Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 24.01.2020 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 L 163.19 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2020:0124.3L163.19.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 94 VwGO, § 5 Abs 1 Nr 2 AufenthG, Art 6 SGK, Art 32 Abs 1 EGV 810/2009, Art 25 Abs 1 SDÜREO, Art 27 EUV 2018/1861, Art 24 Abs 2 EGV 1987/2006, Art 14 Abs 1 SGK, Art 66 EUV 2018/1861, Art 64 EUV 2018/1861, § 15 Abs 2 Nr 3 AufenthG, § 6 Abs 3 AufenthG |
Der Aussetzungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 31. Juli 2019 wird aufgehoben.
I.
Die Kläger, die iranische Staatsangehörige sind, wenden sich gegen die Aussetzung des Klageverfahrens, das auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug für den Kläger zu 1. gerichtet ist.
Die Kläger zu 2. und 3. sind anerkannte Flüchtlinge und seit März 2017 im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 2 AufenthG. Der Kläger zu 1., der sich in Sulaymaniyah im Irak aufhält, beantragte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 19. Mai 2017 sowie mit Formblattantrag vom 17. Dezember 2017 beim Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Erbil ein Visum zum Familiennachzug.
Das Landratsamt Nürnberger Land versagte am 1. März 2018 seine Zustimmung zur Visumerteilung unter Verweis auf eine am 9. März 2015 gespeicherte, ursprünglich bis zum 9. März 2018 befristete und nunmehr bis zum 16. Februar 2021 verlängerte Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem durch das Bundespolizeipräsidium.
Das Bundespolizeipräsidium lehnte mit Bescheid vom 14. Mai 2018 den Antrag des Klägers zu 1. auf Löschung, hilfsweise Befristung der Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem ab. Der Ausschreibung liege ein Fahndungsersuchen des iranischen Interpol Nationalbüros vom 3. Februar 2015 wegen des Verdachts der Anstiftung zum Mord sowie zur Versammlung und Verabredung zur Begehung von Verbrechen gegen die nationale Sicherheit mittels Herbeiführens von Sprengstoffexplosionen zugrunde. Die Ausschreibung sei gemäß Art. 24 Nr. 2 Buchst. b) der Verordnung (EG) 1987/2006 i.V.m. § 30 Abs. 5 BPolG erfolgt, da die Anwesenheit des Klägers zu 1. die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde. Der begründete Verdacht der Begehung einer schweren Straftat rechtfertige eine Aufrechterhaltung und Verlängerung der Ausschreibung zur Einreiseverweigerung.
Mit Schreiben vom 3. September 2018 lehnte das Generalkonsulat den Visumantrag des Klägers zu 1. aufgrund der bis 2021 bestehenden Einreisesperre ab.
Die Kläger haben am 8. November 2018 beim Verwaltungsgericht Berlin Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Visumerteilung erhoben.
Im Dezember 2018 erhob der Kläger zu 1. zudem beim Verwaltungsgericht Potsdam Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundespolizeipräsidium, auf Löschung bzw. Befristung der Ausschreibung zur Einreiseverweigerung (Az. VG 3 K 3852/18).
