unfallfolgen - HWS-Distorsion Grad I - Wirbelsäulenverbiegung - MdE


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 31.05.2012
Aktenzeichen L 3 U 119/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 44 Abs 1 SGB 6, § 8 SGB 7, § 56 Abs 1 SGB 7

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. April 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines Wegeunfalls vom 12. April 1999 im Wege des Zugunstenverfahrens.

Die 1963 geborene Klägerin war als Hauswirtschafterin in einem privaten Haushalt angestellt, als sie am 12. April 1999 auf dem Weg von ihrer Arbeitsstelle nach Hause gegen 14:12 Uhr angeschnallt einen Autounfall erlitt. An der Ecke H Fstraße fuhr ihr ein Kleintransporter in die linke Seite. Die Klägerin suchte zunächst ihre Hausärztin, die Allgemeinmedizinerin Dr. F, auf, die sie an den Durchgangsarzt überwies. Die Klägerin stellte sich am selben Tag um 16:31 Uhr bei der Chirurgin und Unfallärztin Dr. B vor, die eine Halswirbelsäulen-(HWS)-Distorsion I. Grades diagnostizierte und eine Schanz´sche Krawatte verordnete. Die Klägerin klagte dort über Schmerzen in der linksseitigen Nacken/Schultermuskulatur bei freier Beweglichkeit der HWS ohne Schmerzen. Sensibilitätsstörungen lagen nicht vor, eine Gurtmarke war nicht zu sehen. Die Reflexe waren seitengleich, die Pupillenreaktion normal. Die Röntgenuntersuchung der HWS zeigte eine nur angedeutete Steilstellung der HWS in den unteren Segmenten und keine knöchernen Verletzungszeichen. Wegen einer subjektiv empfundenen Unsicherheit, Schwindelgefühl und Sehstörungen wurde die Klägerin zur fachärztliche neurologischen Abklärung an den Neurologen und Psychiater Dr. A überwiesen (Durchgangsarztbericht <DAB> vom 12. April 1999). Die Klägerin stellte sich am 13., 14. und 22. April 1999 bei Dr. A vor, der anhand verschiedener neurologischer Testungen (u. a. Elektroencephalogramm <EEG>, audioelektroencephalographische Untersuchung, visuell evozierte Potentiale) aus neurologischer Sicht keine zentralen oder radikulären Traumafolgen feststellen konnte. Bei einer weiteren Vorstellung bei Frau Dr. am 13. April 1999 beklagte die Klägerin Beschwerden im Bereich des linken Sprunggelenks und Fußes sowie im rechten und linken Flankenbereich in mittlerer und unterer Höhe der Brustwirbelsäule (BWS). Radiologisch konnten keine knöchernen Verletzungen festgestellt werden. Frau Dr. B diagnostizierte nunmehr neben der HWS-Distorsion I. Grades ein ventralen Beschleunigungstrauma der HWS, z. B. Muskelzerrung rechte und linke Flanke, z. B. Prellung und Stauchung linkes oberes Sprunggelenk.

Am 16. April 1999 wies Dr. B die Klägerin stationär in das Krankenhaus A U ein, nachdem die Klägerin ihr telefonisch von Atembeschwerden, Luftnot und Gangunsicherheit berichtet hatte. Dort hielt sie sich vom 16. bis zum 21. sowie vom 23. bis zum 30. April 1999 auf. Es wurde eine akute Belastungsreaktion nach Verkehrsunfall diagnostiziert (Entlassungsbericht vom 05. Mai 1999). Am 11. Mai 1999 stellte sich die Klägerin nochmals bei Frau Dr. B vor, die im Bereich der HWS keinerlei Verletzungsfolgen mehr feststellen konnte. Es fanden sich weder Schwellungen noch Hautverfärbungen oder Bewegungseinschränkungen. Die Klägerin wurde daraufhin aus der unfallbedingten Heilbehandlung entlassen. Der die Klägerin ebenfalls behandelnde Orthopäde Dr. L stellte am 28. Juni 1999 ebenfalls eine freie Beweglichkeit der HWS fest.

Die Beklagte veranlasste ein fachchirurgisches Zusammenhangsgutachten des Dr. H, das dieser am 12. August 1999 nach Aktenklage erstellte, nachdem eine Untersuchung der Klägerin nicht zustande gekommen war. Darin gelangte er zu dem Schluss, der Unfall habe zu einer mäßigen Distorsion der HWS (Grad I) geführt. Eine Fraktur oder eine Gefügestörung oder ein Schädel-Hirn-Trauma hätten nicht vorgelegen. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis zum 11. Mai 1999 angedauert. Die zwischenzeitlich gezeigte Symptomatik sei psychogen überlagert. Es seien keine Unfallfolgen verblieben, die eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bedingten.

