Gericht | OVG Berlin-Brandenburg Senat für Heilberufe. Der Senat | Entscheidungsdatum | 28.02.2019 | |
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Aktenzeichen | OVG 90 H 2.18 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2019:0228.90H2.18.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 4a Abs 1 S 2 Nr 1 KammerG, § 52 Abs 1 S 2 BDG, § 2 Abs 2 BO, § 17 Abs 1 Nr 3 KammerG, § 17 Abs 1 Nr 4 KammerG, § 17 Abs 2 KammerG, § 30 Abs 2 S 1 KammerG, § 33 Abs 2 KammerG, § 53 Abs 1 BDG, § 55 BDG, § 7 Abs 1 BO |
Ein Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Patientinnen ohne medizinische Indikation körperlich berührt, verstößt gegen das Distanzgebot und verletzt damit seine Berufspflicht zur gewissenhaften Berufsausübung.
Auf die Berufung der Ärztekammer Berlin wird das Urteil des Berufsgerichts für Heilberufe vom 23. November 2017 geändert. Gegen den Beschuldigten wird eine Geldbuße in Höhe von 10.000 Euro verhängt. Dem Beschuldigten wird das aktive und passive Kammerwahlrecht entzogen.
Die Berufung des Beschuldigten wird zurückgewiesen.
Der Beschuldigte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der 1963 in Berlin geborene Beschuldigte besitzt seit 1993 die ärztliche Approbation. Vom 1. März 1992 bis zum 7. November 2005 war er in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des ... tätig. Dort absolvierte der Beschuldigte in dem zum Klinikum gehörenden „H...“ seine Ausbildung zum Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Als solcher ist er seit Oktober 2003 anerkannt. Nach seiner Tätigkeit im Klinikum arbeitete der Beschuldigte im Gesundheitsamt eines Bezirksamtes. Im Zeitraum von Juli 2006 bis Ende Februar 2012 war der Beschuldigte als Arzt bei verschiedenen Kliniken in den Bundesländern S..., B... und M... beschäftigt. Seit dem 1. März 2012 ist er als niedergelassener Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, zunächst in einer Gemeinschaftspraxis und seit März 2013 mit eigener Praxis und vertragsärztlicher Zulassung, in Berlin-M... () tätig.
Er ist berufsrechtlich nicht vorbelastet.
Der Beschuldigte ist verheiratet, lebt von seiner Ehefrau aber getrennt. Die Eheleute haben zwei Söhne und eine Tochter. Die Söhne studieren und die Tochter ist als Ärztin tätig. Der Beschuldigte leistet Unterhaltszahlungen an seine Ehefrau und die Söhne.
In der Zeit vom 5. Juni bis zum 18. Dezember 2012 behandelte der Beschuldigte die 1997 geborene Patientin D... wegen Essstörungen sowie Sucht- und Beziehungskonflikten. Mit Schreiben vom 6. Februar 2013 teilte die Mutter der Patientin mit, dass sie gegen den Beschuldigten Strafanzeige wegen sexueller Belästigung ihrer Tochter gestellt habe. Das in diesem Zusammenhang eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Berlin mit Verfügung vom 21. Februar 2013 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt; zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine von dem Beschuldigten begangene sexuelle Nötigung zum Nachteil der Patientin lägen nicht vor. Am 10. Juni 2013 beschloss der Vorstand der Ärztekammer, gegen den Beschuldigten wegen des angezeigten Sachverhalts ein Untersuchungsverfahren gemäß § 26 KammerG einzuleiten; es bestehe der Verdacht, dass der Beschuldigte durch die Vornahme sexuell motivierter Handlungen an der minderjährigen Patientin D... seine Berufspflichten nach § 2 Abs. 2 der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin (BO) verletzt habe. Nach Abschluss der Ermittlungen – u.a. wurden Gutachten der Sachverständigen Dr. B... und Dr. W... eingeholt – und Anhörung des Beschuldigten beschloss der Vorstand der Ärztekammer am 25. August 2014, gegen den Beschuldigten die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens zu beantragen.
Am 16. September 2014 hat die Ärztekammer beim Berufsgericht mit Anschuldigungsschrift vom 11. September 2014 beantragt, gegen den Beschuldigten das berufsgerichtliche Verfahren zu eröffnen. Sie legt dem Beschuldigten zur Last, in Berlin zu nicht näher bestimmten Zeitpunkten in der Zeit zwischen Juni und Dezember 2012 in mindestens sechs Fällen seine Berufspflichten als Arzt verletzt zu haben, weil er seinen Beruf nicht gewissenhaft ausgeübt und dem ihm bei der Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen nicht entsprochen habe, wodurch er es unterlassen habe, die Würde und das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Patientin zu respektieren. Im Einzelnen wirft die Ärztekammer dem Beschuldigten vor:
1. Im Rahmen einer jugendpsychiatrischen Behandlung habe der Beschuldigte zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt zwischen Juni und Dezember 2012 mit seinen Händen die Außen- und Innenseite der Oberschenkel der 1997 geborenen und unter Essstörungen leidenden Patientin D... berührt, und zwar von den Knien ausgehend bis zum Schambereich, wobei er geäußert habe, dass die Patientin an der Innenseite der Oberschenkel mehr zunehmen müsse.
2. Während der Beschuldigte der Patientin D... in seinem Behandlungszimmer zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt zwischen Juni und Dezember 2012 gegenübergesessen habe, habe er ohne weitere Erläuterung fünf bis sechs Mal eine oder beide Hände der Patientin ergriffen, welche auf einem Tisch gelegen hätten. Er habe die Hände der Patientin in seine Hände genommen, sie etwas gedrückt und die Handoberfläche gestreichelt. Einmal habe der Beschuldigte die Handlinien auf der Handinnenfläche der Patientin auch nachgezeichnet, ohne dass dieses Vorgehen der Patientin vorher erläutert worden sei.
3. Nachdem bereits einige Therapiesitzungen stattgefunden hätten, habe der Beschuldigte die Patientin D... zu nicht näher bestimmten Zeitpunkten zwischen Juni und Dezember 2012 zum Abschied nach der jeweiligen Behandlung umarmt. Er habe seine Arme in Höhe der Schulter um die Patientin gelegt und mit seinen Händen ihren Rücken gestreichelt, wobei seine Hände beim Streicheln auch den oberen Teil des Gesäßes der Patientin berührt hätten.
4. Während der Bewegungstherapie in einem Behandlungsraum zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt zwischen Juni und Dezember 2012 habe der Beschuldigte die Patientin D..., die über Verspannungen geklagt habe, aufgefordert, sich auf einer Sportmatte auf den Bauch zu legen. Die Beschuldigte habe ihr seinen Pullover oder seine Jacke gegeben, auf den oder die sie ihren Kopf habe legen können. Anschließend habe er eine Rückenmassage durchgeführt, die länger als fünfzehn Minuten gedauert habe, bis die Patientin ihm gegenüber äußert habe, dass sie sich nicht mehr wohl fühle.
5. Bei einer weiteren Massage zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt zwischen Juni und Dezember 2012 der auf dem Boden in einem Behandlungsraum liegenden Patientin D... sei der Beschuldigte nach kurzer Zeit dazu übergegangen, die Patientin zu kitzeln. Der Beschuldigte habe davon auch nicht abgelassen, nachdem die Patientin ihm gegenüber zum Ausdruck gebracht hätte, dass sie diese Behandlung nicht weiter wolle. Der Beschuldigte habe das Kitzeln noch etwa zwei Minuten fortgesetzt.
6. Als die Patientin D... dem Beschuldigten im Rahmen einer Behandlung zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt zwischen Juni und Dezember 2012 auf ihrem Handy Fotos von sich gezeigt habe, die vor der Zeit ihrer Essstörung (Anorexie) gemacht worden seien, habe der Beschuldigte die Bilder damit kommentiert, dass sie darauf attraktiv und sexy aussehe.
Die im Jahre 2004 geborene Patientin A... wurde von dem Beschuldigten in der Zeit von Juni 2012 bis zum 4. Januar 2016 wegen Zwangsstörungen sowie der gestörten Beziehung der Patientin zu ihrer Mutter behandelt. Nach Durchführung der Eingangsdiagnostik entschied sich der Beschuldigte für eine sozialpsychiatrische Behandlung nach der Sozialpsychiatrie-Vereinbarung (SBV) vom 1. Oktober 2012, die den behandelnden Ärzten keine Behandlungsvorgaben macht. Die von dem Beschuldigten angewandte Therapie bestand aus Einzel- und Elterngesprächen. Zu einer Behandlungseinheit gehörten auch spiel- und gestaltungstherapeutische Anteile sowie motorisch-funktionstherapeutische Arbeiten mit der Patientin. Auf die Beschwerde der Mutter der Patientin, in der verschiedene Vorkommnisse geschildert wurden, leitete die Ärztekammer zunächst berufsrechtliche Vorermittlungen ein und beschloss am 15. Februar 2016 durch ihren Vorstand die Einleitung eines Untersuchungsverfahrens; es bestehe der Verdacht, dass der Beschuldigte durch die besagten Vorfälle seine ärztlichen Pflichten verletzt habe. Nach Abschluss der Ermittlungen und Anhörung des Beschuldigten beschloss der Vorstand der Ärztekammer am 16. Januar 2017, die neuen Vorwürfe im Wege der Nachtragsanschuldigung in das bereits anhängige berufsgerichtliche Verfahren einbeziehen zu lassen und auch insoweit die Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens zu beantragen.
Die Ärztekammer hat diesen Antrag mit Nachtragsanschuldigungsschrift vom 14. Februar 2017 am 17. Februar 2017 gestellt. Dort wird dem Beschuldigten vorgeworfen, in Berlin zu nicht näher bestimmten Zeitpunkten in der Zeit zwischen Juli 2012 und Dezember 2015, in der Zeit zwischen dem 16. April 2015 und Dezember 2015, im Dezember 2015 sowie am 18. Dezember 2015 und am 8. Januar 2016 in mindestens fünf Fällen dadurch seine Berufspflichten als Arzt verletzt zu haben, dass er seinen Beruf nicht gewissenhaft ausgeübt und dem ihm bei seiner Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen nicht entsprochen habe, wodurch er es unterlassen habe, die Würde und das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen minderjährigen Patientin zu respektieren. Im Einzelnen wirft die Ärztekammer dem Beschuldigten vor:
1. Im Rahmen einer kinderpsychiatrischen Behandlung habe der Beschuldigte die Patientin A... während der Behandlung mehrmals zu nicht näher bestimmten Zeitpunkten zwischen Juli 2012 und Dezember 2015 umarmt, was zum Teil im Bewegungsraum der Praxis erfolgt sei.
2. Im Rahmen der kinderpsychiatrischen Behandlung habe der Beschuldigte das Mädchen A... am 18. Dezember 2015 nach einem Behandlungstermin in seiner Praxis umarmt.
3. Während eines kinderpsychiatrischen Behandlungstermins im Jahr 2015 zu einem Zeitpunkt nach dem 16. April habe der Beschuldigte gegenüber der elfjährigen Patientin A..., die sich nach einer Übung den Pullover ausgezogen hatte, so dass ein Träger ihres Unterhemdes sichtbar geworden sei, unaufgefordert bemerkt, dass sie noch kein Unterhemd benötige, weil ihre Brüste noch zu klein seien.
4. Der Beschuldigte habe sich zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt im Dezember 2015 von der elfjährigen Patientin A... im Rahmen einer kinderpsychiatrischen Behandlung deren Mobilfunknummer geben lassen. Einige Tage später habe er der Patientin über das Programm „WhatsApp“ unaufgefordert Textnachrichten wie „Viel Spaß in der Schule“ und Weihnachtswünsche gesandt. Obwohl die Mutter der Patientin A... den Beschuldigten am 4. Januar 2016 gebeten habe, die Telefonnummer der Patientin zu löschen und ihr nicht mehr zu schreiben, und ihm gegenüber die kinderpsychiatrische Behandlung abgebrochen worden sei, habe der Beschuldigte am 8. Januar 2016 mit Textnachrichten auf einen Smiley reagiert, den die Mutter der Patientin als Test über das Programm „WhatsApp“ vom Telefon ihrer Tochter an den Beschuldigten gesandt habe. Dabei habe sich das Mädchen A... seit dem 6. Januar 2015, wovon der Beschuldigte auch ausgegangen sei, in vollstationärer psychiatrischer Behandlung in einem Krankenhaus befunden.
