Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 12. Senat | Entscheidungsdatum | 13.01.2014 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | OVG 12 N 111.12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 15 KomVerf BB, § 20 GemO BB, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 2 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 5 VwGO |
Für die Prüfung eines mit der Verpflichtungsklage geltend gemachten Anspruchs auf Zulassung eines Bürgerbegehrens ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen. Hat sich die Fragestellung eines rein kassatorischen Bürgerbegehrens zum maßgeblichen Zeitpunkt überholt (hier: Verhinderung des Verkaufs von Mehrheitsanteilen an einer kommunalen Einrichtung), kommt eine Zulassung nicht mehr in Betracht.
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 28. Juni 2012 wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens tragen die Kläger.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5 000 EUR festgesetzt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von den Klägern geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Das gilt zunächst, soweit sich die Kläger gegen die Abweisung ihres Hauptantrages wenden.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, den Beklagten zu 2. unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Oktober 2008 zu verpflichten, das von den Klägern initiierte Bürgerbegehren zuzulassen, als unbegründet angesehen (UA S. 13). Es hat dabei die Auffassung vertreten, dass das Bürgerbegehren nicht den Anforderungen des § 20 Abs. 1 Satz 5 GO a.F. bzw. § 15 Abs. 1 Satz 4 BbgKVerf entspreche, da es an einem zwangsläufige Folgekosten und den Verzicht auf Einnahmen berücksichtigenden Kostendeckungsvorschlag fehle. Zudem sei das Bürgerbegehren, mit dem eine Veräußerung der Mehrheitsanteile an der Stadtwerke Forst GmbH verhindert werden sollte, unzulässig. Da der Anteilsverkauf bereits rechtswirksam vollzogen und die Gesellschaft umstrukturiert worden sei, sei es auf eine rechtlich und tatsächlich nicht mehr mögliche Maßnahme gerichtet. In Betracht komme allenfalls noch ein auf Rückabwicklung des Verkaufs gerichteter Bürgerentscheid; dafür enthalte das vorliegende Begehren indes keinen ausreichenden Kostendeckungsvorschlag.
In einem derartigen Fall einer mehrfachen, die angegriffene Entscheidung jeweils selbständig tragenden Begründung ist für eine Zulassung der Berufung nur dann Raum, wenn in Bezug auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (vgl. zum Revisionsrecht: BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 2010 - 9 B 60.10 - juris Rn. 3 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Der Annahme des Verwaltungsgerichts, das Bürgerbegehren sei auf eine rechtlich und tatsächlich nicht mehr mögliche Maßnahme gerichtet und daher unzulässig, sind die Kläger nicht mit zulassungsrechtlich relevanten Einwänden entgegengetreten.
a) Der geltend gemachte Zulassungsgrund besonderer rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist insoweit nicht gegeben.
Ohne Erfolg leiten die Kläger derartige besondere Schwierigkeiten aus dem Umstand ab, dass sie als Initiatoren des Bürgerbegehrens alles in ihrer Risikosphäre getan hätten, um eine rechtzeitige Entscheidung über das Begehren zu ermöglichen. Zum Zeitpunkt seiner Einreichung sei das Bürgerbegehren auf eine ohne weiteres noch mögliche Maßnahme gerichtet gewesen. Erst nach der Feststellung der Wahlleiterin, dass die erforderlichen Unterschriften erreicht seien, und vor der Entscheidung über die Zulässigkeit des Begehrens habe die Stadtverwaltung durch eine „beschleunigte Abwicklung“ des Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung über die Veräußerung von Geschäftsanteilen veränderte Umstände herbeigeführt und damit dem Begehren seine kassatorische Wirkung zu nehmen versucht.
Überdurchschnittliche Schwierigkeiten der Rechtssache, die wegen offener Erfolgsaussichten der Klärung in einem Berufungsverfahren bedürften, sind mit diesem Vorbringen nicht dargetan. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht für die Beurteilung des auf Zulassung des Bürgerbegehrens gerichteten Verpflichtungsantrags der Kläger auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgestellt (vgl. Grünewald, in: Potsdamer Kommentar – Kommunalrecht und Kommunales Finanzrecht in Brandenburg, Stand: Mai 2013, § 15 BbgKVerf Rn. 94). Dass das Ziel des Bürgerbegehrens, die von der Stadtverordnetenversammlung beschlossene Veräußerung von Mehrheitsanteilen an der Stadtwerke Forst GmbH zu verhindern, zu diesem Zeitpunkt noch erreichbar war, behaupten auch die Kläger nicht. Die von ihnen gerügte Verfahrensweise der Stadtverwaltung ändert nichts daran, dass der Anteilsverkauf zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nach den unwidersprochenen erstinstanzlichen Feststellungen bereits rechtswirksam vollzogen war und die Gesellschaft zudem bereits umstrukturiert worden ist. Da die Fragestellung des Bürgerbegehrens damit überholt ist, ist für eine Zulassung des Begehrens kein Raum mehr; ein Bürgerentscheid wäre nach der zutreffenden Auffassung des Verwaltungsgerichts auf etwas rechtlich Unmögliches gerichtet.