Daraufhin lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls mit Bescheid vom 06. September 1999 ab. Unfallfolgen lägen nicht mehr vor, eine messbare MdE sei nicht verblieben.

Im November 2001 stellte die Klägerin einen Antrag auf Durchführung einer erneuten Begutachtung, da sich die unfallbedingten Beschwerden verschlechtert hätten. Die Beklagte lehnte nach Einholung von Krankheitsauskünften des behandelnden Orthopäden Dr. M und der Neurologin und Psychiaterin Dr. P mit Bescheid vom 10. Januar 2002 die Durchführung einer erneuten Begutachtung ab. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01. August 2002 zurück. Aufgrund ihres Antrages sei der Bescheid vom 06. September 1999 gemäß § 44 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) überprüft worden. Es hätten jedoch keine Anhaltspunkte dafür gefunden werden können, dass bei dem Erlass des – bestandskräftig gewordenen - Bescheides vom 06. September 1999 von einem urnichtigen Sachverhalt ausgegangen bzw. das Recht unrichtig angewandt worden sei.

Im Rahmen der hiergegen gerichteten Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) zu dem Aktenzeichen S 25 U 526/02 ist zunächst auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein orthopädisches Gutachten des Dr. G vom 23. Mai 2003 samt Ergänzung vom 26. Juni 2003 eingeholt worden, in welchem dieser zu dem Ergebnis gelangt ist, der Arbeitsunfall habe zu einer Wirbelsäulenverbiegung im Übergangsbereicht Brust-/Lendenwirbelsäule (BWS/LWS) geführt. Es sei eine MdE von 30 vom Hundert (v. H.) anzusetzen. In dem daraufhin von Amts wegen nach § 106 SGG veranlassten orthopädischen Gutachten des Dr. W-R vom 10. September 2003 ist dieser Sachverständige zu dem Schluss gekommen, die Beurteilung durch Dr. G sei nicht nachvollziehbar, da zeitnah zum fraglichen Arbeitsunfall keine strukturellen Schäden des Achsorgans oder neurologische Schäden nachgewiesen worden seien. Die heute vorgetragenen Beschwerden und Funktionsdefizite seien Ausdruck einer schweren Persönlichkeitsstörung, die bereits von Dr. A dokumentiert worden sei. Es lägen keine messbaren Dauerschäden nach dem Arbeitsunfall vom 12. April 1999 vor. Das SG hat die auf Gewährung von Verletztenrente gerichtete Klage durch Gerichtsbescheid vom 07. November 2003 abgewiesen und sich dabei auf das Gutachten des Dr. W-R gestützt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin (Az. L 3 U 71/03*16) ist durch Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin vom 18. Oktober 2004 zurückgewiesen worden. Die Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundessozialgericht (BSG; Az. B 2 U 4/05 B) ist durch Beschluss vom 10. Juni 2005 als unzulässig verworfen worden.

Mit an die Beklagte gerichtetem Schreiben vom 01. Oktober 2009 begehrte die Klägerin erneut die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 12. April 1999. Sie verwies zur Begründung u. a. auf das Gutachten des Dr. G sowie auf die Tatsache, dass sie wegen der Unfallfolgen nach wie vor in orthopädischer Behandlung des Dr. M stehe und legte u. a. verschiedene MRT-Befunde der HWS, BWS sowie LWS und des Beckens aus dem Jahr 2009 vor. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 12. Januar 2010 die Rücknahme und Neufeststellung der dem Bescheid vom 06. September 1999 zugrunde liegenden Unfallfolgen und die Gewährung von Verletztenrente gemäß § 44 Abs. 1 SGB X ab. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17. März 2010).

Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage vor dem SG Berlin hat die Klägerin vorgetragen, die bisherigen ärztlichen Beurteilungen seien – bis auf die des Dr. G – sämtlich falsch. Der Arbeitsunfall habe zu strukturellen Schäden der Wirbelsäule geführt, unter denen sie nach wie vor massiv leide. Sie hat weitere MRT-Befunde vorgelegt.

