Gericht | VG Cottbus 3. Kammer | Entscheidungsdatum | 03.12.2013 | |
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Aktenzeichen | VG 3 L 254/13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 123 Abs 1 VwGO, § 35a SGB 8 |
1. Dem Antragsteller wird für das Verfahren erster Instanz mit Wirkung vom 14. Oktober 2013 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des zur Vertretung bereiten Rechtsanwaltes S. bewilligt.
2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig bis zum Ende des Schuljahres 2013/2014 Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII in Form eines Einzelfallhelfers zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt der Antragsgegner.
Die Entscheidung erfolgt gemäß § 87 a Abs. 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch die Berichterstatterin, nachdem sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.
Der – sinngemäße - Antrag des Antragstellers,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, ihm vorläufig Eingliederungshilfe gemäß § 35 a SGB VIII in Form eines Einzelfallhelfers zu gewähren,
ist gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere steht nicht entgegen, dass der Antrag auf Eingliederungshilfe vom 30. Mai 2013 eher auf eine Beschulung in einer auf hochbegabte und verhaltensauffällige Kinder spezialisierten Schule mit Internatsunterbringung gerichtet war, während der Antragsteller vorliegend einen Einzelfallhelfer begehrt. Da die Beteiligten nicht über die Form der zu gewährenden Eingliederungshilfe streiten, der Antragsgegner vielmehr bereits das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des § 35 a des Sozialgesetzbuches (SGB) VIII verneint, erscheint es unter prozessökonomischen Gesichtspunkten weder geboten noch sachgerecht, den Antragsteller auf eine vorherige – und von vorn herein erfolglose – Antragstellung beim Antragsgegner hinsichtlich eines Einzelfallhelfers zu verweisen.
In der Sache hat der Antrag mit der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der von dem Antragsteller geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, also eine besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) sind von ihm glaubhaft zu machen, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung. Erstrebt der Antragsteller – wie hier – eine der Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich widersprechende teilweise oder gänzliche Vorwegnahme der Entscheidung der Hauptsache, kommt eine einstweilige Anordnung dabei nur ausnahmsweise in Betracht, wenn nämlich das Begehren in der Hauptsache schon auf Grund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden summarischen Prüfung des Sachverhaltes mit größter Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird und dem Antragsteller ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schlechthin unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstünden (vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Juni 2010 – 4 S 98.09 -, a. a. O., dort Rdn. 17 ff.; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. Juli 2012 – 1 M 65/12 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 3).
1. Hier hat der Antragsteller das Vorliegen eines Anordnungsanspruches glaubhaft gemacht. Er hat nach der gegenwärtigen Sach- und Rechtslage Anspruch auf Eingliederungshilfe.
Anspruchsgrundlage der begehrten Leistung ist § 35 a Abs. 1 SGB VIII.
Hiernach haben Kinder oder Jugendliche Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht (Nr. 1) und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist (Nr. 2). Die Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 a Abs. 1 SGB VIII ebenso wie über die erforderliche und geeignete Hilfe hat der Gesetzgeber dabei dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe zugewiesen, der hierfür zwar auf Stellungnahmen ärztlicher und sozialpädagogischer Fachkräfte zurückzugreifen hat, die aber ihrerseits die Entscheidung des Jugendhilfeträgers auch nicht vorweg nehmen dürfen und können, sondern vielmehr neben den fachärztlichen Diagnosen nachvollziehbare und gerichtlich überprüfbare Aussagen insbesondere auch darüber zu treffen haben, welche Lebensbereiche und welches soziale Umfeld von der Teilhabebeeinträchtigung betroffen sind.
Die Voraussetzungen des § 35 a Abs. 1 SGB VIII sind hier erfüllt. Ausweislich der fachärztlichen Berichte des ASKLEPIOS Fachklinikums Lübben – (Tages-)Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie/Psychosomatik (im Folgenden: Fachklinikum Lübben) - vom 4. Oktober 2011, 19. Oktober 2011, 16. November 2011 und 8. Mai 2012 und des sonderpädagogischen Abschlussberichtes des Klinikums vom 9. September 2011 wurden bei dem Antragsteller eine einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, eine Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten sowie eine kombinierte Störung schulischer Fertigkeiten (Legasthenie und Dyskalkulie) bei überdurchschnittlicher Intelligenz (HAWIK-III G-IQ: 131) diagnostiziert. Damit weicht die seelische Gesundheit des 2001 geborenen Antragstellers länger als sechs Monate von dem für sein Lebensalter typischen Zustand ab, § 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII.