Das Verwaltungsgericht Berlin setzte das vorliegende Klageverfahren mit Beschluss vom 31. Juli 2019 gemäß § 94 VwGO aus. Für das Verfahren auf Erteilung eines nationalen Visums zum Familiennachzug sei ein entscheidungserheblicher Aspekt, ob die gegenüber dem Kläger zu 1. durch das Bundespolizeipräsidium verhängte Ausschreibung zur Einreiseverweigerung rechtmäßig sei bzw. fortbestehe. Diese Ausschreibung bewirke eine Einreisesperre für das gesamte Schengen-Gebiet, sei von allen Schengen-Staaten bei der Visumerteilung, der Grenzkontrolle, der Kontrolle des Binnen-Reiseverkehrs sowie der Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltstiteln zu beachten und rechtfertige eine Zurückweisung an der Grenze nach § 15 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG. Die Beklagte sowie der Beigeladene hätten die Visumerteilung zugunsten des Klägers zu 1. bzw. die insoweit erforderliche Zustimmung wegen Fortgeltung der Einreisesperre bis zum 16. Februar 2021 versagt. Das Verfahren auf Löschung der Ausschreibung sei beim Verwaltungsgericht Potsdam anhängig. Es wäre nicht einzusehen, dass hinsichtlich der Visumerteilung und der Löschung der Ausschreibung durch die Gerichte divergierende Entscheidungen ergehen könnten. Die Aussetzung des Verfahrens sei auch unter Berücksichtigung der Interessen der Kläger an einer Familienzusammenführung in der Bundesrepublik und des aus Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 EU-GRCh abzuleitenden Schutzes angemessen. Schließlich sei die Ausschreibung zur Einreisesperre gerade von einer deutschen Behörde verhängt worden, so dass es den Klägern zuzumuten sei, zunächst eine vollumfängliche Prüfung der Ausschreibung im Verhältnis zu der eintragenden Behörde abzuwarten. Solange habe das Interesse an einer Familienzusammenführung gerade im Bundesgebiet hinter dem öffentlichen Interesse, nur Personen einreisen zu lassen, die keine Gefahr für die öffentlicher Sicherheit und Ordnung darstellten, zurückzustehen.
Mit der Beschwerde machen die Kläger geltend, dass die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens nicht vorlägen, da die Löschung der SIS-Eintragung kein entscheidungserheblicher Aspekt im Verfahren auf Erteilung nationaler Visa sei. Zudem sei die Entscheidung unverhältnismäßig und mit dem grundrechtlichen Schutz durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK bezüglich der Familie und des Kindes unvereinbar. Es sei nicht hinnehmbar, dass der Kläger zu 1. auf unabsehbare Zeit von seiner Ehefrau und seinem Sohn getrennt werde.
II.
Die Beschwerde hat Erfolg.
1. Sie ist gemäß § 146 Abs. 1, § 147 VwGO zulässig. Ein Beschluss des Verwaltungsgerichts über die Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO stellt insbesondere keine prozessleitende Maßnahme dar, die gemäß § 146 Abs. 2 VwGO nicht anfechtbar wäre (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2018 - OVG 3 L 150.17 - juris Rn. 3 m.w.N.).
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 94 VwGO liegen nicht vor.
a. Nach § 94 VwGO kann das Gericht - wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist - anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei (Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit). Die danach erforderliche Vorgreiflichkeit besteht nur, wenn kraft Gesetzes oder rechtslogisch die Entscheidung in einem anhängigen Verfahren von dem Bestehen oder Nichtbestehen des im anderen Verfahren anhängigen Rechtsverhältnisses abhängt (vgl. Peters/Schwarzburg, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5 Aufl. 2018, § 94 Rn. 9; Porz, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, VwGO § 94 Rn. 4). Eine solche Abhängigkeit setzt voraus, dass das Ergebnis des anderen gerichtlichen Verfahrens entscheidungserheblich ist für den Ausgang des Verfahrens, das ausgesetzt werden soll (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 5. Juli 2017 - 4 OB 160/17 - juris Rn. 3).
