Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 28.09.2010 | |
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Aktenzeichen | OVG 11 B 26.08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 4 Abs 1 WaffG, § 8 WaffG, § 10 Abs 1 WaffG, § 10 Abs 3 S 1 WaffG |
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. April 2008 wird geändert.
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Polizeipräsidenten in Berlin vom 9. Februar 2007 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 2007 verpflichtet, dem Kläger eine Waffenbesitzkarte nebst Munitionserwerbsberechtigung für eine Signalpistole des Kalibers 4 (26,5 mm) zu erteilen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Waffenbesitzkarte mit Munitionserwerbsberechtigung für eine Signalpistole des Kalibers 4 (26,5 mm).
Er ist seit 1988 Inhaber eines Sportbootführerscheins See und seit 2005 Eigentümer von zwei 4,52 bzw. 5,33 m langen Motorbooten der Bootskategorie C Küstennahe Gewässer im Sinne der EU-Sportbootrichtlinie 94/25/EG. Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung nutzt er das letztgenannte Motorboot (Typ Bayliner), dessen Liegeplatz Düsseldorf ist, unterschiedlich häufig - je nach ihm beruflich zur Verfügung stehender Zeit - für Fahrten rheinabwärts bis zur Mündung und im Bereich der niederländischen Küstengewässer der Nordsee zwischen den westfriesischen Inseln und dem Festland (Wattseite) sowie auf dem Ijsselmeer. Das andere sei von ihm zuletzt auf dem Wandlitzsee eingesetzt worden; in dieser Saison habe er es allerdings außer Betrieb gestellt.
Seinen im Juni 2006 - unter Verweis auf eine erfolgreiche Sachkundeprüfung aus dem Jahre 1989 - gestellten Antrag auf erstmalige Erteilung einer Waffenbesitzkarte nebst Munitionserwerbsberechtigung nach § 10 Abs. 1 und 3 WaffG für zwei Signalpistolen, d.h. eine für jedes Boot, lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 9. Februar 2007 mit der Begründung ab, das gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 WaffG erforderliche Bedürfnis zum Erwerb und Besitz - auch nur - einer Signalpistole sei nicht glaubhaft gemacht. Denn er sei nicht Eigentümer eines hochseetüchtigen Schiffes und das Verlassen der küstennahen Gewässer mit seinen Booten wäre fahrlässig. Da davon auszugehen sei, dass er sich diesen Gefahren nicht aussetzen und den küstennahen Bereich nicht verlassen werde, benötige er auch keine waffenerlaubnispflichtige Signalpistole. Er könne vielmehr auf den erlaubnisfreien Erwerb von Seenotsignalmitteln verwiesen werden, die sich in der Steighöhe und Sichtweite hiervon nur wenig unterschieden und somit für den Nutzungszweck seiner Boote geeignet seien.
Seinen am 2. März 2007 eingelegten Widerspruch begründete der Kläger im Wesentlichen damit, auch als Eigentümer eines nur die deutschen Küstengewässer befahrenden Bootes habe er im Seenotfall ein entsprechendes Sicherheitsbedürfnis. Auch sei die Nutzung einer Signalpistole in einer Gefahrensituation effektiver und der Schutz von Leib und Leben bei der Güter- und Interessenabwägung als vorrangig anzusehen. Schließlich heiße es in der Begründung des Regierungsentwurfs zum WaffG (BT-Drs. 14/7758, S. 61), es erscheine „sicherheitspolitisch unbedenklich, das Mitführen einer Signalwaffe an Bord von Sportbooten zu gestatten, ohne neben der Waffenbesitzkarte einen Waffenschein zu verlangen“.
Durch Widerspruchsbescheid vom 21. Mai 2007 wies der Beklagte den Widerspruch unter Verweis auf die zutreffenden Gründe des Ausgangsbescheids zurück.