Das Berufsgericht hat das berufsgerichtliche Verfahren durch Beschluss vom 4. Oktober 2017 – inhaltlich wie in der Anschuldigungs- und in der Nachtragsanschuldigungsschrift zur Last gelegt – eröffnet.
Mit Urteil vom 23. November 2017 hat das Berufsgericht gegen den Beschuldigten auf eine Geldbuße in Höhe von 2.000 Euro erkannt.
In den Entscheidungsgründen hat es den Beschuldigten von den – die Patientin D... betreffenden – Vorwürfen zu 2. und 4. der Anschuldigungsschrift vom 11. September 2014 sowie von den – die Patientin A... betreffenden – Vorwürfen zu 1. und 4. der Nachtragsanschuldigungsschrift vom 14. Februar 2017 freigestellt. Mit dem dort jeweils vorgeworfenen Verhalten habe der Beschuldigte das Distanzgebot noch nicht verletzt bzw. das Verhalten erreiche noch nicht die Schwelle berufsrechtlicher Relevanz. Hinsichtlich der zu 6. der Anschuldigungsschrift vom 11. September 2014 und zu 3. der Nachtragsanschuldigungsschrift vom 14. Februar 2017 vorgeworfenen Handlungen hat das Berufsgericht das berufsgerichtliche Verfahren entsprechend § 56 Satz 1 BDG i.V.m. § 24 KammerG und § 41 DiszG beschränkt, weil diese Vorwürfe für die Art und Höhe der berufsgerichtlichen Maßnahme nicht ins Gewicht fielen. Ob der Beschuldigte bei der Patientin D... seine Hand in Richtung ihres Schambereichs bewegt habe (Vorwurf zu 1. der Anschuldigungsschrift vom 11. September 2014), sei nicht aufgeklärt worden. Die Zeugin selbst habe in ihrer polizeilichen Vernehmung am 29. Januar 2013 ausgesagt, dass der Beschuldigte mit seiner Hand vom Knie hoch „bis kurz unter den Schambereich“ – nicht „bis zum Schambereich“, wie es in der Anschuldigungsschrift heißt – gestrichen habe. Eine sexuell übergriffige Berührung sei unter diesen Umständen nicht anzunehmen, weshalb insoweit ebenfalls von der Möglichkeit des § 56 Satz 1 BDG i.V.m. § 41 DiszG und § 24 KammerG Gebrauch gemacht worden sei.
Im Übrigen habe der Beschuldigte, indem er der Patientin D... an den Oberschenkel gefasst, diese wiederholt umarmt und dabei über den Rücken gestreichelt oder geklopft, ihr ferner an deren Körper mit seinen Händen eine Bauchmassage demonstriert (Vorwürfe zu 1., 3. und 5. der Anschuldigungsschrift vom 11. September 2014) und er einmal die Patientin A... herzlich umarmt habe (Vorwurf zu 2. der Nachtragsanschuldigungsschrift vom 14. Februar 2017), gegen seine allgemeine Berufspflicht aus § 2 Abs. 2 BO (2005/2014) verstoßen. Zu der in dieser Norm beschriebenen Berufspflicht gehöre es, die gebotene körperliche Distanz zu Patienten zu beachten. Insbesondere im Fall der Therapie von Kindern und Jugendlichen müsse sich der Arzt ständig der Notwendigkeit der Abstinenz bewusst sein, weil von solchen jungen Patienten nicht erwartet werden könne, dass sie ihre Konfliktdynamik und im Zusammenhang damit ihre mögliche Neigung, sich in entgrenzte und traumatisierend wirkende Beziehungen zu begeben, kontrollieren könnten. Von dem Beschuldigten als erfahrenem Facharzt müsse erwartet werden, dass seine Berührungen von Patientinnen und Patienten sich stets in klar definierten professionellen diagnostisch-therapeutischen Handlungen bewegten. Gegen diese Anforderungen habe der Beschuldigte mit den zugrunde gelegten Berührungen verstoßen. Eine sexuelle Motivation habe das Berufsgericht bei alledem nicht feststellen können. Der Beschuldigte habe schuldhaft und vorsätzlich gehandelt. Er habe aus seiner Facharztausbildung und den Gesprächen mit Kollegen und deren Reaktion auf seine „Haltung“ zur Distanzfrage gewusst, wie problematisch sein Handeln gewesen sei. Er habe Grenzüberschreitungen aber zumindest billigend in Kauf genommen.
Bei Auswahl und Bemessung der berufsrechtlichen Maßnahme sei von einer mittelschweren Berufspflichtverletzung auszugehen, für die eine Geldbuße als angemessen anzusehen sei. Zu Gunsten des Beschuldigten spreche, dass er nicht vorbelastet sei und glaubhaft den Eindruck in der Hauptverhandlung vermittelt habe, zukünftig die Folgerungen aus den Grenzverletzungen zu ziehen. Bereits im Untersuchungsverfahren habe er vortragen lassen, sich selbstkritisch gefragt zu haben, ob er nicht doch zu viel körperlich vermittelte Nähe hergestellt und dadurch bei seiner Patientin (D...) die Gefahr von Missverständnissen provoziert habe, was seine Bereitschaft zeige, sein Verhalten kritisch zu hinterfragen. Zu Lasten des Beschuldigten sei zu berücksichtigen gewesen, dass er auf das Thema „Distanzgebot“ in seinem beruflichen Werdegang wiederholt und von mehreren Seiten angesprochen worden sei. Auch sei ihm die Anschuldigungsschrift der Ärztekammer vom 11. September 2014 bereits mehr als ein Jahr bekannt gewesen, als es zu dem Vorfall am 18. Dezember 2015 (Umarmung der Patientin A...) gekommen sei. Für die Zukunft werde es darauf ankommen, dass der Beschuldigte nachhaltig die Erkenntnis umsetze, dass sein zu nahes Verhalten potenziell schädigend sei, weil er dessen Auswirkungen nicht einschätzen und steuern könne. Soweit der Beschuldigte in der Hauptverhandlung mehrfach das ihm vorgeworfene Verhalten als „seine Haltung“ in dem Sinn bezeichnet habe, anders könne er nicht arbeiten, werde er diese Haltung selbstkritisch hinterfragen müssen, wolle er nicht erneut mit dem Berufsrecht in Konflikt geraten. Dazu solle ihn die verhängte Geldbuße motivieren. Im Hinblick auf die gegenüber der Anschuldigung verringerten Vorwürfe erscheine eine Geldbuße in Höhe von 2.000 Euro als ausreichend, aber auch erforderlich. Die für eine zusätzliche Maßnahme der Entziehung des aktiven und passiven Kammerwahlrechts nach § 17 Abs. 1 Nr. 4 KammerG erforderliche Schwere komme dem festgestellten Berufsvergehen nicht zu. Mit Blick auf die ausgesprochene Freistellung sei der Beschuldigte nach dem Grundsatz des einheitlichen Berufsvergehens nicht freizusprechen gewesen.
Gegen das ihm am 9. Februar 2018 zugestellte Urteil hat der Beschuldigte am 12. Februar 2018 beim Berufsgericht Berufung eingelegt und sie mit am 12. März 2018 beim Berufsobergericht eingegangenen Schriftsatz begründet. Die Ärztekammer hat gegen das ihr am 8. Februar 2018 zugestellte Urteil am 7. März 2018 beim Berufsgericht Berufung eingelegt und sie mit am 4. April 2018 beim Berufsobergericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Seine Berufung begründet der Beschuldigte wie folgt:
Das Urteil sei bereits in sich widersprüchlich, wenn dort einerseits im Widerspruch zur Anschuldigungsschrift vom 11. September 2014 festgestellt werde, er – der Beschuldigte – habe seine Berufspflichten in mehr als vier, höchstens weiteren zwanzig Fällen verletzt, und er andererseits von Vorwürfen freigestellt werde bzw. weitere Vorwürfe ausgeschieden worden seien. Die angegebenen Fallzahlen ließen sich mit den letztlich verbliebenen Vorwürfen nicht in Einklang bringen. Auch die zu den der ausgesprochenen berufsgerichtlichen Maßnahme zugrundeliegenden Berufspflichtverletzungen getroffenen Feststellungen und ihre rechtliche Bewertung seien fehlerhaft.
Zu Unrecht habe die Vorinstanz es als berufsrechtswidrig angesehen, dass er den Oberschenkel seiner magersüchtigen und zeitweise von Cannabis abhängigen Patientin D... angefasst habe (Vorwurf zu 1. der Anschuldigungsschrift vom 11. September 2014). Selbstverständlicher Teil jeder Diagnostik sei die körperliche Untersuchung. Für essgestörte Patienten seien gerade die Oberschenkel erfahrungsgemäß eine besondere Problemzone. Das Umfassen des bekleideten Oberschenkels habe der Feststellung und Demonstration des Umfangs gedient und könne deshalb nicht als Verstoß gegen das Distanzgebot angesehen werden, das sich nur auf ärztlich nicht indizierte Kontakte und Berührungen beziehen könne. Zum Inhalt der Behandlung gehörten zudem eine Gesprächs- und Bewegungstherapie, eine Ernährungsberatung und Gewichtskontrollen. Es sei darum gegangen, das Essverhalten der Patientin zu ändern. Die Demonstration der Folgen ihres Essverhaltens habe sich als „stützende, beruhigende, anteilnehmende, das Selbstwertgefühl der an Essstörungen leidenden, verspannt wirkenden Patientin stärkende Berührung“ in diese Therapie eingeordnet. Ohnehin sei dieser Vorwurf aus dem Verfahren ausgeschieden worden; nach dem Ausscheiden bleibe bei Annahme eines einheitlichen zusammenhängenden Sachverhalts jedenfalls kein Raum für die Feststellung einer Pflichtverletzung.
Die mehrfachen Umarmungen der Patientin D... jeweils zum Abschied (Vorwurf zu 3. der Anschuldigungsschrift vom 11. September 2014), bei denen er nie das Gesäß berührt, sondern die Patientin nur sanft gestreichelt habe, könnten ebenfalls nicht als berufsrechtswidrig angesehen werden. In der länger andauernden Behandlung hätte sich eine besondere Vertrauensbeziehung zu der Patientin herausgebildet. Die Umarmung zum Abschied könne deshalb nicht als distanzlose Übergriffigkeit, sondern nur als Ausdruck von freundschaftlicher Nähe, Herzlichkeit und Empathie verstanden werden. Solche Umarmungen zur Begrüßung und zum Abschied seien bei erwachsenen und jungen Menschen insbesondere nach intensiven Gesprächen als Ausdruck der Verbundenheit nicht selten, „sondern immer häufiger üblich“. Es bestehe insoweit auch ein Widerspruch zu der berufsgerichtlichen Bewertung der Umarmung der Patientin A.... Dass die Umarmungen dieser Patientin im Bewegungsraum stattgefunden hätten und er – der Beschuldigte – mit ihr angesichts der angespannten Beziehungen zur Mutter bewusst locker umgegangen sei, vermöge die unterschiedliche Behandlung nicht zu rechtfertigen. Auch bei D... sei es darum gegangen, die psychisch belastete, vom Tode ihres Vaters getroffene Patientin durch einen herzlichen Umgang zu lockern.
Hinsichtlich des Vorwurfs zu 5. der Anschuldigungsschrift vom 11. September 2014 sei anzumerken, dass er bei der Patientin D... keine Darmmassage vorgenommen habe. Er habe ihr vielmehr mit leichter Berührung andeutungsweise gezeigt, wie man eine Darmmassage durchführen könne. D... habe damals noch regelmäßig Cannabis konsumiert und deshalb Verdauungsprobleme gehabt. Die Demonstration der Möglichkeit sei also therapeutisch motiviert gewesen und habe in direktem Zusammenhang zu Symptomen gestanden, unter denen die Patientin gelitten habe. Daran ändere es nichts, dass die „meist ziemlich alberne, zum Kichern neigende Patientin“ die Massage als Kitzeln und sie von ihr deshalb nach einiger Zeit als unangenehm empfunden worden sei. Die Erwägung des Berufsgerichts, er hätte die Massage auch an sich selbst demonstrieren könne, reiche nicht aus, um den Vorwurf zu stützen. Denn eine wirkungsvolle Massage werde von einer noch jungen Patientin nicht allein durch Zusehen erlernt, sondern nur, wenn sie selbst erfahre, wo genau, mit welchem Druck und in welcher „Reihenfolge/Richtung“ der Bauch zu massieren sei.
