Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 26.08.2010 | |
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Aktenzeichen | L 2 U 23/09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 8 SGB 7 |
1.) Der Begriff "Ereignisse" in § 8 Abs 1 S 2 SGB VII beschreibt ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal des Versicherungsfalles "Arbeitsunfall".
2.) Das Unfallereignis ist als selbstständiges Geschehen von der bloßen Ausübung der versicherten Tätigkeit abzugrenzen.
3.) Das Abbremsen eines Zuges aufgrund einer dieses Handelns erfordernden Verkehrssituation stellt keinen (Arbeits-)Unfall dar.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 2009 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren, welches unter dem Aktenzeichen L 2 U 23/09 geführt wird, von der Beklagten die Gewährung von Leistungen aufgrund eines Ereignisses am 18. Juni 2007; vorab ist streitig, ob dieses Ereignis den Unfallbegriff im Sinne des Siebenten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) erfüllt. In dem mit Beschluss vom 26. August 2010 von diesem Verfahren abgetrennten Verfahren, das unter dem Aktenzeichen L 2 U 175/10 geführt wird, ist ein Ereignis vom 30. März 2007 streitig, dessen Ablauf noch ungeklärt ist.
Der 1955 geborene Kläger ist seit Oktober 1974 bei der S-Bahn B als Führer von Schienenfahrzeugen beschäftigt.
Laut Unfallanzeige vom 23. April 2007 führte der Kläger am 30. März 2007 als Triebfahrzeugführer einen S-Bahnzug. Weiter ist in der Unfallanzeige ausgeführt: „Bei Annäherung an einen Bahnübergang überquerte eine männliche Person bei geschlossenen Schranken den Bahnübergang.“ Der Versicherte habe einen Schock erlitten.
Auch am 18. Juni 2007 führte der Kläger als Triebfahrzeugführer einen S-Bahnzug und erlitt ausweislich der Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 22. November 2007 einen weiteren Beinaheunfall an einem Bahnübergang, diesmal mit einem Pkw. Der Kläger führte dazu aus, wegen einer Störung der Schrankenanlage am Bahnhof F sei er schriftlich im Vorfeld des Dienstantritts beauftragt worden, mit seinem Zug vor dem Bahnübergang zu halten. An diese Anweisung habe er sich auch gehalten. Nachdem er festgestellt habe, dass sich keine Fahrzeuge den Gleisen rechts näherten bzw. diese vor dem Bahnkreuz (linke Seite) angehalten hätten, habe er das Achtungssignal gegeben und den Zug in Bewegung gesetzt. Als der sich nun in Fahrt befindliche S-Bahn-Zug bereits den Straßenbereich des Bahnübergangs erreicht gehabt habe, sei ein Kraftfahrzeug von rechts kommend unmittelbar vor dem Zug über die Gleise gefahren. Nur durch eine sofortige Schnellbremsung habe ein Zusammenprall verhindert werden können. Er sei nicht mehr in der Lage gewesen, seinen Dienst ordnungsgemäß zu beenden und habe abgelöst werden müssen. In der mündlichen Verhandlung vom 26. August 2010 hat der Kläger ergänzend ausgeführt, als er den Übergang habe überfahren wollen, habe er eine Geschwindigkeit von ca. 5 bis 6 Stundenkilometern erreicht gehabt. Bei einer durch den Bremshebel eingeleiteten Zwangsbremsung brauche es noch ca 5 bis 6 Meter bevor der Zug zum Stehen komme.
Dr. M teilte im Durchgangsarztbericht vom 18. Juni 2007 mit, er habe bei dem Kläger eine posttraumatische Belastungsreaktion diagnostiziert. Arbeitsunfähigkeit nahm er vom 18. Juni 2007 bis 30. Juni 2007 an.