Die am 9. Juni 2007 erhobene und unter Wiederholung seines Vorbringens im Verwaltungsverfahren begründete, später auf die Erteilung nur einer Waffenbesitzkarte nebst Munitionserwerbsberechtigung beschränkte Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht Berlin - unter Einstellung hinsichtlich des zurückgenommenen Begehrens betreffend eine zweite Signalpistole - durch Urteil vom 14. April 2008 im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe weiterhin das erforderliche Bedürfnis nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 bzw. § 8 WaffG nicht nachgewiesen. Denn seine Boote seien nach ihrer Bauart nur für Fahrten in küstennahen Gewässern und Binnengewässern mit Windstärken bis einschließlich 6 Bft und Wellenhöhen bis zu 2 Metern ausgelegt. In diesen Bereichen benötige man jedoch keine Signalpistole, vielmehr genügten erlaubnisfreie Seenotsignalmittel wie etwa die Fallschirmsignalrakete T 2, die die gleiche Steighöhe (300 Meter) und Leuchtdauer (30 Sekunden) aufweise wie die aus der Signalpistole zu verschießende Fallschirmsignalpatrone. Dass letztere eine erheblich höhere Lichtstärke von bis zu 80.000 Candela gegenüber jener der Fallschirmsignalrakete von 25.000 Candela erreiche, falle in dem Bereich, für den die Boote des Klägers ausgelegt und vernünftigerweise nutzbar seien, nicht ins Gewicht. Wenn er gleichwohl auf das offene Meer hinausfahre, sei dies im Rahmen der Bedürfnisprüfung nicht berücksichtigungsfähig. Diese Einschätzung decke sich auch mit der Regelung in Nr. 8.1.4 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz vom 27. Januar 2006.
Der Senat hat die Berufung des Klägers durch Beschluss vom 16. September 2008 wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zur Klärung der Frage zugelassen, ob das dem Kläger erlaubte und mögliche Befahren küstennaher Seegewässer aus Sicherheitsgründen ein waffenrechtliches Bedürfnis für den Besitz einer Signalpistole begründe.
Mit dem am 26. September 2008 eingegangenen Berufungsbegründungsschriftsatz hat der Kläger Folgendes geltend gemacht:
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die erhebliche höhere Lichtstärke der rot leuchtenden Fallschirmsignalpatrone (FSP) falle für den Bereich, für den seine Boote ausgelegt und vernünftigerweise nutzbar seien, bei Seenot (Motorausfall, aufkommenden Wind mit der Gefahr des Abtreibens) nicht ins Gewicht, sei unzutreffend. Denn deren Lichtstärke von 80.000 Candela führe zu einer weitaus besseren Sichtbarkeit, vor allem auf größere Distanzen. Sie bewirke gegenüber der Lichtstärke der Fallschirmsignalrakete eine Steigerung um den Faktor 1,79, so dass sie etwa bei eingeschränkten Sichtverhältnissen, beispielsweise durch plötzlich aufkommenden Nebel, gegenüber einer in 1 Kilometer noch erkennbaren Fallschirmsignalrakete noch in 1,79 Kilometer Entfernung erkennbar sei. Auch biete die Signalpistole durch ihre einhändige Bedienbarkeit im Falle stärkeren Wind- und Wellenganges gerade bei seinen kleineren Booten einen erheblichen Sicherheitsvorteil (etwa gegen ein Über-Bord-Gehen), da man sich dann noch mit der anderen Hand festhalten könne. Auf die Distanz zur Küste komme es hierbei nicht an.
