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Entscheidung S 29 R 509/12


Metadaten

Gericht SG Frankfurt (Oder) 29. Kammer Entscheidungsdatum 20.02.2013
Aktenzeichen S 29 R 509/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 48 Abs 1 SGB 6, § 48 Abs 4 S 1 Nr 2a SGB 6, § 48 Abs 4 Nr 2ab SGB 6, § 48 Abs 4 Nr 2c SGB 6, § 2 JFDG, § 14b ZDG, § 14c ZDG, Art 3 Abs 1 GG

Leitsatz

Ein volljähriger Teilnehmer an einem Internationalen Jugendfreiwilligendienst hat während der Ableistung dieses Dienstes keinen Anspruch auf Gewährung einer Halbwaisenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger ab dem 1. Juli 2012 einen Anspruch auf Weiterzahlung seiner Halbwaisenrente gegen die Beklagte hat.

Der am ...1991 geborene Kläger ist der Sohn des am ...1949 geborenen und am ...2008 verstorbenen Herrn K. B., der bei der Beklagten rentenversichert war.

Am 3. September 2008 stellte der Kläger, vertreten durch seine Mutter, bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Halbwaisenrente welche dem Kläger bis zum Abschluss seines Schulbesuches im Juni 2012, zuletzt ab dem 1. März 2012 mit einem Auszahlungsbetrag von 181,81 Euro bewilligt wurde.

Mit Schreiben vom 1. März 2012 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er sich ab dem 1. September 2012 bis zum 31. August 2013 im Rahmen eines Jugendfreiwilligendienstes in Italien aufhalten werde. Das Kindergeld werde in dieser Zeit weiter gezahlt. Er beantragte die Fortzahlung seiner Halbwaisenrente für diesen Zeitraum in voller Höhe.

Mit Schreiben vom 30. März 2012 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass seine Halbwaisenrente mit Abschluss seiner Schulausbildung mit Ablauf des Monats Juni 2012 wegfalle. Sie wies den Kläger darauf hin, dass diese auf Antrag bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres möglicherweise weiterbewilligt werden könne und wies auf die möglichen Fortgewährungstatbestände hin. Der Kläger reichte daraufhin den als Anlage 2 zu diesem Schreiben beifügten Vordruck am 4. April 2012 bei der Beklagten ein und kreuzte an, dass die Weiterzahlung der Halbwaisenrente auf Grund der Ableistung eines freiwilligen sozialen Dienstes beantragt werde. Diesem Vordruck fügte er eine Bescheinigung des I. J.g.d. Landesverband B. e.V. vom 21. Februar 2012 bei. Aus dieser Bescheinigung ergibt sich, dass der Kläger einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst nach der Richtlinie zur Umsetzung des Jugendfreiwilligendienstes vom 20. Dezember 2010 im Zeitraum 1. September 2012 bis 31. August 2013 ableistet. Die Einrichtung, an der er diesen Dienst ableistet, ist die U. d. S. di P., Servizio Disabilitá in P., Italien. Koordiniert wird der Dienst des Klägers durch die Organisation ijgd Landesverband B. e.V. mit Unterstützung durch die Partnerorganisation I.- In. & C.aus T. in Italien.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Weiterzahlung seiner Halbwaisenrente mit Bescheid vom 11. Juni 2012 ab. Die Fortzahlung einer Halbwaisenrente für volljährige Rentenbezieher käme nur in den in § 48 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) genannten Fälle in Betracht. Der Dienst des Klägers sei ein Freiwilligendienst eigener Art, der nicht von der Anwendbarkeit des Bundesfreiwilligendienstgesetzes oder des Jugendfreiwilligendienstgesetzes erfasst werde.

