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Entscheidung 5 O 105/11


Metadaten

Gericht LG Neuruppin 5. Zivilkammer Entscheidungsdatum 03.07.2013
Aktenzeichen 5 O 105/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Nebenintervention zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegenüber dem beklagten Versicherungsunternehmen Ansprüche aus einer Vertragserfüllungsbürgschaft geltend, die ihr im Rahmen eines Großbauvorhabens von der Auftragnehmerin gestellt worden war.

Dem Bauvorhaben lag die Errichtung eines Anschlussstücks einer Autobahn zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen im Raum Frankfurt/Oder und Schwettig zugrunde (BAB 12, Bauwerk 26/Oderbrücke). Unter dem Az.: 2 O 552/04 führte die Klägerin vor dem Landgericht Neuruppin zunächst einen Rechtsstreit gegen die als Auftragnehmer handelnde ARGE, zu der die P. H. AG gehörte, für die der hiesige Streithelfer der Beklagten als Insolvenzverwalter bestellt ist, sowie unter anderem auch gegen die hiesige Beklagte als Bürgin (dort als Beklagte zu 4.). Letztere stellte mit Datum vom 8. März 1996 der ARGE bezugnehmend auf eine Vereinbarung vom 30. Juni 1995 „als Sicherheit für die Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen aus dem Vertag (…) die selbstschuldnerische Bürgschaft nach deutschem Recht“ und verpflichtete sich „auf erstes Anfordern jeden Betrag bis zu einer Gesamthöhe von 5 % von 6.662.909,59 DM = 333.145 DM“ an die Klägerin zu zahlen (vgl. Anlage, GA I, Bl. 28 d.A.).

Der vorgenannte Rechtsstreit, der vor dem Landgericht Neuruppin nach Zwischenurteil zur internationalen Zuständigkeit und erfolglosem Rechtsmittel sowie nach Auflösung der vormals zuständigen 2. Zivilkammer zum Az.: 5 O 2/10 fortgeführt wurde, endete in mündlicher Verhandlung vom 31. Mai 2011 durch einen Prozessvergleich, wonach sich die Klägerin verpflichtete, den vorliegenden Rechtsstreit gegenüber der hier - infolge Verfahrensabtrennung mit Beschluss vom 23. Mai 2011 (GA VI, Bl. 2070 f. d.A.) - allein verbliebenen hiesigen Beklagten in der Hauptsache für erledigt zu erklären.

In den von der Klägerin anlässlich des ursprünglichen Vertragsabschlusses im Jahr 1993 verwendeten „Zusätzlichen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau Allgemeinen Geschäftsbedingungen“ aus dem Jahr 1988 (im Folgenden: ZVB-StB 88; vgl. Anlage K26, GA VII, Bl. 2098 ff. d.A.) sind die Voraussetzungen zur Ablösung einer von der Auftragnehmerin zu stellenden Vertragserfüllungsbürgschaft durch eine Gewährleistungsbürgschaft in Nr. 47.3 wie folgt bestimmt:

„Sicherheit für Vertragserfüllung ist nur bei einem Auftrag von mehr als 200.000 DM zu leisten und zwar in Form einer Bürgschaft in Höhe von 5 v.H. der Auftragssumme.

Diese Bürgschaft ist nach vorbehaltloser Annahme der Schlußzahlung auf Verlangen des Auftragnehmers gegen eine Sicherheit für Gewährleistung auszutauschen, und zwar in Form einer Bürgschaft in Höhe von 2 v. H. der Abrechnungssumme; sind noch festgestellte Mängel zu beseitigen, erhöht sich die Sicherheit um den Betrag der voraussichtlichen Aufwendungen für die Mängelbeseitigung“ (vgl. Anlage K26, GA VII, Bl. 2098, 2102 d.A.).