Dies gilt ohne weiteres sowohl für die diagnostizierte Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung als auch für die Störung des Sozialverhaltens; beide sind im Katalog seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen erfasst (F90.0 und F91.3 ICD-10-GM).
Legasthenie und Dyskalkulie dagegen sind geistige Leistungsstörungen, die nach ständiger Rechtsprechung für sich genommen noch keine seelischen Störungen darstellen. Allerdings können in ihrer Folge psychische Störungen eintreten (sog. sekundäre Neurotisierung). Ein Abweichen der seelischen Gesundheit i. S. v. § 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII von dem für das Lebensalter typischen Zustand verlangt daher zusätzlich zu der geistigen Teilleistungsstörung die Feststellung hierin begründeter Sekundärfolgen im seelischen Bereich (vgl. zum Ganzen: Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 20. August 2009 – 1 B432/09 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 5; Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26. März 2007 – 7 E 10212/07 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 7).
Hier lässt sich den vorliegenden Stellungnahmen entnehmen, dass der Antragsteller in Folge der beschriebenen Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten auch unter einer seelischen Störung leidet. So heißt es insbesondere in dem Sonderpädagogischen Abschlussbericht des Fachklinikums Lübben - Tagesklinik – vom 9. September 2011, der Antragsteller zeige in diesem Zusammenhang besonders massive Vermeidungs- und Abwehrtendenzen, einhergehend mit starken Misserfolgserwartungen. Es bestehe bereits eine umfangreiche psychische Begleitsymptomatik, die die therapeutischen und schulischen Fördermaßnahmen erheblich erschwere. Ebenso attestiert der Bericht des Klinikums vom 19. Oktober 2011, dass die Teilleistungsstörungen bereits negative Auswirkungen auf den Selbstwert des Antragsstellers haben, der unter einer emotionalen Instabilität bei starken Insuffizienzgefühlen leide. Schon die Klassenlehrerin Frau P. beschrieb in ihrem Bericht, dass die Körpersprache des Antragstellers Unsicherheit in allen schulischen Belangen signalisiere, dass der Antragsteller nicht an sich glaube und grundsätzlich Misserfolge erwarte.
Ebenso hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass aufgrund dieser altersuntypischen Abweichung seiner seelischen Gesundheit seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt bzw. zumindest eine solche Beeinträchtigung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, § 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 SGB VIII.
Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist gekennzeichnet durch die aktive, selbstbestimmte und altersgemäße Ausübung sozialer Funktionen und Rollen in den das Kind oder den Jugendlichen betreffenden Lebensbereichen wie Familie, Freundeskreis, Schule und Freizeit, wobei eine Störung der Teilhabe bereits dann vorliegt, wenn sich die Störung in einem der Lebensbereiche auswirkt. Sie kann nicht nur durch eine Ausgrenzung der Umwelt, sondern auch durch subjektive Schwierigkeiten des Betroffenen, aktiv am Leben teilzunehmen, bedingt werden. Von einer Teilhabebeeinträchtigung im Sinne des § 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 SGB VIII ist daher auszugehen, wenn die seelische Störung nach Breite, Tiefe und Dauer so intensiv ist, dass sie die Fähigkeit des Betroffenen zur Eingliederung in die Gesellschaft beeinträchtigt oder eine solche Beeinträchtigung erwarten lässt, was sich in Fällen wie diesem beispielsweise in einer auf Versagensängsten beruhenden Schulphobie, einer totalen Schul- und Lernverweigerung, einem Rückzug aus jedem sozialen Kontakt oder in einer Vereinzelung in Schule, Familie und Freizeit äußert sowie im Auftreten psychosomatischer Reaktionen wie Schlafstörungen, Ritzen, Einnässen oder Nägelkauen. Bloße Schulprobleme und Schulängste, die andere Kinder oder Jugendliche teilen, genügen demgegenüber für die Annahme einer Teilhabebeeinträchtigung nicht (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. November 1998 – 5 C 38/97 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 15; Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26. März 2007 – 7 E 10212/07 -, a. a. O., dort Rdn. 7). Die Feststellungen hierzu sind vom insoweit allein entscheidungsbefugten Jugend- bzw. hier Sozialamt des Antragsgegners aus eigener sozialpädagogischer Sachkunde zu treffen (vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. August 2010 – 12 A 1237/09 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 9) und unterliegen der vollen gerichtlichen Kontrolle.
