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Ausländerrecht; nachträgliche Verkürzung einer Aufenthaltserlaubnis; Abschiebungsandrohung; Ausreise unter dem Druck drohender Vollziehungsmaßnahmen; freiwillige Ausreise; Rückgängigmachung; Rechtsschutzbedürfnis; Stattgabe bestätigt


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 08.05.2012
Aktenzeichen OVG 11 S 22.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 7 Abs 2 S 2 AufenthG, § 50 Abs 1 AufenthG, § 51 Abs 1 AufenthG, § 58 Abs 2 S 2 AufenthG, § 84 Abs 2 S 1 AufenthG, § 84 Abs 2 S 3 AufenthG, § 80 Abs 5 S 1 VwGO, § 80 Abs 5 S 4 VwGO, § 146 Abs 4 VwGO

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 19. März 2012 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der türkische Antragsteller reiste erstmals Ende 2008 nach Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen ins Bundesgebiet ein. Dort erhielt er im Hinblick hierauf am 27. Juli 2009 zunächst eine einjährige Aufenthaltserlaubnis, die am 14. Juni 2010 bis zum 13. Juni 2013 verlängert worden ist.

Anfang November 2011 teilte die Ehefrau dem Antragsgegner mit, dass beide bereits seit Juni 2010 getrennt lebten, das Scheidungsverfahren anhängig sei und er Unterhaltszahlungen für das gemeinsame - im Juli 2009 geborene, deutsche - Kind verweigere. Daraufhin verkürzte der Antragsgegner unter Anordnung sofortiger Vollziehung und Androhung der Abschiebung die dem Antragsteller zuletzt erteilte Aufenthaltserlaubnis durch Bescheid vom 16. Dezember 2011 nachträglich auf den Tag der Bescheidzustellung. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, auch eine Beistands- und Betreuungsgemeinschaft mit seiner Tochter sei nicht ersichtlich bzw. belegt.

Hiergegen hat der Antragsteller am 23. Dezember 2011 Klage erhoben (VG 15 K 403.11) und im vorliegenden Verfahren die „Anordnung“ ihrer aufschiebenden Wirkung beantragt. Durch Beschluss vom 19. März 2012 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag sei durch die im Januar 2012 erfolgte Ausreise des Antragstellers in seine Heimat nicht entfallen. Denn es fehlten belastbare Anhaltspunkte für die Annahme, dass er damit nicht nur seiner durch den Verkürzungsbescheid begründeten Ausreisepflicht gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG nachgekommen sei, sondern hiervon unabhängig in die Türkei habe zurückkehren wollen. Im Gegenteil sei im vorliegenden Verfahren sein Wille hierher zurückzukehren geltend gemacht worden. Bei einem Erfolg seines Antrags könne er erneut einreisen, da infolge der aufschiebenden Wirkung seiner Klage die ihm bis zum 13. Juni 2013 erteilte Aufenthaltserlaubnis wieder gelte. Begründet sei der Antrag deshalb, weil nach Vorlage einer vor dem zuständigen Jugendamt geschlossenen Umgangsvereinbarung vom 6. Dezember 2011 viel für eine aufenthaltsrechtlich schützenswerte Vater-Kind-Beziehung spreche und die Aufenthaltsverkürzung deshalb ermessensfehlerhaft sei.

II.

Die gegen den am 22. März 2012 zugestellten verwaltungsgerichtlichen Beschluss am 3. April 2012 rechtzeitig erhobene und auch begründete Beschwerde des Antragsgegners hat auf der Grundlage des nach § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO allein maßgeblichen Beschwerdevorbringens keinen Erfolg.

Zur Beschwerdebegründung macht der Antragsgegner allein geltend, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse des Antragstellers für eine Sachentscheidung angenommen. Denn ausweislich der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 1 und 3 AufenthG verbessere nicht bereits die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage seine aufenthaltsrechtliche Position, sondern erst eine unanfechtbare gerichtliche Entscheidung. Der Antragsteller habe auch nicht nachgewiesen, dass seine Ausreise nicht freiwillig, sondern „unter besonderem Druck“ erfolgt wäre, so dass ausnahmsweise die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich sein könnte. Seine Behauptung, von einer Sachbearbeiterin hierzu gedrängt worden zu sein, sei nicht substantiiert oder glaubhaft gemacht. Ein ausländerbehördliches Schreiben vom 18. Januar 2012 belege zudem, dass er Bundesgebiet dauerhaft habe verlassen wollen.