Der Hinweis der Kläger auf die „beschleunigte Abwicklung“ des Anteilsverkaufs rechtfertigt keine andere Beurteilung. Substantiierte Anhaltspunkte, dass die Stadtverwaltung rechtlich an der Veräußerung der Mehrheitsanteile gehindert gewesen wäre oder die Veräußerung allein dem Zweck gedient hätte, dem Bürgerbegehren die Grundlage zu entziehen, lassen sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen. Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 5 BbgKVerf hat erst die Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens zur Folge, dass entgegenstehende Entscheidungen der Gemeindeorgane nicht mehr getroffenen und Vollzugshandlungen nicht vorgenommen werden dürfen; die vom Verwaltungsgericht darüber hinaus angeführte Vorschrift des § 20 GO sah eine vergleichbare Regelung noch nicht vor. Zum Zeitpunkt der rechtswirksamen Anteilsveräußerung entfaltete das Bürgerbegehren danach weder Sperrwirkung noch ist dargetan, dass die Entscheidung über die Zulässigkeit des Begehrens etwa rechtsmissbräuchlich hinausgezögert worden wäre. Inwieweit den Klägern gleichwohl die Möglichkeit offen gestanden hätte, dem Bürgerbegehren entgegenstehende Vollzugsmaßnahmen im Wege der Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes zu verhindern (vgl. OVG Frankfurt[Oder], Beschluss vom 1. November 2002 - 1 B 209/02 - juris), kann dahinstehen, da sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht haben.
In nicht zu beanstandender Weise ist das Verwaltungsgericht danach davon ausgegangen, dass Gegenstand des Bürgerbegehrens allenfalls noch die Rückabwicklung des Anteilsverkaufs sein könnte. Der erstinstanzlichen Annahme, insoweit fehle es jedoch an dem erforderlichen Kostendeckungsvorschlag, der sich zumindest auch auf die Rückerstattung des Kaufpreises erstrecken müsste, sind die Kläger nicht substantiiert entgegengetreten.
b) Hinsichtlich der Abweisung des Verpflichtungsbegehrens der Kläger kommt der Rechtssache auch nicht die behauptete grundsätzliche Bedeutung zu (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Den von den Klägern für grundsätzlich bedeutsam erachteten Fragen (Seite 6 der Antragsbegründung) wäre im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs auf Zulassung des Bürgerbegehrens schon deshalb nicht weiter nachzugehen, weil das Verwaltungsgericht - wie dargelegt - zu Recht auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgestellt hat. Im Übrigen ergibt sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen, dass allein die Einreichung eines Bürgerbegehrens nicht geeignet ist, Sperrwirkung zu entfalten und die Gemeindeorgane an entgegenstehenden Vollzugsmaßnahmen zu hindern.
2. In nicht zu beanstandender Weise hat das Verwaltungsgericht den hilfsweise gestellten Bescheidungsantrag der Kläger bereits als unzulässig angesehen (UA S. 21).
Die angegriffene Entscheidung begegnet insoweit keinen ernstlichen Zweifeln an ihrer Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Der Hinweis der Kläger, dass die Würdigung des dem Bürgerbegehren beigegebenen Kostendeckungsvorschlags von schwierigen - keinesfalls abschließend geklärten - Bilanzierungs- und Bewertungsfragen abhänge, vermag die erstinstanzliche Würdigung nicht ernsthaft in Frage zu stellen. Er bezieht sich erkennbar, wie die Bezugnahme auf Ziffer 1 a) der Antragsbegründung zeigt, lediglich auf eine von zwei selbständig tragenden Begründungen, aus denen sich das Verwaltungsgericht in der Lage gesehen hat, über das Verpflichtungsbegehren auf Zulassung des Bürgerbegehrens abschließend zu entscheiden. Für die Annahme fehlender Spruchreife ist danach kein Raum.