Zu Unrecht bewerte das Berufsgericht den Vorwurf zu 2. der Nachtragsanschuldigungsschrift vom 14. Februar 2017 als berufsrechtswidrig. Diese Umarmung der Patientin A... habe im Zusammenhang mit der Weihnachtszeit gestanden; sie habe das tief empfundene Mitgefühl mit der Patientin ausdrücken sollen. Einem persönlichen Bedürfnis des Beschuldigten sei sie nicht entsprungen. Dass es um eine völlig unverfängliche Umarmung gegangen sei, die die herzliche Verbundenheit zu dieser schwer gestörten Patientin habe ausdrücken sollen, die auch noch eine gestörte Beziehung zu ihrer Mutter gehabt habe, folge schon daraus, dass die Umarmung in Anwesenheit der Mutter, die ihre Tochter zur Behandlung begleitet habe, stattgefunden habe. Der Beschuldigte habe sie umarmt und gedrückt wie ein liebes Kind. Dies sei schon deshalb therapienah gewesen, weil die Mutter eine solche herzliche Nähe zu ihrer Tochter wegen der gestörten Beziehung nicht habe herstellen können.
Im Übrigen tritt der Beschuldigte der Berufung der Ärztekammer entgegen.
Der Beschuldigte beantragt,
1. das Urteil des Berufsgerichts für Heilberufe vom 23. November 2017 zu ändern und ihn freizusprechen,
2. die Berufung der Ärztekammer Berlin zurückzuweisen.
Die Ärztekammer beantragt,
1. das Urteil des Berufsgerichts für Heilberufe vom 23. November 2017 zu ändern und gegen den Beschuldigten auf eine über den Betrag in Höhe von 2.000 Euro hinausgehende Geldbuße zu erkennen,
2. die Berufung des Beschuldigten zurückzuweisen.
Sie begründet ihre Berufung wie folgt:
Das Berufsgericht habe den Beschuldigten von den Vorwürfen zum Teil aufgrund einer unzutreffenden Darstellung und Würdigung der zugrundeliegenden Tatsachen freigestellt. So habe der Beschuldigte der Patientin D... das mehrfache Streicheln der Hände und das Nachzeichnen der Handlinien (Vorwurf zu 2. der Anschuldigungsschrift vom 11. September 2014) nicht erläutert und medizinisch eingeordnet; auch habe er sie hierfür nicht um deren Zustimmung gebeten. Dass der Beschuldigte bei der Patientin eine Hautspannungsuntersuchung durchgeführt habe, könne weder nach der allgemeinen Lebenserfahrung noch medizinisch nachvollzogen werden. Im Hinblick auf den Vorwurf zu 4. der Anschuldigungsschrift vom 11. September 2014 sei vom Berufsgericht nicht gewürdigt worden, dass die Patientin D... angegeben habe, dessen (länger als 15 Minuten andauernde) Massage sei ihr aufgrund der langen Dauer unangenehm gewesen und sie habe sich dabei unwohl gefühlt. Im Urteil werde das Geschehen unzutreffend so dargestellt, als habe die Zeugin die Massage durchgehend als angenehm empfunden. Das Berufsgericht habe sich auch nicht damit befasst, dass der Beschuldigte der Patientin eines seiner eigenen Kleidungsstücke zur Lagerung während der Massage gegeben habe, was zeige, dass sich die Massage außerhalb der ursprünglich vorgesehenen Behandlungsmaßnahmen abgespielt habe, und was ihr eine gewisse Privatheit oder sogar Intimität verliehen habe. Die vorgeworfene Massage habe bei der Zeugin Irritationen ausgelöst. Als Verstoß gegen das Distanzgebot und ärztlicher Kunstfehler seien auch die Umarmungen der Patientin A... (Vorwurf zu 1. der Nachtragsanschuldigungsschrift vom 14. Februar 2017) zu werten. Entgegen der Ansicht des Berufsgerichts sei auch die zu 4. der Nachtragsanschuldigungsschrift vom 14. Februar 2017 vorgeworfene Kontaktaufnahme als kunstfehlerhaft zu werten. Der Beschuldigte hätte auf die Textnachricht, welche aus seiner Sicht von der Patientin A... versendet worden sei, nach dem Behandlungsabbruch durch die Kindesmutter nicht ohne Weiteres reagieren dürfen. Er habe auch nicht etwaigen eigenen fürsorglichen Gefühlen und Sorgen freien Lauf lassen dürfen. Durch die spontane an das Kind gerichtete Reaktion habe er bewusst die gesetzliche Vertreterin der Patientin übergangen, ohne dass hierfür bei einer stationären Betreuung der Patientin ein stichhaltiger Grund vorgelegen habe. Dadurch habe er zudem die stationäre psychiatrische Behandlung der Zeugin gestört. Die Freistellung von diesen Vorwürfen sei überdies rechtsfehlerhaft erfolgt. Diese Handlungen verletzten die Berufspflichten nach § 2 Abs. 2 und § 7 Abs. 1 BO und seien kennzeichnend für die Arbeitsweise des Beschuldigten und dessen fortbestehende und durch ihn selbst bekundete distanzlose Haltung als ärztlicher Therapeut.
Für die vom Berufsgericht ausgesprochene Beschränkung nach § 56 Satz 1 BDG i.V.m. § 24 KammerG und § 41 DiszG lägen die Voraussetzungen nicht vor. Diese Sachverhalte seien für Art und Höhe der berufsgerichtlichen Maßnahme nicht zu vernachlässigen, sondern fielen hierfür ins Gewicht. Mit den Vorwürfen zu 6. der Anschuldigungsschrift vom 11. September 2014 und zu 3. der Nachtragsanschuldigungsschrift vom 14. Februar 2017 habe der Beschuldigte in unzulässiger Weise gegenüber der jeweiligen Patientin seine eigene Meinung über deren sexuelle Attraktivität bzw. körperliche Entwicklung geäußert. Seine Bemerkungen hätten ausdrücklich die Sexualität der Patientinnen angesprochen oder auf diese angespielt. Ferner mache es einen Unterschied, ob der Beschuldigte – wie er behaupte – den Oberschenkel der Patientin D... nur an einer Stelle umfasst habe, um dessen Umfang zu demonstrieren, oder ob er – wie zu 1. der Anschuldigungsschrift vom 11. September 2014 vorgeworfen – die Patientin an der Außen- und auch an der Innenseite der Oberschenkel von den Knien ausgehend nach oben bis in die Nähe des Schambereichs berührt habe.
Im Übrigen verteidigt die Ärztekammer das angefochtene Urteil und tritt der Berufung des Beschuldigten entgegen.
Die Aufsichtsbehörde hat im Verfahren nicht Stellung genommen und keinen Antrag gestellt.
In der Hauptverhandlung vom 28. Februar 2019 hat der Senat für Heilberufe beschlossen, die von dem Berufsgericht für Heilberufe ausgeschiedenen Vorwürfe wieder in das berufsgerichtliche Verfahren einzubeziehen.
Der Senat für Heilberufe hat in der Hauptverhandlung vom 28. Februar 2019 den Sachverständigen Dr. W... vernommen. Auf das Protokoll der Hauptverhandlung wird insoweit Bezug genommen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die Strafakte 2... sowie die von der Ärztekammer beigezogenen Untersuchungs- und Verwaltungsvorgänge verwiesen, deren Inhalt, soweit erheblich, Gegenstand der Hauptverhandlung war.
Die Berufung der Ärztekammer hat Erfolg. Dagegen bleibt die Berufung des Beschuldigten erfolglos.
Da dem Beschuldigten ein Berufsvergehen vorgeworfen wird, das vor dem 30. November 2018 begangen wurde, ist nach § 92 des Berliner Heilberufekammergesetzes vom 2. November 2018 (GVBl. S. 622) weiterhin das Berliner Kammergesetz (im Folgenden: KammerG) anzuwenden.
Der Senat hat trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Aufsichtsbehörde in der Hauptverhandlung entscheiden können; die Aufsichtsbehörde ist auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung ausdrücklich hingewiesen worden (vgl. § 24 KammerG i.V.m. § 3 DiszG und § 102 Abs. 2 VwGO).
A. Die Berufungen des Beschuldigten und der Ärztekammer sind nach § 33 KammerG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie sind innerhalb der Monatsfrist des § 33 Abs. 2 Satz 1 KammerG beim Berufsgericht eingelegt und fristgerecht innerhalb eines weiteren Monats schriftlich begründet worden (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 2 KammerG). Dass die Berufungsbegründungen des Beschuldigten und der Ärztekammer nicht beim Berufsgericht, sondern beim Berufsobergericht eingereicht worden sind, ist prozessrechtlich unbedenklich (vgl. Urteil des Senats vom 25. September 2018 – OVG 90 H 2.13 – juris Rn. 23).
B. Die Berufung der Ärztekammer ist begründet, die Berufung des Beschuldigten hingegen unbegründet. Der Beschuldigte hat sich eines – einheitlich zu bewertenden – Berufsvergehens schuldig gemacht, das die Verhängung einer Geldbuße und die Entziehung des aktiven und passiven Kammerwahlrechts erfordert.
I. Das berufsgerichtliche Verfahren ist mit Blick auf den mit der Nachtragsanschuldigungsschrift vom 14. Februar 2017 erhobenen Vorwurf zu 1. unzulässig, im Übrigen aber zulässig. Der Antrag auf Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens weist bezogen auf den in der Nachtragsanschuldigungsschrift vom 14. Februar 2017 erhobenen Vorwurf zu 1. einen wesentlichen Mangel auf.
1. Der Senat ist ungeachtet der gemäß § 30 Abs. 2 Satz 1 KammerG unanfechtbaren Eröffnung des berufsgerichtlichen Verfahrens durch das Berufsgericht noch befugt, das Vorliegen der Eröffnungsvoraussetzungen zu prüfen (für eine solche Befugnis: Willems, Das Verfahren vor den Heilberufsgerichten, Heidelberg u.a. 2009, Rn. 289 f.; s. ferner Landesberufsgericht für Heilberufe Koblenz, Urteil vom 15. Juli 1998 – LBGH A 12999/97 – juris Rn. 19; Landesberufsgericht für Heilberufe bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht, Beschluss vom 14. Februar 1977 – LBG-Ä-3/76 – juris Rn. 9 ff.; ebenso zur Prüfung von Mängeln der Anklageschrift in einem strafprozessualen Rechtsmittelverfahren BGH, Urteil vom 9. Januar 2018 – 1 StR 370/17 – juris Rn. 8 ff.).