Schließlich sei von grundsätzlicher Bedeutung, ob bei einem nur im Gefahrenfalle einzusetzenden Seenotsignalmittel eine Güterabwägung zwischen dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit einerseits und der sicherheitspolitisch gewollten Eindämmung der im Umlauf befindlichen Schusswaffen andererseits überhaupt gerechtfertigt sei. Nach seiner Auffassung sei dies zu verneinen, da im Seenotfall das bestmögliche und effektivste Signalmittel einsetzbar sein müsse. Im Übrigen sei das Mitführen einer Seenotsignalpistole an Bord von Sportschiffen ausweislich der bereits zitierten Begründung des Gesetzentwurfs des WaffG sicherheitspolitisch als unbedenklich angesehen worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. April 2008 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 9. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 2007 zu verpflichten, ihm eine Waffenbesitzkarte mit Munitionserwerbsberechtigung für eine Signalpistole des Kalibers 4 (26,5 mm) zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er macht geltend, zwar sei es nie ganz auszuschließen, dass man in ein Unwetter gerate, jedoch sei die klägerischerseits geltend gemachte Seenotgefahr, bei Motorausfall aufgrund der (Gezeiten)Strömung, ggf. auch Windes, aus küstennahen Bereichen auf die hohe See abzutreiben und bei Nebels nicht gesehen zu werden, bei der gebotenen Beachtung der Wettervorhersage nicht relevant. Jedenfalls handele es sich dann um ein selbstgeschaffenes und keineswegs unvorhersehbares Risiko.
Auch die dargelegte deutlich höhere Lichtstärke der Fallschirmsignalpatrone gegenüber einer Fallschirmsignalrakete sei unter Berücksichtigung anderer Verständigungsmöglichkeiten wie Mobiltelefon oder Funkgerät und der wegen der Hochseeuntauglichkeit der Boote bestehenden Nähe zur Küste nicht von maßgeblicher Bedeutung. Im Übrigen gäbe es auch bei solchen Booten, wie sie der Kläger besitze, Möglichkeiten, erlaubnisfreie Signalmittel wie etwa die Fallschirmsignalrakete des Typs T 2 einhändig zu kontrollieren.
Bei der erforderlichen Güterabwägung überwiege der sicherheitspolitische Anspruch, möglichst wenige Waffen in Privatbesitz verfügbar zu halten, die nicht unvorhersehbaren, selbst geschaffenen Risiken durch Freizeittätigkeiten.
Der Senat hat über den Beklagten Stellungnahmen eingeholt, unter welchen Voraussetzungen die zuständigen Behörden in den deutschen Küstenregionen ein waffenrechtliches Bedürfnis für den Besitz von Seenotsignalpistolen bejahen und inwieweit dabei auf die Art und Größe des Wasserfahrzeugs abgestellt wird. Hinsichtlich der vorliegenden Stellungnahmen und der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Streitakte und den vorgelegten Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere besitzt der Kläger das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Dem steht nicht entgegen, dass er in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, er habe mit seinem Motorboot den küstennahen Bereich der Nordsee bisher nur in den niederländischen Hoheitsgewässern befahren und noch nicht geprüft, ob er dort die Signalpistole an Bord haben und im Seenotfall einsetzen dürfe. Denn die mit der Klage begehrte Waffenbesitzkarte ist notwendige Voraussetzung für die Erteilung eines die Mitnahme der Signalpistole aus dem Geltungsbereich des Waffengesetzes ermöglichenden Europäischen Feuerwaffenpasses (vgl. § 32 Abs. 6 WaffG, § 33 AWaffV). Im Übrigen wird diese auch für den bei der zuständigen niederländischen Behörde zu stellenden Antrag auf Erteilung einer Einfuhrgenehmigung für Signalpistolen in die Niederlande verlangt (vgl. entsprechende Angaben im von der Wasserschutzpolizei Nordrhein-Westfalen zusammen mit der niederländischen Wasserschutzpolizei herausgegebenen Wassersportführer 2010 zit. nach http://www. polizei-nrw.de/wasserschutz/stepone/data/downloads/3a/00/00/wassersportfuehrer-2010.pdf, S. 14 f.).
Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht Berlin hat seine Verpflichtungsklage durch Urteil vom 14. April 2008 zu Unrecht abgewiesen. Denn der Kläger hat entgegen den ablehnenden Bescheiden des Beklagten gemäß § 10 Abs. 1 und 3 Satz 1 WaffG Anspruch auf Erteilung einer Waffenbesitzkarte nebst Munitionserwerbsberechtigung für eine Signalpistole des Kalibers 4 (26,5 mm).