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 20. September 2011 den Rechtsstreit entsprechend ihrer im Vergleich vom 31. Mai 2011 geregelten Verpflichtung gegenüber der hiesigen Beklagten für erledigt erklärt (GA VII, Bl. 2084 d.A.). Sie meint, eine von der Beklagten für die Unwirksamkeit der formularmäßig in Nr. 47.3 ZVB-StB 88 geregelten Ablösung der Vertragserfüllungsbürgschaft angeführte Entscheidung des OLG Hamm vom 2. März 2010 - 21 U 139/09 - zu einer mit Nr. 47.3 ZVB-StB 88 wortgleichen Regelung in Nr. 109.2 ZVB-StB 95 - sei rechtsfehlerhaft. Sie ist ferner der Auffassung, es sei jedenfalls möglich, die streitige Klausel wegen der Teilbarkeit des beanstandeten ersten Teils („nach vorbehaltloser Annahme der Schlusszahlung“) geltungserhaltend dahin zu korrigieren, dass dieser gestrichen werde. Damit werde der mögliche Austauschzeitpunkt der Bürgschaften auch nicht beliebig, weil der verbleibende Begriff der „Abrechnungssumme“ notwendig voraussetze, dass dies nicht vor Legung der Schlussrechnung möglich sei. Für den weiteren Vortrag der Klägerin wird insbesondere auf deren Schriftsätze vom 28. November 2011, vom 26. Januar 2012 und vom 10. Juni 2013 nebst Anlagen verwiesen (GA VII, Bl. 2095 ff., Bl. 2119 ff. und Bl. 2204 ff. d.A.).

Die Klägerin beantragt zuletzt (vgl. Sitzungsniederschrift vom 18. Juni 2013, GA VII, Bl. 2010 d.A.),

den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären.

Die Beklagte und ihr Streithelfer beantragen jeweils,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte schließt sich der Erledigungserklärung nicht an. Sie meint, der Rechtsstreit habe sich entgegen der Auffassung der Klägerin in der Hauptsache nicht „erledigt“, weil die gegen sie gerichtete Zahlungsklage nicht begründet gewesen sei. Die zwischen der Auftragnehmerin und der Klägerin geschlossene Sicherungsvereinbarung sei von Anfang an unwirksam gewesen, da diese für die Auftragnehmerin unangemessen benachteiligend sei und damit gegen § 9 AGBG verstoße. Die Unbegründetheit der Klage folge insoweit jedenfalls aus dem dolo-petit-Grundsatz. Dies ergebe sich unter anderem aus dem rechtskräftigen Urteil des OLG Hamm vom 2. März 2010 - 21 U 139/09 zu einer wortgleichen Sicherungsvereinbarung. Für den weiteren Vortrag der Beklagten wird insbesondere auf deren Schriftsätze vom 4. Oktober 2011, vom 23. Dezember 2011, vom 7. Februar 2012, vom 24. Oktober 2012 und vom 18. Mai 2013 nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen (GA VII, BL. 2088 f., Bl. 2107 ff., Bl. 2124 f., Bl. 2136 ff. und Bl. 2159 ff. d.A.).

Der Streithelfer schließt sich dem Vortrag der Beklagten an (vgl. Schriftsatz vom 5. Januar 2012, GA VII, Bl. 2115 und Sitzungsniederschrift vom 18. Juni 2013, GA VII, Bl. 2210 d.A.).

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

1. Der Klägerin steht kein Zahlungsanspruch aus § 765 Abs. 1 BGB zu, weil zwischen ihr und der Hauptschuldnerin keine wirksame Sicherungsabrede über die Stellung der streitbefangenen (Vertragserfüllungs-)Bürgschaft zustande gekommen ist und sich die Beklagte deshalb als Bürgin gemäß §§ 768 Abs. 1 Satz 1, 821 BGB erfolgreich auf die Einrede der Kondizierbarkeit der Bürgschaft berufen kann. Die von der Auftragnehmerin - unstreitig gemäß den Regelungen der ZVB-StB 88 formularmäßig - eingegangene Verpflichtung zur Stellung der streitgegenständlichen Vertragserfüllungsbürgschaft ist nach der auf das Streitverhältnis weiterhin anwendbaren Regelung des § 9 Abs. 1 AGBG (i.V.m. Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB; vgl. § 307 Abs. 1 BGB nF) unwirksam.