Mit Bescheid vom 20. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2008 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen Folgen des Ereignisses vom 18. Juni 2007 ab. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, der Kläger habe als Triebfahrzeugführer mit der S-Bahn am unbeschränkten Bahnübergang F gehalten. Bei der Weiterfahrt sei es zu einem Beinahe-Unfall mit einem Pkw, der den Bahnübergang unmittelbar bei der Weiterfahrt überquert habe, gekommen. Äußerliche Verletzungen seien keine eingetreten. Ein eigentliches Unfallereignis im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung als Ursache einer Verletzung habe nicht stattgefunden. Der Kläger habe sich zu keinem Zeitpunkt in einer lebensbedrohlichen Situation befunden. Allein die Vorstellung eines Unfalls sei für die Erfüllung des Unfallbegriffes nicht ausreichend. Es fehle am äußeren Ereignis und handle sich um eine berufstypische Belastung. Ein solches Geschehen erfülle nicht die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Auch wenn ein versichertes Unfallereignis hier vorgelegen haben sollte, könne die jetzige Arbeitsunfähigkeit keinesfalls unfallbedingt sein. Es handle sich um unfallunabhängige Beschwerden. Auch die Anerkennung des Ereignisses vom 30. März 2007 als Arbeitsunfall lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 20. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2008 mit ähnlicher Begründung ab.
Gegen diese Bescheide erhob der Kläger zwei Klagen vor dem Sozialgericht Berlin, die zunächst unter den Aktenzeichen S 25 U 219/08 und S 25 U 221/08 geführt und mit Beschluss vom 13. Mai 2008 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem führenden Aktenzeichen S 25 U 219/08 verbunden wurden. Mit Beschluss vom 26. August 2010 sind die Verfahren getrennt worden, weil sich in der mündlichen Verhandlung noch erheblicher Aufklärungsbedarf zum Ereignis vom 30. März 2007 ergeben hatte.
Das Sozialgericht holte ein Vorerkrankungsverzeichnis der BKK B sowie Befundberichte des medizinischen Versorgungszentrums M (Ärztin für Psychiatrie und Psychiatrie Dr. W) vom 16. August 2008 und der Dr. R vom 4. November 2008 ein.
Mit Gerichtsbescheid vom 16. Januar 2009 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, die Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig. Die beiden streitgegenständlichen Ereignisse vom 30. März 2007 und vom 18. Juni 2007 würden keine Arbeitsunfälle im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung darstellen, so dass bereits aus diesem Grunde Ansprüche des Klägers auf Entschädigung beziehungsweise auf etwaige Leistungen gegenüber der Beklagten ausscheiden würden. Versicherungsfälle im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB VII seien Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII seien Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit. Für das Vorliegen eines anspruchsvoraussetzenden Arbeitsunfalls trage der Kläger als Anspruchsteller die Beweislast; Zweifel am Vorliegen eines Arbeitsunfalls würden zu seinen Lasten gehen. Dem Geschehen vom 18. Juni 2007 lege die Kammer den Hergang zu Grunde, wie er durch den Kläger angegeben worden sei. Die Ausführungen in dem Schriftsatz des Bevollmächtigten des Klägers von 23. November 2007 würden den ersten Angaben hier nicht widersprechen, sondern diese lediglich präzisieren. Beide Ereignisse würden indes keinen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung darstellen. Gemäß der Legaldefinition des § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII seien Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tode führen würden. Die beiden streitgegenständlichen Ereignisse würden kein solches äußeres Ereignis darstellen. Reduziere man sie jeweils auf ihren Kern, so bestünden sie darin, dass der Kläger jeweils eine abrupte Gefahrenbremsung habe einleiten müssen - das eine Mal wegen eines unerwartet im Gleisbereich auftauchenden Fußgängers, das andere Mal wegen eines plötzlich die Bahngleise überquerenden Autos. Beide Situationen seien mehr oder weniger typisch für die Tätigkeit eines Triebwagenführers. Diese bestehe nicht nur darin, einen Zug zu lenken, solange dies unproblematisch erscheine - gerade auch die Bewältigung von Gefahrensituationen präge das Berufsbild eines Triebwagenführers als professionellem Verkehrsteilnehmer. Verkürzt und lapidar: Dank der Umsicht und Erfahrung des über 30 Jahre als Triebfahrzeugführer tätigen Klägers sei beide Male nichts passiert. Wenn der Bevollmächtigte des Klägers anführe, der Kläger habe bereits in der Vergangenheit gefährliche Vorkommnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Zugführer erlitten - so sei er unter anderem bei einem Suizid zugegen gewesen - könne dies nicht dazu führen, dass eine doch nicht absolut außergewöhnliche Gefahrensituation nunmehr als Arbeitsunfall zu qualifizieren sei. Vielmehr stelle sich gegebenenfalls die Frage nach einer Anerkennung dieser anderen gefährlichen Vorkommnisse als Arbeitsunfall. Dies sei allerdings nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Mögen diese früheren Vorkommnisse dem Kläger nun Veranlassung geben, sich die beiden hier streitgegenständlichen Ereignisse als Szenario mit schlimmeren Folgen auszumalen, so gelte doch das, was die Beklagte bereits ähnlich in den angefochtenen Bescheiden zum Ausdruck gebracht habe: rein subjektive Vorstellungen des Klägers würden sich nicht zu einem Arbeitsunfall qualifizieren lassen. Im Übrigen sehe die Kammer - was das Nicht-Vorliegen eines Arbeitsunfalls anbelange - gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und beziehe sich auf die zutreffende Begründung der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden.