Dass er die (weiteren) Erlaubnisvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und 5 erfüllt, insbesondere die erforderliche Zuverlässigkeit und persönliche Eignung besitzt sowie die erforderliche Sachkunde nachgewiesen hat, hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung außer Streit gestellt. Bestritten werde nur sein waffenrechtliches Bedürfnis für den Besitz einer Seenotsignalpistole. Entgegen der Annahme des Beklagten hat der Kläger jedoch das nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 WaffG erforderliche Bedürfnis hierfür nachgewiesen.
Gemäß § 8 WaffG ist der Nachweis eines Bedürfnisses erbracht, wenn gegenüber den Belangen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zum einen besonders anzuerkennende persönliche oder wirtschaftliche Interessen und zum anderen die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Waffen oder Munition für den beantragten Zweck glaubhaft gemacht sind. Dazu bedarf es der Abwägung zwischen - besonders anerkennungswürdigen - privaten Interessen des Antragstellers und dem öffentlichen Interesse daran, dass die Zahl der in Privatbesitz befindlichen (Schuss)Waffen im Hinblick auf die staatliche Schutzpflicht für die Allgemeinheit möglichst klein gehalten wird, auch „um von vornherein der Gefahr vorzubeugen, dass dem legalen Waffenbesitzer Waffen entwendet und zu Straftaten benutzt werden“ (so die Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Neuregelung des Waffenrechts in BT-Drs. 14/7758 zu § 8 WaffG; ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit dem Urteil vom 24. Juni 1975 - 1 C 25.73 -, BVerwGE 49, 1, 5; vgl. auch Papsthart in: Steindorf u.a., Waffenrecht, Kommentar, 9. Auflage, § 8 WaffG Rz. 2 u. 3).
1. Soweit der Kläger geltend macht, eine Interessenabwägung sei zur Erteilung einer Waffenbesitzkarte mit Munitionserwerbsberechtigung für eine (Seenot)Signalpistole nicht erforderlich, da bei Gefahren für Leben und körperliche Unversehrtheit im Falle von Seenot das bestmögliche und effektivste Notsignalmittel einsetzbar sein müsse, kann dem allerdings nicht gefolgt werden. Denn der Gesetzgeber hat auch die großkalibrigen Signalwaffen, wie sie der Kläger vorliegend begehrt, in die Kategorie der „erlaubnispflichtigen Waffen“ aufgenommen (vgl. auch Anlage 1 zu § 1 Abs. 4 WaffG, Abschnitt 1 Unterabschnitt 1 Nr. 2.8 i.V.m. Nr. 1.2.1 und Heller/Soschinka, Waffenrecht, Kommentar, 2. Auflage 2008, Rz. 2600), für die eine Bedürfnisprüfung erforderlich ist. Er hat damit zu erkennen gegeben, dass er davon ausgeht, dass auch diese unabhängig von der bestimmungsmäßigen Benutzung zu Signalzwecken ein erhebliches Gefahrenpotential aufweisen. Diese Einschätzung ist nicht zu beanstanden und auch mit höherrangigem Recht vereinbar.
Soweit der Kläger für seine Auffassung auf die Begründung für die Freistellung von der Waffenscheinpflicht für Bergsteiger und Führer von Wasserfahrzeugen anlässlich des Waffenrechtsneuregelungsgesetzes 2002 verweist (nunmehr § 12 Abs. 3 Nr. 4 WaffG), wo das Mitführen von Signalwaffen an Bord von Sportbooten als „sicherheitspolitisch unbedenklich“ bezeichnet wird, geht dies fehl. Denn diese Begründung bezieht sich lediglich auf den Verzicht auf die Waffenscheinpflicht nach § 10 Abs. 4 WaffG, für die - hierbei geht es um das Führen von Waffen - strengere Voraussetzungen gelten als für die Erteilung einer Waffenbesitzkarte. Hierauf weist auch die Gesetzesbegründung ausdrücklich hin, die auf diesem Wege lediglich ein Mitführen von Signalwaffen an Bord auch kleinerer Sportboote ohne Kajüte, d.h. ohne Einrichtungen zum Wohnen, ermöglichen wollte. Dass von Signalpistolen keinerlei Gefährdungen ausgehen können, hat der Gesetzgeber somit keineswegs deutlich gemacht.