a) Die Unwirksamkeitsfolge kann allerdings nicht schon aus Nr. 48.4 ZVB-StB 88 hergeleitet werden. Diese Klausel sieht zwar eine Verpflichtung zur Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft „auf erstes Anfordern“ vor (vgl. Anlage K26, Bl. 2102 d.A.). Doch obwohl sich eine derartige Klausel im Rahmen der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle als unangemessen benachteiligend erweist, ist sie ergänzend dahin auszulegen, dass die Hauptschuldnerin der Klägerin stattdessen die Stellung einer einfachen unbefristeten und selbstschuldnerischen Bürgschaft schuldet. Die Klausel ist zwar nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung - auch gegenüber der öffentlichen Hand - unwirksam (vgl. BGH, Urteile vom 18. April 2002 - VII ZR 192/01, BGHZ 150, 299, 303 f., vom 4. Juli 2002 - VII ZR 502/99, BGHZ 151, 229, 233 f. und vom 25. März 2004 - VII ZR 453/02, WM 2004, 1079, 1081). Die Unwirksamkeit der Klausel hat aber nach der weiteren Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs entgegen dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion (vgl. § 306 Abs. 2 BGB) nicht die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede insgesamt zur Folge, weil vor der Veröffentlichung dieser Rechtsprechung geschlossene Sicherungsabreden - wie vorliegend - als sogenannte Altfälle ergänzend dahin auszulegen sind, dass der Auftragnehmer die Stellung einer unbefristeten selbstschuldnerischen Bürgschaft schuldet. In solchen Altfällen kann der Bürge vom Gläubiger deshalb nur eine schriftliche Erklärung verlangen, wonach die Bürgschaft nicht auf erstes Anfordern geltend zu machen sei (vgl. BGH, Urteile vom 25. März 2004 - VII ZR 453/02, WM 2004, 1079, 1081 und vom 12. Februar 2009 - VII ZR 39/08, BGHZ 179, 374 Rn. 22). Im Streitfall hat mithin die unangemessen benachteiligende Verpflichtung zur Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern die Pflicht der Auftragnehmerin zur Stellung einer einfachen selbstschuldnerischen Vertragserfüllungsbürgschaft nicht berührt.

b) Dagegen stellt Nr. 47.3 ZVB-StB 88 eine im Sinne von § 9 Abs. 1 AGBG unangemessene Benachteiligung der Auftragnehmerin dar.

aa) Dadurch, dass der Austausch der Vertragserfüllungsbürgschaft (5 % der Auftragssumme) durch eine weniger hohe Gewährleistungsbürgschaft (2 % der Abrechnungssumme) von einer vorbehaltlosen Annahme der Schlusszahlung abhängig gemacht wird, gerät das gleichwertige Gefüge der beiderseitigen Rechte und Pflichten faktisch aus dem Gleichgewicht, weil der Auftraggeber die Auswechselung der Bürgschaften durch eine zögerliche Schlusszahlung behindern und zudem einen unangemessenen Druck auf den Auftragnehmer ausüben kann, auch eine offensichtlich unzureichende Schlusszahlung vorbehaltlos anzunehmen. Es besteht damit eine sachwidrige Koppelung zwischen dem Anspruch auf Herausgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft einerseits und der Schlusszahlung beziehungsweise ihrer vorbehaltlosen Annahme andererseits. Die Klausel kann dazu führen, dass die Klägerin, selbst wenn die Auftragnehmerin sämtliche ihrer Pflichten vertragsgemäß erfüllt haben sollte, die Fälligkeit des Bürgschaftsherausgabeanspruchs beliebig lange hinauszögern könnte, indem sie nämlich entweder überhaupt keine Schlusszahlung leistet oder eine solche, zu deren vorbehaltloser Annahme die Auftragnehmerin nicht verpflichtet ist. Auch ein solches vertragswidriges Verhalten der Klägerin wäre nach ihrem Wortlaut von der Klausel gedeckt und wegen der formularmäßigen Vereinbarung für die Auftragnehmerin unangemessen belastend (vgl. OLG Hamm, NZBau 2010, 758, 759 ff.; KG, Urteil vom 18. November 2011 - 6 U 44/10, Anlage B2, GA VII, Bl. 2166, 2172 f. d.A.; n.v.); LG Berlin, NZBau 2001, 559, 561).