Mit auf den 10. Juni 2012 datierten Schreiben legte der Kläger, vertreten durch seine Mutter, gegen die vorgenannte Entscheidung Widerspruch ein. Dieser wurde damit begründet, dass es sich bei dem internationalen Jugendfreiwilligendienst um eine anerkannte Maßnahme handele, während derer auch das Kindergeld weiter gezahlt werde. Er sei weiterhin wirtschaftlich unselbständig und auf die finanzielle Unterstützung angewiesen, zumal sein Nebenjobeinkommen ab Juli 2012 wegfalle. Der Dienst diene ferner auch dem beruflichen Fortkommen des Klägers, da dieser zielstrebig gelernt habe und anschließend studieren wolle. Da der Vater des Klägers verstorben sei und keinen Unterhalt für den Auslandsdienst mehr leisten könne, trete die Rentenversicherung nunmehr in diese Pflicht ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2012 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er erneut aus, dass der von dem Kläger absolvierte internationale Jugendfreiwilligendienst nicht zu den anspruchsauslösenden Freiwilligendiensten des § 48 Abs.4 SGB VI gehöre.

Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 20. August 2012, Eingang bei Gericht am gleichen Tag, hat der Kläger gegen die vorgenannten Entscheidungen der Beklagten Klage erhoben mit der er weiterhin die Fortzahlung seiner Halbwaisenrente ab dem 1. Juli 2012 begehrt. Zur Klagebegründung wird vorgetragen, dass der Kläger ursprünglich geplant habe, seinen Zivildienst in Italien abzuleisten. Dafür habe er sich vorzeitig mustern lassen und Italienisch – Kurse besucht. Dieses sei dann durch die Abschaffung der Wehrpflicht nicht mehr möglich gewesen. Der Kläger habe umdisponieren müssen und sich für die Teilnahme an einem Internationalen Jugendfreiwilligendienst in Italien entschieden. Nach Abschluss der Teilnahme am Internationalen Jugendfreiwilligendienst beabsichtige er, Hotelmanagement in Italien zu studieren.

Der Kläger ist der Rechtsauffassung, dass ein Anspruch auf Weitergewährung einer Halbwaisenrente aus § 48 Abs.1 SGB VI bestehe. Der Internationale Jugendfreiwilligendienst sei als freiwilliges soziales Jahr im Sinne des § 48 Abs.4 Nr.2 c SGB VI zu behandeln. Zwar seien die rechtlichen Grundlagen verschieden. Dies allein könne für die Begründung, den Internationalen Jugendfreiwilligendienst nicht unter § 48 Abs.4 Nr.2c SGB VI zu subsumieren aber nicht ausreichen, da sich die materiellen Voraussetzungen eines FSJ und eines Internationalen Jugendfreiwilligendienst weitgehend entsprechen. So seien die Voraussetzungen an die Freiwilligen in § 2 des Jugendfreiwilligendienstgesetzes (JFDG) und II Nr.2 (gemeint war sicherlich Nr.1) der Richtlinie zur Umsetzung des Internationalen Jugendfreiwilligendienstes des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 20. Dezember 2010 (im Weiteren Richtlinie des BFSFJ vom 20. Dezember 2010) weitgehend identisch. Nur bezüglich des Taschengeldes und der Verpflichtungsdauer gebe es Unterschiede. Auch die Anforderungen an die Träger seien identisch bis auf den Umstand, dass ein Träger für einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst zusätzlich ein pädagogisches Gesamtkonzept benötige und der Qualitätsstandart nachzuweisen sei (III Nr.3e der Richtlinie vom 20. Dezember 2010). Materiell erfülle der Internationale Jugendfreiwilligendienst des Klägers somit die Anforderungen, die an einen Jugendfreiwilligendienst im Ausland zu stellen seien.

Im Übrigen sei § 48 Abs.4 Nr.2c SGB VI verfassungskonform auszulegen. Es verletze den allgemeinen Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 Grundgesetz (GG), wenn nationale Freiwilligendienste in § 49 (gemeint war offensichtlich § 48) SGB VI Abs.4 Nr.2 c) SGB VI aufgenommen sind und der Internationale Jugendfreiwilligendienst nicht. Damit würde dem Personenkreis, der einen nationalen Freiwilligendienst wählt, ein Vorteil gewährt, während dies bei dem Personenkreis, der einen internationalen Freiwilligendienst wähle, nicht der Fall sei. Eine solche Ungleichbehandlung sei auch nicht gerechtfertigt, da es bei weitgehend gleichen materiellen Rahmenbedingungen keinen Grund für eine Ungleichbehandlung gebe.