Auf die gegen einen Aussetzungsbeschluss erhobene Beschwerde prüft das Beschwerdegericht nur, ob die (formellen) Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aussetzung vorlagen und ob das Verwaltungsgericht ermessensfehlerfrei entschieden hat (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2018 - OVG 3 L 150.17 - juris Rn. 5; OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Juli 2013 - 5 OB 146/13 - juris Rn. 6). Im Rahmen der Beschwerde ist die Überprüfung grundsätzlich darauf beschränkt, ob die Vorgreiflichkeit auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Würdigung des Streitstoffes durch das Ausgangsgericht zu Recht bejaht wurde, denn anderenfalls würde das Beschwerdegericht in dem die Aussetzung des Verfahrens betreffenden Zwischenstreit den gesamten Streitstoff entscheiden und damit dem Verwaltungsgericht praktisch sein Urteil in der Hauptsache vorgeben (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Juli 2013 - 5 OB 146/13 - juris Rn. 6; OVG Münster, Beschluss vom 27. Mai 2014 - 1 E 175/14 - juris Rn. 8; VGH Mannheim, Beschluss vom 2. November 1999 - 11 S 1770/99 - juris Rn. 5). Anderes gilt jedoch dann, wenn das Ausgangsgericht die materielle Rechtslage offensichtlich grob fehlerhaft beurteilt oder seine Überzeugung fehlerhaft nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen hat oder ein Aufklärungsmangel vorliegt (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 5. Juli 2017 - 4 OB 160/17 - juris Rn. 3; VGH Mannheim, Beschluss vom 2. November 1999 - 11 S 1770/99 - juris Rn. 6; Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juli 2019, § 94 Rn. 41).
b. Unter Zugrundelegung dieses Kontrollmaßstabes ist die angegriffene verwaltungsgerichtliche Entscheidung aufzuheben, denn das Verwaltungsgericht hätte eine Vorgreiflichkeit des beim Verwaltungsgericht Potsdam mit dem Begehren auf Löschung bzw. Befristung der Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem anhängigen Verfahrens für die vorliegende Klage auf Verpflichtung zur Erteilung eines Visums zum Familiennachzug nicht bejahen dürfen.
aa. Die Begründung des Aussetzungsbeschlusses zeigt eine gesetzliche oder rechtslogische Verknüpfung der Visumerteilung nach § 6 Abs. 3 AufenthG i.V.m. §§ 27, 29 und 30 AufenthG mit der durch die Bundespolizei erfolgten Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem nicht auf. Die Aussage, dass es für das Verfahren auf Erteilung eines nationalen Visums zum Familiennachzug zu Ausländern ein entscheidungserheblicher Aspekt sei, ob die durch das Bundespolizeipräsidium in Potsdam erfolgte Ausschreibung des Klägers zu 1. zur Einreiseverweigerung rechtmäßig sei bzw. fortbestehe, bleibt ohne tragfähige Begründung. Der unter Bezugnahme auf die das Gericht nicht bindende Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz formulierte allgemeine Hinweis, die Ausschreibung bewirke eine Einreisesperre für das gesamte Schengen-Gebiet, sei von allen Schengen-Staaten bei der Visumerteilung, der Grenzkontrolle, der Kontrolle des Binnen-Reiseverkehrs sowie der Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltstiteln zu beachten und rechtfertige eine Zurückweisung an der Grenze nach § 15 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG, leistet dies nicht.
bb. Die durch eine deutsche Behörde erfolgte Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem als solche steht der Erteilung eines nationalen Visums durch eine deutsche Auslandsvertretung nicht per se entgegen.
(1) Das Aufenthaltsgesetz normiert die bloße Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem nicht als Versagungsgrund für die Erteilung eines nationalen Visums zum Familiennachzug. Weder § 6 Abs. 3 AufenthG noch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG weisen einen entsprechenden Tatbestand auf. Ebenso wenig begründet die Ausschreibung ein Erteilungsverbot im Sinne des § 11 Abs. 1 AufenthG, der allein an eine Ausweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung anknüpft.
Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage von den Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums nach der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl. EU L 243, S. 1), hier noch anwendbar in der Fassung durch die Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen - Schengener Grenzkodex (ABl. EU L 77, S. 1). Nach Art. 32 Abs. 1 Buchst. a) Unterbuchst. v) des Visakodex ist das Schengen-Visum im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Visakodex zu verweigern, wenn der Antragsteller im Schengener Informationssystem zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist.