2. Die Nachtragsanschuldigungsschrift (§ 24 KammerG i.V.m. § 41 DiszG, § 53 Abs. 1 BDG) leidet hinsichtlich des Vorwurfes zu 1. an einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 24 KammerG i.V.m. § 41 DiszG, § 55 BDG. Der in der Nachtragsanschuldigungsschrift vom 14. Februar 2017 erhobene Vorwurf zu 1. steht nicht im Einklang mit den sich aus § 24 KammerG i.V.m. § 41 DiszG, § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG ergebenden Anforderungen.
a) Nach § 24 KammerG i.V.m. § 41 DiszG, § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG muss die Anschuldigungsschrift unter anderem die Tatsachen, in denen ein Berufsvergehen gesehen wird, geordnet darstellen. Sie muss die Sachverhalte, aus denen das Berufsvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich darlegen. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe müssen nachvollziehbar beschrieben werden (vgl. zum Beamtendisziplinarrecht BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2014 – 2 B 60.14 – juris Rn. 14; ähnlich zum nordrhein-westfälischen Kammerrecht Landesberufsgericht für Heilberufe Münster, Urteil vom 13. August 2014 – 6t A 1025/12.T – juris Rn. 92 m.w.N.), auch wenn eine tagesgenaue Fixierung nicht verlangt wird (s. zum Beamtendisziplinarrecht BVerwG, Beschluss vom 28. März 2011 – 2 B 59.10 – juris Rn. 6). Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, wenn bei verständiger Lektüre aus der Anschuldigungsschrift eindeutig hervorgeht, welche konkreten Handlungen dem von der Anschuldigung Betroffenen als Berufsvergehen zur Last gelegt werden (zum Beamtendisziplinarrecht BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 2011, a.a.O.). Nur eine derartige Konkretisierung der berufsrechtlichen Vorwürfe ermöglicht dem Beklagten eine sachgerechte Verteidigung und wird der Umgrenzungsfunktion der Anschuldigungsschrift gerecht (vgl. aus beamtendisziplinarrechtlicher Sicht BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2014, a.a.O.; im Anschluss an diese Rechtsprechung Urteil des Senats vom 25. Februar 2013 – OVG 90 H 1.10 – S. 20 EA). Die Substanziierung des Vorwurfs kann indessen nur in den Grenzen des Möglichen vorgenommen und erwartet werden. Die Einleitungsbehörde muss die anzuschuldigende Tat nur so genau wie möglich schildern. Wenn nur ungefähre Zeit- und Ortsangaben gemacht werden können, ist dies ebenso unschädlich wie die Beschränkung auf eine Mindestanzahl bzw. Höchstzahl angenommener Pflichtverletzungen aus einem wiederkehrenden, eine ganze Zeit lang geübten Fehlverhalten (vgl. Willems, Das Verfahren vor den Heilberufsgerichten, Heidelberg u.a. 2009, Rn. 234; zum vergleichbaren Maßstab der Substanziierung nach Kammerrecht, dass sich an den strafprozessualen Maßstäben für die inhaltlichen Anforderungen an eine Anklageschrift orientiert, Landesberufsgericht für die Heilberufe München, Urteil vom 12. Mai 1997 – LBG-Ä-1/97 – HeilBGE B 4.1 Nr. 20; Landesberufsgericht für Ärzte Stuttgart, Urteil vom 13. Februar 1993 – Ber.Liste 6/92 – HeilBGE B 4.1 Nr. 18; s. aus strafprozessualer Perspektive BGH, Urteil vom 22. Oktober 2013 – 5 StR 297/13 – juris Rn. 3; Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, Kommentar, 61. Aufl. 2018, § 200 Rn. 7, 9). Die Anschuldigungsschrift ist im Übrigen der Auslegung zugänglich. Erforderlich, aber auch ausreichend ist es, wenn bei verständiger Lektüre der Anschuldigungsschrift – auch unter Heranziehung der Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen – eindeutig zu entnehmen ist, welche konkreten Handlungen dem Beschuldigten zur Last gelegt werden (zum nordrhein-westfälischen Kammerrecht Landesberufsgericht für Heilberufe Münster, Urteil vom 13. August 2014 – 6t A 1025/12.T – juris Rn. 94). In der berufsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass Unklarheiten dann ohne rechtliche Bedeutung sind, wenn sie sich durch Auslegung der Anschuldigungsschrift beseitigen lassen (vgl. Berufsobergericht für Heilberufe bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 17. Januar 1979 – OVG H 1.77 – HeilBGE A 2.14, Nr. 3.6; Willems, a.a.O., Rn. 237).
b) Gemessen an den zuvor dargestellten Grundsätzen fehlt es im Hinblick auf den in der Nachtragsanschuldigungsschrift vom 14. Februar 2017 erhobenen Vorwurf zu 1. an einer hinreichenden Konkretisierung. Die Beschreibung des gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwurfs, die Patientin A... während der Behandlungszeit zwischen Juli 2012 und Dezember 2015 mehrmals zu nicht näher bestimmten Zeitpunkten, zum Teil im Bewegungsraum der Praxis, umarmt zu haben, lässt offen, wie oft es (wenigstens oder höchstens) zu den Handlungen gekommen ist, in welcher Weise und unter welchen Umständen (Teil der Verabschiedung oder der Behandlung?) sie jeweils geschehen sind. Mit Blick auf den von der Ärztekammer angegebenen Zeitraum, der sich auf ca. dreieinhalb Jahre erstreckt, lassen sich auch nicht die ungefähren Zeitpunkte der Handlungen nachvollziehbar bestimmen, zumal aus der Nachtragsanschuldigungsschrift nicht zu ersehen ist, in welcher Regelmäßigkeit die Patientin von dem Beschuldigten in dieser Zeit behandelt worden ist und ob der Beschuldigte die Patientin bei jedem Behandlungstermin oder nur vereinzelt umarmt hat. Die beschriebenen Unklarheiten können auch nicht durch eine Auslegung der Nachtragsanschuldigungsschrift beseitigt werden.
II. Der Beschuldigte hat durch das ihm in dem Eröffnungsbeschluss vom 4. Oktober 2017 auf der Grundlage der Anschuldigungsschrift der Ärztekammer vom 11. September 2014 unter Ziffer 1. bis 5. und der Nachtragsanschuldigungsschrift vom 14. Februar 2017 unter Ziffer 2. vorgeworfene und zur Überzeugung des Senats erwiesene Verhalten (vgl. 1.) seine Berufspflichten schuldhaft verletzt (s. 2.); das einheitlich zu würdigende Berufsvergehen erfordert eine Geldbuße in der tenorierten Höhe sowie eine Entziehung des aktiven und passiven Kammerwahlrechts (vgl. 3.). Der Senat weist klarstellend darauf hin, dass er seiner Würdigung nur die von der Ärztekammer im hiesigen berufsgerichtlichen Verfahren erhobenen Vorwürfe zugrunde legt, soweit sie erwiesen und berufsrechtlich erheblich sind, nicht aber die zahlreichen gegen den Beschuldigten vor und nach den hier betrachteten Geschehnissen erhobenen Vorwürfe bezogen auf dessen Umgang mit seinen Patientinnen; sie waren außer Betracht zu lassen.
1. Der Senat hat den für die berufsrechtliche Bewertung maßgeblichen Sachverhalt wie folgt festgestellt:
a) Die Patientin D... wurde von dem Beschuldigten im Zeitraum vom 5. Juni bis 18. Dezember 2012 behandelt. Im Wesentlichen bestand die Behandlung in einer einmal wöchentlich stattfindenden Gesprächs- und Bewegungstherapie; ferner führte der Beschuldigte Ernährungsberatungen und Gewichtskontrollen durch. Die Patientin war nach dem Tod ihres Vaters (im Jahr 2003) psychisch belastet. Vor der Aufnahme der Therapie hatte sie Essstörungen in Form einer Anorexie (Magersucht) entwickelt und war bis etwa August 2012 von Cannabis abhängig. Parallel zu der Behandlung bei dem Beschuldigten nahm sie an einer Drogentherapie teil.
aa) Zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt während des zuvor erwähnten Behandlungszeitraums umfasste der Beschuldigte im Behandlungsraum zunächst den von einer Hose bekleideten Oberschenkel der auf einer Waage stehenden Patientin und strich dann – während des Wiegevorgangs vor ihr hockend – mit seinen Händen an der Außen- und Innenseite der Oberschenkel entlang aufwärts bis in die Nähe des Schambereichs.
Der Beschuldigte hat zwar gegenüber dem Senat – wie schon in der Hauptverhandlung vor dem Berufsgericht – nur eingeräumt, einen der Oberschenkel der Patientin umgriffen zu haben. Der Senat ist jedoch aufgrund der im Wesentlichen übereinstimmenden Einlassungen der Patientin gegenüber der Polizei und der Ärztekammer davon überzeugt, dass der Beschuldigte die Patientin darüber hinaus auch in der zuvor beschriebenen Weise berührt hat. In ihrer polizeilichen Vernehmung am 29. Januar 2013 hat die Patientin ausgesagt, dass der Beschuldigte mit seiner Hand vom Knie hoch „bis kurz unter den Schambereich“ gestrichen habe. In der Anhörung durch die Ärztekammer vom 28. November 2013 gab sie an, es habe ihr nicht mehr gefallen, als sie einmal habe aufstehen müssen und der Beschuldigte mit seinen Händen an der Außen- und Innenseite ihres Oberschenkels etwa von den Knien bis zum Schambereich entlang gestrichen sei. Auf die in den Akten dokumentierten Bekundungen der Patientin D...F... kann sich der Senat im Wege des Urkundsbeweises stützen, zumal sich der Beschuldigte und die Ärztekammer in der Hauptverhandlung vor dem Senat übereinstimmend dahin erklärt haben, auf eine Vernehmung der als Zeugin geladenen und erschienenen Patientin zu verzichten.
In der Hauptverhandlung vor dem Berufsgericht hat der Beschuldigte zu seinem Verhalten angegeben, der Griff habe der Patientin verdeutlichen sollen, was für „Storchenbeine“ sie habe. Gegenüber dem Senat ist von ihm zur Erklärung seines von ihm eingeräumten Umgriffs bekundet worden, eine körperliche Untersuchung sei selbstverständlicher Teil jeder Diagnostik. Für essgestörte Patientinnen seien gerade die Oberschenkel erfahrungsgemäß eine besondere Problemzone. Es sei ihm bei der Patientin D... darum gegangen, deren Essverhalten zu ändern. Zudem habe es sich dabei um eine „stützende, beruhigende, anteilnehmende, das Selbstwertgefühl der an Essstörungen leidenden, verspannt wirkenden Patientin stärkende Berührung“; sie habe sich in die Therapie eingeordnet und sei deutlich hinter dem geblieben, was nach der Körpertherapie zulässig gewesen wäre. Bereits im Rahmen der Anhörung am 24. August 2016 beim Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin hat der Beschuldigte bezogen auf den Fall D... eingeräumt, „sich ungeschickt verhalten zu haben“.
bb) Zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt zwischen Juni 2012 und Dezember 2012 saß der Beschuldigte der Patientin D... in seinem Behandlungszimmer gegenüber. Ohne weitere Erläuterung ergriff er fünf bis sechs Mal eine oder beide Hände der Patientin, die auf einem Tisch gelegen hatten. Er nahm die Hände der Patientin in seine Hände, drückte sie etwas und streichelte die Handoberfläche. Einmal sind von dem Beschuldigten die Handlinien auf der Handinnenfläche der Patientin auch nachgezeichnet worden, ohne ihr diese Vorgehensweise zuvor erläutert zu haben.
Von dem Beschuldigten ist dieses – von der Patientin sowohl in der polizeilichen Vernehmung als auch in ihrer Anhörung durch die Ärztekammer beschriebene – Verhalten eingeräumt worden. Er hat hierzu angegeben, dass er die Hände der Patientin in die Hand genommen habe, um die Hautspannung zu überprüfen. Die Handinnenfläche der Patientin habe er nachgezeichnet, um sie zu beruhigen. Sie habe ihm häufig erzählt, an spiritistischen Sitzungen teilzunehmen. Vor diesem Hintergrund habe er so getan, als könne er ihr aus der Hand lesen. Die Patientin, die an dem besagten Tag sehr verunsichert und ängstlich gewesen sei, habe sich durch dieses scheinbare „Handlesen“ beruhigt.
cc) Nachdem bereits einige Therapiesitzungen stattgefunden hatten, umarmte der Beschuldigte die Patientin D... zu nicht näher bestimmten Zeitpunkten zwischen Juni und Dezember 2012 zum Abschied nach der jeweiligen – wöchentlich stattfindenden – Behandlung. Er legte seine Arme in Höhe der Schulter um die Patientin und streichelte mit seinen Händen ihren Rücken.
Der Beschuldigte hat diese Umarmungen in der Hauptverhandlung vor dem Berufsgericht eingeräumt. Er habe darin eine „vertrauensbildende Maßnahme“ gesehen. Zur Behandlung habe das nicht gehört. Mit der Berufung ist von dem Beschuldigten ferner vorgetragen worden: In der länger andauernden Behandlung habe sich eine besondere Vertrauensbeziehung zwischen ihm und der Patientin D... herausgebildet. Diese Umarmungen seien eingedenk dessen nur als Ausdruck von freundschaftlicher Nähe, Herzlichkeit und Empathie gemeint gewesen. Bereits im Rahmen seiner am 24. August 2016 durchgeführten Anhörung durch das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin in dem Verwaltungsverfahren betreffend das Ruhen seiner Approbation ist von dem Beschuldigten u.a. bezogen auf diesen Fall eingeräumt worden, „sich ungeschickt verhalten zu haben“.
