Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 22. Senat | Entscheidungsdatum | 17.04.2013 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | L 22 R 31/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 210 SGB 6 |
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 12. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Dem Kläger werden Missbrauchskosten in Höhe von 337,50 Euro auferlegt, wovon 225 Euro an die Landeskasse und 112,50 Euro an die Beklagte zu zahlen sind.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung von Pflichtbeiträgen.
Der 1948 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger. Für ihn wurden insgesamt 97 Kalendermonate Pflichtbeiträge (April 1964 bis September 1967, Oktober 1975 bis April 1977, November 1978 bis Mai 1981 und November 1981 bis März 1982) gezahlt. Seit Mai 1982 ist der Kläger als selbständiger Rechtsanwalt tätig.
Den im Juni 2007 gestellten Antrag auf Rückerstattung seiner Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu 1/2 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 16. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 2008 ab: Die Voraussetzungen einer Erstattung seien nicht erfüllt. Es bestehe das Recht zur freiwilligen Versicherung, da der Kläger die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt habe. Unerheblich sei, ob auch tatsächlich freiwillige Beiträge gezahlt würden.
Dagegen hat der Kläger am 27. Oktober 2008 beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben.
Er hat vorgetragen: Es treffe zwar zu, dass er die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren erfüllt habe und deshalb zur freiwilligen Versicherung berechtigt sei. Es sei jedoch nicht berücksichtigt worden, dass seine Altersrente lediglich ca. 100 Euro betrage und deshalb auch durch freiwillige Versicherungsleistungen in den verbleibenden Jahren keine Rentensteigerung möglich sei. Darüber hinaus wären freiwillige Versicherungsbeiträge nicht nur unwirtschaftlich, sondern ökonomisch geradezu widersinnig. Zumindest mit der Erreichung der Altersgrenze wären die Beiträge anteilig zu erstatten. Es liege eine Regelungslücke vor.
Nach entsprechender Anhörung hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 12. Dezember 2011 die Klage abgewiesen: Der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 210 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) nicht, weil er berechtigt sei, freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB VI zu entrichten, denn er erfülle die allgemeine Wartezeit von 60 Kalendermonaten (§ 50 Abs. 1 SGB VI). Auf die Frage, ob eine Beitragsentrichtung ökonomisch sei, komme es für das Recht zur Beitragsentrichtung nicht an. Das Sozialgericht hat im Übrigen auf die Entscheidungsgründe im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 08. Oktober 2009 – L 31 R 28/08 verwiesen und daraus zitierend u. a. ausgeführt, dass auch die Eigentumsgarantie des Art. 14. Abs. 1 Grundgesetz (GG) bereits deshalb nicht verletzt sei, weil durch die Versagung der Beitragserstattung die erworbenen Rentenanwartschaften nicht entzogen würden.
Gegen den ihm am 22. Dezember 2011 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 12. Januar 2012 eingelegte Berufung des Klägers.
Er meint, das Sozialgericht habe nicht dargelegt, weswegen keine Regelungslücke bestehe. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass er seit nunmehr 28 Jahren nicht mehr versicherungspflichtig tätig gewesen sei und bei einer versicherungspflichtigen Tätigkeit Beiträge an das Versorgungswerk der Rechtsanwälte als Mitglied der Rechtsanwaltskammer abführen müsste und dann von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten des Versorgungswerkes befreit wäre. Es komme zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung und somit einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sowie einem unverhältnismäßigen Eingriff in das Eigentumsrecht aus Art. 14 Art. 1 GG. Der Wert der Anwartschaften bei der Beklagten sei im Gegensatz zu früheren Jahren unvorhersehbar geworden. Der Staat müsse aus dem Steueraufkommen Zuschüsse leisten und werbe für eine private Altersvorsorge.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 12. Dezember 2011 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 2008 zu verpflichten, dem Kläger die Hälfte der zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten (), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 16. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 2008 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Hälfte der zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Pflichtbeiträge.