Hilfsweise wird argumentiert, dass § 48 Abs.4 S.1 Nr.2c SGB VI analog auf den Internationalen Jugendfreiwilligendienst anzuwenden sei. Es gebe eine planwidrige Regelungslücke und einen vergleichbaren Sachverhalt. Eine planwidrige Regelungslücke liege vor, da dem Gesetzgeber bekannt anders als beim Europäischen Freiwilligen Dienst (EFD) nicht bekannt gewesen sei, dass Teilnehmer am Internationalen Jugendfreiwilligendienst keine Halbwaisenrente erhalten. Der Sachverhalt sei, wie bereits dargestellt, vergleichbar.

Weiter hilfsweise wird argumentiert, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs.4 S.1 Nr.2a SGB VI erfüllt seien. Bei dem Internationalen Jugendfreiwilligendienst des Klägers handele es sich um eine Berufsausbildung im Sinne der vorgenannten Norm. Zweck der Norm sei es, einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch gegen den verstorbenen Versicherten auszugleichen, wenn das Kind aus Ausbildungsgründen gehindert sei, seinen Lebensunterhalt selber durch Erwerbstätigkeit zu finanzieren. Die tatsächlich durchgeführte Ausbildung müsse der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit dienen und geeignet sein, die notwendigen Fertigkeiten und Kenntnisse für den angestrebten Beruf in einem geordneten Verfahren zu erlernen. Der Kläger würde innerhalb seines Dienstes die italienische Sprache erlernen, was eine notwendige Voraussetzung dafür sei, dass er an einer italienischen Universität Hotelmanagement studieren und eine Ausbildung abschließen könne.

Bezüglich der Monate Juli 2012 und August 2012 ergebe sich der Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Halbwaisenrente aus § 48 Abs.4 Nr.2b SGB VI, da er sich in einer Übergangszeit zwischen Ausbildung und Ableistung eines freiwilligen Dienstes befinde.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 18. Juli 2012 zu verurteilen, dem Kläger ab dem 1. Juli 2012 eine Halbwaisenrente aus der Versicherung des Kurt Bläsing, verstorben am 25. August 2008, in der gesetzlich zustehenden Höhe, jedenfalls monatlich 181,81 Euro weiter zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht Frankfurt (Oder) hat die Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 29. November 2012 auf seine Zweifel bezüglich der Anwendbarkeit und der Analogiefähigkeit der Norm des § 48 Abs.4 Nr. 2c) SGB VI sowie darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 20. Juli 2011, Aktenzeichen B 13 R 52/10 R zur der fehlenden Möglichkeit des Bezugs einer Halbwaisenrente während eines Europäischen Freiwilligendienstes (EFD) entsprechend einschlägig sein dürfte.

Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2012 hat die Prozessbevollmächtigte erwidert, dass dem Gesetzgeber im Fall des EFD bewusst war, dass diejenigen Freiwilligen, die an einem EFD teilnehmen, kein Halbwaisenrente bzw. Waisenrente erhalten konnten. Dieses ergebe sich aus der Antwort der Bundesregierung auf Frage 11 der Kleinen Anfrage (BT – Drs. 16/10542). Daher würden die Voraussetzungen für eine planwidrige Regelungslücke vorliegen. Im Übrigen werde an der bisher vertretenen Argumentation festgehalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten (Az.: ...) und die Gerichtsakte, die Gegenstand der Beratung und Entscheidung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht durfte ohne mündliche Verhandlung über den Rechtsstreit entscheiden, weil die Beteiligten sich zuvor mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt hatten (§ 124 Abs.2 SGG).

I.

Die Klage ist gemäß § 54 Abs.1 und 4 SGG als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig.

II.

Die Klage ist jedoch nicht begründet, da der angefochtenen Bescheid der Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides nicht zu beanstanden und der Kläger daher auch nicht in seinen subjektiv – öffentlichen Rechten verletzt ist.

1.