bb) Die Wertung, dass die Klausel wegen einer sachwidrigen Koppelung zwischen dem Anspruch auf Herausgabe einer Vertragserfüllungsbürgschaft und der vorbehaltlosen Annahme der Schlusszahlung einer Inhaltskontrolle im Sinne von § 9 Abs. 1 AGBG nicht standhält, wird durch die höchstrichterliche Rechtsprechung gleich in mehrfacher Weise gestützt. Der Bundesgerichtshof hat dem Verwender strikte Grenzen hinsichtlich der Vereinbarung von AGB gesetzt, die ihm die Möglichkeit verschaffen, die Rückgabe einer Bürgschaft durch eine unangemessen starke Position zu blockieren. So darf die Geltungsdauer einer Bürgschaft - in jenem Fall einer Gewährleistungsbürgschaft - nicht einseitig in das Belieben des Auftraggebers gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2003 - VII ZR 314/01, NJW 2003, 2605, 2607). Zudem darf die in AGB vorgesehene Ablösung eines Sicherungseinbehaltes durch eine Gewährleistungsbürgschaft nicht davon abhängig gemacht werden, dass keine Mängel vorhanden sind. Jeder Streit um Mängel, der sich selbst bei unberechtigten Beanstandungen über die Dauer der Gewährleistungsfrist hinziehen kann, hindert nämlich das Austauschrecht (BGH, Urteil vom 13. November 2003 - VII ZR 57/02 NJW 2004, 443). Nach diesen Maßstäben ist auch die streitbefangene Klausel wegen der danach möglichen Zurückhaltung der Vertragserfüllungsbürgschaft und dadurch eintretenden Übersicherung als unwirksam anzusehen. Es besteht für den Auftragnehmer das Risiko, dass der Auftraggeber über eine gänzlich unberechtigte Schlussrechnungskürzung und entsprechend zu niedrige Schlusszahlung faktisch einen Sicherheitseinbehalt vornehmen kann. Indem der Austausch der Bürgschaften die vorbehaltlose Annahme der Schlussrechnung seitens des Auftragnehmers voraussetzt, kommt es dann zu keinem Austausch der Sicherheiten. Diese Möglichkeit kann bei der Bewertung, für welchen Zeitraum der Auftragnehmer eine Sicherheit von 5 % der Auftragssumme zu stellen hat, nicht unberücksichtigt bleiben, denn der Auftragnehmer kann die Reduzierung der Sicherheit auf 2 % der Auftragssumme nur dadurch erreichen, dass er die Schlusszahlung ohne Gegenwehr akzeptiert. Auf diese Weise wird er nach dem Klauselwerk gezwungen, zur Reduzierung der Bürgschaftskosten dem Auftraggeber einen auch ungerechtfertigten Zugriff auf seine Liquidität einzuräumen. Das belastet ihn unverhältnismäßig, denn der Auftragnehmer hat grundsätzlich ein schützenswertes Interesse daran, den ihm nach der Abnahme zustehenden Werklohn bis zur Klärung etwaiger Ansprüche des Auftraggebers zu erhalten (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2011 – VII ZR 179/10, NJW 2011, 2195 Rn. 22, Beschluss vom 24. Mai 2007 - VII ZR 210/06, BauR 2007, 1575, 1576 mwN).

cc) Entgegen der Auffassung der Klägerin stellt Nr. 47.3 ZVB-StB 88 auch keine teilbare Klausel dar, die hinsichtlich eines unbedenklichen Teils weiterhin wirksam bleiben könnte (vgl. OLG Hamm, NZBau 2010, 758, 759 ff.; KG, Urteil vom 18. November 2011 - 6 U 44/10, Anlage B2, GA VII, Bl. 2166, 2172 f. d.A.; n.v.).