Nach § 210 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 und Abs. 1 a Satz 1 SGB VI gilt: Beiträge werden auf Antrag erstattet Versicherten, die nicht versicherungspflichtig sind und nicht das Recht zur freiwilligen Versicherung haben, Versicherten, die die Regelaltersgrenze erreicht und die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt haben, und Versicherten, die versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit sind, wenn sie die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt haben.
Nach § 7 Abs. 1 SGB VI können sich Personen, die nicht versicherungspflichtig sind, für Zeiten von der Vollendung des 16. Lebensjahres an freiwillig versichern. Dies gilt auch für Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben.
Auf die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren (§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB VI) werden Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet (§ 51 Abs. 1 SGB VI).
Die danach maßgebenden Voraussetzungen für eine Erstattung liegen beim Kläger nicht vor.
Der Kläger ist zwar nicht versicherungspflichtig. Er hat jedoch das Recht zur freiwilligen Versicherung, da ihm dieses Recht als nicht versicherungspflichtiger Person ausdrücklich eingeräumt ist.
Er hat (bisher) weder die Regelaltersgrenze von 65 Jahren und 2 Monaten (§ 235 Abs. 2 SGB VI) erreicht noch die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt, denn mit 97 Kalendermonaten Pflichtbeiträgen ist die allgemeine Wartezeit erfüllt.
Da die allgemeine Wartezeit erfüllt ist, scheidet auch eine Erstattung für solche Versicherten aus, die versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit sind.
Weder bezeichnet der Kläger Gesichtspunkte, noch sind solche Gesichtspunkte ersichtlich, weswegen das Gesetz eine planwidrige Lücke enthalten soll, die durch eine analoge Anwendung des § 210 SGB VI geschlossen werden müsste.
Nach der Gesetzeskonzeption soll eine Beitragserstattung ausgeschlossen sein, wenn das Recht auf freiwillige Versicherung besteht. Diese Personen haben damit die Möglichkeit, einen Rentenanspruch zu erwerben. Das SGB VI räumt allen Personen, die nicht versicherungspflichtig sind, dieses Recht ein. Dazu gehören insbesondere Personen, für die bereits Pflichtbeiträge gezahlt wurden. Ob diese Personen von diesem Recht Gebrauch machen, bleibt ihnen überlassen, so dass sie selbst entscheiden können, ob die Zahlung von freiwilligen Beiträgen wirtschaftlich ist oder nicht. Ob und warum eine oder keine Zahlung von freiwilligen Beiträgen erfolgt, ist nach dem Gesetz mithin ohne Relevanz.
Nach der Gesetzeskonzeption soll eine Beitragserstattung darüber hinaus in allen Fällen ausgeschlossen sein, wenn die allgemeine Wartezeit erfüllt ist, weil in diesem Fall ein Anspruch auf Regelaltersrente gegeben ist. Dies gilt gerade auch im Falle einer Befreiung von der Versicherungspflicht wegen anderweitiger Versorgung. Dass diese Rente bei den erforderlichen 5 Jahren Beitragszeit gering ausfällt, ist offensichtlich, wenn über die allgemeine Wartezeit hinaus eine Beitragszahlung nicht oder nicht im wesentlichen Umfang erfolgt ist.
Dass kein aktueller Bezug zur gesetzlichen Rentenversicherung als weitere Voraussetzung einer Beitragserstattung gegeben sein darf, folgt aus der Mindestwartezeit von 24 Kalendermonaten und dem Fehlen des Eintritts erneuter Versicherungspflicht (§ 210 Abs. 2 SGB VI) als weiteren Voraussetzungen einer Erstattung. Damit ist offenkundig, dass allein ein frühzeitiges Ausscheiden aus der gesetzlichen Rentenversicherung für die Beitragserstattung nicht ausreicht.
Angesichts dessen fehlen jegliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Regelungslücke. Damit wird zugleich deutlich, dass alle vom Kläger vorgetragenen Gründe ohne rechtliche Bedeutung sind.