Die Beklagte hat mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 11. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 2012 die Weiterzahlung der Halbwaisenrente des Klägers zu Recht abgelehnt, da die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bewilligung einer Halbwaisenrente für den Kläger nach seinem Schulabschluss im Juni 2012 ab dem 1. Juli 2012 nicht mehr gegeben sind.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung einer Halbwaisenrente aus § 48 Abs.1 SGB VI. Zwar hat der Kläger mit seiner Mutter noch einen unterhaltspflichtigen Elternteil und sein verstorbener Vater hat als Versicherter bei der Beklagten die Voraussetzungen der allgemeinen Wartezeit (vgl. § 50 Abs.1 SGB VI) erfüllt. Jedoch ist die Gewährung einer Halbwaisenrente im Fall des Klägers gemäß § 48 Abs.4 S.1 Nr.1 SGB VI ausgeschlossen, weil der Kläger bereits das 18. Lebensjahr vollendet hat und kein Fall des § 48 Abs.4 S.1 Nr.2 SGB VI zu Gunsten des Klägers einschlägig ist.

a.

Die Norm des Verlängerungstatbestandes des § 48 Abs.4 S.1 Nr.2 c SGB VI ist gemäß ihrem Wortlaut nicht erfüllt. Der Kläger absolviert einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst und kein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) im Sinne des Jugendfreiwilligendienstgesetzes (JFGD). Dieses ergibt sich ohne Weiteres aus der Bescheinigung des Internationale Jugendgemeinschaftsdienste Landesverband Berlin e.V. vom 21. Februar 2012.

Eine Umdeutung des Internationalen Jugendfreiwilligendienstes in ein FSJ kann bereits aus dem Grunde nicht erfolgen, weil die beiden vorgenannten Dienste auf Grund unterschiedlichen rechtlicher Rechtsgrundlagen erbracht werden (vgl. hierzu im Fall des EFD Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Juli 2011, Aktenzeichen B 13 R 52/10 R). Rechtliche Grundlage des FSJ ist das JFDG, rechtliche Grundlage des Internationalen Jugendfreiwilligendienstes ist die Richtlinie des BFSFJ vom 20. Dezember 2010.

Weiterhin kann die Argumentation der Klägerbevollmächtigten nicht überzeugen, dass der Internationale Jugendfreiwilligendienst des Klägers materiell die Voraussetzungen des FSJ erfüllt. Ein FSJ ist im Vergleich zu einem Internationalen Jugendfreiwilligendienst rechtlich gesehen ein aliud. Dieses ergibt sich bereits daraus, dass sich das BFSFJ genötigt gesehen hat, eine eigene rechtliche Grundlage für einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst zu schaffen. Weiterhin gibt es für die Träger eigenständige Zulassungsverfahren. Ein Träger der für ein FSJ zugelassen ist, ist zumindest in Zukunft nicht automatisch als Träger für einen Internationalen Freiwilligendienst zugelassen und umgekehrt (vgl. III der Richtlinie des BFSFJ vom 20. Dezember 2010). Über die Zulassung der Träger des Internationalen Jugendfreiwilligendienstes entscheidet das BFSFJ (vgl. II Nr.3 Richtlinie des BFSFJ vom 20. Dezember 2010), über die Zulassung eines Trägers für das FSJ im Ausland entscheidet die zuständige Landesbehörde (vgl. § 10 Abs.3 JFDG). Weitere Unterschiede sind z.B., wie die Klägerbevollmächtigte bereits dargelegt hat, die Taschengeldregelungen und insbesondere die Höchstdauer des Dienstes, da eine Internationaler Jugendfreiwilligendienst flexibel für Zeiträume von 6 bis 18 Monaten möglich (vgl. II. Nr. 1b der Richtlinie des BFSFJ vom 20. Dezember 2010) ist, während die Höchstdauer des FSJ auf 12 Monate begrenzt ist (vgl. § 6 Abs.3 S.3 JFDG).

