Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 16.01.2014 | |
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Aktenzeichen | OVG 6 M 128.12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 166 VwGO, § 114 ZPO, § 115 Abs 2 ZPO, § 121 ZPO, § 45 SGB 10, § 50 Abs 2 S 1 SGB 10, § 104 SGB 10, § 107 SGB 10, § 7 Abs 1 S 1 WoGG, § 28 Abs 3 WoGG |
Die Frage, ob und mit welcher Folge die Regelung des § 107 SGB X auf Fälle anzuwenden ist, in denen an sich die Voraussetzungen eines von der Wohngeldbehörde geltend gemachten Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X erfüllt sind, ist offen und bislang in der Rechtsprechung nicht hinreichend erklärt. Sie ergibt sich auch nicht ohne weiteres aus dem Gesetz, sondern bedarf eingehender Prüfung und rechtfertigt deshalb die Annahme hinreichender Erfolgsaussichten im Prozesskostenhilfeverfahren
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. Juli 2012 wird geändert. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt und ihr Rechtsanwältin E... K... E... aus B... beigeordnet.
Im Hinblick auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin werden monatliche Ratenzahlungen in Höhe von 60 Euro festgesetzt.
Die Beschwerde der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 und § 121 der Zivilprozessordnung - ZPO - einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das erstinstanzliche Verfahren.
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet im Verfahren der ersten Instanz hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig.
Die Beteiligten streiten um die Rückforderung von der Klägerin und ihren Kindern im Zeitraum Dezember 2011 bis März 2012 gewährtem Wohngeld in Höhe von insgesamt 912 Euro. Das Verwaltungsgericht hat hinreichende Erfolgsaussichten der Klage mit der Begründung verneint, der Beklagte könne Erstattung des strittigen Wohngeldes gemäß § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X verlangen. Dieses Wohngeld sei ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden, weil der Bewilligungsbescheid im fraglichen Zeitraum gemäß § 28 Abs. 3 WoGG unwirksam geworden sei. Die Klägerin und ihre Kinder hätten in diesem Zeitraum Leistungen nach dem SGB II bezogen, bei deren Berechnung Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden seien. Ein Wohngeldanspruch sei daher nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WoGG ausgeschlossen gewesen. Die Beschwerde wendet hiergegen ein, dem Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X stehe § 107 Abs. 1 SGB X entgegen. Diese Regelung bewirke nicht nur, dass der Sozialleistungsanspruch gegen den zuständigen Leistungsträger im Umfang des Erstattungsanspruchs erlösche, sondern begründe auch die Rechtsgrundlage für das Behaltendürfen der erbrachten Sozialleistungen für den Leistungsempfänger.
Vor diesem Hintergrund sind hinreichende Erfolgsaussichten des Klageverfahrens zu bejahen, denn der Ausgang des Verfahrens hängt von der Beantwortung der Rechtsfrage ab, ob und mit welcher Folge die Regelung des § 107 SGB X auf die vorliegende wohngeldrechtliche Sachverhaltskonstellation anwendbar ist. Die Beantwortung dieser Frage ist nach Einschätzung des Senats offen und bislang in der Rechtsprechung nicht hinreichend geklärt. Sie ergibt sich auch nicht ohne weiteres aus dem Gesetz, sondern bedarf eingehender Prüfung.
