Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 27.01.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 6 S 50.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 123 VwGO, § 146 Abs 4 S 3 VwGO, § 146 Abs 4 S 6 VwGO, Art 33 Abs 2 GG |
Wird eine Bewerberauswahl maßgeblich auf die Eindrücke aus einem Auswahlgespräch gestützt, müssen die an die Bewerber gerichteten Fragen bzw. die besprochenen Themen, die Antworten der Bewerber, die Bewertung dieser Antworten durch die Auswahlkommission sowie der persönliche Eindruck von den Bewerbern zumindest in den Grundzügen nachvollziehbar dokumentiert werden (im Anschluss an OVG Berlin, Beschlüsse vom 21. März 2001 - OVG 4 SN 1.01 -, vom 22. Mai 2001 - OVG 4 SN 15.01 - sowie vom 24. August 2001 - OVG 4 SN 41.01 -; vgl. ferner OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. Mai 2004 - 1 B 300/04 -, NVwZ-RR 2004, 771; OVG Lüneburg, Beschluss vom 18. August 2011 - 5 ME 212/11 -, Juris)
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 12. August 2011 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, vor Ablauf von zwei Wochen nach Zustellung eines Bescheides über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 12. Mai 2011 die Beigeladene zur Leiterin des Geschäftsbereichs „Forschung und Entwicklung“ beim Deutschen Wetterdienst zu ernennen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Der Antragsteller, Leitender Regierungsdirektor (Besoldungsgruppe A 16), ist Leiter des meteorologischen Observatoriums Lindenberg des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Er bewarb sich erfolglos auf die ausgeschriebene Stelle des Leiters/der Leiterin des Geschäftsbereichs „Forschung und Entwicklung“ des DWD. Seinen Antrag, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, diese Stelle mit der hierfür ausgewählten Beigeladenen zu besetzen, solange nicht über seine Bewerbung bestandskräftig entschieden ist, hat das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) mit Beschluss vom 12. August 2011 abgelehnt.
1. Die hiergegen vom Antragsteller erhobene Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie hinlänglich begründet und setzt sich in ausreichendem Maße mit der erstinstanzlichen Entscheidung auseinander (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Die Ausführungen des Antragstellers erschöpfen sich nicht in einer Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrags; vielmehr ist der Beschwerdebegründung zu entnehmen, aus welchen Gründen die erstinstanzliche Entscheidung beanstandet wird.
2. Die Beschwerde ist auch in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Nach dem im Beschwerdeverfahren maßgeblichen Prüfstoff (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) hat das Verwaltungsgericht den Antrag zu Unrecht abgelehnt. Die Auswahlentscheidung zugunsten der Beigeladenen verletzt den Antragsteller in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch gemäß Art. 33 Abs. 2 GG. Die Beklagte hat das Auswahlverfahren mangels ausreichender Dokumentation der Auswahlgespräche rechtsfehlerhaft durchgeführt.
a) Das Verwaltungsgericht hat zwar unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 9. Juli 2007 - 2 BvR 206/07 -, m. w. N., NVwZ 2007, S. 1178 f.) zutreffend festgestellt, dass das dem gerichtlichen Rechtsschutzverfahren vorgelagerte Verwaltungsverfahren nicht so ausgestaltet sein darf, dass es den gerichtlichen Rechtsschutz vereitelt oder unzumutbar erschwert. Da der unterlegene Bewerber im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sowohl den Anordnungsgrund als auch den Anordnungsanspruch glaubhaft machen muss, sind die wesentlichen Auswahlerwägungen schriftlich zu fixieren, um den Mitbewerber in die Lage zu versetzen, sachgerecht entscheiden zu können, ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung bestehen; darüber hinaus eröffnet erst die Dokumentation der maßgeblichen Erwägungen auch dem Gericht die Möglichkeit, die angegriffene Entscheidung eigenständig nachzuvollziehen. Das Verwaltungsgericht verkennt jedoch die Tragweite und den Umfang der dem Dienstherrn bei Auswahlentscheidungen obliegenden Dokumentationspflicht. Der Antragsteller wendet zu Recht ein, dass der Ablauf der Auswahlgespräche nicht nachvollziehbar sei und deshalb die Punktevergabe nicht auf ihre inhaltliche Richtigkeit überprüft werden könne.