Hier ergibt sich eine (drohende) Teilhabebeeinträchtigung des Antragstellers im schulischen Bereich aus den vorliegenden (sozial)pädagogischen, schulpsychologischen und fachärztlichen Stellungnahmen. Diesen ist zu entnehmen, dass die Probleme des Antragstellers deutlich über „normale“ Schulprobleme hinausgehen und von ihm ohne Hilfe nicht überwunden werden können. So wird in Berichten der Klassenlehrer Frau P. und Herr M. durchgehend beschrieben, dass sich der Antragsteller den schulischen Anforderungen weitgehend verweigert, weder Mitschriften noch Hausaufgaben anfertigt, nur äußerst eingeschränkt anstrengungsbereit und motivierbar ist. Statt dessen stört er massiv den Unterricht durch provokantes Verhalten und Ablenken seiner Mitschüler (Werfen von Papierkugeln, Geräusche, Zwischenrufe, Reden). Diese Verhaltensweisen änderten sich weder durch den Wechsel der Grundschule im Oktober 2012 noch im Rahmen der stationären Behandlung des Antragstellers im Fachklinikum Lübben im Oktober/November 2011. Ausweislich des diesbezüglichen Berichtes der Klinik vom 8. Mai 2012 setzte der Antragsteller vielmehr sehr aktiv verschiedene Strategien ein, unliebsamen Anforderungen auszuweichen (diskutieren, „sich blöd stellen“, provozieren), störte häufig und versuchte durch unangemessenes Verhalten die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Bei allem wies der Antragsteller eine dysphorische Grundstimmung auf. Erschwerend wirkte sich zudem die hyperkinetische Symptomatik aus, aufgrund derer es dem Antragsteller an Ausdauer und Konzentration fehle. Nach Einschätzung der Leiterin der Wilhelm-Busch-Grundschule, die der Antragsteller derzeit besucht, in ihrem Schreiben vom 9. September 2013 ist dieser aufgrund der extremen Häufung von Beeinträchtigungen, die schon seit Jahren sein Leben bestimmen, nicht in der Lage, den inhaltlichen und sozialen Anforderungen der Schule gerecht zu werden. Ebenso äußert sich die Schulpsychologin Frau J. in ihrem Schreiben vom gleichen Tage, wonach sich die im Klinikbericht beschriebenen oppositionellen Verhaltensauffälligkeiten nach dem Wechsel des Antragstellers in die neue Grundschule deutlich verstärkt haben und es diesem trotz der bisher geleisteten Hilfe nicht gelinge, sich uneingeschränkt zu entwickeln. Ihrer Einschätzung zufolge ist der Antragsteller zwar noch kein aktiver Schulverweigerer, hat sich innerlich aber schon lange von der Schule distanziert.
Hinzu kommt, dass der Antragsteller auch sozial kaum integriert scheint. Wirklich enge, beständige Beziehungen zu Gleichaltrigen bestehen weder im schulischen noch im Freizeitbereich; der Antragsteller ist wenig anpassungsbereit und kooperationsfähig, wird aufgrund seines Störungsverhaltens auch von den anderen Schülern gemieden. Kontakte werden vielmehr nahezu ausschließlich im Zusammenhang mit Störungen und Disziplinverstößen beschrieben. Ähnliches gilt im Übrigen auch im Freizeitbereich des Antragstellers, der zu einer aktiven und sozial verbindlichen Freizeitgestaltung etwa in einem Verein nicht zu motivieren ist, auch über das von ihm einzig mit Ausdauer ausgeübte BMX-Radfahren ersichtlich keine sozialen Bindungen einzugehen vermag, sondern Kontakte lediglich – einer altersgemäßen Entwicklung und sozialen „Funktionsfähigkeit“ nicht entsprechend – mit teilweise deutlich älteren Jugendlichen pflegt, mit denen er „chillt“.