Die darüber hinaus angeführten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 VwGO liegen gleichfalls nicht vor. Inwieweit es hinsichtlich der weiteren tragenden, auf den bereits vollzogenen Anteilsverkauf abstellenden Begründung des Verwaltungsgerichts an der erforderlichen Spruchreife gefehlt habe, ist auch nicht ansatzweise dargetan.
3. Ohne Erfolg bleiben auch die Rügen der Kläger, mit denen sie sich gegen die Abweisung ihres isolierten Anfechtungsantrages wenden. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Antrag als jedenfalls unbegründet angesehen (UA S. 22).
Der Hinweis in der Antragsbegründung, dass den Klägern zu 1. bis 3. durch ihren rechtswidrigen Ausschluss „aus der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung“ die Möglichkeit verwehrt worden sei, durch ihre Debattenbeiträge auf das Ergebnis der Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens Einfluss zu nehmen, zeigt weder ernstliche Richtigkeitszweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch besondere Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Der Einwand vermag bereits in der Sache nicht zu überzeugen. Ausweislich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sind die Kläger zu 1. und 2. wegen Befangenheit lediglich von der Beschlussfassung der Stadtverordnetenversammlung ausgeschlossen worden; der Kläger zu 3. hat sich selbst für befangen erklärt. In der vorangegangenen Diskussion über die Beschlussvorlage ist den Klägern zu 1. und 2. dagegen ausdrücklich Rederecht eingeräumt worden, das sie nach der Sitzungsniederschrift auch wahrgenommen haben (VV Bl. 46, Seite 7 der Niederschrift zur 28. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung). Für die Annahme, den Initiatoren des Bürgerbegehrens sei nicht die Möglichkeit zu „Debattenbeiträgen“ gewährt worden, fehlt es danach an substantiierten Anhaltspunkten.
Unabhängig davon handelt es sich bei der Entscheidung über die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens (§ 15 Abs. 2 Satz 1 BbgKVerf, § 20 Abs. 2 Satz 1 GO) nach der Auffassung des Verwaltungsgerichts um eine gebundene Entscheidung, bei der der Stadtverordnetenversammlung kein Entscheidungsspielraum eingeräumt ist. Dem sind die Kläger nicht mit zulassungsrechtlich relevanten Einwänden entgegengetreten. In nicht zu beanstandender Weise ist das Verwaltungsgericht danach davon ausgegangen, dass der Ausschluss der Kläger zu 1. und 2. von der Beschlussfassung die Entscheidung in der Sache offensichtlich nicht beeinflusst hat.
Anderweitige Verfahrens- oder Formfehler im Sinne des § 46 VwVfG zeigt der Zulassungsantrag nicht auf. Die wiederholten inhaltlichen Einwände der Kläger gegen den Bescheid vom 22. Oktober 2008 geben dafür nichts her. Auf etwaige materiell-rechtliche Fehler der Entscheidung über die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens findet § 46 VwVfG keine Anwendung.
4. Die Berufung ist schließlich auch nicht hinsichtlich des weiter hilfsweise gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrages der Kläger zuzulassen. Dabei kann dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht den Antrag zu Recht als nicht statthaft angesehen hat (UA S. 23). Denn die insoweit erhobenen Rügen der Kläger, die sich - mit Ausnahme der Divergenzrüge - auf sämtliche Zulassungsgründe stützen, greifen jedenfalls im Ergebnis nicht durch.
Aus den bereits vorstehend unter Ziffer 1. dargelegten Gründen ist für die Feststellung, dass der Bescheid des Beklagten zu 2. vom 22. Oktober 2008 rechtswidrig ist, kein Raum, ohne dass es insoweit der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedürfte. Wie die Kläger selbst geltend machen, würden sich bei der Prüfung der Begründetheit des Fortsetzungsfeststellungsantrages dieselben Rechtsfragen wie bei der Prüfung ihres Verpflichtungsbegehrens stellen. Soweit das Verwaltungsgericht - wie dargelegt - in nicht zu beanstandender Weise einen Anspruch auf Zulassung des rein kassatorischen Bürgerbegehrens nach dem erfolgten Anteilsverkauf selbständig tragend verneint hat, scheidet danach auch ein Anspruch der Kläger auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides aus. Dass die angegriffene Entscheidung auf den von ihnen gerügten Verfahrensfehlern beruhen kann, ist weder dargetan noch ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).