Dafür wäre zunächst Voraussetzung, dass nach dem Wegstreichen der unwirksamen Teilregelung ein aus sich heraus verständlicher Klauselrest verbliebe und dieser eine selbständige Regelung enthielte (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., vor § 307 Rn. 11). Nach dem Streichen der Passage „nach vorbehaltloser Annahme der Schlusszahlung“ könnte der Bürgschaftstausch nach der Restklausel hingegen sinnwidrig unabhängig vom Fortgang des Bauvorhabens verlangt werden. Soweit die Klägerin darauf abstellt, dass der verbleibende Begriff der Abrechnungssumme notwendig bedeute, dass ein Austausch erst nach Schlussrechnungslegung in Betracht komme, ist dies dem nicht selbst auf einen Stichtag verweisenden Begriff nicht eindeutig zu entnehmen. Es überzeugt nicht, dass dem Begriff der Abrechnungssumme, der gemäß der ursprünglichen Konzeption nur auf eine ungekürzte - als Terminus aber gerade zu streichende - Schlusszahlung verweist, nunmehr eine auf den Austauschzeitpunkt der Bürgschaften bezogene und damit tragende Bedeutung zukommen soll. Der deutliche Verweis auf einen Zeitpunkt („Schluss“) fehlt gerade, so dass die Klausel selbst mit dem von der Klägerin vorgeschlagenen - rechtslogischen - Verständnis gemäß dem AGB-rechtlichen Grundsatz der „kundenfeindlichsten“ Auslegung jedenfalls als unklar im Sinne von § 5 AGBG (vgl. § 305c Abs. 2 BGB nF) und damit als unwirksam anzusehen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2009 - XI ZR 78/08, NJW 2009, 2051 Rn. 31 mwN).

Unabhängig davon scheidet eine Teilbarkeit der Klausel in dem von der Klägerin vorgeschlagenen Sinne auch deshalb aus, weil die Regelung eine konzeptionelle Einheit bildet, die zu einer Gesamtbeurteilung unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien zwingt. In Fällen, in denen formularmäßig eine Gewährleistungsbürgschaft mit umfassendem Einredeverzicht zur Ablösung eines Sicherungseinbehalts gefordert wird, ist die Sicherungsvereinbarung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vollständig unwirksam, da die betreffende Klausel nicht teilbar ist und auch eine ergänzende Vertragsauslegung nicht in Betracht kommt (BGH, Urteil vom 16. Juni 2009 - XI ZR 145/08, NJW 2009, 3422 Rn. 32 ff.). Diese Rechtsprechung ist auf den Streitfall übertragbar, denn nach der streitbefangenen Klausel besteht ein untrennbares Gesamtgefüge hinsichtlich des Verhältnisses von Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft, insbesondere hinsichtlich der in Rede stehenden Ablösungsmodalitäten. Der wechselseitige Bezug dieser Teile der in Nr. 47.3 ZVB-StB 88 enthaltenen Klausel wird dadurch deutlich, dass die Ablösungsbefugnis durch eine weniger kostenintensive Gewährleistungsbürgschaft für sich genommen den Auftragnehmer nicht belastet. Ein Nachteil entsteht vielmehr dadurch, dass die Ablösungsbefugnis mit einem unberechtigten Einbehalt von Entgelt verknüpft werden kann und der Auftragnehmer nunmehr widerspruchslos die Gewährleistungsbürgschaft stellen muss, um wenigstens den ihm angebotenen Teil des Restwerklohns zu erhalten und die für ihn kostenintensivere Vertragserfüllungsbürgschaft abzulösen zu können. Die unangemessene Benachteiligung der Hauptschuldnerin ergibt sich mithin erst aus dem Zusammenwirken zwischen Vertragserfüllungsbürgschaft und den Modalitäten ihrer möglichen Ablösung.

dd) Die Verpflichtung zur Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft kann auch nicht aus einer ergänzenden Vertragsauslegung hergeleitet werden.