Die von dem Verwaltungsgericht angeführte Möglichkeit einer Zurückweisung an der Grenze nach § 15 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG vermag ebenso wenig eine Vorgreiflichkeit zu begründen. Nach dieser Bestimmung kann ein Ausländer an der Grenze zurückgewiesen werden, wenn er die Voraussetzungen für die Einreise in das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien nach Art. 6 des Schengener Grenzkodex nicht erfüllt. Zwar darf ein Drittstaatsangehöriger nach den in Art. 6 SGK aufgeführten Einreisevoraussetzungen nicht im Schengener Informationssystem zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sein (Art. 6 Abs. 1 Buchst. d) SGK). Die Zurückweisungsmöglichkeit bezieht sich jedoch nicht auf Inhaber eines nationalen Visums, weil deren Einreise nicht unerlaubt ist. § 15 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG erfasst nur die Einreise für Kurzzeitaufenthalte wie die einleitende Formulierung des Art. 6 Abs. 1 SGK verdeutlicht, die allein auf einen geplanten Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen abstellt (vgl. auch Zeitler, in: HTK-AuslR, SGK Art. 6 Abs. 1 Nr. 2.2; Hailbronner, AuslR, Stand: April 2019, AufenthG § 15 Rn. 34; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: September 2019, § 15 Rn. 18).
(2) Auch nach Unionsrecht ist die hier begehrte Erteilung eines nationalen Visums durch die Bundesrepublik Deutschland trotz der bestehenden Ausschreibung zur Einreiseverweigerung nicht ausgeschlossen.
Dies folgt insbesondere nicht aus Art. 25 Abs. 1 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 19. Juni 1990. Danach hat ein Mitgliedstaat, der beabsichtigt, einen Aufenthaltstitel zu erteilen, systematisch die Daten im Schengener Informationssystem abzurufen. Beabsichtigt ein Mitgliedstaat, einem zur Einreiseverweigerung ausgeschriebenen Drittausländer einen Aufenthaltstitel zu erteilen, so konsultiert er vorab den ausschreibenden Mitgliedstaat und berücksichtigt dessen Interessen; der Aufenthaltstitel wird nur bei Vorliegen gewichtiger Gründe erteilt, insbesondere aus humanitären Gründen oder aufgrund internationaler Verpflichtungen. Wird der Aufenthaltstitel erteilt, so zieht der ausschreibende Mitgliedstaat die Ausschreibung zurück, wobei es ihm unbenommen bleibt, den betroffenen Drittausländer in die nationale Ausschreibungsliste aufzunehmen. Dies gilt gemäß Art. 25 Abs. 3 SDÜ auch für Visa für den längerfristigen Aufenthalt.
Es spricht viel dafür, dass diese Regelung auch gegenwärtig weiter heranzuziehen ist. Zwar sieht Art. 64 der Verordnung (EU) 2018/1861 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) im Bereich der Grenzkontrollen, zur Änderung des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen und zur Änderung und Aufhebung der Verordnung (EG) 1987/2006 (ABl. EU L 312, S. 14) die Streichung des Art. 25 SDÜ vor. Trotz des Inkrafttretens der Verordnung am 27. Dezember 2018 (Art. 66 Abs. 1 VO (EU) 2018/1861), ist sie in Bezug auf die Streichung des Art. 25 SDÜ jedoch noch nicht anzuwenden. Denn nach Art. 66 Abs. 5 VO (EU) 2018/1861 gilt die Verordnung - mit vorliegend nicht einschlägigen Ausnahmen - erst ab einem durch die Kommission gemäß Art. 66 Abs. 2 VO (EU) 2018/1861 festzulegenden Datum. Ein solcher Beschluss ist bislang nicht ergangen (a.A. bzgl. der Aufhebung des Art. 25 SDÜ VGH Mannheim, Beschluss vom 19. Juli 2019 - 11 S 1631/19 - juris Rn. 8).