Auf ihren Antrag nach § 109 SGG hat das SG ein orthopädisches Gutachten von Prof. Dr. S eingeholt. In seinem am 02. Februar 2011 nach einer körperlichen Untersuchung der Klägerin am 06. Dezember 2010 fertig gestellten Gutachten ist dieser zu dem Schluss gelangt, bei der Klägerin bestünden auf seinem Fachgebiet folgende Gesundheitsstörungen:

- Geminderte Trage- und Bewegungsfunktion des Rumpfes auf der Basis einer Wirbelsäulenfehlhaltung i. S. d. Seitverbiegung

- Bandscheibenschaden zwischen dem 5. und 6. Halswirbelkörper und zwischen dem 5. Lendenwirbelkörper und dem 1. Kreuzbeinsegment, Verschleißerscheinungen in mehreren Segmenten der HWS, BWS und LWS.

Keine dieser genannten Gesundheitsstörungen sei im Sinne der erstmaligen Entstehung oder der wesentlichen Verschlimmerung eines unfallunabhängigen Leidens wahrscheinlich auf den Arbeitsunfall vom 12. April 1999 zurückzuführen. Die reinen Unfallfolgen seien als HWS-Distorsionsverletzung I. Grades nach Erdmann bzw. nach Quebec Task Force einzuschätzen und nach einem Zeitraum von vier Wochen als abgeschlossen anzusehen. Unfallbedingte Seitverbiegungen des Achsorgans könnten nur dann entstehen, wenn es zu Wirbelkörperbruchverletzungen gekommen sei, die in einer Fehlform ausgeheilt seien, so dass der lotgerechte Aufbau des Achsorgans nicht mehr bestehe oder wenn es zu massiven Weichteilverletzungen der die Wirbelsäule stabilisierenden Muskulatur gekommen sei. Derartige schwerwiegende Verletzungen seien hier nicht dokumentiert. Auch der Bandscheibenvorfall im HWS-Bereich sei nicht unfallbedingt, da es an einer erheblichen Primärsymptomatik im Bereich der HWS mit Haltungsinsuffizienz und weitgehender Bewegungsunfähigkeit unmittelbar im Anschluss an den Arbeitsunfall fehle. Des Weiteren fehle es an einer im MRT nachgewiesenen Rissverletzung der die Bandscheibe umgebenden Bandstruktur. Schließlich könne auch der Bandscheibenvorfall zwischen dem 5. Lendenwirbelkörper und dem 1. Kreuzbeinsegment nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall zurückgeführt werden, weil es sowohl an einem notwendigen Rasanztrauma als auch an den notwendigen Erstbefunden fehle. Hinweise darauf, dass die Gesundheitsstörungen der Klägerin im Bereich der Gebärmutter in Verbindung mit dem Unfallereignis stehen könnten, ergäben sich aus medizinischer Sicht nicht. Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 18. April 2011 abgewiesen.

Gegen den am 28. April 2011 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 09. Mai 2011 bei dem SG Berlin eingegangene Berufung, mit welcher die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter verfolgt. Mit Schreiben vom 17. Juni 2011 hat sie die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 109 SGG durch einen - von ihr noch zu benennenden – Orthopäden beantragt.

Mit Schreiben der Berichterstatterin vom 21. Juni 2011 ist die Klägerin unter Hinweis darauf, dass ihr Recht nach § 109 SGG jedenfalls hinsichtlich des orthopädischen Fachgebietes bereits erstinstanzlich verbraucht sei, aufgefordert worden, einen entsprechenden Arzt bis zum 22. Juli 2011 zu benennen. Dem ist sie nicht nachgekommen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. April 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Rücknahme des Bescheides vom 06. September 1999 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 12. April 1999 Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Durch Beschluss des Senats vom 09. August 2011 ist der Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 5 SGG der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (5 Bände und 1 Regressakte) sowie der Akten des SG Berlin zu den Aktenzeichen S 25 U 526/02 (2 Bände) und S 67 U 748/02) und der Unterlagen der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.Der Senat konnte hier trotz der Abwesenheit der Klägerin bei der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 2012 entscheiden, denn sie war nicht persönlich geladen und die an sie zugestellte Terminsmitteilung enthielt einen Hinweis auf die Rechtsfolgen des Nichterscheinens (§§ 153. Abs. 1, 126 SGG).

Der Klägerin steht, wie das SG zutreffend entschieden hat, ein Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 12. April 1999 nicht zu.