Ob der Beschuldigte beim Streicheln des Rückens das Gesäß der Patientin D... berührt hat, lässt sich zur Überzeugung des Senats auch unter Berücksichtigung der insoweit teilweise widersprüchlichen Angaben der Patientin in ihrer polizeilichen Vernehmung am 29. Januar 2013 und ihrer Anhörung vor der Ärztekammer am 28. November 2013 nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen.
dd) Während der Bewegungstherapie in einem Behandlungsraum zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt zwischen Juni und Dezember 2012 hat der Beschuldigte die Patientin D..., die über Verspannungen bzw. Rückenschmerzen geklagt hatte, aufgefordert, sich auf einer Sportmatte auf den Bauch zu legen. Der Beschuldigte hat ihr seinen Pullover oder seine Jacke gegeben, auf den oder die sie ihren Kopf hatte legen können. Danach hat der Beschuldigte eine Rückenmassage durchgeführt, die länger als fünfzehn Minuten gedauert hat.
Diesen Sachverhalt hat der Beschuldigte eingeräumt. Er ergibt sich ferner aus der polizeilichen Vernehmung der Patientin vom 29. Januar 2013 sowie aus deren Vernehmung durch die Ärztekammer am 28. November 2013. In den Behandlungsunterlagen ist für den 12. Dezember 2012 vermerkt: „Leichte Rückenschmerzen, auf Wunsch der Patientin WK manuell eingerenkt“.
Es lässt sich darüber hinaus zur Überzeugung des Senats nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass die Patientin dem Beschuldigten vor der Beendigung der Rückenmassage gesagt hat, sich nicht mehr wohl zu fühlen. Von dem Beschuldigten ist dies immer bestritten worden. Seine Darstellung kann nicht widerlegt werden.
ee) Zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt zwischen Juni und Dezember 2012 demonstrierte der Beschuldigte der dazu auf dem Rücken liegenden Patientin D...an der entsprechenden Stelle des Körpers mit seinen Händen, wie sie ihren Bauch mit den Händen massieren kann, um den Darm anzuregen. Dies nahm die Zeugin als Kitzeln wahr.
Der Beschuldigte hat diesen Sachverhalt in der Hauptverhandlung vor dem Berufsgericht eingeräumt und angegeben, dass die Patientin zum Kichern geneigt und seine „Massage“ als Kitzeln empfunden haben könnte. Mit der Berufung hat der Beschuldigte vorgetragen, die „meist ziemlich alberne, zum Kichern neigende Patientin“ habe die Massage als Kitzeln wahrgenommen; sie sei von ihr deshalb nach einiger Zeit als unangenehm erachtet worden. In Übereinstimmung mit seinen Darlegungen im Untersuchungsverfahren der Ärztekammer ist von dem Beschuldigten darauf hingewiesen worden, dass die Demonstration der Bauchmassage therapeutisch motiviert gewesen sei und in direktem Zusammenhang zu Symptomen gestanden habe, unter denen die Patientin gelitten habe. Dies hat er gegenüber dem Senat auch in der Hauptverhandlung angegeben.
ff) Von dem Vorwurf, als die Patientin D... dem Beschuldigten im Rahmen einer Behandlung zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt zwischen Juni 2012 und Dezember 2012 auf ihrem Handy Fotos von sich gezeigt habe, die vor der Zeit ihrer Essstörung (Anorexie) gemacht worden seien, habe der Beschuldigte die Bilder damit kommentiert, dass sie darauf attraktiv und sexy aussehe, hat sich der Senat nicht überzeugen können. Es ist nicht erwiesen, dass sich der Beschuldigte dieser von ihm stets bestrittenen Wortwahl bedient hat. Dem Beschuldigten ist nicht zu widerlegen, dass er sich gegenüber der Patientin lediglich dahingehend geäußert hat, dass sie auf den Fotografien gut aussehe.
b) In der Zeit von November 2012 bis Anfang Januar 2016 behandelte der Beschuldigte die Patientin A... wegen Zwangsstörungen und einer gestörten Beziehung zu ihrer Mutter. Dabei führte er u.a. Gespräche mit der Patientin und den Eltern, hier hauptsächlich mit der Kindesmutter.
aa) Am 18. Dezember 2015 umarmte der Beschuldigte die Patientin A...Z... nach einem Behandlungstermin in seiner Praxis im Beisein der Mutter und drückte sie dabei lang und intensiv.
Der Beschuldigte hat diesen – von ihm in seinen Behandlungsunterlagen kurz erwähnten – Sachverhalt in der Hauptverhandlung vor dem Berufsgericht eingeräumt und sein Verhalten damit wie folgt erklärt: Es sei eine sehr problematische Stunde mit A... und er deshalb sehr „aufgelöst“ gewesen. Die Situation vor den Weihnachtsferien sei ihm sehr nahegegangen. Er habe das Mädchen umarmt, wie man ein Kind „mal“ herzlich drückt. Mit seiner Berufung hat der Beschuldigte hierzu ergänzend ausgeführt: Diese Umarmung habe im Zusammenhang mit der Weihnachtszeit gestanden; sie habe das tief empfundene Mitgefühl mit der Patientin ausdrücken sollen. Seinem persönlichen Bedürfnis sei sie nicht entsprungen. Dass es um eine völlig unverfängliche Umarmung gegangen sei, die die herzliche Verbundenheit zu dieser schwer gestörten Patientin gehandelt habe, die auch noch eine gestörte Beziehung zu ihrer Mutter gehabt habe, folge schon daraus, dass die Umarmung in Anwesenheit der Mutter, die ihre Tochter zur Behandlung begleitet hätte, stattgefunden habe. Er habe sie umarmt und gedrückt wie ein liebes Kind. Dies sei schon deshalb therapienah gewesen, weil die Mutter eine solche herzliche Nähe zu ihrer Tochter wegen der gestörten Beziehung nicht habe herstellen können.
bb) Als nicht erwiesen erachtet der Senat den vom Beschuldigten stets in Abrede gestellten Vorwurf, während eines kinderpsychiatrischen Behandlungstermins im Jahr 2015 zu einem Zeitpunkt nach dem 16. April habe er gegenüber der elfjährigen Patientin A..., die sich nach einer Übung den Pullover ausgezogen hatte, so dass ein Träger ihres Unterhemdes sichtbar geworden sei, unaufgefordert bemerkt, dass sie noch kein Unterhemd benötige, weil ihre Brüste noch zu klein seien. Die von dem Beschuldigten in der Hauptverhandlung vor dem Senat bekundete Darstellung, er habe der Patientin lediglich gesagt, sie könne den Pullover ausziehen, da sei nichts dabei, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht entkräften. Der Senat hegt zwar Zweifel an dieser Einlassung, vermag diese Zweifel aber nicht zu einer tragfähigen Tatsachengrundlage zu verdichten. Der Beschuldigte war deshalb nach dem Rechtsgrundsatz „in dubio pro reo“ freizustellen.
cc) Von der elfjährigen Patientin A... ist der Beschuldigte im Beisein der Kindesmutter zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt im Dezember 2015 nach einer kinderpsychiatrischen Behandlung gefragt worden, ob sie nicht seine Mobilfunknummer auf ihrem Mobilfunkgerät abspeichern könne. Da der Beschuldigte seine Mobilfunknummer zu diesem Zeitpunkt nicht präsent hatte, versicherte er der Patientin, ihr diese Nummer noch am selben Tage zu senden. Um diese Absicht zu verwirklichen, ließ sich der Beschuldigte von der Patientin deren Mobilfunknummer geben. An die in Aussicht gestellte Nachricht erinnerte sich der Beschuldigte erst am nächsten Tag und versendete sie über das Programm „WhatsApp“; dies verband er mit der textlichen Mitteilung „Viel Spaß in der Schule“ und mit Weihnachtswünschen. Am 4. Januar 2016 hinterließ die Mutter der Patientin auf der Mobilbox des Mobilfunkgeräts des Beschuldigten die Bitte, sie dringend zurückzurufen. Hierauf reagierte der Beschuldigte mit der Nachricht, dass er erst am Nachmittag zurückrufen könne. Noch am selben Tage bat die Kindesmutter den Beschuldigten, die Telefonnummer der Patientin zu löschen und ihr nicht mehr zu schreiben, und sagte zudem alle noch ausstehenden Behandlungstermine mit dem Hinweis ab, dass sich ihre Tochter in einer Klinik befinde. Der Beschuldigte ging zu diesem Zeitpunkt noch davon aus, dass die Therapie noch nicht beendet und das „letzte Wort“ noch nicht gesprochen worden ist, weil er – nach seiner Bekundung in der Hauptverhandlung vor dem Senat – eine entsprechende „Schlussansage“ der Mutter der Patientin vermisst habe. Vor diesem Hintergrund bot der Beschuldigte der Mutter A... in seiner Rückantwort an, noch ein abschließendes Elterngespräch durchzuführen; zudem wollte er wissen, in welcher Klinik sich A... befindet. Am 8. Januar 2016 versendete A... Mutter von dem Mobilfunkgerät ihrer Tochter aus an den Beschuldigten einen so genannten „Smiley“; sie wollte damit herausfinden, ob der Beschuldigte mit ihrer Tochter, die sich seit dem 6. Januar 2015 in vollstationärer psychiatrischer Behandlung in einem Krankenhaus befand, noch in Kontakt stand. Auf diese Nachricht antwortete der Beschuldigte über den Nachrichtendienst WhatsApp mit der Frage „Hey A..., wie geht´s Dir?“. Die Mutter sendete an den Beschuldigten daraufhin folgende Textnachricht: „Ich darf nicht mehr kommen Was kann man machen? mir geht´s nicht so gut“. Der Beschuldigte beantwortete dies wie folgt: „Ich dachte, Du wärst jetzt sowieso in der Klinik, oder? Was hast Du denn im Augenblick für Probleme?“ Die besagten WhatsApp-Kontakte am 4. und 8. Januar 2015 sind in den Behandlungsunterlagen des Beschuldigten zu der Patientin erwähnt.
Der zuvor beschriebene Geschehensablauf ergibt sich aus den schriftlichen und mündlichen Bekundungen der Mutter der Patientin gegenüber der Ärztekammer, ferner aus den Einlassungen der Patientin A... in deren Anhörung durch die Ärztekammer sowie aus den Äußerungen des Beschuldigten im Untersuchungsverfahren der Ärztekammer und in der Hauptverhandlung vor dem Senat. Dabei hat der Senat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Patientin Ihre Mobilfunknummer an den Beschuldigten in Abwesenheit der Kindesmutter weitergegeben hat. Die gegenteilige, dem Senat nicht von vornherein unplausibel erscheinende Darstellung des Beschuldigten in der Hauptverhandlung vor dem Senat lässt sich nicht widerlegen. Entsprechendes gilt, soweit der Beschuldigte den Verlauf des über den Nachrichtendienst WhatsApp am 4. Januar 2016 geführten Gesprächs zwischen ihm und der Kindesmutter als am Ende offen beschrieben hat. Die Wiedergabe dieses Gesprächs durch die Kindesmutter gegenüber der Ärztekammer (vgl. das am 13. Januar 2016 bei der Ärztekammer eingegangene Schreiben sowie die dazu eingereichte Anlage mit einem Foto des Handys mit den aufgerufenen Nachrichten und schriftlichen Anmerkungen zum Gesprächsverlauf, Vorgang BR 0055/16, Bl. 9/4, 9/10) schließt es nicht mit der notwendigen Sicherheit aus, dass der Vorschlag des Beschuldigten, noch ein abschließendes Elterngespräch zu führen, am Ende des Nachrichtenaustauschs stand.