Schließlich hat das BFSFJ in seiner Richtlinie vom 20. Dezember 2010 unter Punkt II 6 der Richtlinie bezüglich der Frage des „Zivildienstes im Ausland“ auf § 14b ZDG in der damals gültigen Fassung verwiesen. Wäre der Internationale Jugendfreiwilligendienst materiell - rechtlich einem FSJ gleichzusetzen, wäre ein Verweis auf § 14c ZDG konsequent gewesen.

b.

Die Norm des § 48 Abs.4 S.1 Nr.2c SGB VI lässt sich auch nicht verfassungskonform dahingehend erweiternd auslegen, dass auch ein Internationaler Jugendfreiwilligendienst ein FSJ im Sinne des § 48 Abs.4 S.1 Nr.2c SGB VI ist. Eine Auslegung, auch eine verfassungskonforme Auslegung, einer Norm ist nur dann möglich, wenn der Wortlaut der Norm nicht eindeutig und somit auslegungsfähig ist. Der Wortlaut der Norm des § 48 Abs.4 S.1 Nr.2c SGB VI lautet „ein freiwilliges soziales Jahr oder freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Jugendfreiwilligengesetzes…“. Dieses ist ein Internationaler Jugendfreiwilligendienst eindeutig nicht, da er wie bereits erläutert, nicht auf Grundlage des JFDG geleistet wird.

Nur ergänzend ist insoweit darzulegen, dass nicht der Kläger sondern allenfalls die Träger des Internationalen Jugendfreiwilligendienstes unter einem möglichen Verstoß gegen Art. 3 Abs.1 GG dadurch benachteiligt werden, dass der Internationale Jugendfreiwilligendienst nicht wie das FSJ gefördert wird, die Richtlinie vom 20. Dezember 2010 insbesondere keine § 9 Nr.12 JFDG vergleichbare Regelung zur Fortzahlung der Halbwaisenrente während des Dienstes kennt und auch nicht auf § 9 Nr.12 JFDG verweist. Denn durch die geringere Förderung wird der angebotene Dienst im Vergleich zu FSJ für an einem solchen Dienst interessiert junge Menschen, die davon betroffen sind, unattraktiver, was dazu führen kann, dass diese sich dann eher für ein FSJ entscheiden werden. Der Kläger hingegen hätte grundsätzlich die Möglichkeit gehabt, anstatt des Internationalen Jugendfreiwilligendienstes ein FSJ im Ausland zu machen und damit bei weiter bestehendem Bezug seiner Halbwaisenrente seine persönlichen Ziele zu verwirklichen (vgl. dazu Bundessozialgericht, a.a.O. Rn 38), so dass eine erhebliche Diskriminierung des Klägers nicht zu erkennen ist. Eine weitergehende staatliche Förderung aller Anbieter von Freiwilligendiensten im Ausland und aller Arten eines freiwilligen sozialen Dienstes im Ausland kann der Kläger (z.B. aus Art. 2 Abs.1 GG) mangels einer dem gegenüberstehenden Pflicht zur Schaffung weiterer Teilhabeleistungen durch den Staat in diesem Bereich nicht verlangen. Die möglicherweise verletzten Rechte der benachteiligten Träger kann der Kläger mangels Verletzung eigener subjektiver Rechte nicht einklagen.

c.

Die Regelung des § 48 Abs.4 S.1 Nr.2c SGB VI ist auch nicht analog anzuwenden, da sie als Ausnahmevorschrift von dem Grundsatz, dass volljährige Kinder von Versicherten grundsätzlich keine Halbwaisenrente erhalten können, nicht analogiefähig ist. § 48 Abs.4 S.1 Nr.2 SGB VI enthält einen nach der Rechtsauffassung der Kammer abgeschlossenen Katalog von Ausnahmen von der gesetzlichen Regel, dass der Bezug der Halbwaisenrente mit der Volljährigkeit endet (so auch Gürtner „erschöpfende Aufzählung“ in Kassler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 75. Ergänzungslieferung 2012, zu § 48 SGB VI Rn 26 m.w.N.). Eine katalogweise Regelung von Ausnahmetatbeständen ohne Aufnahme einer Öffnungs- oder Generalklausel steht einer analogen Ausweitung der Norm auf weitere Ausnahmetatbestände grundsätzlich entgegen, da der Gesetzgeber durch diese Art der Regelung seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, dass er keine weitere Ausnahmetatbestände zulassen will.