2. Voraussetzung für die Annahme eines Bedürfnisses im Sinne von § 8 WaffG ist (vgl. das o.g. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, siehe aber auch OVG Koblenz, Urteil vom 13. März 1997 - 2 A 11604.96 -, GewArchiv 1997, 372) die Glaubhaftmachung einer besonderen Gefährdungslage, d.h. einer solchen, die sich von jener für die Allgemeinheit wesentlich unterscheidet, eines anerkennungsfähigen Interesses, insbesondere muss der Gefährdungsunterschied waffenrechtlich berücksichtigenswert sein, und einer mit Hilfe der Waffe oder Munition erzielbaren Minderung der Gefährdung, d.h. die Feststellung, dass sich die Gefährdung nicht auf zumutbare andere Weise verhindern oder wenigstens ebenso mindern lässt.
a) Der Senat hat keinen Zweifel, dass schon das vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geschilderte, nicht nur ganz gelegentliche Befahren küstennaher Seegewässer der Nordsee im Bereich zwischen dem Festland und den vorgelagerten Inseln zu besonderen Gefährdungslagen im oben genannten Sinne führen kann. Das ist jedenfalls dann nicht von der Hand zu weisen, wenn es zu einem Motorausfall kommt. Denn dann können schon die Gezeitenströme, die zwischen den Inseln besonders stark sind, sowie gegebenenfalls ablandiger Wind, oder gar beides zusammen, zu einem schnellen Hinaustreiben des Boots in Richtung auf die offene See mit den daraus resultierenden Gefahren für Leib und Leben der Bootsinsassen führen. Frischt zusätzlich der Wind, beispielsweise bei einem herannahenden Gewitter, verbunden u.U. mit höherem Seegang, stark auf, ist erst recht ein akuter Seenotfall zu besorgen. Ebenso besteht für den Fall plötzlich aufkommenden - die Sicht und Sichtbarkeit einschränkenden - Seenebels, was im Küstenbereich auch räumlich ganz begrenzt möglich und deshalb nicht immer präzise voraussagbar ist, gerade bei einem manövrierunfähigen Motorschiff ein akutes Bedürfnis, auf den Seenotfall aufmerksam zu machen, um Kollisionen mit anderen Seefahrzeugen zu verhindern. An die Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefahrenlage dürfen angesichts der den Bootsinsassen in dieser Situation an Leib und Leben - und damit besonders hochwertigen Rechtsgütern - drohenden Gefahren keine überzogenen Anforderungen gestellt werden.
b) Ein besonders anzuerkennendes persönliches (Schutz)Interesse des Klägers kann auch nicht mit der Begründung verneint werden, hierbei handele es sich um Gefahren, denen er sich „in unvernünftiger und unnötiger Weise“ ausgesetzt habe (vgl. hierzu das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 1975, a.a.O., S. 11), bzw. um ein selbst geschaffenes und keineswegs unabweisbares Risiko (vgl. das Urteil des OVG Koblenz vom 13. März 1997 - 2 A 11604 -, GewArchiv 1997, 372 für einen sich in der Freizeit dem Bergsteigen in Extremlagen widmendem Antragsteller, was dort allerdings schon für Segler bzw. Yachtfahrer verneint wird). Denn auch das Befahren küstennaher Gewässer der Nordsee in dem Bereich, den der Kläger benannt hat, d.h. der Wattseite zwischen Inseln und Festland, stellt im Normalfall, d.h. bei relativ sicheren Wetterverhältnissen, auch mit einem Motorboot in der Größe, die der Kläger hierfür nutzt, dem 5,33 m langen Bayliner - es handelt sich unstreitig um ein Motorboot der Kategorie C Küstennahe Gewässer im Sinne der Sportbootrichtlinie 94/25/EG, das somit auch für diese Zwecke ausgelegt ist -, kein unvernünftiges und unnötiges Risikoverhalten dar. Dass man, wie oben ausgeführt, im Falle eines nicht vorhersehbaren Motorausfalls auch dort und bei nach den Vorhersagen nicht drohenden Schlechtwetterlagen gleichwohl in Seenot geraten kann, was auch der Beklagte in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, steht dem nicht entgegen. Im Übrigen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung auch keineswegs den Eindruck vermittelt, dass er bei der Nutzung seines Bootes unvernünftige Risiken eingeht.
