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Halbwaisenrente - Wartezeit - Kindererziehungszeit - Verlängerung


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 16.11.2012
Aktenzeichen L 3 R 163/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 34 Abs 1 SGB 6, § 50 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB 6, § 51 Abs 1 SGB 6, § 56 Abs 1 SGB 6, § 56 Abs 5 SGB 6

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger begehren von der Beklagten eine Halbwaisenrente nach ihrer verstorbenen Mutter.

Die Klägerin zu 1 wurde 1996 geboren, der Kläger zu 2 1997. Sie sind die leiblichen Kinder der 1977 geborenen und 1999 verstorbenen M T (Versicherte).

Die durch ihren Vater gesetzlich vertretenen Kläger stellten bei der Beklagten am 06. Oktober 1999 einen Antrag auf Halbwaisenrente. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheiden vom 21. Oktober 1999 unter Hinweis darauf ab, dass in der fünfjährigen Wartezeit insgesamt nur drei Jahre und drei Monate mit anrechenbaren Zeiten zurückgelegt worden seien.

Die Kläger stellten am mit Schreiben vom 22. Oktober 2009 einen Überprüfungsantrag. Sie verwiesen darauf, dass der Versicherten für jedes ihrer Kinder jeweils 36 Monate Erziehungszeiten anzurechnen seien. Die Beklage lehnte mit Bescheid vom 03. November 2009 die Rücknahme der Bescheide vom 21. Oktober 1999 ab. Die erforderliche Wartezeit von fünf Jahren sei nicht erfüllt. Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten könnten nur bis um Todestag der Versicherten anerkannt werden. Verlängerungszeiten könnten somit nicht anerkannt werden, weil die Versicherte bereits vor Ablauf der höchstmöglichen Kinderziehungszeit von drei Jahren verstorben sei.

Die Kläger erhoben am 28. November 2009 Widerspruch. Es seien für jedes Kind jeweils 36 Monate Kindererziehungszeiten zu berücksichtigen. Die Kindererziehungszeiten seien zu addieren. Denn es liege ein Fall der gleichzeitigen Erziehung mehrerer Kinder vor. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2010 zurück.

Die Kläger haben ihr Begehren mit der am 10. März 2010 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Sie haben die Auffassung vertreten, dass mit der von der Beklagten vorgenommenen Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten der gesetzliche Regelungszweck verfehlt werde. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 12. Januar 2012 abgewiesen. Die Versicherte habe so, wie es die Beklagte ihrer Verwaltungsentscheidung zutreffend zugrunde gelegt habe, lediglich eine Versicherungszeit von 39 Monaten zurückgelegt und somit die Wartezeit nicht erfüllt.

Die Kläger haben gegen das ihnen am 23. Januar 2012 zugestellte Urteil am 24. Februar 2012 Berufung eingelegt. Sie halten an ihrem bisherigen Vorbringen fest.

Sie beantragen (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Januar 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 03. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Dezember 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihnen unter Rücknahme der Bescheide vom 21. Oktober 1999 Halbwaisenrente nach der am 27. September 1999 verstorbenen Versicherten M T zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 24. September und 12. Oktober 2012 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter anstelle des Senats zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, des Ergebnisses der Beweisaufnahme und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Berichterstatter kann, weil die vorliegende Streitsache weder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist noch von grundsätzlicher Bedeutung ist, in Ausübung des insofern eröffneten richterlichen Ermessens anstelle des Senats im schriftlichen Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, vgl. §§ 155 Abs. 3 und 4, 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die zulässige Berufung der Kläger ist unbegründet. Die Voraussetzungen der für das klägerische Begehren einzig in Betracht zu ziehenden Anspruchsgrundlage aus § 44 Abs. 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) liegen nicht vor.

Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Dies zugrunde gelegt besteht kein Anspruch auf Rücknahme der Verwaltungsakte vom 21. Oktober 1999. Denn die Beklagte lehnte mit diesen Bescheiden zu Recht eine Halbwaisenrente für die beiden Kläger ab. Sie haben keinen Anspruch auf Halbwaisenrente nach ihrer verstorbenen Mutter.

Nach § 48 Abs. 1 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) haben Kinder nach dem Tod eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist (Nr. 1), und der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit, d.h. die allgemeine Mindestversicherungszeit (vgl. § 34 Abs. 1 SGB VI) erfüllt hat. Die Erfüllung der Wartezeit ist mithin eine der anspruchsbegründenden Voraussetzungen. Sie muss grundsätzlich vor der Begründung des Rentenanspruchs gegeben sein, bei Renten wegen Alters im Zeitpunkt des Rentenbeginns, bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und bei Renten wegen Todes vor Eintritt der Erwerbsminderung bzw. des Todes (etwa Löns, in: Kreikebohm, SGB VI, 3. Auflage 2008).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Versicherte erfüllte nicht die allgemeine Wartezeit.

Nach § 50 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI ist die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit Voraussetzung für einen Anspruch auf Rente wegen Todes wie die Halbwaisenrente (vgl. auch § 33 Abs. 4 Nr. 4 SGB VI). Nach § 51 Abs. 1 SGB VI werden u.a. auf die allgemeine Wartezeit Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet, welche gemäß § 55 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB VI u.a. Zeiten sind, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind oder für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Nach § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VI sind Kindererziehungszeiten Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren, welche für einen Elternteil unter den näher in § 56 Abs. 1 S. 2 SGB VI genannten Voraussetzungen angerechnet werden. Nach § 56 Abs. 5 S. 1 SGB VI beginnt die Kindererziehungszeit nach Ablauf des Monats der Geburt und endet nach 36 Kalendermonaten. Nach § 56 Abs. 5 S. 2 SGB VI wird, wenn während dieses Zeitraums vom erziehenden Elternteil ein weiteres Kind erzogen wird, für das ihm eine Kindererziehungszeit anzurechnen ist, die Kindererziehungszeit für dieses und jedes weitere Kind um die Anzahl an Kalendermonaten der gleichzeitigen Erziehung verlängert.

Dies zugrunde gelegt erfüllte die Versicherte die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren bzw. 60 Monaten nicht. Vielmehr ergeben sich für sie neben drei Monaten an sonstigen Pflichtbeitragszeiten nur noch weitere 36 Kalendermonate an Pflichtbeitragszeiten wegen Kindererziehung, und zwar für die am 12. September 1996 geborene Klägerin zu 1 für die Zeit von Oktober 1996 bis September 1999. Da der am 01. September 1997 geborene Kläger zu 2 im Zeitraum der Kindererziehung der Klägerin zu 1 geboren wurde, wäre für seine Erziehung ausschließlich beginnend ab Oktober 1999 eine Verlängerung der Kindererziehungszeit um weitere 24 Monate eingetreten, wenn nicht die Versicherte zuvor am 27. September 1999 verstorben wäre. Der eindeutige Wortlaut („verlängert“) in § 56 Abs. 5 S. 2 SGB VI steht einer Addition von Kindererziehungszeiten entgegen und verbietet eine dem Begehren der Kläger entsprechende Auslegung der Vorschrift. Bei der Auslegung der Norm bildet der aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, dem besonderen Sprachgebrauch des Gesetzes und dem allgemeinen juristischen Sprachgebrauch zu entnehmende Wortsinn den Ausgangspunkt und bestimmt zugleich die Grenze der Auslegung (Larenz/ Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage 2007, S. 163 ff.). Die gesetzliche Fassung steht bei alldem etwa auch einer fiktiven Wartezeitverlängerung über den Tod der Versicherten hinaus entgegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision ist mangels Zulassungsgrunds nach § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.