Eine Ausweitung der Ausnahmetatbestände des § 48 Abs.4 S.1 Nr.2 SGB VI durch die Schaffung eines weiteren Ausnahmetatbestandes obliegt weiterhin auf Grund des damit einhergehenden Eingriffes in die Rechte der Beklagten im Sinne der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Wesentlichkeitstheorie dem Gesetzgeber, zumal es sich bei der Halbwaisenrente, anders als z.B. beim Kindergeld um eine beitragsfinanzierte Leistung handelt und eine Ausweitung des Tatbestandes § 48 Abs. 4 S.1 Nr.2c SGB VI mittelbar auch die rechtlichen Interessen der Beitragszahler berühren würde. Dieses steht sowohl einer analogen Anwendung einzelner Ausnahmetatbestände als auch einer richterlichen Rechtsfortbildung in diesem Bereich entgegen.

Schließlich besteht zur Überzeugung der Kammer in Bezug auf die Nichtaufnahme des Internationalen Jugendfreiwilligendienstes in die Ausnahmetatbestände des § 48 Abs.4 S.1 Nr.2 SGB VI auch keine planwidrige Regelungslücke. Insbesondere führt der Umstand, dass der Gesetzgeber bzw. die Bundesregierung, anders als beim EFD nicht ausdrücklich im Rahmen einer Kleinen Anfrage im Bundestag erklärt hat, dass er das Problem des Wegfalls der Halbwaisenrente bei Ableistung eines Internationalen Jugendfreiwilligendienstes (nicht) kennt, kann nicht geschlussfolgert werden, dass eine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Vielmehr lässt die Antwort der Bundesregierung vom 13. Oktober 2008 zu Frage 11 der Kleinen Anfrage (BT – Drucksache 16/10542) darauf schließen, dass der Gesetzgeber auch einen Wegfall der Halbwaisenrente bei einem Internationalen Jugendfreiwilligendienst billigend in Kauf genommen hätte, da der EFD ein mit dem Internationalen Jugendfreiwilligendienst in Ziel und Durchführung vergleichbarer sozialer Dienst im Ausland ist und der Gesetzgeber trotz seit mindestens vier Jahren bestehender Kenntnis der Problematik, dass der Katalog des § 48 Abs.4 S.2 SGB VI unvollständig seien könnte, bis heute keine weiteren Verlängerungstatbestände für die Weitergewährung einer Halbwaisenrente zu Gunsten volljähriger Kinder hinzugefügt hat. Daher besteht zur Überzeugung der Kammer weder eine Regelungslücke noch eine Planwidrigkeit.

Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass auch der Umstand, dass der Internationale Jugendfreiwilligendienst in den Ausnahmetatbeständen für volljährige Kinder in § 2 Abs.2 Nr.2d Bundeskindergeldgesetz (BKGG) und § 32 Abs.4 S.1 Nr.2d Einkommenssteuergesetz (EStG) Berücksichtigung gefunden hat, während eine solche Berücksichtigung in Bezug auf die Halbwaisenrente in § 48 Abs.4 S.1 Nr.2c SGB VI und § 67 Abs.3 S.1 Nr. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) nicht erfolgte, gegen das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke spricht (vgl. BSG mit der gleichen Argumentation zum EFD, a.a.O. Rn 30). Dieses gilt umso mehr, als der Gesetzgeber den Internationalen Jugendfreiwilligendienst als Pflichtversicherungstatbestand im Sinne des § 2 Abs.1 Nr.1 i.V.m. § 2 Abs.3 Nr. 2c SGB VII aufgenommen hat, dem Gesetzgeber daher die Änderungsnotwendigkeit in Bezug auf das SGB VII bei Schaffung der Internationalen Freiwilligendienstes bekannt war und er die Möglichkeit gehabt hätte, bei dieser Gelegenheit auch den § 67 Abs.3 S.1 Nr.2 SGB VII um einen weiteren Ausnahmetatbestand zu erweitern.

d.