(1) Zwar hat der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs im Falle einer nach AGB-Recht unwirksamen Vertragserfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern dieses Rechtsinstitut - wie oben ausgeführt - angewandt. Die dort aufgestellten Grundsätze lassen sich auf den vorliegenden Fall jedoch nicht übertragen. Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt zur Schließung einer Lücke in Betracht, die durch den Wegfall einer unwirksamen Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen entstanden ist, wenn dispositives Gesetzesrecht nicht zur Verfügung steht und die ersatzlose Streichung der Klausel nicht zu einer angemessenen, den typischen Interessen Rechnung tragenden Lösung führt. Erforderlich ist weiterhin, dass Anhaltspunkte dafür bestehen, was die Parteien bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen typischerweise bestehenden Interessen vereinbart hätten, wenn sie die Unwirksamkeit der Klausel erkannt hätten (BGH, Urteil vom 16. Juni 2009 - XI ZR 145/08, NJW 2009, 3422 Rn. 37 ff. mwN). Nach diesen Maßstäben ist eine ergänzende Vertragsauslegung dahin, dass die Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft trotz der Unwirksamkeit der in Nr. 47.3 ZVB-StB 88 geregelten Ablösungsmöglichkeit dennoch vereinbart war, nicht gerechtfertigt. Wie die Vertragsparteien das Zusammenspiel der Bürgschaften und anderer in Betracht kommender Sicherungsrechte gerade auch hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs und der bau- und verhaltensabhängigen Umstände interessengerecht geregelt hätten, wenn sie um die Unwirksamkeit der Klausel gewusst hätten, ist hier nicht ersichtlich. Es ist offen, ob sie aus der Vielzahl denkbarer Gestaltungsmöglichkeiten die Ablösung der Vertragserfüllungsbürgschaft ohne den Verzicht auf Gegenrechte der Auftragnehmerin gewählt hätten. Stattdessen wäre etwa auch ein Sicherheitseinbehalt in Betracht gekommen. Die möglicherweise ausgewogene Regelung des § 17 Abs. 8 Nr. 1 VOB/B, wonach der Auftraggeber eine nicht verwertete Sicherheit für die Vertragserfüllung zum vereinbarten Zeitpunkt, spätestens aber nach Abnahme und Stellung der Sicherheit für Mängelansprüche zurückzugeben hat, es sei denn, dass Ansprüche des Auftraggebers, die nicht von der gestellten Sicherheit für Mängelansprüche umfasst sind, noch nicht erfüllt sind, existierte damals noch nicht und hätte für die Vertragsparteien bei Vertragsschluss deshalb nicht als Grundlage einer Lösung zur Verfügung gestanden (vgl. OLG Hamm, NZBau 2010, 758, 760).

(2) Im Einklang mit dieser Beurteilung hat auch der allgemein für das Bürgschaftsrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschieden, dass eine in einem Werkvertrag enthaltene Klausel, wonach ein Sicherungseinbehalt nur durch eine Bürgschaft abgelöst werden kann, die den Verzicht auf sämtliche Einreden des § 768 BGB verlangt, einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nicht standhält (Urteil vom 16. Juni 2009 - XI ZR 145/08, BGHZ 181, 278 Rn. 14 ff.). Die Frage, ob entgegen dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion an die Stelle einer unwirksamen Bürgschaftsverpflichtung eine im Wege ergänzender Vertragsauslegung abgemilderte Verpflichtung treten kann, hat der XI. Zivilsenat dort ebenfalls verneint (vgl. Urteil vom 16. Juni 2009 - XI ZR 145/08, BGHZ 181, 278 Rn. 30 ff.; im Ergebnis ebenso BGH, Urteil vom 28. Juli 2011 - VII ZR 207/09, WM 2011, 1697 Rn. 14 ff., 22 f.) und dies maßgeblich mit dem untrennbaren Zusammenhang zwischen Werkvertragsvereinbarung zum Sicherungseinbehalt einerseits und der Ablösemöglichkeit durch Gewährleistungsbürgschaft andererseits begründet (aaO, Rn. 36 ff.). Dass eine solche Klausel streichbare Teile aufweist und somit nicht dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion (vgl. § 306 Abs. 2 BGB nF) anheimfällt, ist daher außerhalb der vom VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschiedenen Fälle, wonach - ohnehin nur ausnahmsweise für eine Übergangszeit - eine formularmäßig „auf erstes Anfordern“ zu stellende Vertragserfüllungsbürgschaft mit Rücksicht auf die beiderseitigen Parteiinteressen ausnahmsweise als einfache selbstschuldnerische Bürgschaft auszulegen sei (vgl. Urteile vom 4. Juli 2002 - VII ZR 502/99, BGHZ 151, 229, 234, vom 25. März 2004 - VII ZR 453/02, WM 2004, 1079, 1081 und vom 12. Februar 2009 - VII ZR 39/08, BGHZ 179, 374 Rn. 22), nicht anzunehmen. Dies gilt auch für den vorliegenden Fall. Im Streitfall geht es ebenfalls um das komplizierte Gefüge zwischen zwei Sicherheiten, nämlich die vereinbarte Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft als Voraussetzung für die Ablösung einer Vertragserfüllungsbürgschaft. Nähme man in einem solchen Fall im Wege der Auslegung eine Anpassung der allgemeinen Geschäftsbedingungen an eine AGB-rechtlich noch zulässige Regelung vor, würde die Unwirksamkeitsfolge des § 9 AGBG umgangen. Die teilweise Aufrechterhaltung des Klauselwerks kommt hier deshalb gemäß dem in ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannten Verbot der geltungserhaltenden Reduktion (siehe nur BGH, Urteil vom 30. November 2004 - XI ZR 200/03, BGHZ 161, 189, 196 mwN) nicht in Betracht.