2. Nach dem festgestellten Sachverhalt hat der Beschuldigte ein aus mehreren Berufspflichtverletzungen bestehendes, einheitlich zu würdigendes Berufsvergehen begangen. Ausgehend von den für die Feststellung der hier bedeutsamen Berufspflichtverletzungen heranzuziehenden Maßstäben (hierzu a) sind hier allerdings nur die Vorwürfe zu 1. bis 5. der Anschuldigungsschrift vom 11. September 2014 sowie zu 2. der Nachtragsanschuldigungsschrift vom 14. Februar 2017 als aus berufsrechtlicher Perspektive berücksichtigungsfähig anzusehen (hierzu b). Von den verbleibenden Vorwürfen ist der Beschuldigte freizustellen (hierzu c).
a) Das hier zu betrachtende Verhalten ist bezogen auf die Vorwürfe zu 1. bis 5. aus der Anschuldigungsschrift vom 11. September 2014 an § 2 Abs. 2 und 3 i.V.m. Kapitel C der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin vom 30. Mai 2005 (ABl. S. 1883; im Folgenden: BO 2005) sowie bezogen auf die Vorwürfe zu 2. bis 4. aus der Nachtragsanschuldigungsschrift vom 14. Februar 2017 an § 2 Abs. 2 und 3, § 7 Abs. 1 der am 20. Dezember 2014 in Kraft getretenen Berufsordnung vom 26. November 2014 (ABl. S. 2341; im Folgenden: BO 2014) zu messen.
Nach § 2 Abs. 2 BO 2005 hat der Arzt seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm bei seiner Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Diese Bestimmung greift den Wortlaut der Ermächtigungsgrundlage in § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KammerG auf, wonach es insbesondere zu den Berufspflichten gehört, den Beruf gewissenhaft auszuüben. Die Ärztekammer als eine mit Satzungsautonomie ausgestattete Körperschaft konnte zur Normierung dieser Berufspflicht ermächtigt werden, weil sie keinen statusbildenden Charakter hat und lediglich in die Freiheit der Berufsausübung von Verbandsmitgliedern eingreift (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 1987 – 1 BvR 537/81, 195/87 – BVerfGE 76, 171, 185). Die Generalpflichtenklausel des ärztlichen Berufsrechts stellt auch nach dem Maßstab des Art. 103 Abs. 2 GG eine ausreichende Grundlage für eine berufsgerichtliche Sanktion dar. Es entspricht der Struktur des Standesrechts, dass die Berufspflichten der Standesangehörigen nicht in einzelnen Tatbeständen erschöpfend umschrieben werden können. Eine vollständige Aufzählung sämtlicher mit einem Beruf verbundener Pflichten ist nicht möglich. Deshalb können Berufspflichten in einer Generalklausel zusammengefasst werden, die die Berufsangehörigen zu gewissenhafter Berufsausübung anhält (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Mai 1972 – 1 BvR 518/62, 308/64 – BVerfGE 33, 125, 164). Eine abschließende Umschreibung aller denkbaren Berufspflichten ist auch nicht notwendig, weil es sich hier um Normen handelt, die nur den Kreis der Berufsangehörigen betreffen, sich aus der ihnen gestellten Aufgabe ergeben und daher für sie im Allgemeinen leicht erkennbar sind. Diese seit jeher bestehenden Besonderheiten des Standesrechts hat der Grundgesetzgeber durch Art. 103 Abs. 2 GG nicht ändern wollen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 1977 – 2 BvL 2/76 – BVerfGE 45, 346, 351 f.; im Anschluss an die zuvor dargestellte Rechtsprechung Urteil des Senats vom 10. Januar 2013 – OVG 90 H 1.11 – S. 11 f. EA; s. ferner Landesberufsgericht für Heilberufe Münster, Beschluss vom 25. November 2015 – 6t 441/13.T u.a. – juris Rn. 42 ff.). Entgegen der in der Hauptverhandlung vor dem Senat geäußerten Ansicht des Beschuldigten nötigen die seit den zuvor zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zwischenzeitlich eingetretenen Veränderungen im medizinischen Bereich nicht zu einer anderen Betrachtungsweise. Gerade dieser Wandel lässt es auch weiterhin als angezeigt erscheinen, der Ärzteschaft die Möglichkeit zu belassen, sich generalklauselhaft formulierter Berufspflichten zu bedienen. Deren offene Formulierung erlaubt es, neueren Entwicklungen und daraus resultierenden, unter Umständen durchaus rasanten Veränderungen etwa in der Beurteilung ärztlicher Behandlungsweisen Rechnung zu tragen.
Die Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung verpflichtet den Arzt im Allgemeinen zu einer im Hinblick auf die betroffenen Rechtsgüter seiner Patienten besonders sorgfältigen Vorgehensweise (vgl. Scholz, in: Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 2 MBO-Ä 1997 Rn. 4). Der Arzt muss seinen Beruf mithin korrekt ausüben. Hierzu gehören zur Konkretisierung der Berufspflicht nach § 2 Abs. 2 BO 2005 die über § 2 Abs. 3 BO 2005 geltenden Grundsätze korrekter ärztlicher Berufsausübung in Kapitel C Nr. 1 (Umgang mit Patienten). Danach verlangt eine korrekte ärztliche Berufsausübung u.a., dass der Arzt beim Umgang mit Patienten – wie schon in § 7 Abs. 1 BO 2005 festgelegt – ihre Würde und ihr Selbstbestimmungsrecht respektiert, ihre Privatsphäre achtet und Rücksicht auf die Situation des Patienten nimmt. Nichts wesentlich Abweichendes ergibt sich aus den gleichlautenden Regelungen in den § 2 Abs. 2 und 3, § 7 Abs. 1 BO 2014, auch wenn die Berufsordnung vom 26. November 2014 keine konkretisierenden Bestimmungen wie in Kapitel C der Berufsordnung vom 30. Mai 2005 enthält.
Welche konkreten Pflichten mit einer gewissenhaften Berufsausübung des Arztes verbunden sind, kann sich nur aus einer näheren Betrachtung des sich hierzu in der Ärzteschaft herausgebildeten Grundkonsenses ergeben. Der Senat, dem die Sachkunde für die Feststellung dessen im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie fehlt, stützt sich insoweit auf die Einschätzungen der Sachverständigen Dr. W... und Dr. B.... Auf dieser Erkenntnisbasis geht der Senat bei der berufsrechtlichen Beurteilung der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen von Folgendem aus:
Das Verhältnis zwischen Arzt und Patient muss von einem generellen professionellen Diskurs geprägt sein. Fachlichkeit und Professionalität stehen im Mittelpunkt dieses Verhältnisses, das maßgeblich durch eine spezifische Rollenverteilung (Arzt als Helfender und Patient als Hilfesuchender), ein damit verbundenes erhebliches strukturelles Machtgefälle sowie eine (unerlässliche) besondere Vertrauensbeziehung bestimmt ist (s. zur Asymmetrie der Arzt-Patienten-Beziehung für den vergleichbaren Bereich psychotherapeutischer Behandlungen Landesberufsgericht für Heilberufe Münster, Beschluss vom 10. Februar 2014 – 13 E 494/12.T – juris Rn. 41; VGH Kassel, Urteil vom 14. September 2011 – 25 A 1451/11.B – juris Rn. 18; zu den Gefahrpotentialen in diesem Verhältnis s. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. Oktober 1989 – 8 U 10/88 – NJW 1990, S. 1543). Der erhebliche Ermessensspielraum des Arztes bei der Durchführung der Therapien, wie er nach den Bekundungen des Sachverständigen Dr. W... in der Hauptverhandlung vor dem Senat insbesondere für das Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie besteht, erlegt dem Arzt eine hohe Verantwortung auf und erfordert seine höchste fachliche Sorgfalt bei der Behandlung der ihm anvertrauten Patienten.
Zu einer professionellen Gestaltung der zwischen dem Arzt und seinem Patienten bestehenden Arbeitsbeziehung gehört es nicht nur, dass der Arzt das Vertrauensverhältnis zu seinem Patienten nicht zur Befriedigung eigener Interessen und Bedürfnisse missbraucht (vgl. zum Abstinenzgedanken Jakl/Gutmann, MedR 2011, S. 259, 260; im Anschluss daran Landesberufsgericht für Heilberufe Münster, Beschluss vom 10. Februar 2014 – 13 E 494/12.T – juris Rn. 37).
Fachlichkeit und Professionalität des Arztes als bedeutsame Maximen bei der Behandlung eines Patienten erfordern es darüber hinaus, dass der Arzt zu seinem Patienten die notwendige Distanz sowohl in körperlicher als auch in kommunikativer Hinsicht wahrt, wobei dies nicht nur während der Behandlung, sondern auch nach deren Abschluss gilt. So dürfen sich körperliche Berührungen von Patienten – wie der Sachverständige Dr. W... in seinem gegenüber der Ärztekammer im Juni 2014 erstatteten Gutachten betont hat – stets nur in klar definierten professionellen diagnostisch-therapeutischen Handlungen bewegen. Es gilt dabei, wie Dr. W... gegenüber dem Senat ferner treffend hervorgehoben hat, das Prinzip „So wenig wie möglich, so viel wie notwendig“.
Für das Verhältnis eines Arztes und einem im Kindes- oder Jugendlichenalter befindlichen Patienten im Zusammenhang mit einer der psychischen Gesundung dienenden Therapie gelten diese Maximen im besonderen Maße. Das ist nach dem aus Sicht des Senats überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. B... vom 16. Januar 2014 deshalb anzunehmen, weil die Patienten sich noch in der Entwicklungsphase befinden und die Interaktionen (mit dem therapierenden Arzt) somit großenteils auch neue und formende Beziehungserfahrungen darstellen und nicht nur die Aktualisierung älterer. Insofern ist der Therapeut hier in besonderer Weise gefordert, mit den Empfindungen und Gefühlen, gerade auch im Beziehungsgeschehen, taktvoll umzugehen. Er muss sich ständig der Notwendigkeit der Abstinenz gewiss sein, da besonders von jugendlichen Patienten nicht erwartet werden kann, dass sie ihre mögliche Neigung (insbesondere im Fall pubertierender und adoleszenter Patienten) kontrollieren können, sich in entgrenzte und traumatisierend wirkende Beziehungen zu begeben (vgl. S. 9 f. des Gutachtens vom 16. Januar 2014). In Übereinstimmung damit ist von dem Sachverständigen Dr. W... in der Hauptverhandlung vor dem Senat darauf hingewiesen worden, dass Kinder und Jugendliche, die sich in eine kinder- bzw. jugendpsychiatrische Behandlung begeben, zumeist Vorerfahrungen gemacht oder Traumata erlebt haben, die sie als besonders verletzlich und instabil erscheinen lassen; jedenfalls ist damit gerade am Anfang einer Therapie immer zu rechnen und deshalb größte Vorsicht geboten.
Für die kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung ergeben sich daraus entsprechende Folgerungen, wie sie insbesondere Dr. W... in seiner Vernehmung durch den Senat herausgearbeitet hat:
Der Arzt hat bei dem für die Durchführung der Therapie notwendigen Aufbau einer Nähebeziehung Zurückhaltung zu üben, also Kontakte auf das professionell erforderliche Maß zu beschränken. Demgemäß darf ein Arzt gegenüber dem Patienten auch nicht als „privater“, sondern nur als „professioneller“ Freund auftreten, und zwar in dem Sinne, dass er den Patienten als eigene Persönlichkeit wahrnimmt und ihm mit Empathie begegnet. Eine Verwechslung zwischen privaten Beziehungen und dem „Arbeitsverhältnis“ zwischen Arzt und Patienten muss ausgeschlossen werden. Ferner ist – worauf Dr. B... in seinem Gutachten hingewiesen hat – zu beachten, dass auch indizierte körperliche Maßnahmen im Rahmen einer Beziehung zwischen dem Therapeuten und dem Patienten zugleich als Handlung innerhalb eines Beziehungsgeschehens, also als intendierte Kontaktaufnahme des Arztes erlebt werden. Solche gegebenenfalls erforderlichen körperlichen Untersuchungen bedürften dann der besonderen Kennzeichnung, eines angemessenen Rahmens und der Erläuterung des Zwecks der Maßnahme (S. 11 des Gutachtens vom 16. Januar 2014). Bei Jugendlichen sind – wie Dr. W... herausgestellt hat – körperliche Berührungen besonders kritisch zu hinterfragen und – wenn überhaupt – mit Fingerspitzengefühl zu handhaben, wobei zuvor besonders sorgfältig zu überlegen ist, ob ein Einverständnis einzuholen ist. Körperliche Berührungen dürfen keinesfalls missverständlich sein. In jedem Fall sind sie rechtfertigungsbedürftig.