Wenn der Beklagte demgegenüber Signalpistolen nur für „hochseetüchtige“, Schiffe unabhängig vom Nutzungsbereich und den dort jeweils drohenden spezifischen Gefahren erlauben will, erscheint das schon im Ansatz verfehlt. Auch ist darauf hinzuweisen, dass Nr. 8.1.4 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz keine derartige Einschränkung enthält, sondern lediglich von Schiffen und Booten spricht, „die für Fahrten seewärts der Basislinie (Küstenmeer, küstennahe Seegewässer und Hohe See) geeignet und bestimmt sind“.
c) Auch die Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Signalpistole des Kalibers 4 (26,5 mm) für den Zweck, für den der Kläger sie begehrt, d.h. das Verschießen von Fallschirmsignalpatronen im Bereich küstennaher Seegewässer der Nordsee bei Seenot, ist vorliegend gegeben. Die Erforderlichkeit wäre allerdings dann zu verneinen, wenn sich die Gefährdung auf zumutbare andere Weise verhindern oder wenigstens ebenso mindern ließe wie durch den erstrebten Erwerb der Waffe (s. nur BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1975, a.a.O. S. 10). Das ist allerdings nicht der Fall.
In Betracht käme insoweit vorliegend, wie der Beklagte geltend macht, die Anschaffung und Mitnahme einer - aus der Hand nach Entfernung der Verschlusskappe mittels Ziehen eines Drahtes/Bandes zu verschießenden, knapp 26 cm langen und 230 Gramm schweren - Fallschirmsignalrakete der Klasse T 2. Diese Rakete ist jedoch aus zwei Gründen nicht zumindest ebenso geeignet, im Seenotfall die Gefahren für die Bootsinsassen zu mindern, wie die mit der Signalpistole zu verschießende Fallschirmsignalpatrone. Zum einen weist sie zwar in der Steighöhe (300 m) und der Brenndauer (30 Sekunden) identische Werte wie die Signalpatrone auf. Sie unterscheidet sich von ihr allerdings in der Licht- bzw. Leuchtstärke für das - den akuten Seenotfall anzeigende - rote Leuchtsignal deutlich, da sie nur einen Wert von 25.000 Candela gegenüber 80.000 Candela für die Signalpatrone erreicht. Dass dies die Wahrnehmung des Seenotsignals auf weitaus größere Distanzen ermöglicht, hat der Kläger unwidersprochen dargelegt und liegt auf der Hand. Dann jedoch wird hierdurch auch eine Minderung des Gefährdungsrisikos bzw. Erhöhung der Rettungschance erreicht. Zum anderen bestehen aber auch, worauf die Fachdienststelle der Stadt Cuxhaven in ihrer Stellungnahme vom 20. November 2008 zu Recht hinweist, erhebliche Handhabungs- und damit Sicherheitsvorteile. Diese ergeben sich daraus, dass die Fallschirmsignalrakete in der oben geschilderten Weise nur unter Nutzung beider Hände gestartet werden kann, während die Fallschirmsignalpatrone aus der Signalpistole einhändig zu verschießen ist. Das habe den Vorteil, dass die andere Hand in Schlecht-Wetter-Situationen genutzt werden könne, um sich festzuhalten, was insbesondere für kleinere, bei Wellengang sehr unruhig im Wasser liegende Sportboote - ein solches ist der vom Kläger genutzte 5,33 m lange Bayliner - die Sicherheit erhöhe. Dass jedenfalls für das Nachladen der Signalpistole auch die andere Hand benötigt wird, stellt das nicht in Frage. Denn Lade- und Abschussvorgang können voneinander getrennt werden, so dass beim besonders risikobehafteten Abschuss ein Festhalten möglich ist, was die Gefahr eines „Fehlschusses“ und damit die Gefährdung der Bootsinsassen und ggf. anderer Personen im potentiellen (Fehl)Schussbereich vermindert.