Gegen den ihm am 4. Februar 2009 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 12. Februar 2009 eingelegte Berufung des Klägers. Zur Begründung führt der Kläger u. a. aus, das streitgegenständliche Ereignis würde sehr wohl einen Arbeitsunfall darstellen. Es gebe keinen Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ein als geringfügig beurteiltes Trauma stets als bloße Gelegenheitsursache anzusehen sei. Eine „abnormale seelische Bereitschaft“ schließe deshalb die Bewertung einer psychischen Reaktion als Unfallfolge nicht aus (BSG, Urteil vo 09. Mai 2006, Az. B 2 U 40/05 R mit Verweis auf BSGE 18, 173). Soweit die Beklagte darauf abstelle, dass eine Kollision nicht stattgefunden habe und es sich bei der Durchführung einer Gefahrenbremsung bei Triebfahrzeugführern um eine berufstypische Gefahrensituation handle, so sei darauf hinzuweisen, dass dies nicht die Annahme eines Arbeitsunfalls ausschließe. In diesem Zusammenhang werde auf eine Entscheidung des erkennenden Senates vom 17. Dezember 2009 (L 2 U 1014/05) verwiesen, in der von einem weiten Unfallbegriff ausgegangen worden sei. Im Übrigen habe er bereits eine Vielzahl ähnlicher – teilweise schwerwiegenderer - Ereignisse erlebt (hinsichtlich der Aufstellung dieser Ereignisse wird auf Blatt 148 bis151 der Gerichtsakte verwiesen). Es komme nicht darauf an, ob ein Unfall mit tödlichem Ausgang oder hoher Schadensfolge erfolgt sei. Allein sein Bewusstsein, er habe einen vermeintlich tödlichen Unfall herbeigeführt, reiche aus, um eine traumatische Situation darzustellen. Er habe am 07. Oktober 2008 in seiner Tätigkeit als Kundendienstmitarbeiter über Bündelfunk eine Meldung über einen Personenunfall gehört. Dadurch habe er sich an die eigenen derartigen Vorfälle aus seiner Tätigkeit als Triebfahrzeugführer erinnert.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2008 zu verurteilen, das Ereignis vom 18. Juni 2007 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils und ist weiterhin der Ansicht, bei dem genannten Ereignis habe es sich nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt. Reduziere man das Ereignis auf seinen Kern, so habe der Kläger eine Gefahrbremsung einleiten müssen, was er auch sofort getan habe. Eine Kollision habe nicht stattgefunden, es habe keine Verletzten gegeben. Gefahrbremsungen seien mehr oder weniger typisch für das Berufsbild eines Triebfahrzeugführers. Es bestehe nicht nur darin, einen Zug zu lenken, solange dies unproblematisch erscheine. Gerade die Bewältigung von Gefahrensituationen präge das Berufsbild des Triebfahrzeugführers als professionellem Verkehrsteilnehmer. Der Kläger habe bei dem Ereignis weder einen Opferstatus (war nicht selbst bedroht) noch einen Beobachterstatus (kein Augenzeuge eines schweren Unglücksfalls) inne gehabt, so dass es rechtlich am inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit fehle (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7.Auflage, S. 233). Nach einem zum Zeitpunkt der angezeigten Ereignisse mehr als dreißig Jahre währenden Berufsleben als Lokführer könne davon ausgegangen werden, dass die Einleitung von Bremsvorgängen dem Kläger mittlerweile sozusagen „in Fleisch und Blut“ übergegangen sei, d. h. auf Grund reflexhafter Vorgänge ablaufen würde, unabhängig von ihrer Veranlassung. Einem Unfallereignis oder gar einem traumatisierenden Ereignis sei der Kläger damit nicht ausgesetzt gewesen.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Das Ereignis vom 18. Juni 2007 ist nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Siebentes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Ein Unfall ist ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt - so die heutige Legaldefinition in § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII, die auf die jahrzehnte alte Definition in Rechtsprechung und Literatur zurückgeht (vgl. schon Reichsgericht Urteil vom 06. Juli 1888 Az. III 80/88, RGZ 21, 77, 78; Reichsversicherungsamt, Amtliche Nachrichten 1914, 617, 620 sowie BSG Urteil vom 30. Juni 1965, Az. 2 RU 175/63 - BSGE 23, 139, 141 = SozR Nr. 1 zu § 555 RVO, zitiert nach Juris; BSG Urteil vom 27. Juni 1978, Az. 2 RU 20/78, BSGE 46, 283 = SozR 2200 § 539 Nr. 47, zitiert nach Juris; BT-Drucks 13/2204 S 77; Krasney, in: Beckert/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII), Kommentar, Stand Januar 2010, § 8 RdNr. 7). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang, vgl. BSG Urteil vom 28. Juni 1988, Az. 2 RU 60/87, BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr. 92 S 257, zitiert nach Juris; BSG Urteil vom 05. Mai 1994, Az. 2 RU 26/93, SozR 3-2200 § 548 Nr. 19), dass die Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und letzteres einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG Urteil vom 12. April 2005, Az. B 2 U 11/04 R, BSGE 94, 262; Urteil vom 09. Mai 2006, Az. B 2 U 1/05 R, BSGE 96, 196; Urteil vom 05. September 2006, Az. B 2 U 24/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 18; Urteil vom 12. Dezember 2006, Az. B 2 U 9/08 R, BSGE 103, 59).
Dass der als Triebwagenführer berufstätige Kläger bei einer Verrichtung, nämlich dem Führen eines Zuges war, die in sachlichem Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit stand, als er die Zugbremsung einleitete, ist unstreitig.
Es fehlt jedoch vorliegend die zeitlich begrenzte Einwirkung von außen – das (eigentliche) Unfallereignis. Für das von außen auf den Körper einwirkende, zeitlich begrenzte Ereignis ist zwar kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich. Alltägliche Vorgänge wie Stolpern usw. genügen. Es dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen, wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps usw., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen. Ein schlichter Sturz auf einem versicherten Weg genügt, es sei denn, der Unfall ist infolge einer nichtbetriebsbedingten krankhaften Erscheinung eingetreten und zur Schwere der Verletzung hat keine Gefahr mitgewirkt, der der Kläger auf dem Weg ausgesetzt war. Ist eine innere Ursache nicht feststellbar, liegt ein Arbeitsunfall vor (BSG Urteil vom 12. April 2005, Az. B 2 U 27/04 R, zitiert nach Juris; BSG SozR 2200 § 550 Nr. 35, Urteil vom 29. Februar 1984 - 2 RU 24/83 - sowie zum Dienstunfall: Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 24. Oktober 1965, II C 10.62, BVerwGE 17, 59, 61 f). Das Bundessozialgericht (BSG Urteil vom 27. Oktober 1987, Az. 2 RU 35/87, BSGE 62, 220 = SozR 2200 § 589 Nr. 10, zitiert nach Juris) hat eine äußere Einwirkung auch angenommen bei einer als außergewöhnliche Anstrengung in einer betriebsbezogenen Stresssituation zu bewertenden Arbeit (Hausschlachtung) durch den Versicherten, wenn dies zu erheblicher Atemnot führt, der Versicherte zusammenbricht und innerhalb einer Stunde verstirbt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Dienstunfallrecht hat das Merkmal äußere Einwirkung ebenfalls lediglich den Zweck, äußere Vorgänge von krankhaften Vorgängen im Inneren des menschlichen Körpers abzugrenzen. Die Annahme einer äußeren Einwirkung scheide nur aus, wenn die Einwirkung auf Umständen beruhe, für die eine in körperlicher oder seelischer Hinsicht besondere Veranlagung des Betroffenen oder dessen willentliches Verhalten die wesentliche Ursache war (BVerwG Urteil vom 24. Oktober 1963, Az. II C 10.62, BVerwGE 17, 59, 61; BVerwG Urteil vom 9. April 1970, Az. II C 49.68, BVerwGE 35, 133, 134). Die Unfreiwilligkeit der Einwirkung bei dem, den das Geschehen betrifft, ist dem Begriff des Unfalls immanent, weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer Einwirkung dem Begriff des Unfalls widerspricht (BSGE 61, 113, 115 = SozR 2200 § 1252 Nr 6 S 20). Hiervon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle eines gewollten Handelns mit einer ungewollten Einwirkung, bei dieser liegt eine äußere Einwirkung vor (Keller in: Hauck, Sozialgesetzbuch, SGB VII Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Mai 2010, § 8 RdNr. 14). Dies ist für äußerlich sichtbare Einwirkungen unbestritten, z. B. für den Sägewerker, der nicht nur ein Stück Holz absägt, sondern auch unbeabsichtigt seinen Daumen. Gleiches gilt für äußere Einwirkungen, deren Folgen äußerlich nicht sichtbar sind.