Verbale Kommentare des Arztes dürfen sich ebenfalls nur im professionellen Rahmen bewegen. Zu vermeiden ist, dass sie vom Patienten als private Äußerungen wahrgenommen werden und den Anschein erregen, als nähere sich der Arzt nicht als professioneller Helfer. Auch mündliche Bemerkungen etwa zum Aussehen einer Patientin sind als professionelle Äußerungen zu kennzeichnen und dürfen nicht als rein private Empfindung erscheinen. Missverständlich müssen deshalb – wie der Sachverständige Dr. W... sowohl in seinem Gutachten als auch in seiner Vernehmung vor dem Senat beispielhaft erläutert hat – Äußerungen des Arztes wirken, in der er selbst als der Bewertende auftritt. Unproblematisch erscheinen dagegen Feststellungen, die als mittelbare Wahrnehmung formuliert sind wie etwa „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Jungen in deinem Alter dich nicht attraktiv finden.“
Für eine Kommunikation des Arztes mit dem Patienten etwa über soziale Medien gilt das Prinzip des Konsenses; ein Kontakt zu therapeutischen Zwecken kann nur hergestellt werden, wenn der Patient ihn möchte. Bei Kindern und Jugendlichen bedarf es dazu des Einverständnisses der Eltern. In jedem Fall kommt es auch hier darauf an, dass der Arzt mit Fingerspitzengefühl vorgeht und das Kommunikationsmittel vorsichtig handhabt.
Der Senat ist auf der Grundlage der von ihm ausgewerteten Sachverständigenäußerungen davon überzeugt, dass die zuvor dargestellten Behandlungsgrundsätze für den Fachbereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie den Stand der ärztlichen Kunst im Begehungszeitraum widerspiegeln. Anlass zur Einholung weiterer Sachverständigenäußerungen besteht nicht. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. W..., der als Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie sowie als Chefarzt der Klinik ..., ferner als Sprecher der Klinikleiter seines Fachbereichs und Mitglied des für den Fachbereich zuständigen Weiterbildungsausschusses über umfangreiche Erfahrungen bei der Behandlung von kinder- und jugendpsychiatrisch zu beurteilenden Krankheitsbildern verfügt, gab und gibt es trotz der Bandbreite unterschiedlichster Behandlungsmethoden keine Schulen, Anschauungs- oder Herangehensweisen, die mit Blick auf das zuvor beschriebene Distanzgebot insbesondere bezogen auf körperliche Berührungen eine abweichende Ansicht vertreten und dieses Gebot in einem weiteren Sinne und mit einem anderen Verständnis von Körpernähe verstehen. Der Sachverständige hat für den Senat plausibel verdeutlicht, dass als Grundkonsens in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ausnahmslos anerkannt ist, dass Kinder und Jugendliche im Rahmen der Behandlung nicht oder nur ausnahmsweise – dann aber nur mit der größten Sorgfalt – berührt werden dürfen. Eine „Körpertherapie“, wie sie für Erwachsene im Bereich der Psychotherapie von einer Minderheit vertreten wird, gibt es im Fachbereich Kinder- und Jugendpsychiatrie nach den einleuchtenden Bekundungen des Sachverständigen Dr. W... nicht (s. dazu auch dessen gutachterliche Stellungnahme vom 16. Dezember 2014 gegenüber der Ärztekammer). Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den Behandlungsmethoden der „Körpertheorie“ drängt sich letztlich auch deshalb nicht auf, weil der Beschuldigte selbst bekundet hat, kein Anhänger dieser Richtung zu sein; zudem verfügt er über keine psychotherapeutische Ausbildung.
Der Senat war auch nicht gehindert, auf die Erkenntnisse des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. B... im Gutachten vom 16. Januar 2014 zurückzugreifen. Sie stehen im Einklang mit dem Gutachten des Sachverständigen Dr. W... und stützen dessen Sichtweise. Dass Dr. B... nicht über die umfassende Sachkunde auf dem Fachgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie verfügt, die Dr. W... aufweisen kann, mindert den Wert seiner, hier ohnehin nur ergänzend herangezogenen Expertise nicht.
b) Ausgehend von den gutachterlich überzeugend unterlegten Behandlungsgrundsätzen im Hinblick auf das zu wahrende Distanzgebot als Bestandteil einer gewissenhaften Berufsausübung hat der Beschuldigte die in diesem Zusammenhang maßgeblichen Berufspflichten mit dem in der Anschuldigungsschrift zu 1. bis 5. sowie dem in der Nachtragsanschuldigungsschrift zu 2. vorgeworfenen Verhalten schuldhaft verletzt.
aa) Durch die festgestellte Berührung der Oberschenkel der Patientin D... hat der Beschuldigte gegen das Distanzgebot verstoßen. Das Umfassen der Oberschenkel und das anschließende Entlangstreichen der Hände an der Außen- und Innenseite der Oberschenkel waren medizinisch nicht indiziert. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. W... gehören diese Berührungen nicht zu der bei Essstörungen von Jugendlichen anzuwendenden Diagnostik, die in erster Linie ein geistiges Einwirken verlangt und mit Blick auf die körperliche Verfassung allenfalls mit den Händen zu demonstrierende Andeutungen des Untergewichts ohne Berührungen zulässt. Hier war zu berücksichtigen, dass sich die Patientin im Begehungszeitpunkt in einem Alter befand, in dem die Identitätsfindung insbesondere im sexuellen Bereich noch nicht abgeschlossen gewesen ist, also – wie es der Sachverständige Dr. W... gegenüber dem Senat ausdrückte – ihre Persönlichkeit noch „nicht fertig“ war. Zudem befand sich die Patientin in einer schwierigen Situation. Sie hatte ihren Vater durch eine Gewalttat verloren und konsumierte (bis August 2012) Drogen. Nach Einschätzung des Sachverständigen Dr. W... stellte D... gewissermaßen eine „Blackbox“ dar. Schon vor diesem Hintergrund wäre der Beschuldigte zu besonderer Zurückhaltung und höchster fachlicher Sorgfalt gerade auch mit Blick auf körperliche Berührungen angehalten gewesen.
Die von dem Beschuldigten zur Rechtfertigung seines Handelns abgegebenen Erklärungen ändern an dessen berufsrechtlicher Einordnung nichts. Soweit der Beschuldigte angibt, dieser Griff sei Teil der notwendigen körperlichen Untersuchung der Patientin gewesen, steht dies bereits im Widerspruch zu seiner Erklärung, es habe sich um eine „stützende, beruhigende, anteilnehmende, das Selbstwertgefühl der an Essstörungen leidenden, verspannt wirkenden Patientin stärkende Begründung“ gehandelt. Durch den Sachverständigen Dr. W... ist zudem überzeugend herausgestellt worden, dass mit einer derartigen „Behandlung“ bei essgestörten jugendlichen Patientinnen „keine Effekte“ zu erzielen sind bzw. mit ihr „wenig zu gewinnen“ ist. Die von dem Beschuldigten in der Hauptverhandlung vor dem Senat vorgetragene Schilderung, dass er die Berührungen während des Wiegevorgangs und vor der Patientin hockend vorgenommen habe, bietet ebenfalls keine hinreichende Rechtfertigung für das berufsrechtswidrige Verhalten, insbesondere für das Entlangstreichen mit den Händen. Die von einem Mann vorgenommenen Berührungen mussten auch in der beschriebenen Situation gerade aus der Sicht einer jugendlichen Patientin missverständlich und irritierend wirken. Sie erwiesen sich damit als potenziell gesundheitsschädigend, zumal sie durch den Beschuldigten zu keinem Zeitpunkt gegenüber der Patientin als Teil der Behandlung angezeigt oder in anderer geeigneter Form gekennzeichnet worden sind. Durch den Sachverständigen Dr. W... ist ebenfalls hervorgehoben worden, dass auch der beschriebene Kontext Vorsicht gebot.
bb) Berufspflichtverletzungen durch Missachtung des Distanzgebots stellen auch die Berührungen der Hände der Patientin D... durch den Beschuldigten in Form des Streichelns und Nachzeichnens der Handlinien dar. Sie waren nach der den Senat überzeugenden Beurteilung des Sachverständigen Dr. W... in dieser Kombination nicht indiziert, auch nicht als angebliche Hautspannungsuntersuchung. Gegenüber der Patientin sind die Berührungen nicht als Teil der Behandlung gekennzeichnet worden. Der Senat verkennt nicht, dass insbesondere das Streicheln der Hände für sich gesehen unverfänglich erscheinen mag. Hier ist indes zu bedenken, dass diese Berührungen im Kontext mit den weiteren angeschuldigten distanzlosen Verhaltensweisen des Beschuldigten gesehen werden müssen. Bei einer derartigen Gesamtbetrachtung erhalten sie ein anderes, jedenfalls berufsrechtlich ohne Weiteres erhebliches Gewicht.
cc) Mit den Umarmungen der Patientin D... hat der Beschuldigte ebenfalls gegen das Distanzgebot verstoßen. Medizinisch waren diese allein von dem Beschuldigten ausgehenden und von der Patientin geduldeten Berührungen nicht indiziert und wurden von dem Beschuldigten auch nicht in diesem Sinne gegenüber der Patientin gekennzeichnet; der Beschuldigte selbst hat angegeben, dass die Umarmungen nicht Teil der Behandlung waren. Der Senat folgt der Einschätzung des Sachverständigen Dr. W..., dass die bei Begrüßungen und Verabschiedungen von Patientinnen gerade im gegebenen Behandlungsumfeld mit Zurückhaltung zu handhabenden gesellschaftlichen Gepflogenheiten hier durch den Beschuldigten nicht mehr gewahrt worden sind; die Grenzen gesellschaftlicher Konventionen sind von ihm deutlich überschritten worden. Dass die jeweils mit einem Streicheln des Rückens verbundenen intensiven Umarmungen nur als Ausdruck von freundschaftlicher Nähe, Herzlichkeit und Empathie gemeint gewesen seien, wie der Beschuldigte angibt, ändert daran nichts. Der Senat folgt dem Beschuldigten ebenso wenig in seiner Anschauung, dass solche Umarmungen zur Begrüßung und zum Abschied bei erwachsenen und jungen Menschen insbesondere nach intensiven Gesprächen als Ausdruck der Verbundenheit nicht selten, „sondern immer häufiger üblich“ seien. Der Beschuldigte ignoriert mit dieser Sichtweise erneut, dass sich die Patientin in der Phase der Identitätsfindung insbesondere im sexuellen Bereich befunden hat und die Umarmungen daher auch das ohne Weiteres erkennbare Potential hatten, missverstanden zu werden. Durch den Sachverständigen Dr. W... ist in seinem im Juni 2014 verfassten Gutachten darauf hingewiesen worden, dass durch dieses Verhalten die Klarheit der Arzt-Patientin-Beziehung in ihrer Professionalität „verschwimmen“ und eineVerwechslung mit einer privaten Beziehung hervorgerufen werden konnte.
dd) Die von dem Beschuldigten bei der Patientin D... durchgeführte Rückenmassage in dem festgestellten Kontext ist zur Überzeugung des Senats ebenfalls als Verstoß gegen das Distanzgebot zu bewerten. Sie geht zwar auf Beschwerden der Patientin zurück, war aber insbesondere durch die Verwendung eines privaten Kleidungsstücks des Beschuldigten in einen nicht mehr medizinischen bzw. psychiatrisch indizierten Kontext gestellt; als solcher war er überdies nicht in einer für die Patientin erkennbaren Weise gekennzeichnet worden. Der Senat folgt auch hier der Einschätzung des Sachverständigen Dr. W..., der die Vorgehensweise des Beschuldigten als problematisch erachtet hat. Dass der Beschuldigte, wie er angibt, in seiner Praxis kein anderes Hilfsmittel als für die Patientin geeignete Massageunterlage gefunden haben will, deutet der Senat als bloße Schutzbehauptung.
ee) Von einer Verletzung des Distanzgebots ist auch im Hinblick auf die von dem Beschuldigten bei der Patientin D... vorgenommene Bauchmassage auszugehen. Eine Indikation hierfür bestand nicht. Es leuchtet nicht ein, weshalb der Beschuldigte die Massage nicht an sich hätte demonstrieren können; er hätte dies gemeinsam mit der Patientin (gewissermaßen parallel) durchführen können, um ihr die Möglichkeit zu geben, seine Bewegungen, deren Reihenfolge sowie den dabei anzuwendenden Druck nachzuahmen. Der Beschuldigte hat auch mit dieser Handlung seine professionelle Rolle verlassen.