Die Erforderlichkeit einer Signalpistole unter dem Gesichtspunkt einer in jeder Hinsicht gleichwertigen Schutzalternative wird auch nicht durch den Hinweis des Beklagten auf „andere Verständigungsmöglichkeiten“ wie Mobiltelefon oder Funkgerät in Frage gestellt. Denn damit können zwar Notrufe abgesetzt werden, wenn ein stets möglicher Defekt etwa durch Spritzwasser oder dergleichen bzw. ein „fehlendes Netz“ oder ein Netzausfall dies nicht verhindert. Hierbei handelt es sich jedoch um andersgeartete Seenotrettungsmittel, die optische Signalmittel ergänzen, aber nicht ersetzen. Nichts Anderes gilt für die Nutzung einer Funkboje/Seenotbake.
d) Bei der Abwägung dieser besonders anzuerkennenden persönlichen Interessen des Klägers für die Erteilung einer Waffenbesitzkarte für eine (Seenot)Signalpistole - und die entsprechende Munitionserwerbsberechtigung - mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen, im Interesse der Allgemeinheit den Privatbesitz von Schusswaffen auf das unbedingt notwendige und vertretbare Maß zu beschränken, überwiegen vorliegend die privaten Interessen des Klägers.
Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Bedürfnisprüfung nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. die o.g Begründung des Gesetzentwurfs zum Waffenrechtsneuregelungsgesetz 2002, BT-Drs. 14/7758, S. 56 f.) vor allem dem Schutz vor Missbrauch von Schusswaffen dient. Diese Missbrauchsgefahr spielt bei Signalwaffen jedoch offensichtlich keine oder allenfalls eine zu vernachlässigende Rolle. So heißt es in der durch den Beklagten eingeholten Stellungnahme der Polizei Hamburg vom 14. Januar 2009: „Deliktisch stellen Signalwaffen in Hamburg kein polizeiliches Problem dar“. Auch der Beklagte hat insoweit nichts Abweichendes ausgeführt. Dafür ist auch nichts ersichtlich.
Die den Signalwaffen bei ihrer Handhabung durch den Berechtigten innewohnenden Gefahren werden schon dadurch gemindert, dass weitere Erlaubnisvoraussetzung nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 WaffG, wie oben ausgeführt, ein Sachkundenachweis für den Umgang mit solchen Waffen ist, der durch Ablegung einer Prüfung vor der dafür bestimmten Stelle oder durch entsprechende Tätigkeit oder Ausbildung zu erbringen ist (§ 7 Abs. 1 WaffG). Zudem erscheint die Handhabung von Fallschirmsignalraketen des Typs T 2, die der Beklagte als Alternative für den Seenotfall vorschlägt, keineswegs weniger gefährlich.
Bei dieser Sachlage überwiegen die Interessen des Klägers an einem möglichst effektiven und sicheren Schutz im Seenotfall im Bereich der küstennahen Seegewässer, vor allem auch angesichts der in einer solchen Situation drohenden schwerwiegenden Gefahren für Leib und Leben der Bootsinsassen. Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass die Gefährdungssituation im Bereich von Binnengewässern einer gesonderten Beurteilung unterliegt, so dass sich insoweit Schlussfolgerungen für diese Gewässer verbieten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.