Der Internationale Jugendfreiwilligendienst des Klägers ist schließlich auch keine Schul- oder Berufsausbildung im Sinne des § 48 Abs.4 S.1 Nr.2a SGB VI.

aa.

Eine Schulausbildung des Klägers liegt nicht vor, da der Kläger während seines Internationalen Jugendfreiwilligendienstes nicht als Schüler den Schulunterricht an einer allgemeinen oder weiterbildenden Schule besucht (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O. Rn 18 m.w.N.; Gürtner, a.a.O. Rn 28f.).

bb.

Bei der Teilnahme des Klägers an einer Internationalen Jugendfreiwilligendienst handelt es sich auch nicht um eine Berufsausbildung im Sinne des § 48 Abs.4 S.1 Nr.2a SGB VI, da es sich bei dem Internationalen Jugendfreiwilligendienst gemäß der BFSFJ - Richtlinie vom 20. Dezember 2010 um eine am Gemeinwohl orientierte überwiegend praktische Hilfstätigkeit handelt – hier an der Universität Padua im Bereich der Behindertenbetreuung.Eine Berufsausbildung im Sinne des § 48 Abs.4 S.1 Nr.2a SGB VI könnte für den Kläger nur bejaht werden, wenn die Tätigkeit des Klägers eine einem zukünftigen, gegen Entgelt auszuübenden Beruf dienende Ausbildung wäre, die die Zeit und Arbeitskraft des Klägers zumindest überwiegend beansprucht und die für den gewählten Beruf notwendigen (nicht nur nützlichen, wünschenswerten oder förderlichen) Kenntnisse oder praktischen Fertigkeiten durch eine hierfür anerkannte qualifizierte Ausbildungsinstitution oder Ausbildungsperson vermittelt. Eine Tätigkeit wie diejenige, die der Kläger im Rahmen seines Internationalen Jugendfreiwilligendienstes gegebenenfalls unter Anweisung von Mitarbeitern des lokalen Partners des Trägers seines Dienst vor Ort verrichtet, d.h. eine Hilfstätigkeit im sozialen Bereich, will der Kläger, der selbst angibt später Hotelmanagement studieren zu wollen, nach Abschluss seines Internationalen Jugendfreiwilligendienstes allerdings nicht ausüben.

Das Erlernen der italienischen Sprache, welche für das von dem Kläger im Anschluss beabsichtigte Studium notwendig ist, ist hingegen nur ein positiver Beieffekt des Internationalen Freiwilligendienstes und zumindest nach dem vom BMFSFJ aufgestellten Vorgaben eben nicht vorrangig Sinn und Zweck dieses Dienstes, der den Großteil der Arbeitskraft des Klägers in Anspruch nehmen würde. Denn neben dem sozialen Engagement soll der Internationale Freiwilligendienst dem Freiwilligen die Möglichkeit geben, durch „informelles Lernen“ soziale und interkulturelle Kompetenzen zu erwerben. Der Freiwillige soll Einblick in das vom ihm gewählte Tätigkeitsfeld zu erhalten, was ihm eine berufliche Orientierung ermöglichen soll. Eine Berufsausbildung soll er somit nicht durchlaufen, sondern eher eine Orientierungshilfe, ob er im Anschluss an den Dienst einen Beruf in dem von ihm kennengelernten Berufsfeld erlernen will. Der Internationale Jugendfreiwilligendienst ist insbesondere kein organisierter Sprachkurs, der den überwiegenden Teil der Arbeitskraft des Klägers bindet und ihm daneben die Möglichkeit vermitteln soll, sich sozial zu engagieren (vgl. auch die Argumentation des Bundessozialgerichts zum EFD, a.a.O. Rn 20).

2.

Mangels Vorliegens eines Anschlusstatbestandes ab dem 1. September 2012 besteht ab dem 1. Juli 2012 bis zum 31. August 2012 auch kein Verlängerungstatbestand für die Weitergewährung der Halbwaisenrente des Klägers für die Übergangszeit aus § 48 Abs.4 S.1 Nr.2b SGB VI.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.