Der angefochtene Bescheid vom 12. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 06. September 1999 nach § 44 Abs. 1 SGB X, denn der Bescheid ist nicht rechtswidrig.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, soweit sich ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies ist vorliegend in Bezug auf den Bescheid vom 06. September 1999 nicht erkennbar. Mit diesem Bescheid hatte die Beklagte es abgelehnt, der Klägerin nach Beendigung der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit Verletztenrente ab dem 12. Mai 1999 zu zahlen, da keine Unfallfolgen mehr vorlägen, die eine MdE von wenigstens 20 v. H. bedingten. Die bei dem Arbeitsunfall erlittene mäßige HWS-Distorsion Grad I sei ausgeheilt. Die derzeitigen Beschwerden seien durch ein bereits vor dem Arbeitsunfall bestehendes und behandlungsbedürftiges HWS-Syndrom bedingt.

Auch bei erneuter Überprüfung ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte hier zu einer fehlerhaften und rechtswidrigen Beurteilung gelangt wäre.

Nach § 56 Abs. 1 S. 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigsten die Zahl 20, besteht nach § 56 Abs. 1 S. 2 SGB VII für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Nach § 56 Abs. 1 S. 3 SGB VII werden die Folgen eines Versicherungsfalls allerdings nur berücksichtigt, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern. Nach § 7 Abs. 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle der Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Nach § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Der Gesetzgeber bringt mit der Formulierung „infolge“ in § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII das Erfordernis eines Zusammenhangs zum Ausdruck. Es muss eine kausale Verknüpfung des Unfalls mit der betrieblichen Sphäre bestehen, mithin eine rechtliche Zurechnung für besonders bezeichnete Risiken der Arbeitswelt beziehungsweise gleichgestellter Tätigkeiten, für deren Entschädigung die gesetzliche Unfallversicherung als spezieller Zweig der Sozialversicherung einzustehen hat, und zwar nicht nur im Sinne einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, sondern auch im Sinne der Zurechnung des eingetretenen Erfolges zum Schutzbereich der unfallversicherungsrechtlichen Norm als eines rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhangs (Zurechnungslehre der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, etwa Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 13 ff.). Die Frage nach diesem Zurechnungszusammenhang stellt sich auf drei Ebenen, nämlich als Unfallkausalität zwischen ausgeübter Tätigkeit und Unfallereignis, als haftungsbegründende Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden und als haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheitserstschaden und längerandauernden Unfallfolgen (BSG, a. a. O., Rn. 10; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, Kap. 1.4, S. 21 f.). Die vorgenannten Merkmale der versicherten Tätigkeit und des Unfallereignisses müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R –, zitiert nach juris Rn. 15). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a. a. O., auch Rn. 18 und 20). Soweit das Gesetz in § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII eine äußere Ursache für den Gesundheitsschaden fordert, lösen im Umkehrschluss solche Gesundheitsschäden keinen Anspruch aus, welche auf so genannten inneren Ursachen beruhen. Dies sind körpereigene Ursachen infolge krankhafter Erscheinungen oder der Konstitution des Betroffenen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Kap. 1.6.3, S. 28).

Das Vorliegen eines Versicherungsfalls (hier: Arbeits- (Wege-) Unfall vom 12. April 1999) ist unstreitig. Weiterhin unstreitig ist dass, die Klägerin durch den Unfall jedenfalls eine HWS-Distorsion Grad I nach Erdmann bzw. nach Quebec Task Force als Gesundheitserstschaden erlitten hat.

Weitere Gesundheitserstschäden sind hingegen nicht nachgewiesen. Zu dieser anhand der zeitnah zum Arbeitsunfall erhobenen ärztlichen Untersuchungsbefunde der Frau Dr. B, des Dr. A, des Dr. L sowie des Krankenhauses A U nachvollziehbaren Beurteilung ist der von der Beklagten beauftragte Sachverständige Dr. H in seinem Gutachten vom 12. August 1999 ebenso gelangt wie Dr. W-R in seinem gerichtlichen Gutachten vom 10. September 2003 im Rahmen des Sozialrechtsstreits S 25 U 526/02. Weder aus den Befunden der MRT-Untersuchungen vom 06. Dezember 1999 (HWS), vom 01. Februar 2000 (BWS und LWS) und vom 25. Februar 2000 (Becken) noch aus dem Befund der CT-Untersuchung vom 02. Februar 2000 (BWS) oder aus den nachfolgend etwa in den Jahren 2002 oder 2009 erhobenen apparativen Befunden ergibt sich etwas anderes. Strukturelle Schäden des Achsorgans wie etwa Wirbelkörperbrüche, Verletzungen/Risse der Bandscheiben oder der die Wirbelsäule umgebenden Bänder bzw. Weichteile sind ebenso wenig dokumentiert und damit nachgewiesen wie gravierende objektivierbare Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule unmittelbar nach dem Arbeitsunfall oder neurologische Störungen.