Eine wie im vorliegenden Fall maßgeblich auf die Eindrücke in einem Auswahlgespräch gestützte Bewerberauswahl muss ebenso wie eine sonstige Auswahlentscheidung daraufhin überprüft werden können, ob der Dienstherr von zutreffenden Rechtsbegriffen ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe sowie Verwaltungsvorschriften beachtet und keine sachwidrigen Erwägungen angestellt hat. Nach der Rechtsprechung des Gerichts erfordert dies zwar kein Protokoll, insbesondere kein Wortprotokoll der Gespräche, aber die an die Stellenbewerber gerichteten Fragen bzw. die besprochenen Themen, die Antworten der Bewerber, die Bewertung dieser Antworten durch die Auswahlkommission sowie der persönliche Eindruck von den Bewerbern müssen zumindest in den Grundzügen festgehalten werden (vgl. bereits OVG Berlin, Beschlüsse vom 21. März 2001 - OVG 4 SN 1.01 -, vom 22. Mai 2001 - OVG 4 SN 15.01 sowie vom 24. August 2001 - OVG 4 SN 41.01 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. Mai 2004 - 1 B 300/04 -, NVwZ-RR 2004, 771, Rn. 17 bei Juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 18. August 2011 - 5 ME 212/11 -, Juris). Daran fehlt es. Der Umstand, dass im vorliegenden Verfahren eine Leitungsposition der B-Besoldung besetzt werden soll und die Auswahlgespräche auf hohem fachlichem Niveau sowie durch Teilnehmer mit hoher Fachkompetenz geführt wurden, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
b) Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin stellt die nach Durchführung der Auswahlgespräche erstellte Ergebnismatrix keine hinreichende Dokumentation der Auswahlgespräche dar. Zum einen ist ihr nicht zu entnehmen, welche Fragen gestellt wurden bzw. über welche Themen ein Fachgespräch geführt wurde und welche Antworten die Bewerber gegeben haben. Zum anderen gibt diese Matrix keinen Aufschluss darüber, wie die Auswahlkommission einzelne Antworten oder Ausführungen der Bewerber bewertet hat, vielmehr werden dort generell Kenntnisse, Erfahrungen und Fähigkeiten der Bewerber und sonstige Eindrücke bewertet. Die dort vergebenen Punkte beziehen sich auch nicht ausschließlich auf die Auswahlgespräche, vielmehr sind Bewertungen aus dem vorangegangenen Assessment-Center und im Falle des Antragstellers aus dessen dienstlicher Beurteilung eingeflossen.
c) Das Schreiben vom 28. Februar 2011 an das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung enthält ebenfalls keine hinlängliche Dokumentation der Auswahlgespräche. Zwar ist ihm zu entnehmen, welche Themenbereiche dort behandelt wurden, nämlich die strategischen Ziele der Forschung im DWD und im Geschäftsbereich „Forschung und Entwicklung“ sowie die Einschätzung der Entwicklung der Forschung des DWD im übergreifenden nationalen und internationalen Kontext. In diesem Zusammenhang wurden Kenntnisse und Erfahrungen der Bewerber in den für den DWD wesentlichen Arbeitsschwerpunkten der Forschung und in der Entwicklung und Durchführung eigener Forschungsprogramme sowie im Umgang mit nationalen und internationalen Gremien und Arbeitsgruppen und ihre Fähigkeit zu vernetztem Denken und der Ableitung wesentlicher Schlussfolgerungen für die weitere Ausrichtung der Forschung geprüft. Die Grundzüge der Ausführungen der Bewerber sowie die Bewertung einzelner Ausführungen durch die Auswahlkommission sind diesem Schreiben jedoch nicht zu entnehmen. Es enthält lediglich unter Berücksichtigung sämtlicher Erkenntnismittel in Anlehnung an die Bewertungsmatrix eine zusammenfassende Bewertung der Eignung der Stellenbewerber.
d) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist dieser Mangel der Dokumentation nicht durch die ergänzenden Ausführungen der Antragsgegnerin im Zuge des vorliegenden Verfahrens geheilt. Eine Dokumentation erfordert schon begrifflich, dass die Aufzeichnungen von der Auswahlkommission bzw. einer von der Kommission zum Schriftführer bestellten Person stammen; außerdem muss sichergestellt sein, dass sie in einem so engen zeitlichen Zusammenhang mit den Auswahlgesprächen erstellt wird, dass eine korrekte Wiedergabe der Abläufe gewährleistet ist (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 21. Januar 2005 - OVG 4 S 44.04 -). Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Ausweislich des Schreibens an das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vom 28. Februar 2011 hat die Unterzeichnerin der Schriftsätze in diesem Verfahren nicht an den Auswahlgesprächen teilgenommen. Außerdem datiert der erste Schriftsatz der Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren auf den 26. Juni 2011, ist mithin erst vier Monate nach Durchführung der Auswahlgespräche erstellt worden. Darüber hinaus ist diesem sowie den weiteren Schriftsätzen auch nicht zu entnehmen, wie die Auswahlgespräche des Antragstellers und der Beigeladenen in den Grundzügen abgelaufen sind; die Antragsgegnerin beschränkt sich vielmehr darauf, die Bewertung einzelner Punkte der Entscheidungsmatrix zu plausibilisieren. Das Gericht wird hierdurch aber nicht in die Lage versetzt, die von den Bewerbern in den Auswahlgesprächen insgesamt erbrachten Leistungen und deren Bewertung durch die Auswahlkommission nachzuvollziehen.
3. Der Antrag des Antragstellers war abzulehnen, soweit er begehrt, der Antragsgegenerin die Stellenbesetzung bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über die Bewerbung des Antragstellers zu untersagen. Für eine derart weitreichende Anordnung besteht kein Anordnungsgrund. Ein solcher besteht nur, soweit die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sollte die Entscheidung über seinen Widerspruch gegen seine Nichtauswahl - gegebenenfalls nach Durchführung und ausreichender Dokumentation erneuter Auswahlgespräche - erneut zu seinen Lasten ausgehen, ist es dem Antragsteller aber zumutbar, innerhalb einer Frist von zwei Wochen erneut gerichtlichen Rechtsschutz zu beantragen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Der Antragsgegnerin waren die gesamten Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da der Antragsteller nur zu einem geringen, kostenmäßig nicht ins Gewicht fallenden Teil unterlegen ist. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht für erstattungsfähig zu erklären, da die Beigeladene keinen eigenen Antrag gestellt und sich mithin keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).