Das geltende Gesetz begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es erschließt sich nicht, weswegen die Ablehnung der Erstattung von Pflichtbeiträgen, die ohne Verstoß gegen das GG erhoben werden dürfen, um einen Anspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu erwerben, einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Eigentum nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG darstellt, wenn ein solcher Rentenanspruch in Betracht kommt. Gleichfalls erschließt sich nicht, worin die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung, also eine Ungleichbehandlung ohne einen sachlichen Grund, und somit ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu sehen ist, wenn denjenigen Versicherten, für die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt die Erlangung und Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung möglich ist, die Pflichtbeiträge erstattet werden, während dies denjenigen Versicherten, die eine solche Rente erlangen können, verweigert wird. Eine Begründung dafür trägt auch der Kläger nicht vor. Soweit er darauf verweist, der Wert der Anwartschaften sei unvorhersehbar geworden, der Staat müsse aus dem Steueraufkommen Zuschüsse leisten und werbe für eine private Altersvorsorge, bezieht er sich ausschließlich auf die zahlreichen Gesetzesänderungen in der Vergangenheit. Insofern handelt es sich jedoch um eine zulässige gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Die damit verbundene Einschränkung der Rentenanwartschaft findet durch Gründe des Allgemeinwohls seine Rechtfertigung. Dass, inwieweit und durch welche Gesetzesänderungen die Grenze der gesetzlichen Inhalts- und Schrankenbestimmung unzulässigerweise überschritten worden ist, ist weder ersichtlich noch durch den Kläger in irgendeiner Weise konkretisiert worden.
Die Berufung muss somit erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Die Entscheidung über die Missbrauchskosten ergibt sich aus §§ 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2, Satz 3, 184 Abs. 2 SGG. Danach kann das Gericht einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist. Dem Beteiligten steht gleich sein Vertreter oder Bevollmächtigter. Als verursachter Kostenbeitrag gilt dabei mindestens der Betrag von 225 Euro.
Als darüber hinausgehender Betrag kann die Hälfte der von der Beklagten zu entrichtenden Pauschgebühr (225 Euro für das Verfahren vor dem Landessozialgericht - § 184 Abs. 2 SGG), also 112,50 Euro, auferlegt werden, denn nach § 186 Satz 1 SGG wäre die Pauschgebühr im Falle einer Erledigung des Rechtsstreits ohne Urteil auf die Hälfte ermäßigt worden. Bei verständigem Handeln wären diese Kosten daher ebenfalls vermeidbar gewesen. Sie sind zusätzlich als Missbrauchskosten zu erstatten (vgl. Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 27. April 1994 - 10 RAr 10/93, zitiert nach juris).
Missbrauch ist anzunehmen, wenn die Rechtsverfolgung von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss. Dabei ist von einem Rechtsanwalt zu verlangen, dass er sich mit der Materie auseinandersetzt, die Rechtsprechung zu den aufgeworfenen Fragen prüft und die Erfolgsaussichten eingehend abwägt (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG, Beschluss vom 3. Juli 1995 - 2 BvR 1379/95, abgedruckt in NJW 1996, 1273 f.).
Der Kläger ist mit Verfügung der Vorsitzenden vom 06. März 2013 auf die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung und die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits im Umfang von 225 Euro und 112,50 Euro hingewiesen worden. Gleichwohl ist der Rechtsstreit fortgeführt worden, ohne dass der Kläger zu dem gerichtlichen Hinweis vom 08. Februar 2013 zur Rechtslage konkretisiert und substanziell Neues vorgetragen hätte. Die lediglich pauschale Behauptung der Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Vorschriften erweist sich als vorgeschoben, weil dem Kläger als Rechtsanwalt die Rechtsprechung des BVerfG bekannt sein muss und für ihn daher erkennbar ist, dass er aufgrund dieser Rechtsprechung keinen Erfolg haben kann, was auch dadurch offenkundig wird, dass er auf diese Rechtsprechung mit keinem Wort eingeht. Angesichts dessen den Rechtsstreit fortzuführen, stellt sich mithin als missbräuchlich dar. Es ist angemessen und sachgerecht, bei dem vorliegenden Ergebnis des Rechtsstreits diese Kosten aufzuerlegen, wobei 225 Euro an die Landeskasse und 112,50 Euro an die Beklagte zu zahlen sind.