Es ist des Weiteren nicht nachgewiesen, dass aus den nachgewiesenen Gesundheits(erst)schäden (HWS-Distorsion I. Grades) dauerhafte Unfallfolgen resultieren. Daher ergibt sich auch keine MdE, denn eine solche kann sich nur an dauerhaften Unfallfolgen bemessen. Die MdE richtet sich gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab: Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze (z. B. in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010 oder Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 12. Aufl. 2010 oder Rompe/Erlenkämper/Schiltenwolf/Hollo, Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane, 5. Aufl. 2009) sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 14/03 R -, zitiert nach Juris Rn. 12). Für eine Art „Risikozuschlag" oder „Gefährdungs-MdE" wegen der Prognoseunsicherheiten hinsichtlich der Entwicklung einer Krankheit ist in der auf die verminderten Arbeitsmöglichkeiten bezogenen MdE-Schätzung in der gesetzlichen Unfallversicherung kein Raum, weil auf die Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens im Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist und erst in Zukunft möglicherweise eintretende Schäden grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind (BSG a. a. O., Rn. 18). Die MdE nach den Erfahrungssätzen schließt eine schmerzbedingte Bewegungseinschränkung ebenso mit ein wie die erfahrungsgemäßen Begleitschmerzen einer körperlichen Funktionseinschränkung (vgl. u. a. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O. 5.5.10 S. 221). Letztlich ist die Bewertung der MdE jedoch als Rechtsfrage durch das erkennende Gericht durchzuführen, wobei das Gericht sich der Mitwirkung eines fachkundigen Arztes versichern darf (vgl. schon BSG in SozR 2200 § 581 Nr. 5 m. w. N.).

Zutreffend ist daher das SG davon ausgegangen, dass nach diesen Maßstäben hier keine MdE anzusetzen ist. Sowohl Dr. H als auch Dr. W-R sind in überzeugender Weise zu dieser Beurteilung gelangt, der sich der Senat nur anschließen kann.

Soweit Dr. G hier in seinem Gutachten vom 23. Mai 2003 zu einer anderen Auffassung gelangt war, fehlt diesem Gutachten jegliche Plausibilität. Insbesondere ist es diesem Gutachter nicht gelungen, weitere Gesundheitserstschäden nachzuweisen. Daher konnten und können seine Ausführungen zu einer Wirbelsäulenverbiegung als Unfallfolge, ohne dass er eine massive Verletzung der Wirbelkörper oder der Weichteile benennen konnte, nicht überzeugen.

Im Übrigen gelangt auch der von der Klägerin erstinstanzlich als Gutachter nach § 109 SGG benannte und überaus erfahrene Sachverständige Prof. Dr. S in seinem Gutachten vom 02. Februar 2011 zu einer Einschätzung, die völlig mit denen des Dr. H und des Dr. W-R übereinstimmt.

Soweit die Klägerin schriftsätzlich die Anhörung eines weiteren Orthopäden nach § 109 Abs. 1 SGG begehrt hat, war diesem Antrag bereits deshalb nicht nachzukommen, weil er in der mündlichen Verhandlung vom 31. Mai 2012 nicht aufrechterhalten worden ist. Darüber hinaus fehlt es für eine zulässige Beantragung an der Benennung eines bestimmten Arztes. Schließlich wäre einem Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG auch bei Benennung eines bestimmten Orthopäden nicht nachzukommen gewesen, weil das SG auf Antrag der Klägerin nach § 109 Abs. 1 SGG bereits den Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Prof. Dr. S als Sachverständigen eingesetzt hat. Das diesbezügliche Antragsrecht der Klägerin ist somit für die zweite Instanz verbraucht. Besondere Umstände, die es rechtfertigen würden, auf Antrag der Klägerin ein weiteres Gutachten nach § 109 Abs. 1 SGG einzuholen, liegen hier nicht vor. Allein die Tatsache, dass das Gutachten nicht zu dem von der Klägerin gewünschten Ergebnis geführt hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Schließlich musste sich das LSG auch nicht gedrängt fühlen, von Amts wegen nach § 106 Abs. 1 SGG ein weiteres (fachorthopädisches) Gutachten einzuholen, denn die Klägerin hat keine neuen Beurteilungsansätze aufzeigen können. Die zeitnah zum Arbeitsunfall erhobenen Befunde sind ausführlich und lückenlos bereits seit langer Zeit aktenkundig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.