Dieses Vorbringen rechtfertigt keine Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Zwar weist der Antragsgegner zu Recht darauf hin, dass die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage keineswegs zur Folge hat, dass, wie das Verwaltungsgericht meint, die dem Antragsteller „bis zum 13. Juni 2013 erteilte Aufenthaltserlaubnis wieder gilt“, d.h. wieder wirksam wird. Denn nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG lassen Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit eines die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendenden Verwaltungsakts unberührt (vgl. auch § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG). Da die nachträgliche zeitliche Beschränkung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eine derartige, den rechtmäßigen Aufenthalt beendende und zur Ausreisepflicht führende Anordnung im Sinne des § 51 Abs. 1 i.V.m. § 50 Abs. 1 AufenthG ist (vgl. Armbruster, HTK-AuslR/§ 84 AufenthG 03/2012 Nr. 4.1 m.w.N.), lässt der durch die Klageerhebung eintretende Suspensiveffekt nach § 80 Abs. 1 VwGO diese Rechtsfolgen des Verwaltungsakts unberührt. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Suspensiveffekt kraft Gesetzes eintritt oder ob er im Falle der Anordnung der sofortigen Vollziehung durch deren Wiederherstellung erneut bewirkt wird.

Mag deshalb auch nicht von einer „Wiedergeltung“ der bis zum 13. Juni 2013 erteilten Aufenthaltserlaubnis auszugehen sein, stellt das jedoch andererseits die Annahme des Verwaltungsgerichts, es könne nicht von einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses des Antragstellers ausgegangen werden, im Ergebnis nicht in Frage. Denn die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis führt, wie der Antragsgegner mit der Beschwerdebegründung selbst einräumt, gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zum Wegfall der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht, so dass eine Vollziehung, d.h. Abschiebung nach § 58 Abs. 1 AufenthG, unzulässig wäre (vgl. auch Armbruster, ebenda). Im Falle einer hiernach unzulässigen zwischenzeitlichen Vollziehung kann das Gericht auf einen entsprechenden Antrag hin - dazu später - gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO deren Aufhebung (Rückgängigmachung) - hier: Ermöglichung der Wiedereinreise – im Wege der Folgebeseitigung anzuordnen, soweit dem nicht die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG entgegensteht (siehe OVG NRW, Beschluss vom 9. März 2007 – 18 B- 2533/06 -, juris, Rz 12 f.,39 m.w.N.). Als Vollziehung in diesem Sinne sind nicht nur unmittelbare behördliche Vollstreckungsmaßnahmen, d.h. vorliegend eine zwangsweise Abschiebung, anzusehen, sondern auch Handlungen, die der Adressat des Verwaltungsakts „selbst freiwillig unter dem Druck drohender Vollzugsmaßnahmen vorgenommen hat“, da diese dann der Behörde zugerechnet werden (vgl. Kopp, VwGO, Kommentar, 16. Auflage, § 80 Rz. 179 m.w.N.). Von einem solchen Fall, der auch nach Auffassung des Antragsgegners im Falle eines - hier allerdings bestrittenen - „besonderen Drucks“ bzw. des Drängens zur Ausreise, die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich machen könnte, ist das Verwaltungsgericht hier ersichtlich ausgegangen. Das ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers hatte insoweit mit Schreiben vom 16. Februar 2012 geltend gemacht, dieser sei bei seiner persönlichen Vorsprache beim Antragsgegner von der zuständigen Sachbearbeiterin zur freiwilligen Ausreise gedrängt worden und wolle selbstverständlich ins Bundesgebiet zurückkehren. Im Schriftsatz vom 14. März 2012 wird dies insoweit konkretisiert, als dort ausgeführt wird, bei seiner Vorsprache habe ihn die Sachbearbeiterin mit der Frage begrüßt, wo sein Flugticket sei, und geäußert, „er müsse ausreisen, wenn auch ein Gerichtsverfahren laufe, und ob seine Rechtsanwältin ihm das nicht erklärt habe“. Soweit der Antragsgegner dem entgegenhält, ein Drängen seitens einer Sachbearbeiterin sei damit nicht „substantiiert“, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Mag auch eine Glaubhaftmachung dieses Vorbringens des Antragstellers bisher fehlen, ist vorliegend jedoch zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 19. Januar 2012 ursprünglich selbst ausgeführt hatte, der Antragsteller habe seiner Aufforderung Folge geleistet und am 17. Januar 2012 die Bundesrepublik verlassen. Auch ist er dem konkreten Vorbringen des Antragstellers nunmehr nicht etwa mit einer abweichenden Erklärung der Sachbearbeiterin entgegengetreten, sondern mit allgemeinen Ausführungen bzw. eher rechtlichen Wertungen („unter besonderem Druck“, „der einfache rechtliche Hinweis der Ausländerbehörde auf eine bestehende Ausreisepflicht stellt aber ein rechtmäßiges Verwaltungshandeln dar“). Schließlich legt auch die in der Ausländerakte enthaltene Grenzübertrittsbescheinigung vom 5. Januar 2012 mit ihrem Hinweis auf die Ausreisefrist am 22. Januar 2012, auf die Hinterlegung des am 22. Dezember 2011 im Auftrag des Antragsgegners durch Polizeibeamte in der Wohnung des Antragstellers eingezogenen Reisepasses und die Aufforderung zur „Abgabe des Flugtickets am 16.01.2012/08.30 Uhr, Raum 335“ nahe, dass die Ausreise „unter dem Druck drohender Vollziehungsmaßnahmen“ erfolgt ist. Für einen anderweitigen Ausreisegrund fehlen - so das Verwaltungsgericht zu Recht - „belastbare Anhaltspunkte“.