ff) Die nach den erwiesenen Feststellungen sehr intensive Umarmung der Patientin A... am 18. Dezember 2015 stellt sich schließlich ebenfalls als berufsrechtlich relevante Missachtung des Distanzgebots dar, die nicht mehr von den üblichen gesellschaftlichen Konventionen im Zusammenhang mit einer Verabschiedung getragen wird. Insoweit kann der Senat auf seine Beurteilung der Umarmungen der Patientin D... verweisen. Ergänzend ist anzumerken, dass auch die seinerzeit gestörte Beziehung zwischen der Patientin und ihrer Mutter keine Rechtfertigung für den Beschuldigten bot, sich gewissermaßen auf der Gefühlsebene an die Stelle der Mutter zu setzen und sich deren Rolle anzumaßen.
gg) Der Beschuldigte handelte in den zuvor dargestellten Fällen jedenfalls mit bedingtem Vorsatz. Wie das Berufsgericht zutreffend ausgeführt hat, wusste der Beschuldigte aus seiner Facharztausbildung und den Gesprächen mit Kollegen und deren Reaktion auf seine „Haltung“ zur Distanzfrage, wie problematisch sein Handeln war. Grenzüberschreitungen nahm er insoweit zumindest billigend in Kauf.
hh) Das angeschuldigte Verhalten widerspricht sowohl zur Tatzeit als auch zum Zeitpunkt der berufsgerichtlichen Entscheidung den hier maßgeblichen Bestimmungen der Berufsordnung (vgl. Berufsgericht für die Heilberufe Nürnberg, Urteil vom 3. Juni 1981 – BG Z 3086/80 – HeilBGE B 9 Nr. 13). Die Neufassung der Berufsordnung im Jahre 2014 hat für den Beschuldigten bezogen auf die Vorwürfe aus der Anschuldigungsschrift vom 11. September 2014 – wie bereits erörtert – gegenüber der früheren, vor Inkrafttreten dieser Berufsordnung am 20. Dezember 2014 (vgl. § 34 Satz 1 BO 2014) geltenden Rechtslage keine materiell günstigere Regelung geschaffen, auf die er sich nach dem Rechtsgedanken des § 2 Abs. 3 StGB im berufsgerichtlichen Verfahren berufen könnte (zur entsprechenden Anwendbarkeit des § 2 Abs. 3 StGB im Berufsrecht s. Gerichtshof für die Heilberufe Bremen, Urteil vom 11. November 1998 – DH 144/98 – HeilBGE A 1.10 Nr. 15).
c) Von den übrigen Anschuldigungspunkten ist der Beschuldigte freizustellen.
aa) Die Äußerung des Beschuldigten gegenüber der Patientin D..., dass sie auf den Fotografien gut aussehe, ist in dieser Form zwar ungeschickt gewählt. Der Senat geht insoweit aber davon aus, dass sich der Beschuldigte lediglich leichtfertig verhalten hat. Von einer vorsätzlichen Berufspflichtverletzung hat sich der Senat nicht überzeugen können. Eine fahrlässige Begehungsweise ist nicht Gegenstand der Anschuldigung.
bb) Das Verhalten des Beschuldigten im Zusammenhang mit den WhatsApp-Kontakten zu der Patientin A... erreicht nach Ansicht des Senats noch nicht die berufsrechtliche Erheblichkeitsschwelle.
Nicht jede fehlerhafte und nachlässige Arbeitsweise, ferner nicht jede Unkorrektheit oder Ungeschicklichkeit eines Arztes rechtfertigen die Annahme eines Berufsvergehens. Es bedarf eines Mangels von einigem Gewicht, der über ein normales, noch tolerierbares Versagen hinausweist. Die berufsrechtlich relevante Schwelle ist jedenfalls dann überschritten, wenn das Verhalten potenziell geeignet ist, zu einer spürbaren Gefahr für das Patientenwohl zu führen. Erforderlich ist danach ein Minimum an Gewicht und Evidenz. Das Versagen darf sich mithin nicht in einer für einen objektiven, aber medizinisch geschulten Beobachter erkennbaren Bagatelle erschöpfen. In diesem Zusammenhang sind sowohl die Interessen des Patienten als auch die Berufsfreiheit des Arztes zu berücksichtigen. Es wäre im Hinblick auf die hier betrachteten Vorgänge mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar, wenn die Berufsordnung dem Arzt etwa jegliche soziale Kontakte zu seinem Patienten untersagte (vgl. Landesberufsgericht für Heilberufe Münster, Beschluss vom 10. Februar 2014 – 13 E 494/12.T – juris Rn. 52).
Ausgehend von diesen Grundsätzen, lässt sich das betrachtete Verhalten noch nicht als erhebliche Berufspflichtverletzung einordnen. Es spricht zwar etwas dafür, dass der Beschuldigte durch die angeschuldigten WhatsApp-Nachrichten an die Patientin A...das Distanzgebot verletzt haben könnte. Zu seinen Gunsten ist indes anzunehmen, dass der Wunsch nach Aufnahme dieser Kontakte von der Patientin ausgegangen und deren Mutter bei der Mitteilung der Daten zugegen gewesen ist und der Datenübergabe zumindest in schlüssiger Weise zugestimmt hat. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte den einseitigen Abbruch der Behandlung durch die Kindesmutter nicht richtig registriert hat, weil deren Verhalten nicht in einem entsprechenden Sinne zu verstehen gewesen sein dürfte. Danach ist das Verhalten des Beschuldigten zwar als Kunstfehler zu betrachten, weil er gegenüber der Patientin wie ein „privater“ Freund aufgetreten ist und damit seine professionelle Haltung aufgegeben hat. Es lässt sich jedoch nicht erkennen, dass die von ihm versendeten Nachrichten nach den erkennbaren Umständen zu einer Gefährdung des Patientenwohls geführt haben könnten, zumal ein Teil dieser Nachrichten nur die Mutter, nicht aber die Patientin erreicht hat.
3. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls stellt sich das Verhalten des Beschuldigten als eine Berufspflichtsverletzung dar, für die der Senat neben der Verhängung einer Geldbuße in der tenorierten Höhe auch die Entziehung des aktiven und passiven Kammerwahlrechts (vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 3 und 4, Abs. 2 KammerG) als angemessen erachtet.
a) Bei der Auswahl und der Bemessung der berufsgerichtlichen Maßnahme ist grundsätzlich das Gewicht der festgestellten Berufspflichtverletzung, die Persönlichkeit des Beschuldigten, das Ausmaß seiner Schuld, berufsrechtliche Vorbelastungen, aber auch die Notwendigkeit zu berücksichtigen, das Ansehen der Angehörigen des Berufsstandes zu wahren und das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität und Zuverlässigkeit eines Arztes zu sichern, um so die Funktionsfähigkeit des ärztlichen Berufsstandes zu gewährleisten. Bei der Schwere der Berufspflichtverletzung spielt auch eine Rolle, ob der Kern der ärztlichen Tätigkeit betroffen ist; zu den die Schuld und die Persönlichkeit beeinflussenden Faktoren gehören die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten sowie die Zahl der Pflichtverletzungen. Das ärztliche Berufsrecht ist als Teil des staatlichen Disziplinarrechts nicht repressiv und damit tatbezogen. Vielmehr ist vorrangig das Gesamtverhalten und die Gesamtpersönlichkeit des Beschuldigten im Hinblick auf die sich aus dem gezeigten Verhalten ergebenden Zweifel an der Zuverlässigkeit seiner Berufsausübung zu würdigen; dabei steht die individuelle Pflichtenmahnung im Vordergrund. Neben dem Gewicht des Berufsvergehens ist dabei die Prognose des künftigen Verhaltens des Beschuldigten und hierbei die Frage entscheidend, in welchem Umfang es einer pflichtenmahnenden Einwirkung bedarf, um ein berufsrechtliches Fehlverhalten zukünftig zu unterlassen (zu alledem Senatsurteil vom 10. Januar 2013 – OVG 90 H 1.11 – S. 17 f. EA m.w.N., vom 25. Februar 2013 – OVG 90 H 1.10 – S. 57, und vom 15. September 2011 – OVG 90 H 1.09 – S. 15 f.).
Jedenfalls mit Blick darauf, dass auch die Ärztekammer gegen die Entscheidung des Berufsgerichts Berufung eingelegt hat, ist der Senat nicht daran gehindert, eine den Beschuldigten belastendere Maßnahme auszusprechen.
b) Gemessen an diesem Maßstab ist zunächst die Verhängung einer Geldbuße (§ 17 Abs. 1 Nr. 3 KammerG), die als pflichtenmahnende Maßnahme den Beschuldigten zu einem standesgemäßen Verhalten und der Erfüllung seiner Berufspflichten anhalten soll (Urteil des Senats vom 25. Februar 2013 – OVG 90 H 1.10 – S. 62 EA), geboten.
Das einheitlich zu beurteilende Berufsvergehen des Beschuldigten ist bereits deshalb als schwer zu bewerten, weil es im Kernbereich der ärztlichen Tätigkeit, d. h. in dem diagnostischen und therapeutischen Bereich des Verhältnisses zu seinen Patientinnen, angesiedelt und vorsätzlich begangen worden ist, sich nicht nur auf Einzelfälle beschränkt hat sowie mit potenziellen Gefahren für das Wohl und die Gesundheit der noch im Kindes- bzw. Jugendlichenalter befindlichen Patientinnen verbunden gewesen ist. Die Anzahl der Berufspflichtverletzungen lässt überdies eine generelle Fehleinstellung des Beschuldigten zu dem Gebot körperlicher Distanz zwischen Arzt und Patienten erkennen. Zu Lasten des Beschuldigten ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte auf das Thema „Distanzgebot“ in seinem beruflichen Werdegang wiederholt und von mehreren Seiten angesprochen worden war. Auch war ihm die Anschuldigungsschrift der Ärztekammer vom 11. September 2014 bereits mehr als ein Jahr bekannt, als es zu dem Vorfall mit der Patientin A... am 18. Dezember 2015 gekommen ist.
Zu Gunsten des Beschuldigten ist zu berücksichtigen, dass er berufsgerichtlich nicht vorbelastet ist und einen Teil der Vorwürfe eingeräumt hat, ferner dass das Verfahren vor dem Berufsgericht mit drei Jahren und zwei Monaten vor dem Berufsobergericht mit mehr als einem Jahr insgesamt unangemessen zu lang gedauert hat.
Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten hält der Senat im Ausgangspunkt eine für ihn spürbare Geldbuße in Höhe von 12.000 Euro für angemessen. Als maßnahmemildernd ist die überlange Verfahrensdauer zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteil vom 29. Januar 2019 – OVG 90 H 3.18 – juris Rn. 53). Hierfür hält der Senat eine Reduzierung der Geldbuße auf 10.000 Euro für geboten und ausreichend.
Darüber hinaus bedarf es der Entziehung des aktiven und passiven Kammerwahlrechts, um dem Beschuldigten eindringlich zu verdeutlichen, wie nahe er sich mit dem von ihm begangenen Berufsvergehen an der Schwelle zur Feststellung der Berufsunwürdigkeit befindet (zum Zweck dieser Maßnahme s. Berufsgerichtshof für die Heilberufe Hamburg, Urteil vom 12. Januar 1986 – HeilBHof 1/85 – HeilBGE A 2.8, Nr. 1.22; Berufsgericht für Heilberufe bei dem VG Berlin, Urteil vom 14. Juni 2006 – 90 A 4.02 – juris Rn. 86). Sollte der Beschuldigte die mit der Entscheidung des Senats verbundene Warnung ignorieren und das Distanzgebot erneut in vergleichbarer Weise verletzen, müsste er mit der Höchstmaßnahme rechnen und stellte damit seine Approbation in Frage.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 24 KammerG in Verbindung mit § 41 DiszG, § 77 Abs. 1 BDG, § 154 Abs. 1 und 2 VwGO. Soweit der Beschuldigte von einem Teil der gegen ihn erhobenen Vorwürfe freizustellen ist, kommt wegen des Grundsatzes der Einheit des Berufsvergehens weder ein Teilfreispruch noch eine Kostenteilung in Betracht (vgl. Urteil des Senats vom 29. Januar 2019 – OVG 90 H 3.18 – juris Rn. 54).
Das Urteil ist unanfechtbar.