c) Kann nach allem die streitbefangene Klausel nicht aufrechterhalten werden, sind die Voraussetzungen, unter denen die Auftragnehmerin zur Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft verpflichtet wurde, zwischen den Vertragsparteien insgesamt nicht wirksam vereinbart worden. Die in der Sicherungsvereinbarung begründete Benachteiligung der Auftragnehmerin belastete diese entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen im Sinne von § 9 Abs. 1 AGBG. Gründe, die die Klausel bei der gebotenen Abwägung der berechtigten Interessen aller Beteiligten (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 2004 - XI ZR 200/03, BGHZ 161, 189, 195 mwN) gleichwohl als nicht unangemessen erscheinen lassen, zeigt die Klägerin nicht auf und sind auch nicht ersichtlich.

2. Die Unwirksamkeit der Klausel führt dazu, dass für die Auftragnehmerin eine wirksame Verpflichtung zur Stellung der Vertragserfüllungsbürgschaft nicht bestand und die Bürgschaftsurkunde von der Klägerin ersatzlos herauszugeben gewesen wäre.

a) Die Beklagte kann der Klägerin das Fehlen des Rechtsgrundes im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB als Bürgin im Wege der Bereicherungseinrede gemäß §§ 768 Abs. 1, 821 BGB dauerhaft entgegenhalten. Hat der Bürge eine Sicherung gewährt, obwohl die Sicherungsabrede zwischen Hauptschuldner und Gläubiger unwirksam ist, so kann er sich gegenüber dem Leistungsverlangen des Gläubigers auf die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede und auf die Einrede des Hauptschuldners berufen, dass der Gläubiger die Inanspruchnahme des Bürgen zu unterlassen hat. Das folgt aus dem Sinn und Zweck des Akzessorietätsgedankens, der sicherstellen soll, dass der Bürge grundsätzlich nicht mehr zu leisten hat als der Hauptschuldner (BGH, Urteil vom 12. Februar 2009 - VII ZR 39/08, NJW 2009, 1664 Rn. 9; vgl. Palandt/Sprau, BGB, 72. Aufl., § 768 Rn. 6 und § 821 Rn. 2 mwN).

b) Auf die von der Beklagten hilfsweise vorgetragenen AGB-rechtlichen Erwägung, dass sich die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede jedenfalls aus dem Gesichtspunkt einer Anhäufung von - womöglich nicht jeweils schon für sich unwirksamen - belastenden Klauseln rechtfertige (vgl. dazu BGH, Urteil vom 5. Mai 2011 - VII ZR 179/10, NJW 2011, 2195 Rn. 29 mwN), kommt es nicht mehr an. Gleiches gilt für die Ausführungen der Beklagten zum anspruchsbezogenen Umfang der Vertragserfüllungsbürgschaft, wonach diese die geltend gemachte Hauptforderung nicht umfasst habe.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 101 Abs. 1 ZPO. Die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 2 ZPO.

Streitwert :

170.334,33 €; §§ 3-5 ZPO, 48 Abs. 1 GKG (vgl. OLG Schleswig, OLGR 2005, 527, 528; OLG Zweibrücken, OLGR 2003, 256; OLG Brandenburg, NJW-RR 1996, 1472; 2004, 342; OLG Köln, FamRZ 1995, 1214; OLG München, NJW-RR 1996, 1472; 1996, 956, 957; OLG Düsseldorf, JurBüro 1994, 114; Hartmann, KostG, 42. Aufl., GKG Anh I § 48 (§ 3 ZPO) Rn. 49; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 71. Aufl., Anh § 3 Rn. 45, 49)