Der Verweis des Antragsgegners im Schriftsatz vom 6. März 2012 auf eine vorliegende Zusicherung, im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht vor einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zu vollziehen, bzw. auf die anwaltliche Vertretung des Antragstellers steht dem nicht entgegen, zumal die erwähnte Aufforderung vom 5. Januar 2012 zur „Abgabe des Flugtickets am 16. 01.2012“ nach Einholung der Zusicherung am 27. Dezember 2011 erfolgt ist.

Soweit der Antragsgegner mit der Beschwerde auf ein eigenes behördliches Schreiben vom 18. Januar 2012 verweist, wonach der Antragsteller vor seiner Ausreise die Absicht geäußert habe, das Bundesgebiet dauerhaft zu verlassen, fehlen jegliche Anhaltspunkte (Schreiben, Vermerke oder dergleichen) dafür, worauf diese Mitteilung gegenüber dem Bürgeramt beruht und unter welchen Umständen sie wem gegenüber zu welchen Zwecken abgegeben worden sein soll. Der Vermerk vom 16. Januar 2012 (AuslAkte Bl. 98) über die Vorsprache des Antragstellers jedenfalls gibt für eine Erklärung, „den Geltungsbereich des AufenthG für immer verlassen“ zu wollen, nichts her. Dem Schreiben vom 18. Januar 2012 kann deshalb ein eigenständiger Beweiswert nicht zugemessen werden.

Dass das Verwaltungsgericht vorliegend eine Anordnung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO nicht getroffen hat, stellt das hier nur im Streit stehende Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers für den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Verkürzung der bisherigen Aufenthaltserlaubnis nicht in Frage, zumal das Gericht davon ausgehen konnte, dass der Antragsgegner im Falle einer stattgebenden Entscheidung die Wiedereinreise des Antragstellers ermöglichen wird.

Soweit das Verwaltungsgericht einen Ausspruch nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO bezüglich der Abschiebungsandrohung für entbehrlich hält, wird das seitens des Antragsgegners mit der Beschwerde nicht in Frage gestellt, sondern lediglich ausgeführt, die Abschiebungsandrohung habe sich durch die freiwillige Ausreise des Antragstellers erledigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).