Insgesamt lässt sich anhand der beschriebenen Verweigerungs- und Vermeidungshaltung des Antragstellers feststellen, dass dieser – neben massiven familiären Problemen – besonders auch im schulischen Bereich erhebliche Probleme hat, sich in die Gesellschaft einzugliedern und den damit verbundenen Anforderungen gerecht zu werden. Dem steht nicht entgegen, dass er sich bislang der Schule – etwa durch Fernbleiben vom Unterricht – nicht völlig verweigert. Da es Ziel der Eingliederungshilfe ist, bereits den Eintritt einer drohenden seelischen Behinderung zu verhüten, haben entsprechende Eingliederungsmaßnahmen möglichst früh einzusetzen. Es würde die Anforderungen für die Annahme einer (drohenden) Behinderung überspannen, wenn zunächst der Eintritt einer völligen Schulphobie, einer totalen Lern- oder Schulverweigerung oder ein Rückzug aus jedem sozialen Kontakt und die Vereinzelung in der Schule festzustellen wäre (vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. April 2013 – OVG 6 S 12.13/OVG 6 M 21.13 -, Seite 5 des Entscheidungsabdruckes), wobei jedenfalls die beschriebene Lernverweigerung des Antragstellers ersichtlich bereits ein umfassendes Ausmaß erreicht hat und seine Auffälligkeiten auch schon einer kinderpsychiatrischen stationären Behandlung bedurften.
Nicht zu überzeugen vermag demgegenüber die Auffassung des Antragsgegners, die seelischen und sozialen Probleme des Antragsstellers gingen ausschließlich auf Erziehungsdefizite zurück, denen auch nur durch hierauf bezogene Maßnahmen – hier durch Implementierung der sozialpädagogischen Familienhilfe gemäß §§ 27, 31 SGB VIII – zu begegnen sei.
Zwar heißt es im Bericht des Fachklinikums Lübben vom 8. Mai 2012, die Störung werde wahrscheinlich durch dysfunktionales Interaktions- und Erziehungsverhalten verursacht und aufrechterhalten. Gleichzeitig empfiehlt die Klinik neben Änderungen im Erziehungsverhalten der Eltern des Antragstellers u. a. auch die Gewährleistung eines strukturierten Tagesablaufes bei zugewandter und konsequenter Führung, vorhersehbarer Grenzsetzung und erhöhter emotionaler Zuwendung, die Fortführung der Medikation, die Unterbreitung von ressourcenorientierten und altersgerechten Freizeitangeboten möglichst mit einer Einbindung des Antragstellers in eine Gruppe von Gleichaltrigen zum Ausbau und zur Stärkung seiner sozialen Kompetenzen und eine auf die Störung seiner schulischen Fertigkeiten ebenso wie auf seine Hochbegabung spezifisch reagierende Förderung. Hieraus wird die Komplexität des Störungsbildes des Antragstellers und seines Hilfebedarfes deutlich, die ein kombiniertes Wirken erzieherischer, medizinischer, schulischer und von Maßnahmen der Eingliederungshilfe erfordert, wie es etwa auch in § 35 a Abs. 4 SGB VIII vorausgesetzt wird. Mag der Antragsteller die Strategien von Provokation, Opposition und Vermeidung zuhause gelernt haben, er setzt sie jedenfalls auch im schulischen Kontext ein, was ihn in der Teilhabe auch in diesem sozialen Lebensbereich behindert. Hierauf verweist auch die Schulleiterin Frau Sch. in ihrem Schreiben vom 9. September 2013, in dem sie ausführt, dass auch wenn die Schule nicht die Ursache für das Arbeits- und Sozialverhalten des Antragstellers und seine emotionale Entwicklung bilde, sie aber doch der Ort sei, an dem seine Beeinträchtigungen und seelischen Nöte am deutlichsten zum Tragen kommen und am nachhaltigsten wirken. Dabei wirken offenkundig sowohl die Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung als auch die emotionalen und sozialen Auswirkungen der schulischen Entwicklungsstörung spezifisch mit, etwa wenn es im Klinikbericht vom 8. Mai 2012 heißt, dass der Antragsteller gerade seine ausgeprägte Selbstunsicherheit in neuen oder sozial herausfordernden Situationen durch provokantes oder betont gelangweiltes Verhalten zu überspielen versucht. Anlässlich des Hausbesuches des Antragsgegners am 20. Juni 2013 äußerte der Antragsteller selbst, dass er nicht gern zur Schule gehe, was insbesondere an den Fächern Deutsch und Mathematik liege. Hier langweile er sich, weil er vieles nicht verstehe, und gerate mit den Lehrern in Auseinandersetzungen.