Schon die Einwirkung selbst kann, muss aber nicht sichtbar sein, z. B. radioaktive Strahlen oder elektromagnetische Wellen (vgl. BSG Urteil vom 24. Juni 1981, Az. 2 RU 61/79, SozR 2200 § 548 Nr. 56: Störung eines Herzschrittmachers durch Kurzwellen eines elektrischen Geräts). Ggfs. genügt sogar eine starke Sonneneinstrahlung, die von außen mittelbar zu einem Kreislaufkollaps führt, der dann als Arbeitsunfall anzuerkennen ist (BSG Urteil vom 12. April 2005, z. B 2 U 27/04 R, zitiert nach Juris). Auch eine geistig-seelische Einwirkung kann genügen (BSG Urteil vom 18. Dezember 1962, Az. 2 RU 189/59, BSGE 18, 173, 175 = SozR Nr 61 zu § 542 RVO; BSG Urteil vom 2. Februar 1999 - B 2 U 6/98 R, VersR 2000, 789).
Zutreffend führt jedoch Krasney (Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII), Kommentar, Stand Januar 2010, § 8 RdNr. 8) aus, dass ein Unfall normalerweise ein außergewöhnliches Ereignis ist. Es genügt allerdings auch ein Gesundheitsschaden bei der gewöhnlichen Betriebsarbeit, denn das Geschehen an sich muss nicht etwas besonders Ungewöhnliches sein, sondern kann auch ein alltägliches Ereignis sein- Es muss sich aber von den alltäglichen Geschehnissen abheben, wie das vom BSG (s. o.) genannte Stolpern vom normalen Gehen. D. h. als alltäglicher Vorgang im Sinne der Rechtsprechung des BSG ist dann nicht das Gehen, Stehen, Bremsen zu sehen, sondern das Stolpern, Hinfallen oder nicht mehr rechtzeitige Bremsen. Hierzu sollen z. B. eine Erkältung beim Vorführen von Motorpflügen bei schlechter Witterung, eine Muskelzerrung infolge der üblichen Betriebsarbeit, Ausgleiten bei Glatteis auf dem Arbeitsgelände sowie übermäßig große Anstrengungen zählen (Krasney a. a. O. § 8 RdNr. 8). Ähnlich unterscheidet dies die verwaltungsgerichtliche Rechtssprechung für den Bereich des Dienstunfallrechts, wenn sie ausführt, dass für das Eingreifen der Unfallfürsorge kein Anlass besteht bei Vorgängen, die im Rahmen des Dienstverhältnisses üblich und selbstverständlich sind. Derartige Vorkommnisse vermögen den Dienstunfallbegriff von vornherein nicht zu erfüllen. Etwas anderes kann nur bei Hinzutreten weiterer Umstände gelten, die den Rahmen der normalen Ausgestaltung des Dienstverhältnisses übersteigen (OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26. November 1993, Az. 3 L 99/93, zitiert nach Juris).
Schon in seinem Urteil vom 13. März 1959 (Az. 2 RU 167/57, zitiert nach Juris) führt das Bundessozialgericht aus, die Rechtsprechung zeige eine deutliche Tendenz, den Begriff „Arbeitsunfall“ (bzw. „Betriebsunfall“) erweiternd auszulegen. Bereits in der grundsätzlichen Entscheidung 2690 (AN. 1914 S. 411) habe das Reichsversicherungsamt (RVA.) unter Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung klargestellt, dass ein „Betriebsunfall“ nicht nur dann vorliege, wenn das Unfallereignis unmittelbar durch die den Zwecken des versicherten Unternehmens dienende Tätigkeit verursacht worden sei und auf einer für diese Tätigkeit typischen Gefahr beruhe, sondern dass auch „Unfälle des täglichen Lebens“, die sich während der versicherten Tätigkeit ereignen, Betriebsunfälle seien, wenn zwischen dem Unfall und der Tätigkeit für den Betrieb ein rechtlich wesentlicher ursächlicher Zusammenhang bestehe.