Sinn und Zweck des § 107 Abs. 1 SGB X ist es, dass Sozialleistungen wie das Wohngeld und die Leistungen nach dem SGB II, sofern sie die Unterkunftskosten berücksichtigen, nicht doppelt gezahlt werden sollen. Wenn und soweit ein nachrangig verpflichteter Träger (hier das Wohngeldamt) geleistet hat, soll der vorrangig Verpflichtete (hier das Jobcenter) nicht von seiner Leistungspflicht befreit werden. Damit eine Doppelleistung an den Berechtigten vermieden wird, hat der vorrangig zuständige Träger, hier also das Jobcenter, dem anderen, hier dem Wohngeldamt, dessen Aufwendungen nach § 104 SGB X zu erstatten und wird dadurch von seiner Leistungspflicht gegenüber dem Berechtigten, hier der Klägerin, befreit. Dessen Sozialleistungsanspruch gilt nach § 107 Abs. 1 SGB X als erfüllt. Der Berechtigte braucht nicht die Leistung an den nachrangig zuständigen Träger, hier das Wohngeldamt, zurückzuerstatten. Diese Abwicklung bleibt allerdings auf einen Zahlungsausgleich zwischen den beiden Trägern beschränkt, wenn der vorrangig verpflichtete Träger nicht bereits vor seiner Kenntnis der Leistung des anderen selbst geleistet hat (BSG, Urteil vom 18. Oktober 1991 - 9b/7 Rar 12/88 -, Rn. 13 bei juris). Hier ist zum einen die Frage zu klären, ob der vorrangig verpflichtete Leistungsträger, also das Jobcenter, im Zeitpunkt der fraglichen Leistungen Kenntnis von den Wohngeldleistungen hatte. Diese Frage lässt sich nach gegenwärtiger Aktenlage nicht eindeutig beantworten. An sich liegt der Schluss nahe, dass das Jobcenter die die Unterkunftskosten berücksichtigenden Leistungen nach dem SGB II nicht geleistet haben würde, wenn es Kenntnis vom Wohngeldbezug gehabt hätte, da es insofern mit einem Erstattungsanspruch des Wohngeldamtes hätte rechnen müssen. Andererseits hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin im hiesigen Verfahren mit Schriftsatz vom 27. Juni 2012 (Bl. 20 d.A.) vorgetragen, die Klägerin habe ihren Wohngeldbezug gegenüber dem Jobcenter pflichtgemäß offenbart. Zudem wird im Hauptsacheverfahren ggf. die Frage zu klären sein, welche Auswirkungen es auf die Anwendung des § 107 Abs. 1 SGB X hat, dass dessen Zweck, Doppelleistungen an den Berechtigten zu vermeiden und eine - gewissermaßen unbürokratische - Abwicklung der Ansprüche im Verhältnis der Sozialleistungsträger untereinander zu ermöglichen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 1993 - 5 C 10/91 -, NVwZ 1995, S. 81 f., Rn. 15 bei juris), im vorliegenden Fall nicht mehr erreicht werden kann, weil beide Sozialleistungsträger bereits geleistet haben und damit fraglos eine Überzahlung bei der Klägerin eingetreten ist. Eine Anwendung des § 107 Abs. 1 SGB X auf den vorliegenden Fall hätte damit zur Folge, dass eine Erstattung der Überzahlung jedenfalls im Verhältnis der Klägerin zum Jobcenter erfolgen müsste. Im Rahmen dieser Würdigung wird weiter zu klären sein, welche Auswirkungen es hat, dass eine Rückforderung der Überzahlung durch das Jobcenter nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts regelmäßig ausscheiden dürfte. Denn danach setzt die Rücknahme einer anfänglich rechtswidrigen Bewilligung von SGB II-Leistungen wegen einer Verletzung von Mitteilungspflichten durch Unterlassen voraus, dass das Unterlassen einer rechtzeitigen Anzeige des konkreten Umstands für die Bewilligung wesentlich war und dessen Kenntnis eine rechtswidrige Bewilligung verhindert hätte (BSG, Urteil vom 28. März 2013 - B 4 AS 59/12 R -). Diese Voraussetzungen dürften zu verneinen sein, wenn schon die Mitteilungspflicht nicht verletzt wurde.
Die Klägerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auch nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Allerdings ist ihr bei einem anrechenbaren Einkommen von 193 Euro monatlich gemäß § 115 Abs. 2 ZPO eine Monatsrate von 60 Euro zuzumuten.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).