Dem steht auch nicht entgegen, dass die bereits geleistete sozialpädagogische Familienhilfe Erfolge zeigt. Die diesbezüglich vorliegenden Entwicklungsberichte des mit der Durchführung der Maßnahme betrauten Grenzläufer e. V. (Frau C.) lassen vielmehr erkennen, dass einerseits der Antragsteller – durch eine ebenso zugewandte wie konsequente Einzelbetreuung - durchaus erreichbar und zu einer Verhaltensänderung motivierbar ist, dass aber andererseits die Verbesserungen im familiären Bereich und insbesondere im Erziehungsverhalten allein nicht genügen, die Auswirkungen der seelischen Störung des Antragstellers im schulischen Bereich zu mindern.
So lassen die Entwicklungsberichte infolge des geänderten Erziehungsverhaltens der Mutter (vor allem klare Regeln und Grenzsetzungen, Konsequenz und verbesserte Kommunikation) eine stete Verbesserung des Verhaltens des Antragstellers ihr gegenüber und der Beziehung beider zueinander erkennen. Dagegen heißt es bereits im Kurzbericht vom 28. Mai 2013, dass sich innerhalb des Schulalltags keine wesentlichen Veränderungen ergeben hätten, der Antragsteller vielmehr weiterhin durch unangemessenes Verhalten während des Unterrichts und Verweigerung bzw. Nichterfüllung der von den Lehrern gestellten Aufgaben auffalle. Auch ausweislich des aktuellen Entwicklungsberichtes vom 5. November 2013 gestaltet sich das Verhalten des Antragstellers innerhalb der Schule völlig anders als zu Hause. Er falle vermehrt und immer wieder durch sehr negatives Verhalten auf (Herumlaufen im Raum, unter dem Tisch kriechen, auf dem Stuhl liegen, direkte Ablenkung von Mitschülern durch Geräusche, Zeichen, Werfen von Papierkugeln) und störe hierdurch den Klassenverband erheblich. Auf Ermahnungen und Aufforderungen der Lehrer zeige er weder Einsicht noch Reaktion. Auch selbst lasse er sich leicht ablenken, zeige weder Eigenmotivation noch Eigenverantwortung, sondern sehe gerade in Bezug auf die Schule, die für ihn nebensächlich sei, keine Veranlassung, sich aus eigenem Antrieb zur Mitarbeit zu bewegen. Mitschriften erschienen ihm unsinnig und somit nicht nötig, gleiches gilt für das Eintragen von Hausaufgaben. Auch eine entsprechende Ermutigung durch Frau C. habe keinen Erfolg gezeigt. Entsprechend heißt es im Protokoll eines Beratungsgespräches zwischen Mitarbeitern des Jugendamtes des Antragsgegners, dem Klassenlehrer, der Schulpsychologin und Frau C. am 8. September 2013, dass das Verhalten des Antragstellers immer schwieriger werde, es täglich Zwischenfälle gebe, er sich durch die Lehrer nicht motivieren lasse. Nach Einschätzung der Schule habe sich der Antragsteller aufgrund seiner permanenten Misserfolge im schulischen Kontext Strategien erarbeitet, die es ihm ermöglichen, über den Tag zu kommen.