Trotz dieser sehr weiten Fassung des (Arbeits-)Unfallbegriffs stellt zur Überzeugung des Senates das Ereignis vom 18. Juni 2007 keinen Arbeitsunfall dar.
Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass das streitgegenständliche Ereignis, reduziert man es auf seinen Kern, darin besteht, dass der Kläger jeweils eine Zugbremsung ausgelöst hat. Allein diese Zugbremsung wird jedoch nicht zu einem außergewöhnlichen Ereignis, das den Begriff des Unfalls ausfüllen kann. Will man das Tatbestandsmerkmal des „Unfalls“ in § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII nicht völlig aushöhlen und durch das Tatbestandsmerkmal „jeder (auch noch so übliche und alltägliche) Geschehensablauf“ ersetzen, so muss an dem Erfordernis eines von der versicherten Tätigkeit selbst abzugrenzenden Ereignisses festgehalten werden. So dürfte auch die vom BSG zitierte grundsätzliche Entscheidung 2690 (AN. 1914 S. 411) des Reichsversicherungsamtes (RVA.) zu verstehen sein, nach der auch „Unfälle des täglichen Lebens“ Betriebsunfälle sein sollten. Auch hier wurden aber nicht die alltäglichen Geschehensabläufe, sondern die alltäglichen Unfälle unter den Schutz der Unfallversicherung gestellt. Unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen damit zur Überzeugung des Senates nicht die alltäglichen Tätigkeiten und Geschehensabläufe, die im Rahmen der Tätigkeit des Klägers üblich und selbstverständlich sind, sondern nur die Ereignisse, bei denen weitere Umstände (Stolpern, Stürzen etc.) hinzutreten, die den Rahmen der normalen Tätigkeit (Gehen, Stehen, Bremsen etc.) übersteigen.
Zu einem Ereignis in diesem Sinne wird die Zugbremsung des Klägers jedoch erst in seiner Phantasie, wenn er sich vorstellt, was hätte passieren können, wenn die Zugbremsung nicht erfolgreich durchgeführt worden und der Zug nicht rechtzeitig zum Stehen gekommen wäre. Zwar kann auch eine geistig-seelische Einwirkung genügen, auch diese muss aber zur Überzeugung des Senates unter entsprechender Anwendung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts „von außen kommen“, d. h. es muss ein tatsächlicher und nicht nur vorgestellter bzw. quasi durch Weiterdenken des Geschehensablaufes ergänzter äußerer Geschehensablauf vorliegen. Allein die Vorstellung des Klägers, es hätte zu einem Personenschaden kommen können, reicht hierfür nicht aus. Erst recht reicht es nicht aus, dass der Kläger gesehen hat, wie ein PKW knapp vor dem Zug die Gleise überquerte, da dieses einen ganz normalen Vorgang des täglichen (Berufs-)Lebens darstellt.
Würde jede Gefahrbremsung im Schienenverkehr einen Unfall darstellen, müsste dies auch auf den Straßenverkehr übertragen werden. Dann müsste die Beklagte sämtliche Vollbremsungen im Straßenverkehr auf dem Weg zwischen Wohnort und Arbeitsstätte – soweit der Versicherte vorträgt, hierdurch einen Gesundheitserstschaden, z. B. einen Schock, erlitten zu haben - dem Grunde nach als Arbeitsunfall behandeln und in medizinische Ermittlungen eintreten, um erst auf der Stufe der Kausalität zu entscheiden, ob die Vollbremsung eine wesentliche Bedingung für eine psychische Erkrankung darstellen kann. Dass dies den Begriff des Arbeitsunfalls überdehnt und nicht mehr handhabbar macht, liegt aus der Sicht des Senats auf der Hand.
Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen, denn das Ereignis vom 18. Juni 2007 stellt keinen Arbeitsunfall dar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtsfrage, ob das in § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII enthaltene Tatbestandsmerkmal „Ereignisse“ Voraussetzung der Bejahung eines Arbeitsunfalls ist oder ob es ausreichend ist, dass der Versicherte einen Gesundheitserstschaden durch die Verrichtung seiner versicherten Tätigkeit erleidet, der grundsätzlichen Klärung bedarf.