Ungeachtet der Frage, ob sich aus der Regelung des Art. 25 Abs. 1 Satz 2 SDÜ, wonach der Aufenthaltstitel bzw. das Visum nur bei Vorliegen gewichtiger Gründe erteilt wird, insbesondere aus humanitären Gründen oder aufgrund internationaler Verpflichtungen, ein weiterer Versagungsgrund für die nationale Visumerteilung ableiten lässt, gelten die Restriktionen für eine nationale Entscheidung über die Erteilung eines Visums nach Art. 25 Abs. 1 SDÜ jedoch nur in dem Fall, dass ein anderer Schengen-Mitgliedstaat den betreffenden Ausländer zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben hat. In dem hier zu beurteilenden Fall entscheidet die Bundesrepublik jedoch gleichermaßen autonom über den Fortbestand der allein von ihr veranlassten Ausschreibung zur Einreiseverweigerung wie über die Erteilung eines nationalen Visums für den längerfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet.
Nichts anderes würde sich im Übrigen auch dann ergeben, wann man hier Art. 27 VO (EU) 2018/1861, der Art. 25 SDÜ entsprechende Vorgaben enthält, für anwendbar hielte. Danach konsultieren in Fällen, in denen ein Mitgliedstaat erwägt, einem Drittstaatsangehörigen, den ein anderer Mitgliedstaat zur Einreise- und Aufenthaltsverweigerung ausgeschrieben hat, ein Visum für den längerfristigen Aufenthalt zu erteilen, die beteiligten Mitgliedstaaten vor der Visumerteilung einander und berücksichtigt der erteilende Mitgliedstaat bei seiner Entscheidung die Gründe für die Entscheidung des ausschreibenden Mitgliedstaats und prüft im Einklang mit dem nationalen Recht, ob die Anwesenheit des betreffenden Drittstaatsangehörigen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellen könnte. Die endgültige Entscheidung, ob einem Drittstaatsangehörigen ein Visum für den längerfristigen Aufenthalt erteilt wird, obliegt dem erteilenden Mitgliedstaat. Aus diesen Vorgaben ergibt sich ebenfalls, dass das Konsultationsverfahren nur bei einer Ausschreibung und Visumerteilung durch verschiedene Mitgliedstaaten vorgegeben ist.
Für eine Vorgreiflichkeit der Rechtmäßigkeit einer Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem kann auch aus Art. 14 SGK nichts hergeleitet werden. Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 SGK wird einem Drittstaatsangehörigen, der nicht alle Einreisevoraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 SGK erfüllt und der nicht zu dem in Art. 6 Abs. 5 SGK genannten Personenkreis gehört, die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verweigert. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 SGK stellt indes klar, dass davon die Anwendung besonderer Bestimmungen unter anderem zur Ausstellung von Visa für längerfristige Aufenthalte unberührt bleibt. Dies kommt auch in Art. 6 Abs. 5 Buchst. a) SGK zum Ausdruck, der Drittstaatsangehörigen, die nicht alle Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 SGK erfüllen, aber Inhaber eines Visums für einen längerfristigen Aufenthalt sind, die Einreise in das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten zum Zwecke der Durchreise zur Erreichung des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats ermöglicht, der das Visum für einen längerfristigen Aufenthalt ausgestellt hat, es sei denn, sie sind auf der nationalen Ausschreibungsliste des Mitgliedstaats, an dessen Außengrenzen sie einreisen wollen, mit einer Anweisung ausgeschrieben, ihnen die Einreise oder die Durchreise zu verweigern.
(3) Die von einer deutschen Behörde veranlasste Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem dürfte im Hinblick auf die in Art. 24 Abs. 2 der Verordnung (EG) 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (ABl. L 381, S. 4) genannten Voraussetzungen regelmäßig Anlass für eine Prüfung sein, ob der Erteilung des begehrten nationalen Visums der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegensteht. Diese Prüfung obliegt jedoch der Auslandsvertretung bzw. der Ausländerbehörde ebenso in eigener Verantwortung wie die Aufklärung des hierfür relevanten Sachverhaltes (vgl. auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 15 Rn. 62).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).