Zwar äußert der Antragsteller ausweislich wiederholter entsprechender Vermerke in den Entwicklungsberichten der sozialpädagogischen Familienhilfe, er gehe gern zur Schule – wobei der hierfür zur Verstärkung dieser Einstellung in Bezug genommene Hinweis, dass der Antragsteller noch nie zu spät zum Unterricht erschienen sei, durch entgegengesetzte Aussagen seitens der Schule relativiert wird, wonach er sogar häufig zu spät komme -; die eben zitierten Berichte und Stellungnahmen lassen jedoch erkennen, dass der Antragsteller aus eigenem Antrieb bzw. trotz der ihm bisher gewährten Unterstützung nicht imstande ist, sein Verhalten im schulischen Bereich den dort an ihn gestellten Anforderungen anzupassen und sozial adäquat zu agieren, was gleichermaßen bereits in der zuvor von ihm besuchten Erich-Kästner-Grundschule und im Rahmen seiner Beschulung während der stationären Behandlung im Fachklinikum Lübben der Fall war. Auch die positiven Ergebnisse seiner Teilnahme am sog. Mathetreff der Humboldt-Universität zu Berlin im Sommersemester 2013 belegen ausweislich der diesbezüglichen Stellungnahme der Leiterin des Seminares Frau Prof. Dr. G. vom 7. September 2013, dass der Antragsteller hierfür der individuellen und unmittelbaren Unterstützung und Ermunterung bedarf. Diese Einschätzung teilt auch die Schulpsychologin Frau J. in ihrem Schreiben vom 9. September 2013, die klar stellt, dass der Antragsteller aus ihrer Sicht sowohl Eingliederungshilfe in Form eines Einzelfallhelfers als auch Hilfe zur Erziehung benötigt.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Antragsteller aufgrund seiner (drohenden) seelischen Behinderung hinsichtlich der sich daraus ergebenden Probleme im schulischen Bereich der Eingliederungshilfe bedarf, die angesichts des komplexen Störungsbildes neben die bereits installierten Maßnahmen der sozialpädagogischen Familienhilfe und der schulischen Förderung tritt. In Auswertung der vorliegenden Stellungnahmen und Berichte erscheint die individuelle Begleitung durch einen Einzelfallhelfer im Schulalltag, der den Antragsteller konsequent und zugewandt führt, motiviert, dessen Konzentration unterstützt und auf das Einhalten von Regeln achtet, zunächst als geeignete Hilfeform, wobei es im Hinblick auf § 35 a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII sachgerecht erscheint, hiermit – soweit eine entsprechende Eignung besteht – etwa Frau C. vom Grenzläufer e. V. zu beauftragen, die nicht nur bereits im Rahmen der sozialpädagogischen Familienhilfe erfolgreich mit dem Antragsteller und dessen Mutter zusammen arbeitet, sondern ersichtlich auch das Vertrauen des Antragstellers genießt.
2. Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, insbesondere da die geschilderte weitere Verschlechterung seines Verhaltens im schulischen Bereich die Annahme rechtfertigt, dass sich ohne die Gewährung von Eingliederungshilfe seine seelischen Beeinträchtigungen weiter verstärken und neben der Lern- auch eine völlige Schulverweigerung droht. Daher kann dem Antragsteller ein Zuwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden. Die Begrenzung der vorläufigen Hilfegewährung auf das laufende Schuljahr entspricht dem kinder- und jugendhilferechtlichen Grundsatz, wonach Maßnahmen nicht unbegrenzt, sondern abschnittsweise gewährt werden, um wiederkehrend das Vorliegen der Voraussetzungen zu überprüfen, wobei bei einer im schulischen Bereich wirkenden Maßnahme eine Orientierung am laufenden Schuljahr sachgerecht erscheint. So gibt dies den Beteiligten insbesondere Gelegenheit, anhand weiterer Berichte und Stellungnahmen Eignung und Angemessenheit der Eingliederungsmaßnahme im Hinblick auf die Entwicklung des Antragstellers zu prüfen und ggf. zu erwägen, ob dieser doch eines Wechsels in eine andere Schulform bedarf.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.